Die
Tochter Vanda wählte man aus Liebe zu Graccus zur Königin. Sie
entzückte
mit ihrem Geist und ihrer Schönheit
alle. Der tyrannus der Lemannen (später im
Text nur noch rex) wollte die weibliche
Erbfolge allerdings anfechten und zog mit
seinem Heer gegen die neue Königin. Als
die Männer aber die Königin Vanda
sahen, legten sie wie von einem Strahl der
Sonne getroffen den Willen zum Kampf
ab, den sie plötzlich als Frevel und
nicht mehr als notwendige
Auseinandersetzung sahen.
Der rex, von Liebe oder Zorn oder beiden Gefühlen ergriffen, rief daraufhin:
"Vanda möge über das Meer,
Vanda über die Erde, Vanda über die Luft gebieten!
Den Unsterblichen möge sie für die
Ihrigen opfern; ich aber, ihr Häuptlinge,
weihe mich den Unterirdischen, auf daß
eure und die Nachkommenschaft eurer
Nachkommen unter Weiberherrschaft ergraue!"274
Mit diesen Worten stürzte sich der
König in sein Schwert. Von Vanda soll der Fluß
Vandalus, also die Weichsel, den
Namen haben, da er mitten durch ihr Reich floß.
Alle Untertanen der Vanda wurden Vandali genannt ("hinc omnes sunt Vandali
dicti, qui eius suffuere imperiis"). Sie
verschmähte jede Ehe, der sie die
Jungfräulichkeit vorzog und starb daher
ohne Nachkommen. Lange noch nach ihr
hatte
das Reich keinen König.275
spanischen Cetubales, der Keltiberer. Deutsche und Engländer bekommen eine
trojanische
Abkunft, die Franzosen nicht. Die polnischen Ahnen waren Japhetiten,
und diese
Stammtafel wurde aus dem Zusatz Mierszwas zu Kadlubeks Chronik
entwickelt.
Somit arbeitete Dlugosz im 15. Jahrhundert wiederum den auf der
fränkischen
Völkertafel beruhenden Stammbaum ein. Er verlor zwar kein Wort
über eine
Verwandschaft von Germanen und Slawen, diese ist aber in der
Genealogie
implizit. Die Vandalen erscheinen in diesem Modell als Menschen, qui
nunc Poloni dicuntur. Die slawischen Genealogien aus der Chronik
Baszkos/Boguphals
sind ebenfalls enthalten. Der polnische Lech und der
tschechische Czech sind Brüder und Söhne des Japhetenkels Janus. Auch Rusz ist
erwähnt,
allerdings äußert Dlugosz Vorbehalte gegen die ihm vorliegenden
Quellen.286
Humanisten nicht mehr nachvollziehbaren,
komplizierten sowie indirekten
Beziehung zu Tacitus. Cromer, der sich
von solchen Vorstellungen zwar
distanzierte und auch Krantz zu
widerlegen versuchte, referierte diverse Thesen
zur Herkunft der Slawen. Dabei kommt er
auch auf verschiedene alte Chroniken
der Polen und Böhmen zu sprechen,
in denen von der Nachkommenschaft Japhets
die Rede ist. Über Japhets Sohn Philaros geht die Reihe
über Alames, Anchises und
Aenaes zu den Trojanern weiter. Aeneas Ururenkel Alanus wandte sich mit
seinen
vier Söhnen nach Europa. Der
älteste Sohn des Alanus war Vandalus, der der
Weichsel seinen Namen gab und damit auch
dem polnischen Land. Seine
Eroberungen verteilte er an seine
Söhne, die die verschiedenen slawischen Staaten
stifteten.317 Hier beginnt die Spur, die den Kreis zu
schließen ermöglicht.
Genau diese von Cromer
beschriebene und kritisierte Genealogie findet sich nämlich in der Chronik Mierszwas aus
dem 13. Jahrhundert. Hier ist es der Japhetnachfahre Alanus, der "primus Europam
intravit" und Negno zeugte. Dieser Negno wiederum zeugte vier Söhne. Der Erstgeborene war Wandalus, von dem die Wandalitae, "qui Poloni nunc
dicuntur", abstammen.318 Dieses Modell bezog Mierszwa wiederum aus
der Völkergenealogie, die in der sogenannten "fränkischen
Völkertafel" entwickelt wird. In der Fassung, die die Historia
Brittonum enthält, sind die beiden Namensformen Alanus und Negue vorhanden. "Primus homo venit ad
Europam de genere Iafeth: Alanus cum tribus |
315Zu Berossos Vgl. Kapitel III.1. dieser Arbeit. |
So erklärte etwa der
Tübinger Professor der Rhetorik Heinrich Bebel (1472 - 1518)
1501 in einer Rede vor Kaiser Maximilian I., Berossos und Tacitus seien
Zeugen
dafür, daß die Germanen von Tuisco, einem Sohn Noahs,
abstammten, den andere
Völker Janus nennen würden. Die politische Lage der Zeit
schlägt sich in einer
Spitze gegen die mit den Habsburgern verfeindeten Valois nieder.
Gallien sei ja
von Germanien aus überhaupt erst gegründet worden. In
seinem Schwankbuch
berichtete Bebel weiters von einem Fürsten, der mit seinem
trojanisch-römischen
Blut geprahlt habe. Ein Doktor aber erzählte, er sei aus
Nürnberg und die
Nürnberger kenne man ja wohl. Die Trojaner dagegen seien
völlig unbekannt und
Aeneas, sofern man es beurteilen könne, ein Verräter und
Romulus ein Räuber.
Der pseudobiblische und nach Berossos konstruierte Tuisco war
für Bebel nur eine
Hilfe. Ernsthaft wollte und konnte man die fernen Urzeiten ja
nicht erforschen.
Wichtig war das Alter der Deutschen, die seit der klassischen
Zeit, was für die
Humanisten gleichbedeutend mit 'seit immer' war, im Lande
saßen.343