1 |
Roland Steinacher |
Studien zur vandalischen
Geschichte Die Gleichsetzung der Ethnonyme Wenden, Slawen und
Vandalen vom Mittelalter bis ins 18.
Jahrhundert |
Dissertation zur Erlangung des
Doktorgrades der Philosophie aus der Studienrichtung Geschichte eigereicht an der
Geistes- und Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität
Wien bei Herwig Wolfram und Walter Pohl |
Wien, im Juni 2002 |
2 |
Meinem Großvater Stefan Widmann 1914 - 2002 |
3 |
VORWORT........................................................................................................................5
EINLEITUNG: DIE HISTORISCHEN VANDALEN UND IHR BILD
IN DER EUROPÄISCHEN GESCHICHTE...............................................................................10
I. DIE ETHNONYME "WENDEN" UND
"SLAWEN".............................................28 I.1. DIE VORGESCHICHTE
DER BEZEICHNUNG 'WENDEN'
............................................28 I.1.1. Wenden.............................................................................................................28
I.1.2. Das Ethnonym Veneder (Oçen¡dai/ Venedi/ Venethi) bei Klaudios Ptolemaios, Plinius und
Tacitus....................................................................................................29
I.1.3. Die Anwendung des Venedernames auf die Slawen
seit dem sechsten Jahrhundert und die Identifizierung der Veneder als
"Urslawen"............................31 I.2. GRUNDZÜGE DER SLAWISCHEN GESCHICHTE
........................................................35 I.3. DIE ETHNONYME "SLAWEN", "ANTEN" UND "VENETHI" IN DEN QUELLEN DES SECHSTEN JAHRHUNDERTS: PROKOP, JORDANES, THEOPHYLAKTOS SIMOKATES.....45
II. VANDALEN = WENDEN. EIN FRÜHMITTELALTERLICHES
ETHNONYM MIT LANGEM
NACHLEBEN......................................................................................53
II.1. DIE GLEICHUNG WENDEN = VANDALEN IN QUELLEN SEIT
DEM 8. JAHRHUNDERT .......................................................................................................................................53
II.1.1. Salomoglossar/ Glossae Salomonis (9.
Jh.)....................................................53 II.1.2. Wessobrunner Glossen (9. Jh.)
.......................................................................56 II.1.3. Annales Alamannici/ Murbacenses, Annales
Sangallenses, Annales Petavienses, Annales Fuldenses
................................................................................58
II.1.4. Rupertsvita (791/93)
.......................................................................................60
II.1.5. Chronicon Vedastinum (10.Jh.)
......................................................................62 II.1.6. Adam von Bremen, Die Verwendung des
Vandalennamens in den "Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum" (11.Jh.)
......................................................62 II.1.7. Helmold von Bosau, Chronica Slavorum (Mitte
12. Jh.)................................67 II.1.8. Vita sanctorum Marini et Anniani (Anfang 12.
Jh.) .......................................71 II.1.9. Gottfried von Viterbo (12.
Jh.)........................................................................72
II.1.10. Heinrich von Huntingdon, Historia Anglorum,
Buch V und VI (Mitte 12. Jh.) ...................................................................................................................................74
II.1.11. Gervasius von Tilbury (frühes 13. Jh.)
.........................................................79 II.1.12. Dänemark und die Slawen im 12. Jahrhundert;
Saxo Grammaticus - Gesta Danorum; Der dänische Königstitel rex Danorum
Sclavorumque ...........................80 II.1.13. Chronicon Balduini Ninoviensis (2. H. 13.
Jh.)............................................88 II.1.14. Bartholomaeus Anglicus: Der Vandalenname im
Buch "De provinciis" der "De proprietatibus rerum"
........................................................................................89
II.1.15 Die polnischen Vandalentraditionen.
Vincentius Kadlubek, Mierszwa und Baszko Boguphal (13.
Jh.).........................................................................................92
II.1.16. "Vandali, qui nunc Poloni
dicuntur". Jan Dlugosz (15. Jh.)........................96 II.2. PAWEL JOSEF SCHAFARSCHIKS THESEN VON 1837
..............................................98 II.3. EIN (EIGENER) ERKLÄRUNGSVERSUCH...............................................................102
|
4 |
III. DIE GLEICHSETZUNG WENDEN =
VANDALEN IM DEUTSCHEN UND DEREN ZURÜCKWEISUNG IM POLNISCHEN
HUMANISMUS.......................115 III.1. DER PSEUDO-BEROSSOS UND
DIE VERBINDUNG DER BIBLISCHEN GESCHICHTE MIT TACITUS IN DER HUMANISTISCHEN HISTORIOGRAPHIE ......................................115 III.1.1. Exkurs: Alexander der Große und Julius
Caesar in der politischen Traditionsbildung des Mittelalters
..........................................................................119
III.2. HUMANISTISCHE IDEEN ZUM VERHÄLTNIS VON WENDEN UND VANDALEN. ZWISCHEN VORNATIONALER IDENTITÄT UND
HÖFISCHER GESCHICHTSSCHREIBUNG121 III.2.1. Die Gleichsetzung zeitgenössischer mit
antiken ethnischen Identitäten in der humanistischen Historiographie .............................................................................121
III.2.2. Albert Krantz. Die "Wandalia" und
die Germanisierung der Slawen.........127 III.2.3. Martin Cromer. Die Slawen als
"sarmatisches" Volk.................................138 III.2.4. Die Slawisierung der Vandalen. Dubravius
und Schurtzfleisch..................141 III.2.5. Die neutrale Position des Aenaes Silvius
Piccolomini................................142 III.2.6. Nicolaus Leuthingers Brandenburgische
Geschichte..................................144 III.2.7. Mecklenburg - Das slawische Abodritenland
wird im 12. Jahrhundert das Land Mecklenburg. Die Vandalen/Wenden in der
höfischen Geschichtsschreibung Mecklenburgs im 16. und frühen 17. Jahrhundert
..................................................146 IV. DIE HISTORISIERUNG DES VANDALENNAMENS
.....................................156 IV.1. DIE ENTWICKLUNG
VON DER GLEICHSETZUNG VANDALEN=WENDEN ZUR HISTORISCHEN DARSTELLUNG IN WÖRTERBÜCHERN UND ANDEREN TEXTEN DES 16. - 18. JAHRHUNDERTS.....................................................................................................156
IV.2. DER SCHWEDISCHE KÖNIGSTITEL
REX SUECORUM,
GOTORUM VANDALORUMQUE
.....................................................................................................................................163
IV.3. DAS 18. JAHRHUNDERT......................................................................................167
IV.3.1. Philipp Clüver (Cluverius): "Germania
antiqua libri tres" ........................168 IV.3.2. Johann Jacob
Mascov..................................................................................170
IV.3.3. Johann Christophoph Jordan: "De
originibus slavicis opus chronologico- geographico-historicum".........................................................................................172
IV.3.4. Johann Christoph Gatterer: Veneder und
Vandalen sind Germanen .........174 IV.3.5. Conrad Mannert ..........................................................................................178
IV.3. 6. Ludwig Albrecht Gebhardi: "Geschichte
aller Wendisch-Slavischen Staaten" .................................................................................................................................180
IV.4. WISSENSCHAFTLICHE POSITIONEN AUF
DER BASIS HERDERS UND DER PANSLAWISMUS. DIE VENEDER ALS 'URSLAWEN'......................................................185
IV.4.1. Der polnische Graf Potocki wirbt in Paris
für die slawische Sache ...........187 IV.4.2. Pawel Josef Schafarschiks "Slawische
Althertümer" von 1837 ..................188 V. RESÜMEE
................................................................................................................195
ANHANG
.......................................................................................................................197
A. ABKÜRZUNGEN.......................................................................................................197
B. QUELLEN.................................................................................................................200
B.1. Quellen bis zum 15. Jahrhundert in
Editionen.................................................200 B.2. Quellen vom 15. Jahrhundert bis
1800............................................................205 C. LITERATUR..............................................................................................................208
|
5 |
Vorwort |
Der Verfasser der ersten
wissenschaftlichen deutschsprachigen Monographie zur vandalischen Geschichte, Conrad Mannert, äußerte sich im Jahr 1785 zu
den Fragestellungen dieser Dissertation wenig optimistisch. "Den Spuren der übrigen Haufen nachzuforschen, oder anzuzeigen,
wie oft der Name der Vandalen bey verschiedenen Schriftstellern in verschiedenen
Gegenden und Kriegen um diese Zeit (dem Mittelalter, d. V.) noch vorkommt,
würde unnüz, weitläufig, ermüdend, und das erstere auch wohl unmöglich seyn."1 Dieses Urteil entspringt der im 18. Jahrhundert entwickelten
Abneigung, gegen die Verwendung des Vandalennamens außerhalb der durch Quellen absicherbaren antiken und frühmittelalterlichen Geschichte. Noch im
17. Jahrhundert wurde der Vandalenname häufig als Bezeichnung der
slawischen Wenden in Mecklenburg und anderen Territorien gebraucht. Im gelehrten
Schrifttum mangelt es nicht an Werken, die regelmäßig die
Latinisierung Vandali für das deutsche Wenden gebrauchen. Das Ethnonym Wenden ist in verschiedenen Varianten seit dem sechsten Jahrhundert in unserer schriftlichen Überlieferung zu greifen.
Verwendet wurde es zuerst als unpräziser Sammelbegriff für Slawen. Seinerseits geht
es als germanische Fremdbezeichnung auf das antike
Venedi/Ouenedai oder Venethi zurück und wird erst bei Jordanes im 6. Jahrhundert eindeutig als
Benennung der Slawen greifbar.2 Die Veneder, die nach den kaiserzeitlichen Autoren Plinius, Tacitus
und Ptolemaios an der oberen Weichsel und östlich der Elbe ansässig
waren, wurden auch in der Forschungsgeschichte immer wieder mit den Slawen in
Verbindung gebracht. Eine ethnische Zuordnung der Veneder ist aber keinesfalls
möglich. Der Name Wenedi wurde von den Germanen jedenfalls auf ihre neuen
slawischen |
1Mannert,
Geschichte der Vandalen, 1785, p. 17. 2Plinius,
Naturalis Historia IV, 97; Ptolemaios, Geographika III, 5, 7-9; Tacitus,
Germania 46; Jordanes, Getica, 5, 34. |
6 |
Nachbarn übertragen. Aufgrund der
althochdeutschen Lautverschiebung steht in den frühmittelalterlichen Quellen meist eine Form von
Winida zu lesen. Diese Bezeichnung findet sich in der lateinischen Überlieferung zur
slawischen Frühzeit bis ins Spätmittelalter als Synonym für
Sclavi wieder, vor allem im westfränkischen Bereich.3 Im ersten Kapitel der vorliegenden Dissertation wird der Frage nach
der Entstehung und Verbreitung des Slawennamens bei byzantinischen und lateinischen Autoren nachgegangen. Weiters wird der Wendenname einer eingehenden Untersuchung unterzogen. Sowohl die Forschungsgeschichte,
als auch aktuelle Positionen wurden dabei berücksichtigt. Ebenso wurde
diesem Kapitel ein kurzer Überblick über die slawischen Ethnogenesen und die
Geschichte Osteuropas bis ins hohe Mittelalter angefügt. Diese
Vorgehensweise schien notwendig, um eine gewisse Orientierung des Lesers in den
folgenden Kapiteln zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Arbeit war es aber nur
beschränkt möglich, die umfangreiche Problematik in der notwendigen
Ausführlichkeit darzustellen. Mittelalterliche Autoren verwendeten auch die Form
Wandali für die Slawen/Wenden. Dieser Namensgebrauch konnte in der Forschung bisher
nicht zureichend erklärt werden. Ziel des zweiten Kapitels dieser Arbeit
war es, eine Erklärung für dieses Phänomen zu entwickeln. Seit dem achten Jahrhundert ist der Name der Vandalen in Bezug auf
die Slawen namentlich im süddeutschen Raum gebräuchlich. Als älteste Belege sind
die Wessobrunner Glossen und das Salomoglossar anzuführen. Nach dem achten Jahrhundert findet sich diese Gleichsetzung von
Wenden und Vandalen in den Alamannischen Annalen, den Annales Sangallenses, den
Annales Petavienses, den Annales Fuldenses, der Rupertsvita, dem Chronicon
Vedastinum aus dem 10. Jahrhundert, bei Adam von Bremen in den
Gesta Hammaburgensis ecclesiae
pontificum aus dem 11. Jahrhundert
und in der Slawenchronik des Helmold von Bosau aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Weitere Quellen
des 12. Jahrhunderts wie die Vita
sanctorum Marini et Anniani,
Gottfried von Viterbo, Heinrich von Huntingdon, Gervasius von Tilbury, das
Chronicon des Balduin von |
3Reisinger
und Sowa 1990, 10f. |
7 |
Ninove, die Enzyklopädie des
Bartholomaeus Anglicus und Saxo Grammaticus nennen die Slawen ebenso Vandalen. Teilweise läßt sich in diesen Quellen eine Einschränkung des Begriffs
Wenden/Vandalen auf die Elbslawen im Bereich zwischen Saale, Oder und
Ostsee beobachten. Daß die Allgemeinbezeichnung Slawen und damit auch
der Begriff Wenden im 12. Jahrhundert meist hinter spezifischere Namen
wie Polen oder Böhmen zurücktrat, ist in der Mediävistik Konsens.4 Im europäischen Maßstab griff im 12. Jahrhundert eine
Diversifizierung und 'Nationalisierung' des Geschichtsinteresses Platz. Auch in den
slawischen Königreichen machte die Historiographie diese Entwicklung mit. Die
polnischen Beispiele solcher Geschichtswerke, die
Chronica Polonorum des Vincentius Kadlubek, die Fortsetzung derselben durch Mierszwa und die Chronik
des Baszko/Boguphal bieten Varianten einer Erzählung, die die Polen von
den Vandalen abstammen läßt. Noch im Geschichtswerk des Jan Dlugosz aus
dem 15. Jahrhundert findet sich der Satz
Vandali, qui nunc Poloni dicuntur. Gestützt wurden die polnischen Geschichtsmodelle des 12. bis 15.
Jahrhunderts mit der Völkergenealogie, die in der sogenannten 'Fränkischen
Völkertafel' enthalten ist. Diese, in einer Beziehung zu Tacitus stehende, Quelle war
wahrscheinlich vor dem achten Jahrhundert im fränkischen Bereich die Ausgangsbasis für
die Gleichsetzung der Slawen/Wenden mit den Vandalen. Mit der
Gleichsetzung wurden die Verhältnisse, die die slawischen Ethnogenesen in den
Jahrhunderten zuvor geschaffen hatten, in ein europäisch-fränkisches Geschichtsbild
integriert. Die Besprechung der genannten Quellen und die Entwicklung dieser
These ist Inhalt des Kapitels II. der vorliegenden Arbeit. Kapitel III. setzt mit erstmals in diesem Zusammenhang
interpretierten frühneuzeitlichen Quellen aus dem Norden des deutschen Sprachraums
fort. Die Verwendung des Vandalennamens hatte auf Basis der mittelalterlichen Traditionen sowohl für die slawische Bevölkerung, als auch als
Selbstbezeichnung politischer Gebilde im 'Wendenland' eine lange Tradition. |
4Reisinger
und Sowa 1990, 18f; Graus 1980, 61. |
8 |
Der Humanist Albertus Krantz (1448 -
1517) nahm diese Tradition in seiner 1519 posthum erschienenen Wandalia auf. Geschrieben hat er die Geschichte verschiedener slawischer Völker, hanseatischer Städte und des
herzoglich mecklenburgischen Hauses, die er mit gelehrter Mühe an die antiken
Vandalen anzuschließen wußte. Diese Mühe wurde wesentlich durch den
sogenannten Pseudo-Berossos erleichtert. Es handelte sich bei diesem erstmals
1499 gedruckten Text um eine humanistische Fälschung, die Elemente der biblischen
Geschichte mit den germanischen Genealogien des Tacitus zu verbinden suchte. Die
von Krantz vor allem auf Basis des Pseudo-Berossos vollzogene
Germanisierung der Slawen wurde im polnischen Humanismus, namentlich vom im Auftrag des Königs Sigismund August schreibenden Martin Cromer, zurückgewiesen. Seit dem 14. Jahrhundert ist die Bezeichnung
wendische Städte für Danzig,
Lübeck, Wismar, Rostock, Stralsund, Königsberg, Riga und andere Hansestädte gebräuchlich. Latinisiert wurde dies als
vandalicae urbes. Die Bezeichnung wendische
Städte stand im Zusammenhang mit
der Einteilung der Hanse in Quartiere. Das Hansequartier mit dem Vorort Lübeck, das die
aufgezählten Städte umfaßte, wurde als wendisches Quartier bezeichnet. Auch im Namen des pommerschen Teilherzogtums Wenden findet sich im Lateinischen die Form Ducatus
Vandaliae. Die gelehrte
Latinisierung erst beinhaltete eine historische Dimension, die von der humanistischen Geschichtsschreibung zu
Spekulationen verwendet werden konnte. Die Wurzeln der Bezeichnung reichen weit ins
frühe Mittelalter. Vor diesem Hintergrund kann eine Reihe von
Geschichtskonzeptionen aus dem Umkreis des mecklenburgischen Hofes gedeutet, erklärt und in
einen Zusammenhang gestellt werden. Der zuerst in der dänischen und seit dem Wasakönig Gustaf I. auch in
der schwedischen Königstitulatur verwendete Wenden/Vandalenname steht in
einem Zusammenhang mit durch humanistische Geschichtsmodelle gefestigten
Herrschaftsansprüchen im 'Wendenland'. Der Titel Suecorum, Gothorum Vandalorumque rex bringt den Anspruch der schwedischen Monarchie im slawischen Teil des Ostseeraums zum
Ausdruck. Aufgrund der schwierigen Quellenlage und des geringen Interesses auch
der skandinavischen Forschung an diesen Fragen konnten hier aber nur
wenige Aussagen zu den Königstiteln erarbeitet werden. |
9 |
Anhand von Wörterbüchern, Lexika und
anderen Texten wird im vierten Kapitel der Weg der Diskussion um Wenden und Vandalen vom 16. ins 18.
Jahrhundert angerissen. Feststellbar ist eine im Kapitel IV.2. weiterverfolgbare
Negierung der Gleichsetzung Wenden = Vandalen, die die Wortverwendung auf
einen Irrtum der mittelalterlichen Autoren reduziert hat. Kapitel IV.2. analysiert die deutschsprachige und zum Teil die
tschechische Diskussion um die Identität der Vandalen und der Veneder beziehungsweise
der Slawen vom 17. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei
wurden neben historischen Handbüchern und Überblickswerken wie denen von Johann
Jacob Mascov und Johann Christoph Gatterer auch Arbeiten zur Geschichte der
Slawen herangezogen, wie die von Gebhardi und Jordan. Ein Ausblick auf das
Werk von Pavel Josef Schafarschik, dem Begründer der auf den Modellen Herders
und Humboldts fußenden slawisch-nationalen Geschichtswissenschaft,
schließt das Kapitel ab. |
Herwig Wolfram und Walter Pohl möchte
ich für die Chance, bei Ihnen zu lernen, und die Betreuung dieser Dissertation herzlich danken. Robert
Rollinger vom Institut für Alte Geschichte der Universität Innsbruck wies die
ersten Schritte in Richtung Vandalen. Das Projekt "Vandalische Geschichtsbilder" von Juli bis
Dezember 2001 wurde von der Universität Innsbruck als Graduiertenstipendium finanziert. Im
Rahmen dieses am Institut für Geschichte der Innsbrucker Universität
durchgeführten Projekts wurden Ergebnisse erarbeitet, die in die vorliegende
Dissertation einfließen konnten. Josef Riedmann sei herzlich für die Leitung des
Projekts und seine Hilfe gedankt. Karin Schneider und Thomas Wallnig halfen in vielen wertvollen
Gesprächen, die Überlegungen und die Form dieser Arbeit zu verfeinern. Stefan
Donecker übersetzte Literatur aus dem Schwedischen. Dem geduldigen und
freundlichen Personal des Augustinerlesesaals der Österreichischen
Nationalbibliothek und des Sonderleseraums der Innsbrucker Universitätsbibliothek
sei für die Bereitschaft gedankt, immer wieder viele verstaubte Folianten auszuheben. |
10 |
Einleitung: Die historischen
Vandalen und ihr Bild in der europäischen Geschichte |
Wer waren die Vandalen, die 429, als
sie den Römern schon hinlänglich als militärisches wie politisches Problem bekannt waren, unter nicht ganz
geklärten Umständen nach Afrika übersetzten und in kurzer Zeit die Provinzen
Byzacena und Proconsularis erobern? Eroberer, Einwanderer, ein nomadisches
Volk, edle Wilde, Ketzer, brutale Zerstörer und Feinde der Kirche, die die
Rechtgläubigen verfolgen und die Voraussetzung für viele Wunder schaffen, Leute, die
die gerechte Strafe Gottes ausführen, verweichlichte Schwächlingen, die
nur in Annehmlichkeiten leben wollen, bald schon Mäzene und Euergeten, kunstliebende Villenbesitzer und Literaturliebhaber. Die Quellen sind
sich nicht einig, im Gegenteil.5 Die Vandilier, Burgundionen und Rugier waren eine von
kaiserzeitlichen Autoren erwähnte germanische Völkergruppe, deren Ethnogenese nicht restlos
geklärt ist. Ähnlich wie bei den Gutonen-Goten greifen wir zwar eine
Namenskontinuität, können aber wenig über die ethnischen Prozesse hinter diesen Namen
aussagen. Im Osten der Germania an Oder und Weichsel seßhaft, waren diese
Völker den ethnisch nicht zuordenbaren Venedern benachbart. Tacitus, Plinius und
Ptolemaios sind sich in ihren Berichten über diese Völker nicht
einig.6 Kurz nach 400 brach eine gotische Gruppe aus dem Gebiet der unteren
und mittleren Donau nach Italien auf. Die Alanen, ein Stammesverband
skythisch- sarmatischer Herkunft, die Sueben und die Vandalen zogen gemeinsam in
Richtung Gallien. Die genaue Zusammensetzung dieser Verbände ist eine
komplexe Fragestellung. Neben den erwähnten
gentes dürften sich auf allen Etappen der Migration zwischen der pannonischen Tiefebene und Afrika römische Deserteure, entflohene Sklaven, Abenteurer und Menschen, die
sich als nun 'germanische' Krieger einfach mehr Chancen erwarteten, als in
ihrer vorherigen sozialen Umgebung, angeschlossen haben.
Gens bezeichnet eine |
5Vgl.
zur Geschichte der Vandalen: Pohl 2002, 70-86; Wolfram 1998, 228-257; Diesner
1966; Miltner 1955; Courtois 1955; Berthier 1951; Schmidt
1901/1942; Papencordt 1837. 6Vgl. neuerdings
Pohl 2002, 70; Pohl 2000, 22f. |
11 |
Großgruppe wie eine Sippe, einen
Stammessplitter, wie eine Konföderation mehrerer ethnischer Einheiten. Hinzu kommt, daß die
völkerwandergszeitlichen gentes keinen Zustand implizieren, sondern einen offenen
Prozeß. Wer mitkämpft, gehört dazu. Die gens vergrößert und erweitert sich ständig. Ein Beispiel
aus einem etwas anderen Umfeld: Ein gefangener römischer Baumeister
errichtete seinem hunnischen Herrn in Pannonien ein Bad aus Spolien. Nach der Fertigstellung des Gebäudes machte der hunnische Herr den Experten
zum Badeknecht, der heizen und waschen mußte. Ein anderer Römer diente
demselben Hunnen als Krieger und kämpfte in mehreren Schlachten an seiner
Seite. Keine zwei Jahre vergingen, und der Römer war ein hunnischer Krieger
geworden, äußerlich nicht mehr von den anderen zu unterscheiden.7 Die gentes waren aufnahmebereit für Einzelne oder ganze
Gruppen. Die Frage nach Sprache, Hautfarbe oder selbst Religion war nicht das Thema.
Grund für den Aufbruch der Alanen, Vandalen und Sueben dürften die Bewegungen der Hunnen gewesen sein, verbunden mit der Hoffnung, in den Kernprovinzen
des Westreichs mit ihrer alten, wohlhabenden Städtelandschaft ein
besseres Leben führen zu können. Nach dem Eindringen ins römische Imperium im Jahr 406 durchzog der vandalische Verband zusammen mit Alanen und Sueben etwa zwei Jahre
lang Gallien. Im ganzen sind die zur Verfügung stehenden Quellen für den Vandaleneinfall von 406 dünn gesät. Hieronymus berichtete in einem
Brief aus Palästina von den Zerstörungen, die die Vandalen angerichtet haben
sollen. Mainz, Speyer, Worms, Tournai, Straßburg und Reims seien wie viele
andere Städte geplündert worden. Die arianischen Vandalen sollen die Kirchen
geschändet und viele Priester getötet haben. Die Traditionen der
späteren französischen Klöster und Bischofsstädte enthielten diverse
Märtyrerlegenden, die unmittelbar mit den Plünderungen der Vandalen oder der Erettung von
diesen in Zusammenhang standen. Solche Märtyrer sind beispielsweise Exuperius
von Toulouse und Antidius von Besançon. Diese Traditionen sind in aller
Regel aber erst seit karolingischer Zeit greifbar.8 |
7Vgl.:
Wolfram 2001, 20; Nach Priscus, Fragment 8. 8Hieronymus,
Eoistola 123; Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem II, 2. Pohl 2002, 74 und Anm. 25; Courtois 1955, 38ff und
44ff; Courcelle 1964, 79ff; Miltner 1955, 305f. |
12 |
Die rege Editionstätigkeit im
Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts, genannt sei nur das benediktinische Projekt der Acta
Sanctorum, rief viele dieser Märtyrertraditionen und Wundergeschichten wieder in ein allgemeineres
Bewußtsein. Durch diese hagiographische Topik waren die Vandalen in
der Zeit der Prägung des Begriffs vandalisme durch Henri-Baptiste Grégoire als Namensgeber für ein solches Vokabel naheliegend. Ihnen haftete der
nun auch gedruckt verbreitete Ruf an, Verursacher von in Frankreich nie wieder
zu erduldenden Verwüstungen gewesen zu sein. Nach 408 zog der alanisch-vandalisch-suebische Verband nach Spanien
weiter und errichtete dort kurzlebige Staatswesen. Die Provinzen Hispaniens
wurden unter den Eroberern aufgeteilt. Nach dem Chronisten Hydatius teilten
sich die Eroberer die Halbinsel folgendermaßen auf: Die Alanen erhielten
Lusitanien und die Carthaginensis, die silingische Teilgruppe der Vandalen bekam die
Baetica, also das heutige Andalusien, und die restlichen Vandalen und Sueben
die Provinz Galaecia im Nordwesten Spaniens. Die Tarraconensis, das heutige
Katalonien, blieb den wenig später eintreffenden Westgoten unter ihrem König
Athaulf. Wie in diesem Jahrhundert häufig schlossen die Römer 417 als
Gegenmaßnahme einen Bündnisvertrag mit den Westgoten. Ein
römisch-westgotisches Heer zerstörte daraufhin das silingische und das alanische Staatsgebilde in Spanien.
Die Hasdingen wurden zu einem neuen Sammelpunkt, und Alanen wie Silingen schlossen sich dem Königtum des Hasdingen Gunderich an. Sein
Nachfolger Geiserich führte den nun schon lange miteinander kämpfenden und
wandernden Verband nach Afrika. Die Sueben blieben in Spanien und ihr Reich in
Galizien hatte bis ins späte 6. Jahrhundert Bestand.9 Afrika war eine der wohlhabendsten Gegenden des römischen Reichs. Im
Mai 429 überquerten die Vandalen und Alanen die Meerenge von Gibraltar. Nach
der Landung zogen sie die Küste entlang westwärts bis nach Hippo Regius,
das monatelang belagert wurde. Augustinus war der Bischof dieser Stadt.
Er starb im August 430, noch bevor die Stadt von Geiserich erobert werden konnte.
Nach diversen militärischen Aktionen gestand die Reichsregierung den
Vandalen 436 Gebiete in Mauretanien und Numidien zu. 439 eroberten diese aber
unter Bruch des Vertrags Karthago. Karthago war zu dieser Zeit eine der drei
größten Städte des Mittelmeerraums. Mit Karthago als Hauptstadt errichteteten die
Eroberer nun ein regnum, vergleichbar dem der Ostgoten in Italien, in den
reichen Provinzen 9Diesner
1966, 25ff; Wolfram 1998, 235ff; Hydatius, Cont. Chron., AD 411 - 418. |
13 |
Byzacena und Proconsularis, was etwa
dem Gebiet des heutigen Tunesien entspricht . Auch diese Sachlage erkannte die Regierung in Ravenna
442 mit Vertrag an, der Kaiser in Konstantinopel ließ sich damit bis 472 Zeit
und riskierte noch einen fehlgeschlagenen Invasionsversuch.10 Die Vandalen schafften es im folgenden, das westliche Mittelmeer
unter ihre Kontrolle zu bringen. Sardinien, Korsika, Sizilien und die Balearen
waren Teil des Regnum, wiederholt wurden die Küsten Süditaliens und Griechenlands geplündert. 455 gelang es Geiserich sogar Rom zu erobern und mit
großer Beute, darunter der von Titus im Jahr 70 nach Rom gebrachte jüdische
Tempelschatz aus Jerusalem, nach Karthago zurückzukehren. Im Vandalenreich selbst kam
es zu konfessionellen Kämpfen, da Geiserich und sein Sohn Hunerich den
Arianismus bei der katholischen Mehrheit durchzusetzen versuchten. Die
katholische Historiographie (Victor von Vita, Fulgentius von Ruspe), die von
diesen Kämpfen berichtet, ist die beste uns zur Verfügung stehende Überlieferung zum
regnum, prägt aber natürlich ein sehr einseitiges Bild von der vandalischen
Herrschaft. Wie das vandalische Regnum im Detail organisiert war, ist eine offene
Forschungsfrage. Den Eroberern war jedenfalls enteigneter Besitz
römischer Großgrundbesitzer zugewiesen worden, die sogenannten
sortes Vandalorum. Die Klagen Victors von Vita und Prokops, die Römer seien in Armut und
Sklaverei gestürzt worden, sind sicher übersteigert. Für die römischen Eliten
war es einfach schwierig, eine jahrhundertelange Tradition der Vorherrschaft als
beendet zu akzeptieren und sich am Hof des rex Vandalorum
et Alanorum als Dichter und Juristen zu verdingen.11 Die vandalische Aristokratie lernte schnell, die Vorzüge der
verfeinerten römischen Elitenkultur zu genießen. Die im Regnum entstandene
Mischkultur läßt sich gut anhand der 'vandalischen Hofdichtung' illustrieren. Im
Umfeld vandalischer Großer oder des Hofes waren lateinische Dichter tätig.
Der Bogen ihrer Themen reichte von der Klage "Inter 'eils' goticum 'scapia
matzia itan drincan/ Non audet quisquam dignos edicere versus."12 bis zur
schwärmerischen Huldigung des Dichters Florentinus an den König Thrasamund:
"(...) Carthago florens , Thrasamundi nomine regnans./ cuius ut imperium maneat per
saecula |
10Pohl
2002, 78f; Schmidt 1901/1942, 77ff; Diesner 1966, 56f; Clover 1990, 23. 11Vict.
Vit., I 13; Prokop, BV, III 5; Pohl 2002, 81 und Anm. 63. 12Anthologia
Latina, ed. D.R. Shackleton Bailey, 279. |
14 |
felix,/ optamus domino multos
celebrare per annos/ annua, dum repetit fulgentia gaudia regni."13 Die unmittelbare Vorstufe
literarisch-historiographischer Leistungen vergleichbar derer im Ostgotenreich ist hier zu greifen. Nach dem Friedensvertrag mit Byzanz ging die einzige ernsthafte
Bedrohung des Regnums von den Berbern (Numidae,
Gaetuli, Mauri, Maurusier) aus.
Diese gründeten an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert insgesamt acht
Staatsgebilde von Altava bis in die Tripolitana südlich der Provinzen Byzacena und
Africa Proconsularis. Einiges über diese politischen Gebilde läßt sich aus
Inschriften und aus Prokop schließen.14 Der Panegyrikus des Corippus zeugt von massiven
Auseinandersetzungen der Byzantiner auch nach Ende des vandalischen Reichs mit diesen berberischen Gruppen.15 Die Berber standen in vielfältigen Beziehungen zu den Vandalen und Römern.16 Sie stellen die
Landungstruppen beim Unternehmen Geiserichs gegen Rom17 und wurden überhaupt als
Seeleute und Soldaten eingesetzt. 534 und 535 mußten byzantinische Truppen
gegen Mauren auf Sardinien aufmarschieren. Diese saßen dort als 'vandalische'
Militärsiedler.18 Verbannte Katholiken wurden zum maurischen König
Capsur in die Wüstengegend Caprapicta geschickt.19 Fulgentius meint, er ziehe es
vor in Gegenden zu sitzen, die von den Mauri bedroht würden, als in solchen, wo er den Arianern ausgeliefert wäre.20 Erwähnt werden soll auch die Inschrift am Stein von Altava von 508
auf dem sich die Formel "pro salute et incolumitate regis Masunae gentium
Maurorum et Romanorum" findet.21 Diese zeugt von der Übernahme römischer Staatsideen
und der Art und Weise, Herrschaft in berberischen Sonderreichen zu
legitimieren. 13Anthologia
Latina, ed. D.R. Shackleton Bailey, 371. 14Zu
diesen maurischen Staatsbildungen vgl.: Wolfram 1998, 243f; Gsell 1929, 56ff;
Courtois 1955, 333ff. 15Boissier
1901, 5-9 und 351-360; Bouchier 1913, 4-12; Courtois 1955, 104-112; Schmidt
1901/1942, 23. 16Courtois
1955, 325-359; Diesner 1966, 145-150. 17Die
Quellen zu diesem Unternehmen von 455 am besten bei: Schmidt 1901/1942, 79;
Prokop BV, I 5. 18Prosper
Tiro, 1357; Prokop BV, II 7. 19Vict.
Vit. I, 35; Courtois 1955, 37f. 20Vita
Fulgentii 6, 3. 21Wolfram
1967, 82f; Miltner 1955, 322. |
15 |
Berberische Herrscher nannten sich
imperator oder wie oben gesagt
König der Mauren und Römer. Der von den Mauren offenbar imitierte vandalische Königstitel
rex Vandalorum et Alanorum findet sich mehrfach bezeugt unter Hunerich und
Gelimer. Der Anspruch dieses Titels bezog die Alanen als zweite beteiligte Gruppe
mit ein. Diese Titulatur ist in den beiden Königsdiplomen Hunerichs bei Victor
von Vita und dann erst in einer Inschrift auf einer Silberschale Gelimers
bezeugt.22 Nachdem König Geiserich im Januar 477 gestorben war folgte ihm sein
ältester Sohn Hunerich auf den Thron. Um einen Thronstreit unter seinen Söhnen
und Nachkommen zu verhindern, hatte Geiserich eine Erbfolgeregelung
hinterlassen: Jeweils der älteste seiner Söhne und Nachkommen sollte die Herrschaft
antreten. Diese Regelung benachteiligte die Söhne des Königs und gab dessen
Brüdern, Neffen oder anderen männlichen Verwandten den Vorrang. Die Folge
dieser Verfügung des Reichsgründers Geiserich waren eine Reihe von Morden in
der Königssippe. Hunerich hatte zwei Brüder, Theoderich und Gento.
Offenbar um die Thronfolge für seinen Sohn Hilderich zu sichern, kam es zu
tätlichen Angriffen gegen diese Familienmitglieder. Die Gattin Theoderichs und
den ältesten Sohn, der nach Victor von Vita höhere Bildung besaß, die
Klassiker kannte und eine rhetorische Ausbildung erhalten hatte, ließ Hunerich
hinrichten. Theoderich und der älteste Sohn Gentos namens Godagis starben in der Verbannung. Jedenfalls blieben die beiden Söhne Gunthamund und
Thrasamund verschont und konnten später den Thron besteigen.23 Hunerich wurde als der große Katholikenverfolger bekannt. Der
konfessionelle Gegensatz wurde erst relevant, als Geiserich und vor allem sein
Nachfolger Hunerich den Versuch unternahmen, die Bedeutung der katholischen
Amtskirche zu bekämpfen. Eine von den Königen abhängige Kirche schien
geeigneter, die in Afrika etablierten Verhältnisse dauerhaft zu stabilisieren. Die
katholische Kirche |
22Vict.
Vit., II 39 und III 3; Zur Titulatur siehe Wolfram 1967, 79-87. Zu den
Urkunden siehe Heuberger 1929, 93-104. Heuberger bezeichnet die
beiden Stücke als Mandat (19. Mai 483) und Verordnung (24. Februar 484). 23Prokop,
BV, I 5; I 6; I 8; Vict. Vit. II, 12; Eine ausführliche Aufzählung der
Quellen in PLRE II, 502f und bei Schmidt 1901/1942, 104f. Vict. Vit., II, 12 und 13. Einen Stammbaum der
hasdingischen Königssippe geben Schmidt 1901/1942, vorderes Deckblatt; PLRE II, 1333, Stemma
41 und Courtois 1955, 390. |
16 |
war Teil der Reichskirche geblieben
und ihre überseeischen Verbindungen waren eine stete Bedrohung für den vandalischen Staat. Hauptquelle für die
sehr drastische Schilderung der Katholikenverfolgung des Königs ist Victor
von Vitas zweites und drittes Buch. Die erste Maßnahme bestand nach Victor in
der Verfügung, daß alle Inhaber von Hof- und Staatsämtern zum Arianismus
zu konvertieren hätten. Vermögenskonfiskationen und Verbannung wurden
bereits als Sanktionen eingesetzt. Der anfänglich gehegte Plan, das Vermögen verstorbener Bischöfe einzuziehen und Neuwahlen von der Bezahlung
einer hohen Summe von 500 Solidi abhängig zu machen, wurde wegen
befürchteter byzantinischer Intervention wieder verworfen. Der nächste Schritt sei
die Verbannung von 4966 Bischöfen, Priestern und anderen Amtsträgern in maurisches Gebiet gewesen. Victor von Vita scheint Augenzeuge dieser
Vorgänge gewesen zu sein und ergänzt die Erzählung mit dem Bericht einer Reihe
von Wundern, die das Leiden der Bekenner quasi belohnten. Verbannungsort
war wohl die Gegend um Kapsa im Süden der Byzacena, denn die Städte Sicca
Veneria und Lares werden als Sammelpunkte für den Zug der Verbannten erwähnt.24 Kaiser Zeno schickte daraufhin den Gesandten Reginus, um zu
intervenieren. Dieser vermochte offenbar nichts auszurichten, denn das bei Victor
von Vita wiedergegebene Mandat Hunerichs vom Himmelfahrtstag 483, dem 19. Mai,
ruft alle afrikanischen homousischen, also katholischen, Bischöfe zu einer
Rechtfertigung ihres Glaubens nach Karthago, und zwar für den ersten
Februar des folgenden Jahres. Anlaß für diese Maßnahme war nach dem Mandat
die wiederholte Übertretung des Verbots katholischer Religionsausübung in
den vandalischen Gebieten.25 Zu diesem erschienen etwa 466 Bischöfe aus Afrika und den zum
vandalischen Regnum gehörenden Inseln. Die "Notitia provinciarum et civitatum
Africae"26 zählt die Namen der Bischöfe auf, die "Carthagine ex praecepto
regali venerunt 24Vict.
Vit., II, 26ff; Die Frage der Lokalisierung bei Courtois 1954, 38f. 25Vict.
Vit., II, 39: Das Mandat ist datiert mit "sub die XIII. Kal. Junias anno
septimo Hunerici", das wäre der 20. Mai. In II, 38 steht aber es wäre am Himmelfahrtstag
verlesen worden. Heuberger 1929, 103 und Schmidt 1901/1942, 106, Anm. 4 halten das Datum deshalb
für falsch. 26Ed. C.
Halm: MGH, Auct. Ant. III, p. 63-71. Die Bischöfe aus den Provinzen Africa
Proconsularis, Numidia, Byzacena, Mauretania Caesariensis, Mauretania Sitifiensis,
Tripolitania und von der Insel Sardinien werden genannt. An erster Stelle firmiert Eugenius von
Karthago für die Proconsularis, der ja auch erster Empfänger des Edikts Hunerichs war. |
17 |
pro reddenda ratione fidei". Die
Anregung des Wortführers Eugenius, auch Vertreter der Kirche aus Ländern, die nicht unter vandalischer
Herrschaft stünden, einzuladen, wurde von Hunerich zurückgewiesen. Schon vor
Beginn der Debatten wurden einige führende Köpfe verbannt, gefoltert oder
eingekerkert. Der Bischof Laetus von Nepte wird kurz darauf auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die arianische Geistlichkeit zeigt sich dann keineswegs
gesprächsbereit und boykottiert das Treffen. Die katholische Seite hatte ein
schriftliches Glaubensbekenntnis als Argumentationsbasis verfaßt, das Victor von
Vita im Volltext wiedergibt. Dieser "Liber fidei catholicae" wird
dem König und der arianischen Seite übergeben, von diesen empört zurückgewiesen, allein
schon wegen des Anspruchs auf die Bezeichnung 'Katholiken'.27 Die arianischen Geistlichen beschuldigen die Katholiken nun, in der
Stadt Aufruhr entfacht zu haben. Hunerich war erzürnt und reagiert prompt.
Während die Bischöfe sich in Karthago befanden, ließ der König alle Kirchen
in den Provinzen schließen und den Kirchenbesitz den arianischen Bischöfen
übereignen. Der katholische Bischof Victor von Vita läßt allerdings durchblicken,
daß seiner Ansicht nach diese Maßnahmen schon vorbereitet gewesen wären. Diese Maßnahmen sollten zunächst nur bis zur Wiederaufnahme der Gespräche aufrecht bleiben. Da es dazu nicht kam, erließ der König am 24.
Februar eine Verordnung, die die Anwendung der Ketzergesetze des Codex
Theodosianus28 gegen alle katholischen Untertanen, die bis zum ersten Juni nicht zum
Arianismus übergetreten wären, vorsah. Wie angedroht begannen am ersten Juni 483
die Verfolgungsmaßnahmen. Eugenius wurde nach Tamallenum an der Grenze zwischen Byzacena und Tripolitania verbannt, wo er vom arianischen
Bischof Antonius schikaniert wurde.29 Hunerich, der 484 gestorben war, folgten seine beiden Neffen
Gunthamund (+496) und Thrasamund. Thrasamund führte die antikatholische Politik fort
und verschied am sechsten Mai 523.30 Victor von Tunnuna erzählt, Thrasamund habe seinem Nachfolger Hilderich am Totenbett das Versprechen abgenommen,
der 27Vict.
Vit., II, 56-101. Bei Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem II, 3 ist der
"Liber fidei catholicae" in der Form eines Briefs inseriert. 28Cod.
Theod. XVI, 5, 52 und 54. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Maßnahmen
gibt Schmidt 1901/1942, 108. 29Vict.
Vit., III, 68. 30Schmidt
1901/1942, 121. |
18 |
katholischen Kirche weder ihre
Kirchen, noch ihre Privilegien wiederzugeben. ("hic ergo sacramento a decessore suo Trasamundo obstrictus, ne
catholicis in regno suo aut ecclesias aperiret aut privilegia restitueret.")31 523 trat Hilderich die Regierung an. Die Rücknahme der Repressionen
seiner Vorgänger unter Hilderich, also die Aufhebung aller antikatholischen Verfügungen, führte zu Spannungen in der vandalischen Elite. Der
König wollte seine Position durch einen Frieden mit der Kirche stärken.32 Nach einer
massiven militärischen Niederlage des vandalischen Heers unter Hoamer,
Hilderichs Neffen, gegen maurische Stämme, von der Prokop und Corippus erzählen,33 nutzte die innere Opposition im vandalischen Reich die Schwäche des
Königs aus und stürzte ihn. Eine Gruppe vandalischer Aristokraten scharte sich
um Gelimer, einen Enkel des von Hunerich ermordeten Gentos und Sohn Geilariths,
und erhob ihn 530 zum König. Hilderich, Oamer und andere Familienangehörige
wurden eingekerkert.34 Oamer, der Achilles der Vandalen,35 wird nach
Prokop geblendet, nach Victor von Tunnuna sogar getötet.36 Dieser Putsch gab Kaiser Justinian einen Vorwand, auf Basis des
Vertrags von 474 zu intervenieren. 533 gelang es den Byzantinern unter Belisar, das
vandalische Reich zu erobern. Der byzantinische Historiker Prokop war Offizier in
dieser Armee und hinterließ einen Bericht über den Krieg, der auch
ausführlich die Vorgeschichte schilderte. Gelimer, der letzte Vandalenkönig, wurde
gefangen vor Kaiser Justinian nach Konstantinopel geführt. Als Verwandter des
Kaisers - ein Versuch der Friedenssicherung im fünften Jahrhundert hatte darin
bestanden, einen Vandalenprinzen mit der Tochter des Kaisers Zeno zu verheiraten
- hat er 31Vict.
Tonn., 523,2; Schmidt 1901/1942, 121. 32Courtois
1955, 289ff; Courcelle 1964, 183ff. 33Prokop,
BV, I, 9: Die Vandalen erleiden eine schlimme Niederlage gegen die Maurusier
der Byzacena. Corippus, Iohannis, III, 262ff: Das geschlagene Heer kehrt
zurück und stürzt den alten und schwachen König. Daraufhin bringen die Krieger den "saevus
(...) tyrannus", also Gelimer an die Macht. 34Schmidt
1901/1942, 123ff; Diesner 1966, 97f; Wolfram 1998, 78. Die Namensform Oamer entspricht der lateinischen Überlieferung, Hoamer
der griechischen bei Prokop, wie aus dem Quellenzitaten in der folgenden Anmerkung zu entnehmen
ist. 35 Prokop, BV, I 9: Die
vandalischen Feldzüge leitet „O‹mer, ein "Žn¯r Žgayòw", "÷n d¯ kaÜ
Axill¡a BandÛlvn ¤k‹loun". 36Prokop,
BV, I 9; Victor Tonn., 531. |
19 |
die Wahl mit seiner Familie auf ein
Landgut nördlich der Hauptstadt in die Verbannung zu gehen, oder dem Arianismus abzuschwören und in den
Senat aufgenommen zu werden.37 |
Dem europäischen Mittelalter waren
die Vandalen durch die Historia persecutionis Africanae
Provinciae des Victor von Vita und
die verschiedenen theologischen Schriften wie der - unter dem Autorennamen des Ferrandus
überlieferten - Vita des Fulgentius von Ruspe bekannt. Victor von Vita und Fulgentius von
Ruspe waren katholische Bischöfe im vandalischen Regnum und berichteten von
der Auseinandersetzung des afrikanischen Katholizismus mit den arianischen vandalischen Königen. Victors Werk erfreute sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit
wegen seines hagiographischen Charakters großer Beliebtheit und stellt eine
wertvolle historische Quelle dar. Es enthält außerdem die ältesten
überlieferten Königsurkunden eines germanischen Regnums. Die Vita des Fulgentius
wurde als Quelle zur Geschichte des vandalischen Reichs bisher noch zu wenig
gewürdigt.38 Gregor von Tours erzählte in seinen
Historiarum Libri Decem einiges
über die Vandalen und ihre Frevel in Gallien und Spanien wie Afrika.39 Isidor von
Sevilla schrieb ein Buch Vandalengeschichte.40 In der Chronikliteratur finden
die Vandalen ihren Platz in der häufig überlieferten
Eusebius/Hieronymuschronik, bei Prosper Tiro und Victor von Tunnuna. Auch die 1028 entstandene Weltchronik des Siegebert von Gembloux
widmet der vandalischen Geschichte Platz und zeigt, wieviel an Material auch im
11. Jahrhundert greifbar war.41 Im wesentlichen kannte die europäische Diskussion zwei vandalische
Identitäten, die immer wieder miteinander verschwimmen konnten. Die eine war die
der |
37Schmidt,
1901/1942 #84]178ff; Courtois 1955, 345ff. 38Schwarcz
1994, 115-120; Moorhead 1992, 8ff; Eno 1997, 12ff; DNP 3, s.v. Fulgentius v.
Ruspe, 67f. 39Gregor
von Tours, Historiarum Libri Decem II, 3. 40Isidor,
Historia Gothorum Wandalorum Sueborum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM
2, p. 241-304, Berlin 1894. 41Sigebert
v. Gembloux, Chronica universalis, ed. L. C. Bethmann, MGH SS VI, p. 300-374.
|
20 |
historischen Vandalen. Mit mehr oder
weniger wertenden Aussagen verbunden, konnten sie als Vorbilder für den Vandalismusbegriff bis hin zu
Vorfahren der Größe des imperialistischen Deutschland instrumentalisiert werden. Von italienischen und französischen Humanisten wurden die Goten und Vandalen als Kulturzerstörer und Barbaren dargestellt. Diese
'romanische' Sicht der Dinge schuf sicherlich die Basis für den Vandalismusbegriff des
18. Jahrhunderts, der unten besprochen wird. Als rechtsrheinische beziehungsweise transalpine Reaktion kam es zu
einer positiven Besetzung dieser germanischen Stämme im deutschen Humanismus.
In vielfältiger Weise versuchten deutsche Humanisten wie Beatus
Rhenanus, Celtis, Bebel, Wimpfeling und Krantz einen Bezug zu den alten Germanen in
ihre Geschichtsbilder einzubauen. Die Mittel, derer sie sich bedienten, um
ihre Konstruktionen die Vandalen betreffend zu beweisen, sind teilweise
der Untersuchungsgegenstand des Kapitels III. dieser Arbeit. Die Vandalen spielten allerdings im Vergleich zu den Franken oder
Goten - außer im Norden des deutschen Sprachraums etwa in Mecklenburg, Brandenburg,
Hamburg und anderen Territorialstaaten wie Hansestädten dieses Raums
- eine untergeordnete Rolle. Dort entwickelte man seit dem 15. Jahrhundert
ein massives Interesse an einer eventuellen Abstammung von den antiken Vandalen
und schuf diverse positive Projektionen der eigenen Identität auf die
gewünschten germanischen Vorfahren. Außerhalb regionaler historiographischer Rezeption wie bei Krantz
sind es im frühneuzeitlichen Europa zuerst Gelehrte im Umfeld der Beschäftigung
mit den antiken Autoren, die sich mit den Vandalen auseinandersetzten. Bei
der 1655 erschienenen Historia Gotthorum, Vandalorum et
Langobardorum des Hugo Grotius (1583 - 1645) handelt es sich um eine gelehrte Zusammenstellung von
edierten Quellen, wobei Prokop, Jordanes, Isidor von Sevilla, Agathias und
Paulus Diaconus berücksichtigt wurden. Grotius verfolgte die Geschichte der
Goten, Vandalen und Langobarden auf der Basis ihrer Gemeinsamkeiten. Seiner
Ansicht nach waren diese drei Völker von Skandinavien nach Süden
aufgebrochen, und leisteten so etwas wie eine Klammer für die europäische Identität der
späteren Zeiten. Grotius hatte ursprünglich vorgehabt, eine Geschichte des
schwedischen Königs Gustav Adolph zu schreiben. Die Sammlung des Materials zum schwedischen Königshaus brachte Grotius aber auf die Idee, den
schwedischen |
21 |
Vorstoß im dreißigjährigen Krieg als
Parallele zur Völkerwanderungszeit zu interpretieren, und, statt über das 17. Jahrhundert zu arbeiten, die
Geschichte der genannten Völker aus den Quellen nachzuzeichnen.42 Im Kontext der Editionsprojekte der frühen Geschichtswissenschaft,
die oft noch im Rahmen der Kirche ausgeübt wurde, griff man zuerst auf die
hagiographische Literatur zurück. Victor von Vitas Verfolgungsgeschichte, die ein das
ganze Mittelalter über häufig abgeschriebener Text war, wurde in diesem Zusammenhang 1699 in Paris unter dem Titel
Historia Persecutionis Vandalicae herausgegeben. Versehen war diese Ausgabe von Thierry Ruinart mit
einem umfangreichen Kommentar, der erstmals das afrikanische Vandalenreich ausführlicher thematisierte.43 Der benediktinische Gelehrte Thierry Ruinart (1657 - 1709), Sproß
einer Reimser Patrizierfamilie, trat als Novize ins Benediktinerkloster Saint-Remi
ein. Da er in seiner philosophischen und theologischen Ausbildung, die unter
anderem in Saint-Pierre de Corbie stattfand, ein besonderes Interesse für die
Patristen und eine philologische Begabung zeigte, nahm ihn Jean Mabillon als
Mitarbeiter an. 1689 erschienen die Acta
primorum martyrum sincera et selecta.44 Nach dem Tod Mabillons führte Ruinart die Arbeit an den großangelegten Acta
Sanctorum weiter.45 In der mehrbändigen römischen Geschichte des Louis Sébastien Lenain
de Tillemont (gestorben 1698), die erst in der ersten Hälfte des 18.
Jahrhunderts erschienen war, überwiegt der kompilatorische Charakter. Tillemont
war ein Schüler der Jansenisten von Port Royal und selbst Kleriker. Seine
"Histoire des Empereurs" behandelte in sechs Bänden die Zeit von Augustus bis
Anastasius. |
42ADB
9, s.v. Grotius (Hugo de Groot), 768-784; Grotius, Historia Gotthorum,
Vandalorum et Langobardorum, 1655, p. 3ff. 43Ruinart,
Historia Persecutionis Vandalicae, 1699, p. 193-287. Der
Commentarius Historicus besteht aus 12 Kapiteln. Neben Victor von Vita wurden im selben Werk auch die
Passio septem monachorum und die
Notitia ecclesiae
africanae herausgegeben. Im
Kommentar selbst werden eine Reihe kleinerer Quellen teilweise ediert. Vgl. zu Ruinart auch: Moorhead 1992, 23f. 44Erstmals
Paris 1689, zweite Auflage Amsterdam 1713, Verona 1731, Augsburg 1802. 45Zur
Biographie vgl.: LThK 7, 789f; Hoefer, Nouvelle biographie, 46, 1852,
380-399. |
22 |
Nur an wenigen Stellen erscheinen
Ansätze zur Deutung des Beschriebenen. Das Bild der das römische Reich zerstörenden Barbaren ist peiorativ und
sicher im Zusammenhang mit den erwähnten protonationalen Debatten der Humanisten
zu deuten. Tillemont sah Frankreich als Nachfolgestaat des Römerreichs
mit imperialen Ansprüchen und tat sich schwer, den Germanen etwas anderes
als Zerstörung in ihre Geschichte zu schreiben.46 Bei Johann Jacob Mascov (1689 - 1761) findet sich bereits eine
Problematisierung der Quellen. Geiserichs Zug nach Rom wird mit einem aufklärerischen
Konzept erklärt. Die römischen Eliten haben den Fall selbst durch eine
schlechte Regierung heraufbeschworen. Salvian mit seiner Idee einer
göttlichen Sendung der Vandalen als Strafe dient zur Stützung solcher Thesen.47 Charles de Montesquieu (gestorben 1755) bringt die Vorstellung von
der durch die römische Kultur angenommenen Schwäche der reichszerstörenden
Barbaren ein. Die Germanen waren in den Vorstellungen Montesquieus zuerst
aufgrund ihrer kärglichen und soliden Lebensweise stärker, als das in Dekadenz
verfallene Imperium, dessen Ende unausweichlich gewesen sei. Das Eindringen der Vandalen ins Reich ist aber mehr als Flucht vor dem Hunger und der Perspektivenlosigkeit in ihrer alten Heimat denn als Eroberung
gezeichnet. Schließlich verweichlichen die meisten Germanen als neue Herren des
in viele Teile zerfallenen Reich. Die Vandalen verfallen im üppigen Afrika
völlig der römischen Dekadenz. Dieses Motiv findet sich schon bei Prokop und
erfährt seine weitere Rezeption unter anderem bei Herder, wo die Vandalen ihre
ursprüngliche Reinheit und Stärke in der dekadenten Zivilisation verlieren und damit
den listigen Römern unterlegen sind.48
Edward Gibbon dagegen malte in seinem seit 1776 erschienenen
monumentalen Werk "The Decline and Fall of the Roman Empire" das Bild
eines starken, dem Gotenkönig Alarich ebenbürtigen, Geiserich, der mit seinen
Eroberungen eine welthistorische Sendung zu erfüllen hatte. Das römische Reich ging
nach Gibbon im Prinzip wegen der Dekadenz seiner Eliten zugrunde. Das Christentum
im |
46Tillemont,
Histoire des Empereurs, Vol. VI, 1738. 47Mascov,
Geschichte der Teutschen, 1726, p. 45ff. 48Montesquieu,
Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur
décadence, 1734, 156ff; Prokop BV II, 6; Herder 1985, Sämtliche
Werke Band III, 325ff. |
23 |
Inneren und die von außen anstürmenden
Barbaren waren nur verstärkende Faktoren für den vorprogrammierten fall des Reichs.49 Die germanischen Barbaren hatten in den Augen Gibbons durch die
Aufteilung des Imperiums in kleinere Staaten die Freiheit in Europa gestärkt.
Ein Verfolgter könne im Europa des 18. Jahrhunderts in ein benachbartes Land fliehen
und dort ein glückliches Leben führen. Rom hatte aber überall in der
zivilisierten Welt der Antike die Macht und entsprechend sei die Freiheit der
Meinungsäußerung und der politischen Betätigung dort geringer gewesen.50 Auch Gibbon bediente sich aber des Topos von der in die Dekadenz
verfallenen Vandalen als Grund für deren Untergang im Jahr 533. Die Berichte von
der besonders hemmungslosen Zerstörungswut der Vandalen bei Augustinus,
Victor von Vita und in einem Brief des Bischofs Capreolus, versuchte Gibbon
dagegen in den Kontext der Zeit zu stellen, und sie durch rationale Überlegungen
und den Hinweis auf die Natur des Krieges zu relativieren. "On a sudden the seven fruitful provinces, from Tangier to
Tripoli, were overwhelmed by the invasion of the Vandals, whose destructive rage
has perhaps been exaggerated by popular animosity, religious zeal, and
extravagant declamation. War in its fairest form implies a perpetual violation of
humanity and justice; and the hostilities of barbarians are inflamed by the fierce
and lawless spirit which incessantly disturbs their peaceful and domestic
society. The Vandals, where they found resistance, seldom gave quarter; and the deaths of
the valiant countrymen were expiated by the ruin of the cities under whose walls
they had fallen. Careless of the distinction of age, or sex, or rank, they
employed every species of indignity and torture to force from captives a discovery
of their hidden wealth. The stern policy of Genseric justified his frequent examples
of military execution: he was not always the master of his own passions or of
those of his followers; and the calamities of war were aggravated by the
licentiousness of the Moors and the fanaticism of the Donatists. Yet I shall not easily be
persuaded that it was the common practice of the Vandals to extirpate the olives and
other fruit trees of a country where they intended to settle: nor can I believe
that it was a usual stratagem to slaughter great numbers of their prisoners before
the walls of a |
49Helbling
1954, 45f. 50Gibbon,
The Decline an Fall of the Roman Empire, 1, 1776, p. 101f und 141ff; Demandt
1984, 134. |
24 |
besieged city, for the sole purpose of
infecting the air and producing a pestilence, of which they themselves must have been the first victims."51 Im Kontext der französischen Okkupation Tunesiens wurde 1834 von der "Académie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres" eine
Kommission zur Erforschung der Geschichte Nordafrikas eingesetzt, die ein
umfangreiches Publikationsvorhaben teilweise verwirklichte und die Geschichte
des vandalischen Reichs in Afrika als Preisfrage ausschrieb.52 Prämiert wurde schließlich der Beitrag des Berliners Felix
Papencordt. Papencordts "Geschichte der vandalischen Herrschaft in
Afrika" erschien 1837 in Berlin, und blieb lange Zeit das maßgebliche Werk zur afrikanischen
Geschichte der Vandalen. Im Vorwort verliert Papencordt einige Worte zum
ursprünglichen Zweck seiner Arbeit für die Pariser Akademie. Die Zeit der vandalischen Herrschaft in Afrika sei das letzte Mal in
der Geschichte gewesen, daß diese Länder im abendländischen Kulturbereich integriert
waren. Jetzt sei das aufgrund der französischen Okkupation wieder der Fall.
Deshalb habe die Akademie auch die Aufgabe übernommen, mittels einer
Kommission die Zeiten der römischen, vandalischen und byzantinischen Herrschaft zu untersuchen.53 In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Vandalen in der
deutschen Forschung immer stärker in die Suche nach den Ursprüngen der eigenen
Nation |
51Gibbon,
The Decline an Fall of the Roman Empire, 2, 1776, p. 542. Als Quellen gibt Gibbon in seiner Anm. 24 an:
"The original complaints of the desolation of Africa are contained - 1. In a letter from Capreolus, bishop
of Carthage, to excuse his absence from the council of Ephesus (ap. Ruinart, p. 428). 2. In the
Life of St. Augustin by his friend and colleague Possidius (ap. Ruinart, p. 427). 3. In the History of
the Vandalic Persecution, by Victor Vitensis (1. i. c. 1, 2, 3, edit. Ruinart). The last picture, which
was drawn sixty years after the event, is more expressive of the author's passions than of the truth
of facts." Hingewiesen sei auf die Verwendung der Editionen
Ruinarts. 52Académie
Royale des Inscriptions et Belles-Lettres, Recherches sur l'histoire de la
partie de l' Afrique septentrionale connue sous le nom de Régence
d'Alger et sur l'administration et la colonisation de ce pays à l' époque de la Domination
Romaine par une commission, Tome premier, Paris 1835. 53Papencordt
1837, IV. |
25 |
miteinbezogen. Felix Dahn schrieb im
19. Jahrhundert Lemmata zu den einzelnen vandalischen Königen in der großangelegten Nationalbibliographie des
deutschen Reichs, der Allgemeinen Deutschen Biographie.54
Selbstverständlich betrachtete man die Könige der Völkerwanderungszeit als ruhmreiche Vorfahren der
eigenen Nation und Staatlichkeit. Dahn zeichnete auch ein ideales Bild des
Meerkönigs Geiserich in seiner verfassungsgeschichtlich orientierten Arbeit zum
vandalischen Regnum.55 In Deutschland tragen heute immer noch diverse studentische
Verbindungen den Namen Vandalia, in Frankreich dagegen titelte eine
Kunstzeitschrift, die die Zerstörungen im Kriegsgebiet von 1915 auflistet, mit
Les Vandales en France .56 Deutsche und Franzosen entdecken im 19. Jahrhundert die Vandalen also
wieder. Erstere sahen in ihnen eine Wurzel ihrer Nation und ordneten sie in
eine germanische Geschichte ein, letztere suchten in Nordafrika einen
vorarabischen Traditionsträger christlicher und damit quasi europäischer
Staatlichkeit. In beiden Fällen ist die Bezugnahme aber bei weitem nicht so stark wie etwa bei
den Franken. Die arabische Eroberung des siebten Jahrhunderts zog
Nordafrika sozusagen aus der Zugehörigkeit zu Europa und begründete andere Identitäten.
Die Bestrebungen im Kontext des Kolonialismus, auf den Vandalen
aufzubauen, konnten das negative Grundbild von den völkerwanderungszeitlichen Kulturzerstörern, das seit der Renaissance in Frankreich bestand,
nicht relativieren. Diese Versuche blieben peripher und zeigten kaum
Folgen. Die Instrumentalisierung der Vandalen im deutschen 19. Jahrhundert
konnte dagegen auf den positiven Bildern des deutschen Humanismus aufbauen.
Geschichtsbilder haben eine lange Dauer und erweisen sich als träge. Was noch darzustellen ist, bevor die spezielleren Fragen nach der
Gleichsetzung von Vandalen und Slawen diskutiert werden, ist der Begriff
Vandalismus. Die große Dynamik der französischen Revolution bedingte die Suche
nach neuen Begrifflichkeiten. So wurden etwa aufbauend auf älteren Bildern die
historischen |
54ADB
8, 38, 49, 50, s. v. Gelimer/ Hunerich/ Thrasamund/ Gunthamund. 55Dahn
1861, 143ff. 56L'Art et
les artistes, No. special, Les Vandales en France, 1915. |
26 |
Vandalen 1789 zur Negativbesetzung der
Aristokratie als Nachfahren der germanischen Eroberer verwendet.57
Der politische Allgemeinbegriff vandalisme diente Henri-Baptiste Grégoire, dem Bischof von Blois, erstmals 1794 zur Abgrenzung einer idealen
bürgerlichen Revolution von radikalen Elementen, denen zusätzlich die Steuerung
aus dem Exil unterstellt wurde. Er prangerte die Vernichtung von Kunstwerken
an, welche die politische Führung zu verhindern suchte. Zuerst also gegen
Radikale in den eigenen Reihen gerichtet bezeichnete
vandalisme nach dem 9. Thermidor
die Terreur als ganzes. Ihre Proponenten wie etwa Robespierre seien die
neuen Vandalen, die wie die alten im fünften Jahrhundert die Kultur
Frankreichs zerstören wollten.58 Die drei Rapports sur le vandalisme, die Grégoire dem Konvent vorlegte, fixierten nicht zuletzt wegen ihrer hohen Auflage den Begriff endgültig und
bereiteten den Boden für seine Übernahme in fast alle europäische Sprachen.59 Jedenfalls
war die Wahl der Vandalen als Paten des Begriffs vor allem durch die Topik
von den gewaltigen Zerstörungen beim Einfall in Gallien von 406 bedingt.
Darauf wollte sich die französische Debatte der Revolutionszeit in nationalem Geschichtsbewusstsein bezogen wissen, weniger auf die Plünderung Roms
von 455.60 |
So vielfältig wurden die Vandalen in
den bisher 1500 Jahren seit dem Ende des afrikanischen Regnums instrumentalisiert und diskutiert. Nur einer
dieser Aspekte der Rezeption vandalischer Identität wird im folgenden
ausführlich behandelt. Im 2001 erschienenen Katalog des Museums Vandalorum in
Värnamo/Schweden findet sich eine Abbildung des Epitaphs der Königin Christina (1626 -
1689), die bekanntlich in Rom gestorben ist. Das Original befindet sich also in
den 57Michel
1988, 36. 58H. B.
Grégoire, Mémoires I, 1837, p. 47. 59Demandt
1997, 13-39; Michel 1988, 38f; Sprigath 1980, 68f. 60Vgl. zum
Vandalenbild in der europäischen Geschichte und dem Begriff des
"Vandalismus" auch das Lemma vom Verfasser dieser Dissertation "Vandalen-
Rezeptions- und Wissenschaftsgeschichte", DNP RWG 4, im Druck. |
27 |
Kapitolinischen Museen. Die Inschrift
auf dem Epitaph bringt den im 17. Jahrhundert zu erwartenden Titel für eine schwedische Königin:
"Christinae Suecorum, Gothorum et Vandalorum Reginae (...)". Im Katalogtext
spielt man aber mit dem Gedanken, Teile der Vandalen könnten nach dem Ende des afrikanischen Regnums 533 nach Schweden geflüchtet sein, und ihr Name
im Königstitel wäre ein Indiz dafür. Weiters wird eine von Albert Krantz
und Bernhard Latomus in ihren humanistischen Konstrukten erwähnte Gründung
Venedigs durch Vandalen/Wenden für bare Münze genommen. Die Autoren verschiedener Katalogtexte nehmen die Geschichtsbilder, die vor allem
im 16. und 17. Jahrhundert aus ganz bestimmten Gründen für Fürsten und Städte
verfaßt worden waren, als Reste uralter Erinnerung, die nun wiederentdeckt
worden sei. Grundgedanke ist dabei, die Wikinger wären Nachfahren von mit viel
Wissen aus dem Mittelmeer zurückgekehrten Vandalen.61 Die Aufgabe des Historikers ist es, den Quellen nachzuspüren und sie
vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeit zu deuten und zu erklären; auch
wenn das so erarbeitete Ergebnis nicht so unterhaltsam zu lesen ist, wie die
Erzählungen von geheimnisvollen und vertuschten Abstammungen und Wanderungen. |
61Hultén
2001, 2, 12, 36ff, 112. |
28 |
I. Die Ethnonyme
"Wenden" und "Slawen" I.1. Die Vorgeschichte der Bezeichnung 'Wenden' I.1.1. Wenden Einen sprachlichen Hinweis auf ein gewisses Distanzbewußtsein von
Germanen gegenüber ihren Nachbarn geben die Ethnonyme 'Wenden' und 'Welsche',
die teilweise bis heute in Gebrauch stehen. Angewandt wurden und werden
sie auf Slawen bzw. Romanen. In beiden Fällen lebten die Völker, auf die
diese Namen zurückgehen, in frühgeschichtlicher Zeit in germanischer
Nachbarschaft und haben nichts mit den spätestens seit dem Frühmittelalter so
bezeichneten Ethnien zu tun. Die Veneder waren ein Volk unbekannter Herkunft an der
Ostseeküste. Die Bezeichnung Walhoz/Welschen geht auf die Volcae zurück, die in den vorchristlichen Jahrhunderten südlich der Germanen ansässig waren.
Ihr Name wurde zuerst auf Kelten und dann auf Romanen im allgemeinen
übertragen.62 Das Ethnonym 'Wenden' ist seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich und
ist die mittelhochdeutsche Form der in althochdeutschen und lateinischen
Quellen des siebten bis neunten Jahrhunderts gebräuchlichen Begriffe
winden/ winidi/ winades/ vionudi/
guinedes/ venti. Verwendet wurden
sie - wie schon ausgeführt - als unpräzise Sammelbegriffe für Slawen. Diese Bezeichnungen fanden sich
dann bis ins Spätmittelalter in lateinischen Quellen und wurden schließlich
durch das Ethnonym Slawen aus den meisten schriftlichen Quellen verdrängt.
Eine Untersuchung über die sprachlichen und historischen Eigenheiten der
Bezeichung bzw. die Veränderungen in ihrer Anwendung fehlt bisher in der
Forschung.63 In den byzantinischen Quellen gibt es keine Belege für die Anwendung
von auf Venethi zurückgehenden Bezeichnungen für Slawen und Anten.
Die Form Venethi und der daraus entwickelte Name
Wenedi/Winidi mit allen Varianten
als Synonym für das ansonsten gebrauchte Sclavi sind somit Besonderheiten der lateinischen Überlieferung.64 62 Vgl.:
Pohl 2000, 50; Dort auch weiterführende Literatur; Wenskus 1961/1977, 210-234. 63HRG V,
s.v. Wenden, 1259; Reisinger und Sowa 1990, 11. 64
Reisinger und Sowa 1990, 10. |
29 |
Die Bezeichnung 'Wenden' wurde sowohl
auf Bewohner von Gebieten östlich der Elbe, als auch nördlich der Donau, in der Oberpfalz und in
Oberfranken, wie auch auf Slawen der Ostalpen angewandt. Die Bevölkerung der
österreichischen Bundesländer Steiermark und Kärnten bezeichnet ihre slowenischen und kroatischen Nachbarn als Windische. In Brandenburg und Mecklenburg ist der Name Wenden für polabische und sorbische Minderheiten in
Gebrauch. In Landschaftsnamen wie Wenedonia/ Winidonia (dem Hannoverschen Wendland) und Ortsnamen wie Wendhausen oder Windsassen ist das Ethnonym enthalten. Solche Ortsnamen finden sich auch weit von slawischem Siedlungsgebiet
entfernt und zeugen von der Ansiedlung slawischer Untertanen durch fränkische Grundherren. Etwa in der Bezeichnung Windische Mark für Krain fand
das Ethnonym eine Anwendung auf slawisches Siedlungsgebiet.65 |
I.1.2. Das Ethnonym Veneder (Oçen¡dai/ Venedi/ Venethi) bei Klaudios Ptolemaios, Plinius und Tacitus. Der griechische Geograph Klaudios Ptolemaios erwähnt im 2.
Jahrhundert die Oçen¡dai.66 Gemeint ist damit das westlichste Volk an der
Nordküste der europäischen Sarmatia. Die europäische Sarmatia liegt in der
Vorstellung des Ptolemaios östlich der Weichsel. Der Unterlauf der Weichsel trennt
die Oçen¡dai von Großgermanien. Die Schriften des Ptolemaios entstanden wahrscheinlich in Alexandria
zur Zeit der Kaiser Hadrian und Antoninus Pius bis in die Regierung des Marcus
Aurelius. In Ptolemaios' astronomischem Hauptwerk "Almagest" werden
Beobachtungen von März 127 bis Februar 141 erwähnt. Die "Geographika" ist
dann keine Beschreibung einzelner Länder, sondern eine Liste der Orte, die alle
Teile der oikumene umfaßt und sogar die Positionen der Orte in Längen
und Breitengraden angibt. Es wird theoretisch korrekt und klar ausgeführt, wie man die
Erde in einer Karte darstellen müßte. 26 Einzelkarten ergeben eine Weltkarte. Diese
ist zusammen mit einer theoretischen Anleitung und Listen der nötigen
Koordinaten zu verwenden.67 |
65
LMA VIII, s.v. Wenden, 2181f; HRG V, s.v. Wenden, 1259-1262. 66
Ptolemaios, Geographika III, 5, 7-9. 67Vgl.:
DNP 10, s.v. Ptolemaios , 559ff; Polaschek 1965, . |
30 |
Die Informationen des Ptolemaios
reichen in die Zeit vor einer vandalischen Besiedlung von Gebieten im Oder-Weichsel-Raum zurück. Ptolemaios verwendete nachweisbar gerade für Gegenden in der Germania immer
wieder nicht zeitgenössische Nachrichten, sondern solche aus
frühaugusteischer Zeit.68 Nicht der ganze Weichsellauf wurde von Ptolemaios ausführlich
beschrieben, sondern nur Quellgebiet und Unterlauf. Das Volk der
Oçen¡dai wurde dabei an der Küste des venedischen Meerbusens lokalisiert. Das Gebiet zwischen
der Küste bis zu den venedischen Bergen beschrieb Ptolemaios als ihr Land. Auf
der ptolemäischen Karte waren die aus jüngeren Quellen stammenden Angaben
über Goten an der Danziger Bucht damit nicht vereinbar, und so setzte er
diese von der Küste ins Binnenland. Die Oçen¡dai reichten in der Vorstellung des
Ptolemaios in der Weichselgegend an die Ostsee heran. Zur Zeit der älteren
ptolemaischen Quellen gab es schon germanische Stämme, unter anderen Rugier und
Burgunder westlich der unteren Weichsel, womit Wenskus den Zustand des 2. Jh.
v. Chr. erreicht glaubt, weil das seiner Ansicht nach vor der kimbrischen
Wanderung nicht möglich gewesen wäre.69 Plinius nannte in seiner Naturalis
Historia den Volksstamm der
Venedi.70 Diese lokalisierte er an der Ostseeküste zwischen
Aeningia, womit wahrscheinlich Finnland gemeint war, und der Weichsel. Die Skiren und die von der
modernen Forschung nicht identifizierten Hirri lebten nach Plinius noch zwischen Weichsel und den Venedi.71 Tacitus setzte seine Venethi noch weiter nach Osten, und zwar zwischen die
Fenni und die Peucini. Die Venethi sollen raubend Berge und Wälder durchziehen und keinen Kontakt zum Meer haben. Außerdem seien sie eher den Germanen
als den Sarmaten zuzurechnen, da sie in festen Häusern lebten und zu Fuß
gingen, wogegen die Sarmaten auf Pferd und Wagen nomadisierten.72 |
68Der
Hadrianswall in Britannien war zur Zeit der Abfassung der Geographika schon
eine Generation alt, wird aber in Geographika II, 3, 5ff
nicht erwähnt. Vgl.: Polaschek 1965, 758. Zur anachronistischen Darstellung des Ptolemaios siehe
auch:Demougeot 1969/79, Band 1, 322; Sowie: Wenskus 1961/1977, 229, Anm. 588. 69 Vgl. RE
XV, s.v. Venedae, 698; Wenskus 1961/1977, 229ff. 70
Plinius, Naturalis Historia IV, 97. 71 Vgl. RE
XV, s.v. Venedae, 698. 72Tacitus,
Germania, 46. |
31 |
Der Venedername ist nach den
Informationen des Tacitus also aus dem Gebiet zwischen Weichsel und Ostsee verschwunden und er berichtete von den
gentes der Aestii in dieser Gegend. Bei den taciteischen
Aestii dürfte es sich um die Vorfahren der späteren Letten, Litauer und Preußen handeln. Bis ins
11. Jahrhundert ist das Ethnonym jedenfalls in diesem Sinn gebraucht
worden. Die später nachweisbaren Bezeichnungen Esten oder Eisti beziehen sich
allerdings auf die finno-ugrischen Esten. Es dürfte nach Much eine Einschränkung
eines noch im frühen Mittelalter weiter gefaßten Namens auf die nördlichen Nachbarn
der alten baltischen Aestii stattgefunden haben.73 Auch Wenskus vermutet, daß der seiner Ansicht nach skandinavische
Name Aestii als gotische Fremdbezeichnung für Bewohner der baltischen Küste den
vielleicht schon auf die Slawen angewandten südgermanischen Venedernamen zum
Teil ablöste. Ob letzterer von den Germanen erst in derselben Zeit übernommen
wurde wie der der Volcae, oder ihnen schon früher bekannt wurde, läßt sich
nicht sagen, da die an beiden Namen sichtbaren Lautveränderungen nur einen terminus ante quem festlegen. Auch warum gerade dieses Ethnonym auf
die östlichen Nachbarn generell angewandt wurde, ist nicht zu klären. Die
Zeit des Vorgangs sieht Wenskus aber vor dem Einbruch nordostgermanischer
Stämme nach Ostdeutschland und Polen im zweiten Jahrhundert vor Christus.74 |
I.1.3. Die Anwendung des
Venedernames auf die Slawen seit dem sechsten Jahrhundert und die
Identifizierung der Veneder als "Urslawen" "Erst in einem späteren Stadium, als der Horizont der
Grenzstämme über ihren eigenen Abschnitt hinausreichte, entstand das Bedürfnis, die in den
verschiedenen Grenzzonen entstandenen Sammelbezeichnungen für die fremdartigen
Nachbarn einem einheitlichen Begriff unterzuordnen. Bezeichnenderweise
entstand - statt einer weiteren Verallgemeinerung der bisher bestehenden Namen - bei
den |
73Tacitus,
Germania, 45: "Ergo iam dextro Suebici maris litore Aestiorum
gentes adlubuntur, quibus ritus habitusque Sueborum, lingua Britannicae propior."; Vgl.:
Much 1967, 403. 74Wenskus
1961/1977, 234. |
32 |
Germanen eine stabende Formel:
Wende und Walch. Noch im
Mittelhochdeutschen ist diese Formel lebendig: Heinrich von der Türlin 4335;
wendisch unde wal."75 Die Ostseefinnen verstehen unter
venäjä die Russen. In den Ortsnamen
Vindobona und Venedig und den in pannonischen Inschriften bezeugten Eigennamen Vindonis, Vindeni und Vindo ist dieselbe Wurzel enthalten.76 Daraus sind
aber keine weiteren Schlüsse abzuleiten. Die Veneti in Oberitalien, wo in augusteischer Zeit die
Regio X Venetia et Histria errichtet wurde, die von Caesar erwähnten Veneti in der Bretagne und
die bei Herodot und Appian auftauchenden norbalkanischen bzw. paphlagonischen
ƒEnetoÛ stehen in keinem für die moderne Forschung
nachvollziehbaren Zusammenhang untereinander oder mit den von Plinius, Tacitus und
Ptolemaios genannten Venedern an der Weichselmündnung.77 Die ältere Forschung wurde von Fachvertretern der vergleichenden Sprachwissenschaft (Indogermanistik) dominiert. Aus dieser heraus
erfolgten viele ethnische Zuordnungen der verschiedenen aus der antiken
Überlieferung bekannten Völkerschaften. So vertrat etwa der Indogermanist Hans
Krahe in seinem programmatischen Werk "Sprache und Vorzeit" die
Auffassung, es handle sich bei allen Völkern mit dem Namen Veneter/Veneder in den genannten
Variationen um Illyrer.78 Zuvor hatte Krahe die These aufgestellt, die in
allen diesen Völkernamen enthaltene Wurzel *wen- in der Bedeutung
"lieb" sei eine indogermanische Gruppenbezeichnung, die von verschiedenen Sprechergemeinschaften unabhängig voneinander als Fremd- oder Eigenbenennung verwendet worden sei.79 Krahe hat am Ende seines
Lebens seine Illyrerthesen allerdings wieder zurückgenommen. Die aus der
vergleichenden Sprachwissenschaft abgeleiteten Interpretaionen von
kulturellen, ethnischen und |
75Wenskus
1961/1977, 234. 76Schelesniker
1973, 5. 77Oberitalienische
Veneti: Plinius, Naturalis Historia III, 130; Ptolemaios, Geographika II, 1,
30; Veneti in der Bretagne: Caesar, Bell. Gall., III, 7f;
Strabon, IV, 194f; Ptolemaios, Geographika II, 8, 6; Norbalkanische und paphlagonische
ƒEnetoÛ Herodot, I, 196, 1; Appian,
Mithr., 55; Nur die oberitalienischen Veneti haben eigene Inschriften
hinterlassen, die allerdings schwer zu deuten sind. Zu den italischen Venetern siehe Pallotino
1989, 43ff, Untermann 1978, 43f. 78Krahe
1954, 116f. 79Krahe
1950, 42-89 und Krahe: Indogermanische Forschungen LVIII, 1941, 67ff. |
33 |
archäologischen Fragen wurden in der
jüngeren Forschung vermehrt in Zweifel gezogen, und es ist heute kaum noch üblich, sich solcher Argumente zu
bedienen.80 Die als Veneder bezeichneten Gruppen lebten im Ostseeraum jedenfalls
lange in Nachbarschaft zu germanischen Stämmen. Wenskus nimmt an, daß der Stammesname in zwei Lautstufen im Germanischen auftritt, was auf ein
hohes Alter der germanischen Bezeichnung für dieses Nachbarvolk hindeutet.
So sei die jüngere Lautstufe im althochdeutschen
Winida und im angelsächsischen
Winedas mit 'd' vertreten. Im Vergleich dazu ist dann die bei Tacitus
bezeugte Form Venethi mit dem Reibelaut 'th' die ältere Lautstufe. Bei Ptolemaios und
Plinius findet sich dann schon die neuere Lautstufe bezeugt.81 Bei aller Vorsicht mit sprachwissenschaftlichen Deutungen bezüglich
ethnischer Identitäten soll festgehalten werden, daß das Ethnonym über einen
langen Zeitraum in Gebrauch war. Der Name galt nicht nur für eine bestimmte
Gruppe, sondern bezog sich auf die Gesamtheit der Fremden, die im Wahrnehmungsbereich der eigenen Sprachgemeinschaft lagen. So wie man
den Namen Walhoz zuerst wohl für keltische Gruppen anwandte, um ihn
dann auf die Romanen zu übertragen, muß auch der Venetername später für slawische
und auch baltische Stämme gebraucht worden sein. Der in der slawischen Überlieferung niemals vorkommende Venedername
wurde von Cassiodor-Jordanes dann im sechsten Jahrhundert auf die Slawen
angewandt. Die ältere Forschung sah in den Berichten des Plinius, Tacitus und
Ptolemaios über die Venedi/Venethi die ersten Nachrichten über Slawen, die östlich der
Weichsel siedelten. Diese Vorstellung läßt sich bis ins 16.
Jahrhundert zurückverfolgen und erhielt durch die "Slawischen
Althertümer" des Pragers Pavel Josef Schafarschik, der auf den Ideen Herders aufbauend eine
slawische Urgeschichte zu rekonstruieren versuchte, eine lange rezipierte
wissenschaftliche Begründung.82 |
80Vgl.
etwa: Curta 2001, 6; Renfrew 1989, 78ff. 81Krahe
1954, 44; Wenskus 1961/1977, 228; Schönfeld 1911, 281. 82Schafarschik
1844, 40ff. Noch in Schieders Handbuch der europäischen
Geschichte wird der Sachverhalt als gegeben dargestellt (Hellmann 1976, 363), ebenso im 15.
Supplementband der RE von 1978 (Untermann 1978, 67). Vgl. auch Dolukhanov 1996, 21ff. |
34 |
Festzuhalten bleibt, daß weder die
nicht näher zuordenbaren Veneder im Oststeeraum, noch die eisenzeitlichen italischen Veneter etwas mit
den mittelalterlichen Slawen zu tun haben. Erst durch die Gleichsetzung
des Jordanes im sechsten Jahrhundert wird diese Verbindung hergestellt und von der
Forschung des 19. Jahrhunderts als Basis weitreichender
Deutungsmodelle verwendet. Der Veneter- wie der Antenname (letzterer siehe unten)
scheint auf germanische bzw. awarische Fremdbezeichnungen zurückzugehen.83 Die ethnographischen Angaben der antiken Autoren sind im Fall der
Venedi/Venethi jedenfalls höchst unpräzise. Ein Vergleich soll noch angestellt werden. War es bei den nicht näher
identifizierbaren Venetern das Ethnonym Wenden, das noch eine lange Geschichte als germanische Fremdbezeichnung für andere Nachbarn haben
sollte, so besteht eine in der modernen Forschung anerkannte Kontinuität
zwischen dem Namen der keltischen Boiern, dem schon bei Tacitus genannten Toponym Boihaemum für Böhmen und der deutschen Bezeichnung 'Böhmen'
für die slawischen Bewohner dieses Landes. Boihaemum ist einer der wenigen antiken Ländernamen, der
bereits aus der Germania des Tacitus bekannt und bis heute gebräuchlich
geblieben ist. Boihaemum sei - so Tacitus - der Name der ehemalige Heimat der gallischen
Boii, auch wenn die Bewohner zur Zeit der Abfassung der
Germania bereits keine Gallier mehr
waren. Die gallischen Stämme der Helvetier wie der
Boii seien nämlich schon sehr früh über den Rhein gezogen und hätten dann in Germanien gelebt.84 Tacitus weiß offensichtlich von einer keltischen Bevölkerung, die in der
nicht allzufernen Vergangenheit auch noch in den Gebieten um den Herkynischen Wald,
womit Tacitus die deutschen Mittelgebirge meinte, gelebt hatte.85 Im frühen
Mittelalter wurde der Landesname auf die nun slawische Bevölkerung im böhmischen
Kessel übertragen. Mittelhochdeutsch Beheim und neuhochdeutsch
Böhmen in der 83 Brather
2001, 51; Schelesniker 1973, 5. 84Tacitus,
Germania, 28. "Igitur inter Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes
Helvetii, ulteriora Boii, Gallica utraque gens, tenuere. Manet adhuc Boihaemi nomen significatque loci
veterem memoriam quamvis mutatis cultoribus." 85Herkynischer
Wald=deutsche Mittelgebirge: Much 1967, 234. In das vom Herkynischen Wald umgebene Gebiet führte Marbod die
Markomannen um das Jahr 8 v. Chr., um sie dem römischen Druck zu entziehen. Vgl.: RGA 3, s.v.
Boihaemum, 205. |
35 |
Bedeutung des germanischen
Boihaemum als Heim der Boier sind
dasselbe Wort. Spekulationen zur Herleitung des Baiernnamens aus derselben Wurzel
gab es zuhauf in der älteren Forschung. Diese Ideen sind nach wie vor
umstritten.86 Die tschechische Geistlichkeit machte sich die Fremdbezeichnung in der
Weise zu eigen, daß nach Cosmas von Prag Boemus als eponymer Vorfahre der Tschechen dem Land den Namen gab.87 Wenn Cosmas das Land als Teil der
Germania beschreibt,88 so meint er damit nicht eine Zugehörigkeit zu den
Deutschen, sondern er versteht wie Regino von Prüm und Paulus Diaconus die
Germania als Gebiet, das sich vom Don (Tanais) bis zum Sonnenuntergang, also dem äußersten Westen, erstreckt.89 Ähnliche Vorgänge und historische wie eponyme Erklärungen lassen sich
auch für den Wendennamen finden. Nur ist in diesem Fall die Spur
schwieriger zu verfolgen, da 'Wenden' als Fremd- und Eigenname nicht auf eine so
früh konstituierte historische Identität wie die der Tschechen angewandt
wurde. Bevor die Spur aufgenommen wird, muß aber die 'andere Seite'
verstanden werden. Wie und warum die Bezeichnung Slawen entstand, welche Gruppen
damit gemeint waren und wie diese ihren Platz in der europäischen
Geschichte eingenommen haben, soll im nun folgenden Abschnitt geklärt werden. |
I.2. Grundzüge der slawischen
Geschichte |
86Belege
für die mittelalterliche Verwendung wären: Annales regni Francorum, ad a. 791
und ad a. 805: "In terra Sclavorum, qui vocantur
Beheimi." 805 berichten die Reichsannalen vom Zug Karls des Großen gegen die
Behaimi. Zu den Versuchen den
Baiernanmen aus Boihaemum herzuleiten: Vgl.: RGA 2, s.v. Bajuwaren, I § 1, 601f. 87Cosmas
von Prag, Chronica Boemorum, I, 2. 88Cosmas
von Prag, Chronica Boemorum, I, 1. 89Regino
von Prüm, ad a. 889; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, I 1. Vgl. dazu: RGA 3, s.v. Boihaemum, 207 und s.v. Boier,
205; Graus 1980, 162-169. |
36 |
Die 'Herkunft' der Slawen ist eine
vieldiskutierte und bis heute nicht eindeutig beantwortete Frage. Nach der Entdeckung der Verwandschaft der indoeuropäischen Sprachen am Anfang des 19. Jahrhunderts und auf
Basis der Vorstellungen Herders suchte man nach 'Urheimat-sprache und -volk'
der Slawen. Man stellte sich schon fertig ausgebildete slawische Völker vor, die
durch Wanderungen, Unterwerfungen und Eroberungen ihre 'Landnahmen'
vollzogen hätten und sich dann in der Geschichte behaupten konnten. Starke
Völker konnten überleben und nur solche kämen als Vorfahren der "großen
Völker der Gegenwart" in Europa in Frage. Denn wären die "jetzigen
unvermischten und selbstständigen Urvölker wie zum Beispiel das slawische und das
deutsche" nicht schon vor 3000 Jahren, sondern "erst später in der historisch
bekannten Zeit aus einer Vermischung anderer Stämme entstanden, so hätten sie dadurch
aufgehört, ein reines, selbstständiges Urvolk zu sein."90 Bis heute hat sich die Forschung nicht gänzlich von diesen Vorstellungen gelöst. Auch die Slawen sind das Ergebnis historischer Prozesse. Erst die
Konfrontation mit dem byzantinischen Staat, der die Gruppen an seiner Nordgrenze so
klassifizierte, machte die Slawen als benennbare Gruppierung faßbar.
Statt der Skythen hießen die meisten Barbaren im Norden nun eben Slawen. Auch
die Germanen wurden erst durch Cäsar als rechts des Rhein zu
lokalisierendes Großvolk 'erfunden'. Größere Gruppen werden von ihren Nachbarn erst konstruiert. Ein Beispiel, das allerdings nur die Namengebung
illustriert, nicht aber die Neukonstruktion einer Gruppe, wäre das folgende. Die
römischen Autoren verwendeten die nordwestgriechischen Ethnonyme Graiko€ und Gra›a, die nur kleine Gruppen in Euboia als Selbstbezeichnung verwendeten,
als den Namen aller Hellenen und leiteten das lateinische
Graeci daraus ab.91 Aussagen über Raum und Zeit der slawischen Ethnogenese sind
vorsichtig zu formulieren. Lediglich gewisse Grundzüge dieser Ethnogenese sind
durch die archäologische, historische und philologische Diskussion geklärt.
Überlieferte Namen müssen nicht immer 'ethnisch' gemeint sein, sondern können auch
soziale oder einfach nur geographische Implikationen haben. Zuordnungen archäologischer Kulturen im östlichen Europa zu slawischen Gruppen
sind |
90Schafarschik
1844, 40. 91RE VII,
2, s.v. Grai, Graeci, Graiko€, 1694. |
37 |
schwierig. Auch fehlt bei den Slawen
der "Traditionskern", der germanischen Ethnogenesen meist eigen ist.92 Die frühesten als slawisch gedeuteten materiellen Überlieferungen
sind die der zur Prag-KorËak-Gruppe zusammengefaßten Funde aus der Zeit um 500 n.
Chr. Die Prag-KorËak-Gruppe erstreckte sich im Gebiet zwischen Bug und
mittlerem Dnepr. Hauptkriterien für diese Fundgruppe sind die einfachen,
schmucklosen Gefäße, die halb in den Boden eingetieften Grubenhäuser und die Brandbestattung. Alle ethnischen Deutungen älterer (also solcher des
ersten bis vierten Jahrhunderts nach Christus) Fundgruppen wurden inzwischen fallengelassen. Ähnliche archäologische Befunde kommen aus den
Karpaten wie dem unteren Donauraum, der Slowakei, Mähren, dem südlichen Polen,
Böhmen und dem mittleren Elbegebiet. "Damit faßt die Archäologie aber
nicht die slawische Einwanderung selbst, sondern die Etablierung von Siedlungsstrukturen."93 Wahrscheinlich formierten sich slawische Gruppen im Kontext der Wanderungsbewegungen und Herrschaftsbildungen von Goten und Hunnen
des dritten bis fünften Jahrhunderts. Belegbar ist dies aber erst für das
sechste Jahrhundert. Zahlreiche Gruppen wurden nördlich des Schwarzen Meeres
von den Hunnen in Bewegung gebracht. Dabei wurden wohl diverse politische
und soziale Organisationen aufgegeben und neue gebildet, um den Umständen
der Zeit gerecht zu werden. Nach dem Abzug der Hunnen nach Osten und der
Wanderungsbewegung germanischer Gruppen aus dem Elbe- und Oderraum ist in Umrissen eine slawische Ausdehnungsbewegung im sechsten und
siebten Jahrhundert erkennbar. Wenige schriftliche Quellen fundieren dieses
Bild. Lediglich der Bericht Prokops über den Zug der Heruler nach Jütland
512 durch das Land des ¶ynow Sklabhn«n, sowie weitere Erwähnungen Prokops von
Slawen an der Donau sind greifbar. Anfang des sechsten Jahrhunderts gab es
diesen Quellen nach zu schließen Slawen östlich und nördlich der Karpaten.94 |
92Pohl
2002, 13-30; Pohl 1988, 10ff. 93Brather
2001, 55f und Abb. 7. 94Herulerzug:
Prokop BG, II 15. Eine gute Zusammenstellung der Erwähnungen von Slawen
an der Donau bei Prokop: Zeuss 1837/1925, 592ff. Die Quellenstellen zur
"Raiding activity in the Balkans" der Slawen finden sich tabellarisch aufgelistet bei: Curta 2001, 116f. |
38 |
Zur Zeit Kaiser Justinians (527-565)
wurden die Slawen von byzantinischen Autoren erstmals wahrgenommen. Immer wieder versuchten slawische
Gruppen, den Donau-Limes zu durchbrechen und auf der Balkanhalbinsel zu
plündern. Kaiser Justinian ließ die Befestigungen an der Donau massiv
verstärken, was Prokop in seiner Schrift über Architektur besonders betont.95 Diese als
Slawen bezeichneten Gruppen kamen aus den Karpaten, dem Gebiet der untereren
Donau und vom Schwarzen Meer. Mit dem Erscheinen der Awaren in Europa
ab 560/70 wurden die Slawen entweder in die awarische Herrschaftsbildung
einbezogen, oder drangen bis auf die Peloponnes und im Norden bis ins
Elbe- Saalegebiet vor. Die Ausdehnung des awarischen Machtbereichs ist von
der sogenannten slawischen 'Expansion' nicht zu trennen. Das Khaganat
hatte großes Interesse an abhängigen Gruppen, die seine Herrschaft sichern
konnten. Die Anten als Gruppe, die ihre Identität gerade durch die Abhängigkeit
von den Awaren definierte und deren Name wohl so etwas wie 'Schwurverband' bedeutete, sind dafür das beste Beispiel.96 Einwanderung geschlossener Verbände auf 'slawischer' Seite und
Auswanderung ebensolcher auf 'germanischer' ist eine Vorstellung, die den
Vorgängen des sechsten und siebten Jahrhunderts im östlichen Europa nicht
entspricht. Vor allem änderten sich soziale Strukturen und die ethnischen Identitäten. Nach
den uns greifbaren schriftlichen Berichten von Zeitgenossen waren es nicht
mehr 'germanische' Bewohner, die östlich der Elbe und nördlich der
Mittelgebirge siedelten, sondern eben 'slawische' Bevölkerungen. Zuwanderung
und Assimilation waren jene historischen Vorgänge, die zu dieser
grundlegenden Veränderung führten.97 Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts ist die slawische Ausdehnung
im oben ausgeführten Sinn in der Slovakei, Böhmen und Mähren angenommen
worden. Was allerdings 'slawisch' und was nicht 'slawisch' ist, bleibt in der
Archäologie zu klären. Die Gebiete um Elbe und Saale wurden nach Joachim Hermann,
einem Archäologen der DDR, etwa zu Beginn des siebten Jahrhunderts
erreicht, die mecklenburgische und pommersche Küste dann in der zweiten
Jahrhunderthälfte, Ostholstein als nordwestlichste Region möglicherweise erst nach 700.
Hermann datierte die als slawisch eingestuften archäologischen Befunde sehr
früh, was in 95Prokop,
De Aedificiis, IV 1,33. Vgl. auch: Curta 2001, 150f. 96Zum
Namen der Anten: Schelesniker 1973, 5. Pohl 1988, 46ff und 160f. 97Curta
2001, 24ff; Pohl 1988, 119f. |
39 |
der jüngeren Forschung zurückgenommen
wurde.98 Der Zeitrahmen der Slawisierung Ostmitteleuropas ist schwer zu bestimmen. Gräber und
Siedlungen liefern kaum Material für eine absolute Chronologie. Mit Vorsicht
setzt Brather diesen Rahmen. Die frühesten Jahrringdaten aus dem Raum westlich der
Oder stammen seiner Ansicht nach aus der Zeit um 700, was einen
terminus ante quem für eine slawische Ethnogenese und/oder Einwanderung ergebe. Der terminus
post
quem sei durch das 'Abbrechen'
germanischer Siedlung im frühen sechsten Jahrhundert markiert. Letzteres stelle aber nur einen indirekten und
durch wenige Funde bestimmbaren Anhaltspunkt dar. Gleichzeitig wird betont, daß
die Gegenüberstellung von Germanen und Slawen idealtypischen Charakters
sei. Unterschiedliche kulturelle Traditionen treffen den Sachverhalt
besser, als jede Art von ethnischer Vorstellung.99
Die Besiedlung von Gebieten des heutigen Österreich und der Ostalpen
ging wohl von Süden, vom Eisernen Tor, wie von Norden, von den Karpaten und der
Tatra aus vor sich.100 Das Pustertal, in dem sich Kämpfe zwischen den
Baiern und Slawen abspielten, wurde von Paulus Diaconus als
provincia Slavorum bezeichnet.101 Genauere Datierungen eines Beginns der slawischen
Siedlung sind auch hier sehr schwierig. Die Herausbildung der ostslawischen Kerngebiete bis um 800 ist in
ihrer Genese insgesamt also nur schwer nachvollziehbar. Ethnische oder politische Großverbände sind erst seit dem siebten Jahrhundert greifbar.
"Erste Ansätze zur herrschaftlichen Verdichtung territorial stabiler
Siedlungsvorgänge"102 im siebten Jahrhundert gipfeln in der Reichsbildung des wohl aus einer
fränkisch-slawischen 98Hermann
1972, 14ff; Brather 2001, 22ff; 99Brather
2001, 59f. 100Brather
2001, 61; ODB 3, s.v. Slavs, 1916f; LMA VII, s.v. Slaven, 2001; Fritze
1945/1994, 9ff. 101Paulus
Diaconus, Historia Langobardorum, IV 7 und IV 10. Vgl. auchPohl 1988, 149; Wolfram 1995, 56. Im Jahr 592 unternahmen die Baiern unter Tassilo einen erfolgreichen
Plünderungszug ins Slawenland (provincia Slavorum ), drei Jahre später erlitten sie bei einer
ähnlichen Aktion eine Niederlage durch den awarischen Khagan, bei der sie angeblich 2000
Kämpfer verloren. Diese Kämpfe fanden im Pustertal und bei Aguntum statt. Die Slawen in Kärnten belegt bei: Paulus Diaconus, Historia
Langobardorum, IV 38. Literatur bei: Fritze 1945/1994, 13, Anm. 96. 102LMA
VII, s.v. Slaven, 2001. |
40 |
Mischkultur stammenden Samo (ca.
623/24 - ca. 658). Die Ausdehnung des angeblich 35 Jahre währenden Reichs Samos ist umstritten. Das Zentrum
dürfte in Mähren und/oder Böhmen gelegen haben, für das südöstliche Mähren und
die Slowakei läßt sich aufgrund der Bodenfunde eine neuerliche awarische
Dominanz vermuten. War das neue Regnum zuerst ein politisches Gebilde, das als
Sezessionsbewegung von Slawen aus der awarischen Oberhoheit
verstanden werden kann und ohne "fränkische Geburtshilfe" wohl kaum
möglich gewesen wäre, kam es Anfang der dreißiger Jahre des siebten Jahrhunderts zu militärischen Konflikten zwischen Wenden und Franken.103 Ausführlicher muß hier auf die in der Chronik Fredegars, der
Hauptquelle für die fränkischen Verhältnisse des siebten Jahrhunderts, geschilderten
Sichtweisen der slawischen Nachbarn eingegangen werden. König Dagobert sandte einen Gesandten namens Sycharius, der Beschwerde bei Samo führen sollte.
Fränkische neguciantes waren im Wendenland ausgeplündert und ermordet
worden. Fritze deutet diese neguciantes als Waffenhändler, was das königliche Interesse
besser verständlich macht. Es ging also um die politisch-militärische
Einflußname in Ostmitteleuropa. Bodenfunde belegen, daß ein wesentlicher Teil der merowingischen Exporte in diesen Raum aus Waffen bestand. Die
Kaufleute müssen unter königlichem Schutz gestanden haben, was das Auftreten
des Sycharius bestätigt. Wenn Fredegar für dasselbe Jahr, in dem Samo den
wenig willkommenen Besuch erhielt, von einem Bündnis Dagoberts mit dem byzantinischen Kaiser Herakleios berichtet, wird das fränkische
Interesse an den neuen slawischen Gebieten deutlich. Man erwartete sich einen
politisch und militärisch kooperierenden Staat, um die Awaren in die Zange nehmen
zu können. Die sorbischen Slawen, die näher an der fränkischen Grenze lebten,
hatten mindestens seit Beginn der Regierungszeit Dagoberts die
fränkische Oberhoheit anerkannt.104 Zumindest ist die Bemerkung im Fredegar, daß diese |
103Vgl. Brather 2001, 63; Pohl 1988, 256-261. Hauptquelle für den Staat Samos ist Fredegar, IV, 48
und 68, sowie die etwas veränderte Darstellung in den Gesta Dagoberti I, 22. Auf diesen Quellen baut die kurze Erzählung in der
Conversio Bagoariorum et Carantanorum
c. 4 auf (Wolfram 1979, 41, Vgl. dort auch 16f). Vgl. zu Samos Reich auch Fritze 1945/1994, 83-108. 104Fritze
1945/1994, 86ff. |
41 |
Sorbi "iam olim ad regnum Francorum adspexerant", so zu deuten.105 Auch auf weiter östlich beheimatete slawische Stämme, die sich im zweiten
Viertel des siebten Jahrhunderts der awarischen Oberhoheit entledigen wollten,
hat die fränkische Politik Einfluß zu nehmen versucht.106 Zuerst wollte nach dem Bericht Fredegars Samo den Gesandten gar nicht
empfangen. Dieser verkleidete sich aber als Slawe, erschien vor Samo
und teilte ihm die Forderungen Dagoberts mit. In "heidnischem Stolz"
weigerte sich Samo aber Entschädigung zu leisten und erklärte lediglich bereit,
placeta, also
Gerichtsverhandlungen, durchzuführen. Der zornige Sycharius erinnerte daraufhin den Wendenkönig daran, daß er kein gleichrangiger Partner
des fränkischen Königs sei, sondern diesem
servicium schulde. Das Regnum der Wenden verstand sich selbst als durch eine Schwurfreundschaft auf
Basis der amicitia mit dem Frankenreich verbundener Staat. Das läßt
sich aus der von Fredegar gebotenen Antwort Samos ableiten. "Et terra quam
habemus Dagoberto est, et nos sui sumus, si tamen nobiscum disposuaerit amicicias
conservare."107 Sycharius schmähte daraufhin den Wendenkönig und beschimpfte ihn als
Hund, mit dem Diener Gottes ohnehin kein Bündnis schließen könnten. Samo antwortete, die Hunde könnten die Diener Gottes durchaus
zerfleischen. Daß Fredegar den Gesandten als stultus
legatus bezeichnete, deutet
daraufhin, daß diese 'völkerrechtliche' Debatte nicht in der Kompetenz des Sycharius
gelegen hatte. Jedenfalls scheint der fränkische Gesandte Samo mißverstanden
zu haben. Der Wendenkönig stellte wohl nur den Anspruch auf Gleichrangigkeit,
was in der spätrömischen Begrifflichkeit der
amicitia auch unter ungleichen
Partnern möglich und üblich war.108 Daß König Dagobert nur deshalb Krieg gegen Samo führen mußte, ist
aber unwahrscheinlich. Ein großes Heer unter langobardischer Beteiligung
zog ins Wendenland. Man nahm das Regnum Samos offenbar ernst, was sich auch
in der Bezeichnung rex für Samo widerspiegelt. Langobarden und Alamannen siegten und führten viele Gefangene weg. Die Truppen Dagoberts wurden aber
bei der Belagerung der Wogastisburg geschlagen. Diese Niederlage schwächte
die 105Fredegar
IV, 68. 106Fritze
1945/1994, 90ff. Literatur zu Fredegar bei Pohl 1988, 260f und LMA III, s.v.
Fredegar, 884. 107Fredegar
IV, 68. 108Zur
amicitia vgl. Epp 1999, 176ff und
186ff; Die Frage der amicitia in der fraglichen Fredegarstelle: Pohl 1988, 258f. |
42 |
fränkische Position an der Ostgrenze
und auch Dervan, der dux der Sorben und bis zu diesem Zeitpunkt fränkischer Vasall schloß sich Samo an.
Thüringen und andere fränkische Gebiete wurden in den folgenden Jahren immer wieder
von den Wenden Samos geplündert.109 "Entscheidend war, daß Samos Siege an der Westflanke des
Awarenreichs den Spielraum für eine Reihe slawischer Ethnogenesen schufen, die ihn und
sein Reich bei weitem überdauerten und die im Spannungsfeld zwischen awarischer
und fränkischer Großmacht eine mehr oder weniger eigenständige
Entwicklung nehmen konnten."110 Für etwa 100 Jahre fehlen nach Fredegars Berichten
über das Reich Samos in den fränkischen Quellen Nachrichten über die östlich
des Reichs siedelnden Slawen, ausgenommen den Karantanen. Ende des achten
Jarhhunderts erscheinen dann wieder Slawen in der fränkischen Annalistik und
Chronistik im Zusammenhang mit den diversen Heerzügen Karls des Großen an Elbe und Donau. Seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts formierten sich
slawische Fürstenherrschaften bei den Kroaten, in Mähren und in der Kiever
Rus'. Im neunten und zehnten Jahrhundert entstanden große politische Verbände
mit einer 'europäischen' Zukunft bei den westlichen Slawen in Mähren, Böhmen,
Polen und bei den Abodriten. Alle diese Herrschaftsbildungen waren eng mit der Christianisierung verbunden, die der Bulgaren ausgenommen. Die Christianisierung der Oberschichten ermöglichte die Integration
der neuen Reiche in den west- und mitteleuropäischen Kulturraum. Eine
großräumige Herrschaft wurde allein durch die Schrift, die die christlichen
Priester mitbrachten, administrativ erfaßbar. Die westslawischen
Herrschaftsbildungen waren politisch, wirtschaftlich und kulturell mit den Nachbarräumen
verflochten. Im Westen und Südwesten bestanden Bindungen an das sich verfestigende
ostfränkisch-deutsche Reich, die ja schon angesprochen wurden. Weiters waren besonders die elbslawischen und polnischen Herrschaftsbildungen mit
den entstehenden skandinavischen Reichen im Norden und der Kiever Rus' im
Osten in stetem Austausch. Im siebten und achten Jahrhundert spielten die
Awaren eine |
109Fredegar IV, 68. 110Pohl
1988, 261. |
43 |
große Rolle beim Aufbau politischer
Identitäten, im zehnten Jahrhundert und auch noch im hohen Mittelalter die Ungarn.111 An der unteren Elbe wurden in den Jahrzehnten vor 800 die Sachsen dem
fränkischen Reich einverleibt. Nach der Eroberung des sächsischen Siedlungsgebiet war die fränkische Reichsgrenze bis an die untere und
mittlere Elbe vorgerückt. Abodriten und Wilzen waren nun Nachbarn der Franken
und wurden auch in wechselnde Bündnisse zwischen Franken, Sachsen und
Dänen hineingezogen. 789 zog Karl in das Gebiet der Wilzen und wurde von
Sorben und Abodriten begleitet. Der von Einhard genannte Grund war ein alter
Streit zwischen Wilzen und Abodriten, den Karl beilegen wollte. Der
rex Dragovit unterwarf sich Karl zusammen mit seinem Sohn, Kleinkönigen und Großen
(reguli ac
primores).112 Die Reichsannalen vermerkten 822 die Anwesenheit verschiedener
slawischer Fürsten auf einer Reichsversammlung in Frankfurt. "(...)
conventu omnium orientalium Sclavorum, id est Abodritorum, Soraborum, Wilzorum,
Beheimorum, Marvanorum, Praedenecetorum, et in pannonia residentium Abarum legationes."113 Zwischen 815 und 826 sind mehrmals solche
Aufzählungen slawischer Fürsten in den Reichsannalen enthalten. Die fränkischen
Könige tauschten mit den Slawenfürsten Geschenke aus, schlossen Freundschaftsbündnisse, forderten manchmal auch die Stellung von
Geiseln, übernahmen Taufpatenschaften und schlichtete Streit zwischen den
Fürsten. Die zeitweise sehr engen Beziehungen beeinflußten die politische
Entwicklung bei den slawischen Stämmen. Slawische Bevölkerung fand sich aber nicht
nur außerhalb der Ostgrenze, auch im karolingischen Reich siedelten
Slawen. Dies beruhte einerseits auf selbstsändiger Einwanderung, andererseits aber
auf gezielter königlicher Ansiedlung. Solche slawischen Gebiete befanden
sich westlich der Saale in Thüringen, im Main-Regnitz-Gebiet und westlich
der mittleren Elbe. Auch im heutigen Ostösterreich beiderseits der Donau
lebten Slawen. Diese slawischen Gemeinden hatten in manchen Fällen ein
eigenes Recht und manche Gemeinden waren nicht christianisiert.114 |
111Herrmann 1986, 143ff; Fritze 1945/1994, 73ff und 172ff; Graus 1980,
38ff. 112Einhard,
Vita Karoli, 12. 113Annales
regni Francorum, ad a. 822. 114Wolfram
1995, 56ff. |
44 |
Im Bewußtsein der Zeitgenossen
gehörten die westlichen Slawen der Jahrtausendwende zum Reich. Eindrucksvoll ist dies in der
Huldigungsszene im auf etwa 998/1000 datierten Evangeliar Ottos III. zum Ausdruck
gebracht. Die personalisierten Provinzen Roma, Gallia, Germania und eben Sclavinia verbeugen sich vor dem Kaiser und bringen ihm Gaben dar. Das Widmungsbild des
um 1000 entstandenen Aachener Liuthar-Evangeliars präsentiert wahrscheinlich
die Könige von Polen und Ungarn zu Füßen Kaiser Ottos III. .115 Entsprechend den Fragestellungen dieser Arbeit wird im folgenden die
für die folgenden Kapitel relevante slawische Herrschaftsbildungen in Böhmen
kurz besprochen. Im Rahmen der Besprechung der jeweiligen Quellen wird
auch auf Polen und die Abodriten eingegangen. Die geographische Geschlossenheit Böhmens - ein Becken, das von
Mittelgebirgen umrahmt ist - bedingte die Kontinuität der p¯emyslidischen
Herrschaftsbildung, ganz im Gegensatz zu den Nachbarräumen der Mähren, Polen und
Elbslawen. Im Laufe des zehnten Jahrhunderts vollzog sich diese Herrschaftsbildung
im Kontext des Machtvakuums nach dem Zusammenbruch des Großmährischen Reichs durch den Tod Svatopluks und den inneren Problemen des ostfränkischen
Reichs unter Ludwig dem Kind (900-911) und König Arnulf (911-918). Im
neunten Jahrhundert gab es noch mehrere kleinräumige Herrschaften im
böhmischen Becken. Die Söhne des ersten historisch greifbaren P¯emysliden
Bo¯ivoj I., der 895 gestorben war, SpytihnÏv und Vratsilav leisteten im Todesjahr ihres
Vaters Herzog Arnulf von Kärnten die commendatio. Kurz darauf verlegten die P¯emysliden ihren Sitz nach Prag. Nach kurzer Regierungszeit war Wenzel, der Sohn
Vratsilavs, von seinem Bruder Boleslav I. (929/935-967/972) ermordet worden und
innerhalb weniger Jahre heilig gesprochen worden. Seine Reliquien wurden in die
Südapsis des Veitsdoms gebracht und Ende des zehnten Jahrhunderts war Wenzel
ein in ganz Europa verehrter Heiliger, der im hohen Mittelalter zum Kern
eines böhmischen Landesbewußtseins werden konnte.116 Boleslav I. hatte sich gegenüber Kaiser Otto I. 950 verpflichtet und
ließ schon 955 eigene Münzen schlagen. Den p¯emyslidischen Machtbereich konnte er
bis Schlesien und Kleinpolen erweitern, dynastische Heiraten mit
polnischen und |
115Evangeliar Ottos III.: Clm. 4453, fol. 23v; Aachener
Liuthar-Evangeliar fol. 15v. Vgl.: Herrmann 1986, 261. 116LMA II,
s.v. Böhmen, 336ff; Graus 1980, 53f. |
45 |
sächsischen Frauen festigten die
Stellung der neuen böhmischen Dynastie weiter. Boleslav II. (967/972-999) erreichte 973/976 die Einrichtung des dem Metropolitanverband Mainz unterstellten Erzbistums Prag, das mit der
Erhöhung Wenzels zum Landespatron im 11. Jahrhundert eine dominierende
Stellung erreichen konnte. Erste Klöster wurden kurz nach der Bistumsgründung eingerichtet. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts kam es zu
schweren Auseinandersetzungen mit den polnischen Piasten, vor allem mit Boleslaw
Chrobry, der 1003 sogar Böhmen und Mähren erobern konnte. Der
Polenkönig wurde von König Heinrich wieder aus Böhmen vertrieben.117 Die Einrichtung von Burgbezirken und Dienstsiedlungen beschleunigte
die Territorialisierung der p¯emyslidischen Herrschaft. Die Erneuerung
des mährischen Bistums Olmütz in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts
und zahlreiche Klostergründungen, die auch die Klosterreformbewegung der Benediktiner und Zisterzienser nach Böhmen und Mähren brachten,
etablierte eine weitgehend von den P¯emysliden abhängige Kirchenorganisation.
Nachdem bereits Vratislav II. (1061-1092) im Jahr 1085 und Vladislav II.
(1140-1173) im Jahr 1158 zu Königen erhoben worden waren, erlangten die P¯emysliden 1198
durch König Philipp von Schwaben und nochmals 1212 durch Kaiser Friedrich
II. die erbliche Königswürde. Die seit dem 11. Jahrhundert in
Lehensabhängigkeit zum Reich stehenden P¯emysliden stiegen zu Reichsfürsten auf. Mit der
Goldenen Bulle von 1356 wurde der König von Böhmen dann auch Kurfürst.118 |
I.3. Die Ethnonyme
"Slawen", "Anten" und "Venethi" in den Quellen des sechsten Jahrhunderts: Prokop, Jordanes, Theophylaktos Simokates |
Es sind drei Autoren, die das meiste,
was wir über die Slawen des sechsten Jahrhunderts wissen, geschrieben haben: Prokop von Caesarea (De bello
Gothico), |
117Graus 1980, 58f; Herrmann 1986, 167f; Wolfram 1995, 58ff. 118Graus
1980, 60. |
46 |
Jordanes (De origine actibusque
Getarum) und Theophylaktos Simokates (OfkoumenikØ flstor€a).
Diese Autoren berichten aus der Sicht des Mittelmeeraums und bieten
nur wenige Informationen zu Geschichte und Herkunft der Slawen. Prokop und Theophylaktos Simokates sprechen von Sklabhno€ und ÖAntai, Jordanes erwähnt eine dritte Untergruppe zur Gliederung der Slawen, nämlich den hier
zu betrachtenden Namen Venethi. Erst durch diesen gelehrten Sprachgebrauch bei
Cassiodor-Jordanes wird Venethi zur Benennung der Slawen auch in der schriftlichen Überlieferung greifbar. Das Ethnonym 'Slawen' ist also
seit dem sechsten Jahrhundert als Fremdbezeichnung belegt. Zur zuerst gebrauchten griechischen Langform Sklabhno€ mit der lateinischen Entsprechung Sclaveni trat etwas später die kürzere Form Sklãboi. Aus der
griechischen Kurzform wurde sowohl das arabische as-Saqaliba, als auch das lateinische sclavi abgeleitet. Im romanischen wie im germanischen
Sprachbereich entstand zwischen dem neunten und dem 11. Jahrhundert der Begriff
'Sklave', weil häufig slawische Kriegsgefangene auf den Sklavenmärkten verkauft
wurden.119 Die Etymologie und Herkunft des Namens 'Slawe' umstritten. In der
slavistischen Philologie wird der Slawenname Häufig mit dem Wort
slovo (mit der Wurzel *slovene ) in der Bedeutung 'Wort, Sprache' erklärt. Die
Semantik dieser Bezeichnung ist als Gegenüberstellung derer, die man versteht, mit
denen, die stumm sind, als Umschreibung des Sich-Nicht-Verständigen-Könnens, zu beschreiben. Darunter fiele die im slawischen Sprachraum weit
verbreitete Bezeichnung der Deutschen als Stumme (NÏmec). 120 Solche Deutungen greifen aber viel zu kurz, um slawische Identität zu
fassen. Natürlich ist Sprache ein markantes Unterscheidungsmerkmal. Es wird den
Vorstellungen der fränkischen und byzantinischen Autoren des frühen Mittelalters aber nicht gerecht, die Abgrenzung verschiedener Gruppen
auf die Benennung sprachlicher Verwandschaft oder von Sprachbarrieren und auf
|
119LMA VII, s.v. Slaven, 2000; RE XV, s.v. Venedae, 698; Schönfeld 1911,
281. Es wird hier auf eine Diskussion der
sprachwissenschaftlichen Deutungs- und Zuordnungsversuche des Venedernamens in der älteren
Forschung verzichtet. 120Vgl.:
Graus 1980, 2; 6 und Anm. 59; LMA VII, s.v. Slaven, 2000; Schelesniker 1973,
70f. |
47 |
Stereotypen zu reduzieren. Letztlich
ist nicht die Sprache in den meisten Quellen das primäre Unterscheidungsmerkmal zwischen Gruppen. Bei den verschiedenen slawischen Stämmen taucht '-slaw' in Personen-
und eben auch Stammesnamen auf. In der Vita Methodii bedient sich Rotislav,
der Fürst von Altmähren, in einem Brief an den Kaiser von Byzanz der
Bezeichnung "my sloveni" (="wir Slawen"). Dieser Sprachgebrauch geht
allerdings eindeutig auf eine Fremdvorlage zurück und in Quellen wie Einhards Vita Karoli und
den Annales Regni Francorum ist nachvollziehbar, daß eben einzelne
slawische Gruppen keine Gemeinschaftsbezeichung kennen, sondern Stammesnamen verwenden.121 Die Bezeichnung 'Slawen' wurde in vielen Fällen von den so
Bezeichneten erst im zehnten Jahrhundert als Selbstbezeichnung übernommen, was noch heute
im Namen der Slowenen, der Slowaken und der Slovenen am Ilmensee nachvollziehbar ist.122 Zunächst ist der Slawenname aber wie ausgeführt
eine Fremdbezeichnung und Ausdruck der Konstruktion eines Gemeinschaftsbewußtseins von außen, das bei den Slawen selbst
vielleicht im 19. Jahrhundert vorhanden war, aber im frühen Mittelalter nicht
nachweisbar ist. Im neunten und zehnten Jahrhundert kam es zu Herrschaftsbildungen bei
den Westslawen. Einzelnamen wie Mährer, Böhmen und Polen werden in den fränkischen Quellen nun häufiger als die allgemeine Bezeichnung
'Slawen'. So wurden nunmehr Gruppen ohne christliche Oberhäupter am Rand der aus fränkischer Sicht zentralen Welt benannt. Die Polen wurden ohnehin
selten als 'Slawen' bezeichnet, da sie von solchen umgeben waren und eine solche
Bezeichnung wenig Unterscheidungskraft besessen hätte. In der zweiten
Hälfte des 12. Jahrhunderts verstand man unter Slawen dann nur noch Pommern
und Rügenslawen.123 Ein Sammelbegriff faßt verschiedene Gruppen zusammen. Dieser Vorgang
ist nicht nur für die Slawen nachweisbar. Die Völkerschaften, die eine
ähnliche Sprache sprechen, sind Slawen oder eben 'Wenden'. In gleicher Weise
ist es |
121Graus 1980, 28f und Anm. 75 und 76. Dort auch die Quellenbelege und
Verweise zu den hier angeführten Stellen. 122LMA
VII, s.v. Slaven, 2000; Brather 2001, 52. 123Reisinger
und Sowa 1990, 23; Graus 1980, 27. |
48 |
bequem die 'Welschen' zu benennen,
ohne lange die Unterschiede zwischen den einzelnen Gruppen thematisieren zu müssen. Niemand würde aber
aufgrund dieser Fremdbezeichnung eine biologisch-genetische oder politische
Einheit mit einem alten Sonderbewußtsein postulieren.124 Die Anten (ÖAntai, ÖAntew, Anti, Antae) dürften ein Stammesverband
nördlich des Schwarzen Meeres gewesen sein. Die Verwendung dieses Ethnonyms
läßt sich zum letzten Mal bei Theophylaktos Simokates im siebten Jahrhundert feststellen.125 Die Anten stellen einen Sonderfall der slawischen Ethnogenese dar.
Ihr Name bedeutet "Schwurverband" und ist sprachlich dem
Ural-Altaischen zuzuweisen. Die Anten werden somit als in awarischen Diensten stehende Gruppe
faßbar, die ihren awarischen Namen, der ursprünglich eine Fremdbezeichnung war, übernommen hatten.126 Prokop wurde oft als Vertreter der senatorischen Opposition zu
Justinians Politik gesehen. Das Publikum Prokops hatte eine Beziehung zu Homer, Herodot
und Thukydides. Wenn Prokop etwa meint, er berichte von Bauten, die er
selbst gesehen habe oder sich von anderen beschreiben habe lassen, ist das
eine Anspielung auf den alten Meister der Historie, die an Deutlichkeit
nichts zu wünschen übrig läßt.127 Üblicherweise nennt Prokop aber seine Quellen
nicht, was die Nachprüfbarkeit teilweise sehr erschwert. Den Balkan und die Siedlungsgebiete der Slawen kannte Prokop wohl nur von Karten, im
Gegensatz zu den Gebieten, die er im Rahmen seiner Teilnahme an Belisars
Feldzügen selbst gesehen hatte. Mit Slawen hatte Prokop in Italien Kontakt. So zum
Beispiel nach der ersten Belagerung von Rom; Prokop wurde 539/40 zuerst nach Neapel
und dann nach Auximum/Osimo geschickt, um Nachschub für die Armee
Belisars zu sichern. In Auximum wurden slawische Kaufleute von Belisar dazu
benutzt, Goten aus der belagerten Stadt zu locken und so zu fangen.128 |
124Vgl. dazu die sehr differenzierten Überlegungen von Frantisek Graus
in: Graus 1980, 26-31. 125Theophylaktos
Simokates VIII, 5. 126Pohl
1988, 45ff; Schelesniker 1973, 76f. 127
Prokop, De aedificiis, VI, 7, 18; Hofmann 1997, 664. 128
Prokop, BG, VI, 26, 16-22; Vgl. Curta 2001, 37, Anm. 3. |
49 |
Die Sicht der Slawen bei Prokop ist in
Zusammenhang mit dem Konzept der oikumene zu verstehen. Die diplomatische Terminologie
basierte auf der Vorstellung von einem Reich, das von Verbündeten (®nspondoi) wie den Langobarden, den Gepiden und den Goten umgeben war. Die Slawen
gehörten nicht zu dieser Gruppe, Prokop sah sie wohl als neues Volk an. Curta
bemerkt, daß in allen 41 Nennungen von Sklabhno€ und ÖAntai im Werk Prokops niemals Wörter, die dieses Ethnikon als alt klassifizieren würden,
auftauchen, dafür aber alle Erwähnungen von Ansiedlungen der Slawen grammatikalisch in der Gegenwart gehalten sind. Auch werden Slawen immer in Beziehung mit
Anten, Hunnen oder anderen Nomaden genannt.129 Daß die Slawen von großem Interesse waren, beweist der ausführliche ethnographische Exkurs über
sie, der der längste solche Exkurs im gesamten Werk Prokops war. Er enthält
eine ergiebige Liste von Ausführungen zur politischen Organisationsform,
Religion, Kriegsführung, Sprache, äußeren Erscheinung und zum Territorium. Die
Slawen werden dabei nicht so negativ klassifiziert wie die meisten anderen
Barbaren, im speziellen die Heruler.130 Zusammenfassend gesagt: Prokop "imagined the
Slavs as newcomers and nomads".131
Die Sichtweise des Jordanes ist eine gänzlich andere. Bei der uns
überlieferten Schrift des Jordanes handelt es sich lediglich um einen Auszug der
Gothorum historia des Cassiodor. Dieser schrieb zwischen 519 und 533
eine Gotengeschichte in zwölf Büchern. Die Geschichte der Goten sollte dabei ebenso groß
und glücklich gezeichnet werden, wie die der Römer. An Quellen verwendete
Cassiodor Priskos, Dio Cassius und Josephus Flavius.132 Im Winter 551, während Cassiodor noch lebte, brachte ein Byzantiner
gotischer Herkunft namens Jordanes in Konstantinopel einen Auszug des
Cassiodorschen Werks in einem Buch heraus. Der Titel lautete
De origine actibusque Getarum, kurz
auch Getica betitelt. Angeblich stand Cassiodors Originalwerk
Jordanes nur wenige Tage zur Verfügung und er meinte selbst, nur einen flüchtigen
Auszug 129 Curta
2001, 38. 130 Prokop
BV II, 4: Pharas ist, wenn auch Heruler von Geburt (ka€per ÖEroulow ∆n g°now), ein tüchtiger Truppenführer. Wenn ein Heruler nicht säuft und treulos ist,
ist das eine Seltenheit und verdient besonderes Lob. 131 Curta
2001, 39. 132Die
Datierung der Gotengeschichte Cassiodors nach: Wolfram 2001, 15; Quellen: Schanz/Hosius, et al. 1920, IV, 2, 1044ff; Manitius 1911, 36-52. |
50 |
gemacht zu haben.133 Wie aus dem
Text des Jordanes hervorgeht, hatte Cassiodor sich bemüht, die Auswanderungssage der Goten nach alten Stammessagen,
den "Liedern der Alten", der "gentilen
memoria", dem "Ursprung
und Ende" von Königen und Reichen zu erzählen. Tatsächlich sind die Informationen,
die Jordanes zur Verfügung standen, vor allem in Bezug auf die
Königssippe der Amaler sehr gut.134 Die große Insel im Norden, also Skandinavien, das
in der antiken Literatur Scandia genannt wurde, galt Jordanes als Urheimat der Goten
und wurde daher eingehend beschrieben. Die Auswanderung der Goten
zeichnet Jordanes als abenteuerliche Fahrt mit drei Schiffen unter der Führung
von König Berig über die Ostsee.135 Diese Vorstellung von der Herkunft der Goten war die
am Hof Theoderichs des Großen im sechsten Jahrhundert verbreitete.
Ihre Historizität ist trotz vieler Versuche in der Forschung nicht zu
erweisen.136 Die Gotengeschichte Cassiodors versteht sich als
origo gentis, also als Herkunftsgeschichte eines Volkes von Barbaren. Die Cassiodorsche
origo Gothica war also Teil eines antiken Genus, innerhalb dessen seit Caesar zwei Auffassungen parallel tradiert wurden: Die Tradition der griechischen
Ethnographie erklärte gentile bzw. ethnische Ursprünge mit Vorliebe
anhand der Heldentaten von Göttern und Heroen. Die römischen Ethnographen
hingegen versuchten seit Caesar autochthone Traditionen zu berücksichtigen und
billigten ihnen mehr Geltung zu, als traditionellen mythologischen
Spekulationen. Römische Ethnographie wurde immer als Teil der
historia Romana verstanden und betrieben. Mit der Einbindung der Gotengeschichte in die ökumenische
historia Romana gab Cassiodor das Beispiel für die
mittelalterlichen Origines gentium, deren Reihe Saxo Grammaticus mit seinen
Gesta Danorum um 1200 beschlossen hat. Die origo, die Vorgeschichte, einer germanischen, keltischen oder slawischen gens wurde in den entsprechenden Werken nicht mehr nur
in die universelle historia
Romana integriert, sondern auch
heilsgeschichtlich gedeutet. Cassiodor und Jordanes ließen ihre Gotengeschichte mit einer in diesem Sinn
"glücklichen |
133Vgl. zu Jordanes: RGA 12, s.v. Goten III. § 10, 427; Schanz, et al.
1920, IV, 2, 1044ff; Manitius 1911, 36-52; RE IX, s.v. Jordanes, 1908-1929; RAC II,
915-926; Courcelle 1964, 208f; Wolfram 2001, 14ff und 27; Svennung 1967 a, 1ff. 134Jordanes,
Getica, 28 und 117. RGA 12, s.v. Goten I. § 2, 403. 135Jordanes,
Getica, 4, 25. 136RGA 12,
s.v. Goten III. § 11, 429; Dort auch umfangreiche Literaturangaben zur Forschungsdiskussion. Vgl. auch: Svennung 1967 a, . |
51 |
Niederlage" enden. Die Geschichte
des amalischen Gotenreichs endete mit Belisars Sieg über König Vitigis und die Enkelin Theoderichs,
Matasuntha. Die letzte Amalerin konnte jedoch den Kaiserneffen Germanus heiraten und
so die Tradition ihrer Familie mit der der Anicier verbinden. "So
vollzieht sich der legitime Übergang von der amalisch-balthischen Origo Gothica in die
Historia Romana."137 Das Alter der gotischen
gens wie der Adel der Amaler wird
zusätzlich noch durch die Erzählung von der gotischen Abstammung des Kaisers Maximinus Thrax und der Plünderung Trojas durch Goten in grauer
Vorzeit betont.138 Eine solche "gentile Entelechie" gilt als
Legitimierung der Herrschaft. Die origo wurde für ihre gens kodifiziert und nicht selten mit einer lex scripta gemeinsam überliefert.139 Um die folgenden Ausführungen zu untermauern, wird hier die Stelle
aus den Getica zitiert, die die Abstammung der Slawen von den
Venetern behauptet. "Introrsus illis Dacia est, ad coronae speciem arduis Alpibus
emunita, iuxta quorum sinistrum latus, qui in aquilone vergit, ab ortu Vistulae fluminis
per immensa spatia Venetharum natio populosa consedit. Quorum nomina
licet nunc per varias familias et loca mutentur, principaliter tamen Sclaveni et
Antes nominantur. Sclaveni a civitate Novietunense et laco qui appellatur
Mursiano usque ad Danastrum et in boream Viscla tenus commorantur: hi paludes
silvasque pro civitatibus habent. Antes vero, qui sunt eorum fortissimi, qua
Ponticum mare curvatur, a Danastro extenduntur usque ad Danaprum, quae flumina
multis mansionibus ab invicem absunt."140 Beim Fluß Danaster handelt es sich um den Dnjestr, bei der Vistula um
die Weichsel. Umstritten sind die beiden anderen Lokalisierungen, die
Jordanes bringt. Es gab verschiedene Städte mit dem Namen Novietunense.
Wahrscheinlich meinte Jordanes aber die am Donaudelta. Die Sümpfe beim pannonischen Mursa/Osijek könnten mit dem Lacus
Mursiano gemeint sein. Die meisten
Slawen siedeln jedenfalls östlich der Gepiden und somit außerhalb des Karpatenbeckens.141 |
137Wolfram 2001, 15f und 27. 138Jordanes,
Getica, 20, 108. 139Wolfram
2001, 15f. 140
Jordanes, Getica, 5, 34. 141 Pohl
2002, 208f; Pohl 1988, 97. |
52 |
Es könnte eine Auseinandersetzung
zwischen Prokop und Jordanes in Bezug auf die Haltung des Reichs gegenüber den Barbaren und im speziellen
natürlich den Goten gegeben haben. Jordanes gibt die Veneter als Wurzel an, Prokop
die Spori, Prokop sieht die Slawen und Anten als Nomaden, Jordanes denkt, sie
hätten "paludes silvasque pro civitatibus". Prokop sieht die
Slawen nahe an der Donaugrenze, Jordanes setzt sie an den weit im Norden gelegenen Fluß
Vistula (Weichsel). Nach Prokop hätten die Slawen und Anten keine Könige,
sondern von alters her eine Demokratie. Jordanes dagegen gibt den Anten den König
Boz. Zu Recht vermutet Curta eine Antwort des Jordanes auf Prokop, die
Gleichzeitigkeit der beiden Werke spricht auch für diese Annahme.142 Nach der umfangreicheren Überlieferung des sechsten Jahrhunderts, wo
vor allem Gregor von Tours, dessen Chronik bis 591 reicht, viel Licht
bringt, stellt für das siebte Jahrhundert die Chronik des sogenannten Fredegar die
Hauptquelle dar. Der Autorenname Fredegar ist erst im 16. Jahrhundert in einer handschriftlichen Notiz greifbar. Für die anonyme Chronik hat sich
die Bezeichnung Fredegar-Chronik in der Forschung durchgesetzt.143 Das Werk
bietet einen Überblick über die Weltgeschichte seit der Schöpfung und will
gleichzeitig die Geschichte der gens Francorum darstellen. Die Quellen sind die Chroniken des Hieronymus und des Hydatius, die Fasti des Hydatius und der Liber
Generationis des Hippolyt von Porto in dieser Reihenfolge.144 |
142 Jordanes, Getica, 5, 34; Prokop, BG, VII, 14, 22; Curta 2001, 39. Zur
Auseinandersetzung zwischen Prokop und Jordanes Vgl.: Goffart 1988,
93-95 und 101. 143Manitius
1911, ; LMA III, s.v. Fredegar, 884. 144Manitius
1911, . |
53 |
II. Vandalen = Wenden. Ein
frühmittelalterliches Ethnonym mit langem Nachleben II.1. Die Gleichung Wenden = Vandalen in Quellen seit dem 8. Jahrhundert |
II.1.1. Salomoglossar/ Glossae
Salomonis (9. Jh.) Das sogenannte Salomoglossar ist in verschiedenen Redaktionen mit
einem Überlieferungsschwerpunkt im 12. und 13. Jahrhundert auf uns
gekommen. Das Glossar bekam seinen Namen entweder vom Bischof Salomo II. von
Konstanz (reg. 875 - 890) oder von seinem Nachfolger Salomo III. (reg. 890 -
919). Die Zuschreibung an einen der Konstanzer Bischöfe ist erst seit dem 12.
Jahrhundert nachzuweisen und historisch nicht haltbar. Der in mehreren
Handschriften genannte Bischof Salomo dürfte wohl eher Initiator als Autor einer
dann häufig verwendeten Redaktion gewesen sein.145 Bei den sogenannten Glossae Salomonis handelt es sich um ein das Alphabet zweimal durchlaufendes lateinisch-lateinisches Wörterbuch, das im
Süden des deutschen Sprachraums seine stärkste Verbreitung gefunden hat. Einige
der Handschriften enthalten neben den lateinischen Worterklärungen noch althochdeutsche Glossierungen.146
Einzelheiten zu Fragen der Entstehung, Überlieferung und der
verwendeten Quellen bedürfen noch der Klärung. Als Hauptquelle des Salomoglossars
ist ein älterer liber glossarum aus St. Emmeram in Regensburg angesehen worden, der
im Clm. 14429 aus dem neunten Jahrhundert enthalten ist.147 Datiert
wird die spanische Vorlage dieses liber
glossarum in die Mitte des achten
Jahrhunderts.148 Der von Manitius und Goetz vorgeschlagenen Abhängigkeit des
Salomoglossars von der verkürzten Fassung der spanischen Vorlage im Clm. 14429 wurde
von |
145Verfasserlexikon 8, s.v. 'Salomonisches Glossar', 542f. 146Steinmeyer
und Sievers 1893ff, IV, 27-174, MCLXXV. 147Vgl.
zum Clm. 14429 Bischoff 1974, 243. 148Vgl.
Verfasserlexikon 8, s.v. 'Salomonisches Glossar', 542f; Manitius 1911, 133f; Goetz 1893, 226. |
54 |
McGeachy widersprochen. Letzterer wies
auf eine Reihe von Übereinstimmungen des Salomoglossars mit der ungekürzten Fassung des spanischen
liber glossarum hin.149 Goetz sieht die mögliche Vorlage des Regensburger
liber glossarum wie gesagt in einem Glossar, das in Spanien um 750 entstanden war. Dieses versteht
er als Enzyklopädie, in die antikes und christliches Wissen einfloß. Sein Hauptbestandteil sind Exzerpte aus christlichen Schriftstellern, vor
allem aus den Etymologien Isidors und aus dessen De
natura rerum, sowie aus den Kirchenvätern Hilarius, Eucherius, Fulgentius, Orosius und Junilius.
Aus der antiken Literatur flossen Elemente der Synonyma Ciceros, des
Physiologus, Teile von Vergilglossen, Exzerpte aus Eutrop und Julian von Toledo ein.150 Der spanische liber glossarum diente mehreren Glossaren als Vorlage. Anhand der einzelnen Lemmata, sowie der Kürzungen und Kompilationen dieses
spanischen liber
glossarum sind die weiteren
Verarbeitungen rekonstruierbar. So schöpfte das Elementarium des Papias in der Rezension des
Palatinus 1773, das Glossar Abba pater und die griechisch-lateinischen Glossen
Absida lucida, wie das
arabisch-lateinische Glossar im Codex Leidensis Scal. orient. 231 aus dieser Vorlage.151 Die Zusammenhänge der einzelnen Redaktionen der
Glossae Salomonis unter Berücksichtigung der Palatinusgruppe und der Prager Handschrift
wären noch zu klären.152 Der hier relevante Eintrag "UUandalus id est uuinid"153 ist nach Steinmeyer/Sievers in elf Codices enthalten. Ob er darüberhinaus in
anderen - vor allem älteren - Handschriften, die das Glossar beinhalten,
aufgenommen wurde, müßte eigens überprüft werden. Steinmeyer/Sievers haben
ausschließlich deutsche und österreichische Handschriften aufgenommen, die einzige
Ausnahme |
149McGeachy 1938, 310ff. 150Über
die Quellen im einzelnen: Goetz 1893, 256-282. 151Manitius
1911, 133f. 152Herrmann
1965, 119. 153Diese
Schreibung nach Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f bezogen auf
den Admonter Codex und das Münchner Einzelblatt. Vgl.
dazu die folgende Anm. . |
55 |
stellt der Codex X A 11 aus dem 13.
Jahrhundert154 der Bibliothek des Prager Nationalmuseums dar.155 Auf der beschränkten Basis der Edition von Steinmeyer/Sievers kann
nur die Überlieferung seit dem 11. Jahrhundert beurteilt werden. Die beiden
ältesten von Steinmeyer/Sievers verwendeten Belege sind das Münchner
Einzelblatt cgm 187, welches auf das 11 /12. Jahrhundert datiert wird, sowie der Codex 3
der Admonter Stiftsbibliothek aus dem 11. Jahrhundert. Der Überlieferungsschwerpunkt der Glossen liegt im 12. Jahrhundert,
im liber glossarum des Clm. 14429 ist die Gleichsetzung
"UUandalus id est uuinid" nach Hermann aber bereits enthalten.156 Auch der Codex 905 der Stiftsbibliothek St. Gallen aus dem 10. Jahrhundert hat die Eintragung auf fol. 1026.157 Der Regensburger liber glossarum beinhaltet außerdem eine aus Isidors Etymologiae IX, 2, 96 übernommene Erklärung für den Vandalennamen.
Diese findet sich auch im Prager Codex wieder.158 In der
Prager Handschrift ist an dieser Stelle Wandali mit zlowene glossiert.159 |
154Nach Herrmann 1965, 119 sei die Prager Handschrift ins 9. Jh. zu
datieren. 155Die
Handschriften finden sich aufgelistet im Verfasserlexikon 542f. Das Glossar ist etwa im Codex Ms. Add. 18379 aus dem
13. Jahrhundert der British Library in London auf fol. 2r bis 149v enthalten. Weiters im Codex 905 der Stiftsbibliothek St. Gallen
aus dem 10. Jahrhundert auf fol. 1r-1070r, sowie in der Stiftsbibliothek Einsiedeln im Codex 293
aus dem 12. Jahrhundert auf fol. 1r-500v. 156Vgl.
Herrmann 1965, 119. 157Herrmann
1965, 119, Anm. 135. Hermann bezieht sich, was den Codex 905 aus St.
Gallen betrifft auf eine Mitteilung von Duft. Auf eine weitere Diskussion der in der Edition von
Steinmeyer/Sievers gebotenen Varianten winid/ winit/
wind/ wint in den Codices seit dem
12. Jahrhunderts wird hier verzichtet. Sicher wäre aber an den Handschriften zu untersuchen, wie vor dem
üblichen Gebrauch des Buchstabens w, der in aller Regel erst im 12. Jh. auftaucht, das Wort
geschrieben worden ist. 158Clm.
14429 fol. 202; Codex X A 11 Knihovna Národního Muzea fol. 359. Vgl.
Steinberger 1920, 122 159Nach:
Schafarschik 1844, 420f und Anm. 1. Die Anm. 1 auf Seite 421 wird im Wortlaut zitiert, da
für diese Arbeit kein anderes Material zum Prager Codex vorliegt. Der Text unterscheidet Fraktur
und Lateinschrift, hat aber sonst keine Anführungszeichen: |
56 |
Berücksichtigt man die Belege aus
Regensburg und St. Gallen, war die Verwendung des Vandalennamens für Wenden/Slawen Sprachgebrauch im neunten und zehnten Jahrhundert im südostdeutschen Raum. Im Codex X A
11 der Bibliothek des Prager Nationalmuseums wurde
wint mit
zlo uenin glossiert.160 Dieser Beleg wird unten mit der polnischen Historiographie des 13.
Jahrhunderts in Verbindung zu bringen sein. |
II.1.2. Wessobrunner Glossen (9.
Jh.) Im Codex des Wessobrunner Gebets finden sich neben verschiedenen theologischen Texten (z.B. De
inquisitione vel inventione sanctae crucis, fol. 1r-20v) und Bibelexzerpten auf fol. 77r - fol. 85r Worterklärungen, die nach
Materien geordnet sind und zumeist eine geistliche Ausdeutung bieten.161 Diese Worterklärungen werden in der Forschung als Wessobrunner Glossen
bezeichnet. Bischoff betont gegenüber Annahmen, der Codex sei aus verschiedenen
Teilen kombiniert worden, die Einheitlichkeit der Schrift des gesamten
Werks. Der Schreiber erlebte noch das Jahr 814, die Entstehungszeit sei also auf
das erste Viertel des neunten Jahrhunderts zu setzen.162 Auf fol. 61v des Clm. 22053 findet sich der Eintrag: "Pannonia sic nominatur illa terra meridie danobia. et uuandoli
habent hoc;" Auf fol. 62r setzen die Glossen dann fort mit: "Arnoricus. peigirolant. |
"Cod. Mus. Boh. p. 359. col. 3.
Wandali juxta Wandiculum (so die Handschriften, in Hankas Vocabul. S. 24 steht fälschlich wandalicum) amnem qui ab extremis
gallie erumpit inhabitasse et extraxisse nomen perhibentur. Unter dem Worte Wandali ist zwischen den
Linien zlowene geschrieben. Gleichermaßen fügte Wacerad S. 378. Col. 1 den Wörtern
Vandalus Vint zlovenin bei." 160Nach:
Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f. 161Steinmeyer
and Sievers 1893ff, IV, 575f, No. 458. Dort allerdings sind Glossen aus den beiden Codices Clm. 22053 und
Clm. 14689 vermengt, ohne die verschiedene Herkunft im Detail anzuzeigen. Vgl. dazu: Herrmann
1965, 118. Zum Codex des Wessobrunner Gebets: Bischoff 1974, , 18-21. 162Bischoff
1974, 20ff. |
57 |
Istrie. paigira. Ister. danobia. Sclauus et auarus. huni et uuinida. Palestina. iudeonolant. hoc est circa hierosolima. Uuandali huni. et citta. auh uuandoli."163
Die Forschung interpretierte seit Wackernagel die dritte Zeile auf
fol. 62r als Chiasmus und somit als Übersetzung von
Sclauus mit
winida und
auarus mit
huni. Dann folgt eine Übersetzung von huni mit Uuandali. Auch die citta, also die Skythen, werden im Folgenden mit
uuandoli übersetzt.164 Steinberger deutete die Übersetzung des Avarennamens mit Hunnen und
der Hunnen als Vandalen, die ihrerseits auf fol. 61v als Beherrscher
Pannoniens genannt werden, folgendermaßen. Hunnen oder Vandalen habe es in der Entstehungszeit der Glossen in
Pannonien keine mehr gegeben, und unter den Avaren/Hunnen die Magyaren zu
verstehen gehe nicht an, da eine solche Gleichsetzung weder inner- noch
außerhalb der Glossen vorkomme. Das gebe nun einen zeitlichen Anhaltspunkt für die Entstehung der Glossen eben vor der magyarischen Einwanderung in
Ungarn. Wenn die Glossen die Vandalen mit den Skythen gleichsetzten, sei dies
wenig hilfreich, da der Völkername der Skythen zu vieldeutig sei. Sicher
aber sei, daß der Wessobrunner Mönch Sclavus mit Winida und eben nicht
Winida mit
Wandalus übersetzte. "Hätte er auch die zwei letzteren Begriffe als
vertauschbar angesehen, so müßte in Anbetracht der verhältnismäßigen Häufigkeit, mit der er
die Bezeichnung 'Wandalen' in den Mund nimmt, unbedingt gefordert werden,
daß er das ausdrücklich gesagt hätte. Die Wessobrunner Exzerptsammlung
hat also aus der Reihe der Belege für die Gleichung Vandalen-Wenden
auszuscheiden."165 Steinberger denkt streng. Er argumentiert ausschließlich mit einer
dem Schreiber unterstellten Verwechslung. Die Quellenstelle ist sicher kein
direkter Beleg für die 163Nach
der Edition bei: Herrmann 1965, 117. Diese basiert auf Clm. 22053. Eine
ältere kommentierte Edition findet sich bei Wackernagel 1827, 74f. Letztere
weicht von der hier verwendeten in einigen Details ab, der verwendete Codex wird nicht
genannt. Die Schreibweise der Völkernamen ist ident. 164
Wackernagel 1827, 81; Steinberger 1920, 118; Herrmann 1965, 117-119. 165Steinberger
1920, 118f. |
58 |
Analogie Wenden-Vandalen, sie gibt
aber Einblick in den Entstehungsprozeß dieser Vorstellung, was auch Herrmann anspricht: "Wir sehen also den alten Volksnamen der Vandalen hier
übertragen auf die Awaren, und der Schritt zur Gleichsetzung mit den Slawen, also
Vandale gleich Wende, war dann nicht mehr weit. Die zitierten Wessobrunner Glossen
geben also Einblick in einen Vorgang, der längere Zeit unklar war."166 Wie der Vorgang weiter zu verstehen oder zu begründen sei, verschweigt
Herrmann dann aber. Jedenfalls zeigen die Glossen das Bemühen
süddeutscher Schreiber, die Identitäten Osteuropas in eine Terminologie
einzupassen. In den Glossen übernimmt man also den alten Vandalennamen und verwendet ihn
für die Awaren/Hunnen. Die Flexibilität beim Umgang mit Ethnonymen wird
somit trefflich illustriert. Die Gleichung Awaren = Hunnen = Skythen =
Vandalen ist hier dreifach wiederholt und völlig eindeutig. Was im neunten
Jahrhundert unklar bleibt, ist die Abgrenzung zwischen Hunnen und Slawen. Die
Einheit Awaren/Slawen überrascht nicht weiter. In verschiedenen
Annalenhandschriften läßt sich dieselbe Gleichsetzung finden. |
II.1.3. Annales Alamannici/
Murbacenses, Annales Sangallenses, Annales Petavienses, Annales Fuldenses
In den Einträgen zum letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts in den
alamannischen Annalen wird im Zusammenhang mit den Kriegszügen Karls
des Großen immer wieder der Vandalenname (Wandali,
Wandalia ) verwendet. Die Annales Petavienses, Fuldenses und Lauricenses dagegen verwenden
für dieselben Jahre und Kriegszüge entweder
Awari, Awaria , oder
Huni, Hunia . Die auf den alamannischen Annalen fußenden Annalen von St. Gallen
vermerken zu 795, daß nach einem Feldzug Karls "Wandali conquisiti
sunt". In den Fuldaer Annalen liest man zu 791, daß der Kriegszug
in Avaros geführt worden sei. In
den Annales Petavienses liest sich der Eintragung folgendermaßen:
"Hoc anno dominus rex Karolus commoto magno exercitu perrexit in Hunia, ibique
habuit |
166Herrmann 1965, 118. |
59 |
conflictum magnum cum Hunis, et
vastavit Hunia plaga magna usque flumen Rofa, cum praeda magna, Deo protegente, victor revertit in
Franciam."167 In einer Eintragung zu 790 in der Continuatio der alemannischen
Annalen des Klosters Murbach wird der Kriegszug Karls des Großen gegen die Awaren
erwähnt: "Karolus rex, commoto exercitu magno Francorum et
Saxorum atque Sclavorum, perrexit in regionem Wandalorum, terram devastavit, et cum
praeda reversus est in pace."168 795 berichten die Annalen, daß "Wandali conquisiti sunt"
und daraufhin Rotanus, der dux de Pannonia, nach Aachen zurückkehren konnte. Das ist wortgleich
mit den Annalen von St. Gallen, da letztere ja von den alamannischen
abhängen.169 Desgleichen begegnet der Vandalenname in einem Eintrag zu 797:
"(...) Ericus victoriam in Wandalos; Pippinus super Sclavos."170 In der alamannischen Annalengruppe sowie in den Niederaltaicher
Annalen werden die Awaren im Kontext der Feldzüge Karls des Großen mit
Wandali benannt. Die Niederaltaicher Annalen sind Anfang des 11. Jahrhunderts
entstanden. Der Zeitraum von 708 bis 1032 wurde dabei unter
Verwendung der alamannischen, Hersfelder und Hildesheimer Annalen kompiliert. Die reichsgeschichtlichen Aufzeichnungen der Niederaltaicher Annalen
decken insgesamt den Zeitraum von 708 bis 1073 ab und sind in einer vom
bairischen Humanisten Aventinus angefertigten Abschrift von 1517 erhalten.171 Andere bairische Annalen aus den Zentren Regensburg und Salzburg
kennen die Bezeichnung Wandali gar nicht. Sämtliche Codices der alamannischen Annalengruppe gehen, was die Neunzigerjahre des achten Jahrhunderts
betrifft, auf die Annalen des Klosters Murbach im Elsaß zurück. Letztere selbst
sind aber verloren. Nach Lendi wurden 799 auf der Reichenau die alamannischen
Annalen |
167Annales Sangallenses Maiores ad. a. 795/ Annales Fuldenses/ Annales
Petaviani ad. a. 791, ed. Pertz, MGH SS 1, p. 75; 95; 17. 168Annales
Alamannici, ed. Pertz, MGH SS 1, p. 47. 169Mit
Rotanus ist
Tudun gemeint, eine Ungenauigkeit
des Murbacher Chronisten. Vgl.: Pohl 1987, 48. 170
Annales Alamannici, ed. Pertz, MGH SS 1, p. 47f; Vgl.: Reisinger und Sowa 1990, 53; Herrmann 1965, 70.
171LMA I,
s.v. Annales Altahenses (Altaicher Annalen), 662. |
60 |
aus den Murbacher Annalen hergestellt.
Dem Kopisten war die Gleichsetzung von Vandali und Avari im Eintrag zu 790 unklar, und er schrieb für 791
dasselbe Ereignis nochmals als Hunnenzug nieder.172 An der Ähnlichkeit der Formulierungen allein ist die textliche Nähe
der verschiedenen Annalentraditionen ersichtlich. Wie schon an den
Wessobrunner Glossen gezeigt werden konnte, ist für einige Chronisten Hunne, Aware
und Vandale austauschbar. Der Vandalenname erscheint also ein weiteres
Mal als Ethnonym für neue oder junge Gruppen im Osten des eigenen Lebensraums
und wird nicht sehr präzise und vor allem nicht durchgängig verwendet. |
II.1.4. Rupertsvita (791/93) In einer Fassung des 15. Jahrhunderts, der in ihren älteren Fassungen
im achten Jahrhundert geschriebenen Gesta des heiligen Rupert, erscheint der Vandalenname als Bezeichnung für die Slawen in der Tauernregion. Nach
Wolfram sind die Gesta Hrodberti nach 793 entstanden.173 Die hier zitierte Stelle stammt aus dem Wiener Codex 9363 und erscheint nur in diesem.
Aufgrund des Textbezugs wird die Stelle trotzdem hier behandelt.174 Auf die
schwierige Frage der Datierung dieses Texts wird unten eingegangen. Zuerst sei die
Stelle, die den Vandalennamen enthält, zitiert. "Pertransiens [Hrodbertus] vero omnem Alpiarum regionem, tandem
ad Carentanorum regem pervenit, cuius rogatu regnum illud convertens,
Christi 172Pohl
1987, 47f; Lendi 1971, 84. 173Wolfram
1995, 228. 174W.
Levison, MGH SS rer. Merov. 6, 156. "Quartam Vitam Hrodberti (...) Iohannes Gielemans canonicus
Rubeaevallensis (+1487) Hagiologio Brabantinorum inseruit, prologo ut solebat praemisso (...); quae extat
in codice auctoris ipsius, nunc Vindobonensi bibliothecae imperialis privatae n. 9363 vol. I,
fol. 245v - 247. Vita duabus partibus constat omnino diversis, e quibus prior ad verbum fere e Vita
prima descripta est, adhibitio codice generis 2; textum admodum depravatum esse in libro
saeculo XV. exarato non mirum est. Interpolationes intrusae sunt duae, et brevis de Theodone
duce a Hrodberto baptizato, id quod inde ab aevo Brevium Notitiarum pro certo acceptum erat, et
prolixta de Carantanis et Wandalis (i.e. Sclavis) a sancto conversis ecclesiisque et monasteriis
multis apud eos constructis. (...)" |
61 |
baptismate purgavit, transcensoque
monte altissimo Mons Durus appellato, praedicavit Wandalis."175 Die Gesta Hrodberti und das erste Kapitel der
Conversio Bagoariorum et Carantanorum stellen die beiden ältesten Fassungen einer
verlorenen Vita Ruperti dar. Vom Editor der Gesta Wilhelm Levison stammt die Bezeichnung A
für die Gesta und B für das erste Kapitel der
Conversio Bagoariorum et Carantanorum
.176 Die ältere Fassung der Rupertsvita (A) ist zeitlich zwischen den
beiden Güterverzeichnissen Notitia
Arnonis (788/90) und
Breves Notitiae (nach 798) einzuordnen. "Diese beiden Güterverzeichnisse sind
unterschiedlich voneinander abhängige Bearbeitungen derjenigen reichen Urkundenschätze Salzburgs,
die mit Ruperts Wirken beginnen und im großen und ganzen mit dem Sturz
Tassilos III. im Jahr 788 enden." Ihr Zweck war es, den Salzburger Besitz auch
vor der fränkischen Herrschaft zu sichern und zu rechtfertigen. Die
Notitiae wurden zur Grundlage für die Bestätigung der Schenkungen an Salzburg durch Karl
den Großen im Jahr 790 und sind somit relativ gut datierbar.
Entstehungszeit und - grund der Breves Notitiae sind nicht mit derselben Sicherheit anzugeben. Wahrscheinlich steht diese Niederschrift aber in Zusammenhang mit der
Erhebung Salzburgs zum Erzbistum im Jahr 798.177 Als hagiographische Quelle sind die Gesta
sancti Hrodberti confessoris reich
an Entlehnungen von Motiven aus ähnlicher Literatur, die die Beziehungen
Baierns zum Langobardenreich und zu Rom ohne eine fränkische Vermittlung
betonen. Bei den Gesta handelt es sich aber schon um eine erweiterte Fassung
einer älteren Rupertsvita. Obwohl der Autor es wohl besser wußte, nennt er den Ort
des Todes des heiligen Rupert nicht. Auch die Tatsache, daß der Gründerheilige
nicht am Ort des zur Zeit der Abfassung relevanten politischen Gebildes
gestorben ist, hätte die Salzburger Position schwächen können. 178
Festzuhalten bleibt der wahrscheinliche Entstehungszeitraum vor 800 für diese Verwendung des Vandalennamens.179 |
175Gesta sancti Hrodberti confessoris, ed. W. Levison, MGH SS rer. Merov.
6, 159. 176Losek
1997, 21f. 177Wolfram
1979, 25. 178Wolfram
1995, 243; Wolfram 1979, 25f; Losek 1997, 21ff. 179Wolfram
1995, 227ff. |
62 |
II.1.5. Chronicon Vedastinum
(10.Jh.) Es handelt sich beim Chronicon
Vedastinum um einen Teil einer
weltgeschichtliche Kompilation, die bis 899 reicht und in der verschiedene neuere
Nachrichten nachgetragen wurden. Gedient hat die Chronik als Unterbau für die
Annales Vedastinum des Klosters St. Vaast d'Arras am Pas-de-Calais.
Entstanden dürfte die Chronik am Ende des zehnten Jahrhunderts sein. Schramm entdeckte, daß
der Krönungsordo, der grundlegend für die französischen Krönungsordnungen
war, ebenfalls aus St. Vaast stammte und in die Zeit des Abtes Fulrad
fällt. Dieser Fulrad dürfte auch die Anlage des Chronicon Vedastinum angeordnet
haben. Die Chronik enthält unter anderem Informationen aus Sallust und
Pomponius Mela. Wichtig ist für die hier relevanten Fragen die Benutzung der
Historia Brittonum. Diese wurde als Hauptquelle für die Geschichte
zwischen der Erschaffung der Welt und der Zeit Julius Caesars verwendet.180 Im Rahmen der Schilderung von Ereignissen des fünften Jahrhunderts
wird von den Vandalen erzählt, die Rom eroberten und in Gallien einfielen.
Etwas später findet sich die Bemerkung über diese Vandalen, daß sie heutzutage
Guénedos, also Wenden, genannt würden. "(...) Vandalos, quos nunc appellant
Guénedos."181 Bemerkenswert ist die textliche Nähe der Auszüge aus der
Historia Brittonum. und der selbstverständlichen Feststellung, daß die Vandanlen
nunc Wenden hießen. |
II.1.6. Adam von Bremen, Die
Verwendung des Vandalennamens in den "Gesta Hammaburgensis
ecclesiae pontificum" (11.Jh.) Der Bremer Domkanoniker Adam schrieb eine Geschichte des Bremer Bischofssitzes. Diese Gesta
Hammaburgensis ecclesiae pontificum
widmete er Erzbischof Liemar von Bremen. In dieser seit 1075 /76 entstandenen
Schrift werden die Völker mit ihrer Geschichte wie die Länder und Sprachen
des |
180Wattenbach-Holtzmann 1, 120 und Anm. 128; Repertorium Fontium III,
466. 181
Chronicon Vedastinum, ed. G. Waitz, MGH SS 13, p. 680. |
63 |
nördlichen und östlichen Europa
dargestellt. Die Perspektive ist als auf das tatsächliche oder potentielle Bremer Missionsgebiet gerichtet zu
verstehen. Einige Handschriften der Gesta beinhalten Ergänzungen der ursprünglichen Textfassung, sogenannte Scholien. Bei diesen Scholien handelt es sich
um Berichtigungen, Erläuterungen, Belege, Exkurse und Ergänzungen zum ursprünglichen Werk. Sie werden, sofern sie allen Handschriften
gemeinsam sind, einer zweiten Redaktion Adams in den achtziger Jahren des 11.
Jahrhunderts zugeschrieben. Adam verwertete eine Vielzahl von Quellen.
Verschiedene antike Autoren und Kirchenväter wurden für die geographischen und
ethnographischen Angaben herangezogen. Das Werk enthält auch Material aus teilweise
verlorenen Viten und Annalen, Chroniken, Urkunden und Briefen. Mündliche
Traditionen und Berichte sind vor allem im dritten und vierten Buch herangezogen
worden.182 Einige Vorstellungen Adams von Völkern und Sprachen sollen hier
angerissen werden, bevor die Nennung des Vandalennamens diskutiert wird. Die Verwandschaft der slawischen Sprachen ist in den
Gesta ebenso eine Kategorie wie die Forderung nach Mission in der jeweiligen Landessprache. Genannt
wird etwa der Abodritenfürst Gottschalk, der die Predigten der Priester
für sein Volk ins Slawische übersetzt haben soll.183 Die Sachsen sollen in der Darstellung Adams wie bei Rudolf von Fulda
aus Britannien gekommen sein.184 Im Scholion 134 werden die Goten mit den Geten gleichgesetzt: "Gothi a Romanis vocantur Getae." Eine
Stelle aus Vergils Georgica wird als Quelle dieser Gleichsetzung angeführt. Dort meinte Vergil
aber die Skythen. Die Gleichsetzung von Geten und Goten ist von Hieronymus bis
Isidor von Sevilla häufig vorgenommen worden.185 |
182LMA I, s.v. Adam v. Bremen, 107; Repertorium Fontium II, 116f;
Wattenbach-Holtzmann 2, 566- 571; Trillmich, AusgQqMA 11, 142ff. 183Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, III, 72. Die Geschichte von Gottschalk in III, 20. 184Die
Sachsen wandern aus Britannien ein: Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I,
4. 185Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, Scholion 134; Vergil, Georgica III, 461ff; Trillmich, AusgQqMA 11, 464f und Anm. P 1; Wolfram 2001, 40. |
64 |
Adam identifizierte aber auch die
schwedischen Goten mit den Völkern Magog aus Ezechiel 39, 6. Diese Identifikation Adams in den
Gesta versteht sich als Ausdeutung einer Passage in der Vita
Anskarii aus dem neunten
Jahrhundert. Rimbert schrieb um 870 in seiner Vita des Ansgar/Anskarius, dem
ersten Missionar Schwedens, dieser habe in einer Vision den himmlischen
Auftrag erhalten, das Wort Gottes in die äußersten Winkel der Erde zu tragen.
Die Vision basiert auf einer Textstelle aus Jesaja 49, die den Aufruf
beinhaltet: "Audite insulae et attendite populi de longe! (...) Dedi te in lucem gentium, ut sis
illis in salutem." Aus der Interpretation dieser Bibelstelle zieht Ansgar den Schluß,
seine Bestimmung sei es, Schweden, das ja in der Vorstellung der Zeit vor
allem aus Inseln bestand, zu missionieren.186
Bei Adam findet sich die Ausdeutung der Vision Rimberts
folgendermaßen: "Et nisi fallit opinio, prophetia Ezechiel de Gog et Magog (...) hic
implet videtur: Et mittam
(...) ignem in Magog et in his, qui habitant in insulis confidenter. Aliqui haec et talia de Gothis, qui Romam ceperant, dicta arbitrantur. Nos vero,
considerantes Gothorum populos in Sueonia regnantes omnemque hanc regionem passim
in insulas dispertitam esse, prophetiam opinamur eis posse
accomodari."187 Adam differenziert zwischen den historischen und den 'schwedischen'
Goten. Daß es sich dabei in seiner Vorstellung ursprünglich um dasselbe Volk
handelt, scheint für ihn gar nicht weiter erwähnenswert. Die Länder des Nordens wurden
in der Antike als Inseln betrachtet und im 9. bis 11. Jahrhundert auf dieser
Basis von Rimbert und Adam in Verbindung mit den zitierten Prophezeiungen des
Alten Testaments gebracht. Die Identifizierung der 'schwedischen' Goten mit
den Völkern Magog bei Adam steht nach Borst in einer Beziehung zu den Vorstellungen Isidors von Sevilla, der zuerst die spanischen Goten
damit gemeint hatte.188 |
186Rimbert, Vita Anskarii, 25; Vgl. See 1999, , 67f; Svennung 1967 a, 69.
187Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 26. Das Bibelzitat Ezechiel 39, 6 ist hier kursiv
gesetzt. 188Borst
1957-1963, II/1, 614f. Bei der Schilderung von Birka, eines
oppidum Gothorum, zählt Adam
verschiedene Völker auf, die sich dort zum Handel zusammenfinden. Borst
interpretiert die Stelle als Gleichsetzung der Schweden mit den Skythen, was nicht nachvollziehbar
ist. |
65 |
In der 1075 /76 entstandenen Schrift
des Adam von Bremen, erscheint der Vandalenname nun als alter Name der Slawen, die jetzt
Winuli genannt würden. Am Beginn des Kapitels 21 des zweiten Buchs, das zur Erklärung der
Geschichte der Slawen dienen soll, begegnet erstmals diese Gleichsetzung. "Sclavania igitur, amplissima Germaniae provintia, a Winulis
incolitur, qui olim dicti sunt Wandali."189 Es folgt eine Beschreibung der Sclavania und eine Aufzählung der slawischen Stämme. Diese werden im folgenden konsequent als
populi Sclavorum bezeichnet. Eine Erklärung der verschiedenen Bezeichnungen hält Adam nicht für
nötig. Sclavinia/Sclavania ist ein ursprünglich aus dem griechischen Ethnonym
Sklabhno€ gebildetes substantiviertes Adjektiv. Es bezeichnete die autonomen
und in Stammesgruppen organisierten slawischen Gemeinschaften innerhalb und außerhalb des ehemals römischen bzw. des byzantinischen
Reichsgebiets, welche von den byzantinischen Kaisern oder den westlichen Kaisern anerkannt
oder toleriert wurden. Weiters konnte der Begriff seit Konstantinos
Porphyrogenetos auch nur räumlich verwendet werden und einfach von Slawen bewohnte Landschaften meinen. In der lateinischen Literatur findet sich die
Bezeichnung relativ früh in der Conversio
Bagoariorum et Carantanorum.190 Im dritten Kapitel des ersten Buchs seines Geschichtswerks zählt Adam
bei der Darstellung der frühen Geschichte Sachsens die verschiedenen Völker
auf, die dort ihre Wohnsitze hatten. An der Elbe und
in reliqua Germania leben die
Swevi und ihre Nachbarn sind Driade, Bardi, Sicambri, Huni, Wandali, Sarmatae, Longobardi, Heruli, Dacae, Marcomanni, Gothi, Nordmanni et Sclavi.191 |
"Ad quam stationem, quia
tutissima est in maritimis Suevoniae regionibus, solent omnes Danorum vel Nortmannorum itemque Sclavorum ac Semborum naves aliique Scithiae
populi pro diversis commerciorum necessitatibus sollempniter convenire." Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 60. 189Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 21. 190LMA
VII, s.v. Sklavinien, 1988; ODB III, 1910f. Conversio Bagoariorum et Carantanorum, 7. 191 Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 3. |
66 |
In diesem Teil seines Werks hält Adam,
Wandali und
Sclavi auseinander und führt sie als getrennte Gruppen an. Adam beruft sich auf
Romani scriptores als Quellen für diese Völkerreihe. Der Editor Trillmich bemerkt, daß die
Anführung von Druiden und Barden (Driade, Bardi) ein Irrtum sei, der aus Lukan stamme, die Herkunft der folgenden Völkerreihe aber nicht zu klären sei.192 Adams Bezeichnung Winuli für die Slawen erklärt Trillmich als eine Verwechslung des alten Langobardennamens
Vinili und den
Vandali aus Paulus Diaconus mit Vinidi für Wenden/Slawen. Die Vandalen waren von den Langobarden in dieser Erzählung besiegt worden.193 Warum sollte Adam eine solche Mixtur aber vornehmen? In der Erzählung
des Paulus Diaconus werden Winiler und Vandalen in keiner Weise vermengt.
Es bleibt zu untersuchen, welche Wege diese Stelle aus Paulus Diaconus
und der in ihr erwähnte Winilername genommen haben. Nach dem auch von Helmold von Bosau fast hundert Jahre später übernommenem Einleitungsatz "Sclavania igitur, amplissima
Germaniae provintia, a Winulis incolitur, qui olim dicti sunt Wandali",
beschreibt Adam noch die Ausmaße und Völker dieser Provinz der
Germania. Sie sei zehnmal so groß
wie Sachsen und erstrecke sich von der Elbe bis ans Skythenmeer. Vom
Hamburger Episkopat an seiner Grenze reiche die
Sclavania bis nach Baiern, Ungarn
und ins Reich der Byzantiner.194 Adam zählt Böhmen und Polen noch weiter unkommentiert zur
Sclavinia und trennt nicht zwischen den Slawen und den Wenden, wie Helmold das
schon tun wird.Aufgezählt und näher beschrieben werden aber dann doch nur die elbslawischen Stämme. Den Sachsen benachbart seien die Wagrier mit der
civitas Aldinburg, also Oldenburg. Dann folgen die Obodriten, die auch Rereger genannt werden
mit ihrem Hauptort, der civitas, Mecklenburg. Ihre Nachbarn seien die Polaben, 192 Trillmich,
AusgQqMA 11, 1961, 249. 193 Paulus
Diaconus, 1, 7-9. Trillmich, AusgQqMA 11, 1961, 251, Anm. 70: "Winiler=Langobarden (Paulus Diaconus). - Winiler und Wandalen
sind mit Vinidi=Wenden verwechselt." 194Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 21. |
67 |
Linonen und Warnaben. Ihnen benachbart
sollen nach Osten hin die Kessiner und Circipanen leben, die durch die Peene von den Tholosanten und
Redariern getrennt seien. Hier nun sei die Grenze des Hamburger Kirchenbezirks
(parrochia) erreicht.195 Zwischen Elbe und Oder gebe es dann noch andere Slawenstämme wie die Heveller, Dossaner, Lebuser, Wilinen, Stoderanen und andere. Die
Redarier und ihre civitas, die ein Hort der
ydolatria sei, beschreibt Adam
ausführlich. Das Götzenbild des obersten Gottes Radegast sei aus purem Gold, gebettet
auf purpurne Polster. Die civitas habe neun Tore und sei von einem See umgeben. Über einen Knüppeldamm (pons ligneus) könne man diese Kultstätte erreichen, das sei aber nur jenen gestattet, die opfern wollen oder Weissagungen
erbitten. Hinter den Liutizen, die auch Wilzen genannt werden, liege die Oder,
der größte Fluß der Sclavinia. Dann findet sich die ausführliche Erzählung von
Jumne, der prächtigen Stadt an der Mündung der Oder. Helmold wird dasselbe vom sagenhaften Vineta berichten.196 Adam gibt Entfernungen relativ ausführlich an. Die Distanzen zwischen Hamburg und Jumne und von Jumne nach Novgorod werden zum Beispiel genannt. Die Beschreibung des Laufs von Elbe und
Oder beschließen den kurzen Bericht Adams von den slawischen Ländern.197 Helmold von Bosau übernahm den Bericht Adams teilweise wörtlich. Nur
ist Helmolds Beschreibung im ganzen ausführlicher. |
II.1.7. Helmold von Bosau,
Chronica Slavorum (Mitte 12. Jh.) Helmold von Bosau (1120 - 1177) trat 1134 in das von Bischof Vizelin
im Zuge der Missionsbestrebungen Lothars III. gegründete
Augustiner-Chorherrenstift Segeberg ein, dessen Konvent nach dem Angriff des Abodritenfürsten
Pribislaw nach Neumünster zurückverlegt worden war. Seit 1156 war Helmold
Pfarrer in Bosau, einem Missionsstützpunkt Bischof Vizelins. |
195Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 21. 196Trillmich,
AusgQqMA 11, 1961, 253 und Anm. 85: Jumne identifiziert Trillmich mit dem
slawisch-wikingischen Handelsplatz Wollin. 197Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 22. |
68 |
Die nach 1163 geschriebene Chronik ist
in ihrer Tendenz prosächsisch und antibremisch. Mit der Zeit Karls des Großen setzt die
Chronica Slavorum ein. Die Widmung an die "patres Lubicenses ecclesiae" sollte das
Lübecker Domkapitel in die ottonisch-sächsische Tradition einbinden. Im Mittelpunkt der Chronik stehen geographisch gesehen Ostholstein, Mecklenburg, Brandenburg, Pommern und Skandinavien. Der
Reichsgeschichte wird dann breiterer Raum gewidmet, wenn sie in Beziehung zur Mission
der Slawen steht. Herrschaftsbildung, Siedlung und Mission sind die
Angelpunkte, um die sich die Darstellung dreht. Nach der Eroberung von Rügen 1168, also einem dänischen und damit christlichen Erfolg, fügte Helmold ein zweites Buch ein, das mit dem
Ehevertrag zwischen Dänen und Welfen eine Friedenszeit ankündigen will. Im
ersten Buch waren die heidnisch-slawischen Bewohner Rügens, die
Ranii, als letzte und stärkste heidnische Gruppe beschrieben worden. Mit ihrer Unterwerfung
unter eine christliche Herrschaft soll nun eine neue Epoche beginnen. Als Quelle für den ersten Teil der Chronik bis 1066 ist vor allem
Adam von Bremen zu nennen. Die Viten der Missionare Ansgar und Willehald
wurden von Helmhold ebenfalls verwendet. Die norddeutsche Historiographie des
späteren Mittelalters hat Helmold rezipiert.198 Helmold übernimmt die folgende Passage über den alten Namen der
Wenden - wie die meisten anderen Informationen über die Slawen zwischen Saale,
Oder und Ostsee - direkt aus Adam von Bremen. Er will, "de Slavorum
provinciis, natura, moribus, hystorico prelibare compendio". Diese
Abhandlung soll vorgelegt werden, um zu zeigen, in welchen gefährlichen religiösen
Irrtümern die Slawen gelebt hatten und teilweise auch noch in der Zeit der
Abfassung der Chronik leben.199 Die Wenden bestehen aus "multi populi", erklärt Helmold
weiter. Diese populi wohnen entlang der Ostsee, und, wie Adam von Bremen, zählt auch
Helmold die Ungarn zu den Slawen. Außer den Pruzo/Preußen sind alle Christen. Nach |
198LMA IV, s.v. Helmold v. Bosau, 2124f; Repertorium Fontium V, 460ff;
Verfasserlexikon III, 976ff; Wattenbach-Schmale I, 427ff; H. Stoob, AusgQqMA 16,
p. 2-22. 199Helmold
von Bosau, Chronica Slavorum, 1: ed. H. Stoob, AusgQqMA 16, p. 34. |
69 |
diesem kurzen Überblick über Russen,
Böhmen, Ungarn, Charinthi und zuletzt Polen folgt die Erwähnung der Vandalen.200 "Ubi igitur Polonia finem facit, pervenitur ad amplissimam
Slavorum provinciam, eorum qui antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli
appellantur."201 Dort wo Polen endet leben die Winithi oder Winuli, also die Wenden, die früher Vandalen geheißen haben. Der Wendenname ist also auf die
elbslawischen Stämme beschränkt. Helmold beginnt seine Aufzählung der
Winuli/Winithi dann mit den
Pommern, deren Gebiet sich bis zur Oder erstrecke. Dieser große Strom
entspringe im Gebiet der Mährer, wo auch die Elbe ihren Ausgang nehme. Letztere fließe
dann nach Westen und bewässere die Gebiete der Böhmen und Sorben. Der
Mittellauf der Elbe trenne Sachsen und Slawen.202
Die Oder dagegen fließe nordwärts "per medios Winulorum
populos" und scheide die Pommern von den Wilzen. An der Mündung der Oder ins balthische
Meer habe die "barbaris et Grecis" wohlbekannte, sagenhafte
Stadt Vineta gelegen. Mit Greci sind Byzantiner gemeint. Vineta soll von Slawen,
Griechen und Barbaren bewohnt gewesen sein, Sachsen haben dort aber Handel getrieben. Adam
erzählte von Jumne dasselbe wie Helmold von Vineta.203 Zwischen Oder und Elbe wohnen dann noch andere Slawenstämme. Die
Heruli vel Heveldi, die Leubuzi und die Wilini wie die Stoderani. Hinter dem ruhigen Lauf der Oder liegt dann nach den verschiedenen Völkern der Pommern vom
Westufer an das Gebiet der Winuli, die Tollenser oder Redarier genannt werden.
"Post Odorae igitur lenem meatum et varios Pomeranorum populos ad occidentalem
plagam occurit Winulorum provincia, eorum qui Tholenzi sive Redarii
dicuntur."204 Die Tempelburg dieser Völker wird ausführlicher beschrieben. Die
Teilstämme des Liutizenbundes seien Kessiner und Zirzipanen dieseits der Peene
und Tollenser und Redarier jenseits dieses Flußes. Auf diese folgen die
Linguonen und |
200Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 1, p. 34. 201Helmold
von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38. 202Helmold
von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 39. 203Adam,
Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 22. 204Helmold
von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38. |
70 |
Warnaven, denen die Obotriten mit der
civitas Mecklenburg benachbart
seien. Die Polaben mit der civitas Ratzeburg leben weiter östlich. Slawische Inselbewohner seien die Rani, oder Rugii, ein tapferer Slawenstamm, der als einziger einen König (rex) habe. "Hi igitur sunt Winulorum populi
diffusi per regiones et provincias et insulas maris." Dieses ganze
genus hominum ist dem Götzendienst verfallen.205 Die Perspektive Helmolds ist die der Mission. Es geht vor allem um
eine Benennung der noch nicht christianisierten slawischen Bevölkerung.
Daß die Ziele dieser Mission politisch sehr relevant waren, muß nicht eigens betont
werden. Adam von Bremen und Helmold von Bosau bieten dieselbe Formel: Die
Wenden haben früher Vandalen geheißen. Die Allgemeinbezeichnung Slawen trat
in den Quellen des 12. Jahrhunderts meist hinter die spezifischeren
Benennungen wie Polen oder Böhmen zurück. Diese Namen wurden aber nur für die
Bewohner von christlichen Königreichen verwendet. Die Autoren der Annalen und
Chroniken hatten ein streng gefügtes Modell, wie ein Staat auszusehen habe.
Katholische Religion und ein damit verbundenes monarchisches Modell mit Adel und
König, Klöstern, Bischöfen und so fort waren die Elemente dieses Systems.
War das Modell nicht mit den weiter westlich gelegenen christlichen
politischen Gebilden analog, handelte es sich in den Augen der über den slawischen Osten Schreibenden eben um keinen Staat. Die Bezeichnungen Slavi und Sclavinia wurden nun meist nur noch für die Slawen zwischen Elbe und Ostsee verwendet. Auch die deutsche
Fremdbezeichnung Wenden wurde auf die Bewohner dieses Raums eingeschränkt. "Eine unpolitische Bezeichnung der Völkerschaften hat sich in
diesem Gebiet nicht durchgesetzt, und schon die Namengebung reflektiert somit den
tatsächlichen Verlauf der Geschehnisse. Bei der nur unvollständigen
Territorialisierung der Herrschaftsbeziehungen haben sich gentilizisch
geprägte Beziehungen weitgehend erhalten und die Vorstellungen wohl auch weiterhin
beherrscht."206 Helmolds Wortgebrauch ist also in die allgemeine Entwicklung des 12. Jahrhunderts gut einordenbar. Der alte Wendenname erfährt eine
Beschränkung |
205Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38. 206Graus
1980, 74. |
71 |
auf die Slawen zwischen Saale, Oder
und Ostsee. Die Verbindung dieses Wendennamens mit dem der Vandalen wird sozusagen mitgenommen. Den Autoren dürfte der Prozeß dieser Reduzierung kaum bewußt gewesen
sein. |
II.1.8. Vita sanctorum Marini et
Anniani (Anfang 12. Jh.) Die Vita sanctorum Marini et Anniani stammt aus dem oberbairischen Benediktinerkloster Rott am Inn und ist in zwei Münchner Codices
überliefert.207 Der ältere Codex aus dem 12. Jahrhundert wurde zwar in Tegernsee
geschrieben, die Vita wird von Holder-Egger aber an den Anfang des 12.
Jahrhunderts datiert und klar dem Kloster Rott zugewiesen. Die Zuweisung ist aufgrund der Stifternachrichten möglich. Pfalzgraf Kuno und sein Vater Poppo, die
das Kloster Rott 1081 stifteten, werden in der Vita erwähnt. Aufgrund dieser
Erwähnung und einiger Details in der Papierhandschrift aus Rott, sowie dem
Vergleich mit der Tegernseer Handschrift, kann Holder-Egger überzeugend eine ältere
Rotter Vorlage um 1100 rekonstruieren.208
Das hier zitierte Stück ist nur in der Rotter Papierhandschrift des
15. Jahrhunderts enthalten. Die Vandalen erscheinen auch in der Variante der
Tegernseer Handschrift. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Überlegungen
Holder- Eggers wird es als Beleg des beginnenden 12. Jahrhunderts behandelt.
Holder- Egger bezeichnete die Nennung der
UUandali als "lächerlichen
Anachronismus", der für die Erzählfreude des Verfassers spreche.209 Mit den
hier angewandten Fragen könnte die Gleichung Vandalen = Wenden aber Holder-Eggers Überlegungen sogar verifizieren. Die Vita erzählt vom Priester Marinus und dem Diakon Annianus, die
zur Zeit Pippins und Karlmanns als Einsiedler in den bairischen Alpen lebten.
Dann finden sich zwei Varianten. Die Tegernseer Handschrift bringt
folgendes. Heidnische Vandalen drangen in ihr Tal ein und verbrannten den
Marinus, den 207Hss.:
Clm. 18625, fol. 68r-71v aus Tegernsee 12. Jh.; Clm. 15608, fol. 4r-8v Papierhs. aus Rott 15. Jh. Wesentliche Teile ed. und die Handschriften beschrieben bei
Holder-Egger 1889, 22-28. 208Holder-Egger
1889, 23; Vgl. auch Wattenbach-Schmale I, 261 und Steinberger 1913, 117f;
Sepp 1913, 733; Steinberger 1914, 113. 209Holder-Egger
1889, 25. |
72 |
sie beim Gottesdienst in seiner Zelle
finden, nach vielen Martern. Die Rotter Papierhandschrift des 15. Jahrhunderts kennt die im folgenden
zitierte Variante: "Tempore Leoncii imperatoris contigit, quod gens nefandissima
UUandalorum de Italia fugientes et nescientes viam, et venerunt per viam per
cisalpinos montes, et illum virum sanctum, cum errando per montes ibant, invenerunt,
precipientes ei, ut illis dux itineris esset."210 Weil sich Marinus weigert, den wilden Vandalen den Weg zu zeigen, wird er gemartert. Die beiden Handschriften enthalten noch weitere Vandalennennungen. So
wird etwa die "crudelissima gens uuandalorum" genannt. In der
Rotter Papierhandschrift findet sich nach Sepp eine Glosse mit dem Inhalt
"uulgariter winden" nach dieser Stelle. Und noch zwei weitere Male erscheint
der Vandalenname in der Vita. "Quod et factum est, nam cum wandali
terram nostram vastaturi eo tempore intrarent (...)./"Tortoribus ergo
vandalicis sine mora per fugam amotis ex eorum relatione (...)."211 Erstens bezeugt der Vandalenname in diesem Text die Verbreitung und Verwendung des Ethnonyms für Slawen im 12. Jahrhundert. Daß das in
einem Text der Fall ist, der einen Bezug zur Karolingerzeit hat, ist
festzuhalten. In diesem Fall könnte es sich um eine Tradition handeln, die von Auseinandersetzungen mit slawischen Plünderern im bairischen Gebiet berichtete. Die Erzählung wäre stimmig. Das Motiv von verirrten
slawischen Kriegern in den Alpen in karolingischer Zeit könnte durchaus im 12.
Jahrhundert den Hintergrund für eine Märtyrerlegende abgegeben haben. Die von
Sepp erwähnte Glosse ist ebenfalls ein guter Beleg für die hier zu
entwickelnde These. Der Glossator fühlte sich bemüßigt, die Identität dieser Vandalen
noch einmal zu erklären. Im 15. Jahrhundert war die Gleichung Wenden = Vandalen also
nicht mehr selbstverständlich, aber durchaus erklärbar und nicht weiter
kompliziert. |
II.1.9. Gottfried von Viterbo (12.
Jh.) |
210Nach: Holder-Egger 1889, 22 und Reisinger und Sowa 1990, 170. Bei Reisinger und Sowa 1990, 170 werden die
Handschriften nicht auseinandergehalten. Vita SS. Marini et Anniani, ed. B. Sepp 1892, 6. 211Vita
SS. Marini et Anniani, ed. B. Sepp 1892, p. 12; 20f; 27. |
73 |
Gottfried (ca. 1125 - zwischen 1192
und 1200) war kaiserlicher Notar und Hofkapellan. Bereits unter Konrad III. ist er nach eigenen Angaben
Mitglied der Hofkapelle und wird unter Friedrich I. Notar. Auch für Heinrich VI.
ist er noch tätig. Einige seiner historiographischen Werke erreichen in ihrer
Darstellung die Regierungszeit Heinrichs. Die diplomatische Forschung konnte
Gottfried von Viterbo in den Barbarossadiplomen als Arnold IIC klassifizieren.212 Sein Pantheon stellt den Anspruch einer Weltgeschichte und reicht
von der Schöpfung bis Kaiser Heinrich VI. Die
Memoria seculorum (in zweiter Überarbeitung Liber universalis betitelt) liegt in verschiedenen Überarbeitungsstufen vor. Die Memoria setzt sich aus einem poetischen und einem Prosateil zusammen. Der poetische Teil umfaßt in 14
particulae die Heils- und Profangeschichte bis Friedrich I. Der Prosateil ergänzt diesen ersten
poetischen mit 13 isagogae.213 Für Gottfried war die Gleichsetzung von Vandalen und Slawen gänzlich
geläufig. Nur verwendete der Romane Gottfried die Schreibung
Guandali. Allerdings machte er sich die Mühe, die Gleichsetzung zu explizieren, was in
anderen Quellen selten der Fall war. Unter der Überschrift De regibus
Gothorum werden in den
Memoria seculorum historische gotische Könige aufgezählt und mit einigem Material aus
Jordanes kommentiert. Bei Theoderich finden auch die Vandalen Erwähnung, und Gottfried erläutert diese in Afrika sitzenden Gegner des Gotenkönigs
mit folgenden Worten. "Guandali dicuntur Sclavi in Latino, in lingua
vero Theotonica vocantur Guinidi."214 Eine ganz ähnliche Stelle läßt sich auch im
Pantheon finden. "Sclavi, qui in lingua Teutonica vocantur Guinidi, in Latina
autem Guandali."215 Der Notar Barbarossas verwendete also
Sclavi,
Guandali und
Guinidi als Synonyme. Dabei ist ihm die Identität der historischen Vandalen, die
er immer wieder in seiner historischen Darstellung erwähnt, völlig klar. Die Kategorisierung der Vandalen als Germanen kennt Gottfried
offensichtlich nicht. Aus seiner Worterklärung und der Positionierung derselben unmittelbar
nach der |
212LMA IV, s.v. Gottfried 27 von Viterbo, 1606. 213LMA IV,
s.v. Gottfried 27 von Viterbo, 1607f; Wattenbach-Schmale I, 77-92. Pantheon ed. Waitz in MGH SS 22, Berlin 1872, p. 107 - 307
und Memoria seculorum ebd., p. 94-106. 214Gottfried
von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102. 215Gottfried
von Viterbo, Pantheon, MGH SS 22, p. 185. |
74 |
Erzählung spätantiker Geschichte ist
aber abzuleiten, daß er die alten und die in seiner Zeit lebenden Vandalen für ein und dasselbe Volk hält. Der
Olmützer Bischof Johannes Dubravius wird im frühen 16. Jahrhundert in seiner
böhmischen Geschichte die Auffassung vertreten, daß die historischen Vandalen in
Gallien, Spanien und Afrika eigentlich Slawen gewesen wären.216 |
II.1.10. Heinrich von Huntingdon,
Historia Anglorum, Buch V und VI (Mitte 12. Jh.) Heinrich von Huntingdon (Henricus Huntendunensis) lebte zwischen
1080/90 und 1155. Heinrich war Archidiakon an der Bischofskirche von
Huntingdon und schrieb seine Historia Anglorum in zwölf Büchern im Auftrag des Bischofs Adalbert. Diese erfuhr mehrere Redaktionen seit 1130, reicht von 55
nach Christus bis 1154, und enthält neben einer Geschichte der Völker in Britannien
von den Römern bis zu den Normannen zwei Zusätze. Es handelt sich dabei um
die Schriften De summitatibus und De miraculis. Als Quellen sind Beda, die angelsächsische Chronik und Geoffrey von Monmouth nachweisbar. Bei Heinrichs Darstellung geht es vor allem um die strafende Hand Gottes
über den Bewohnern Britanniens und eine moralisierende, bewertende Erzählung
der Taten diverser Akteure der englischen Geschichte.217 Offenbar im Zusammenhang mit der dänisch-englischen Personalunion
unter Knud dem Großen (1018 - 1035) steht die Erwähnung der Teilnahme
englischer Truppen an einer militärischen Aktion gegen Vandalen-Wenden im
Ostseeraum bei Heinrich von Huntingdon. Der Vandalenname wird in der
Historia Anglorum noch ein zweites mal verwendet. Erzählt wird im fünften Buch von
verschiedenen Völkern, die vor der Eroberung Britanniens durch den Normannen
Wilhelm England heimgesucht haben sollen. "Immisit (...) Dominus omnipotens velut examina apium gentes
crudelissimas, quae nec aetati nec sexui parcerent, scilicet Dacos cum Gothis,
Norwagenses cum Suathedis, Wandalos cum Fresis; qui ab exordio regni Edelvulfi regis
usque ad |
216Dubravius, Historia Boiemica, 1575, I und II. 217Repertorium
Fontium V, 427f; LMA IV, s.v. Heinrich v. Huntingdon, 2094. |
75 |
adventum Normannorum, Willelmi regis
ductu, ducentis triginta annis terram hanc desolaverunt."218 Heinrich reiht seine Wandali in die Aufzählung mehrerer skandinavischer Völker ein, die in England plünderten. Fraglich ist, ob in diesem Fall
Wandali nicht einfach eine topische Bezeichnung für Germanen aufgrund vager
Kenntnisse der vökerwanderungszeitlichen Geschichte ist. Heinrich erwähnt
zwar in seiner Geschichte die historischen Vandalen nicht, bezieht sich in seiner
Darstellung aber wie gesagt nur auf Britannien. Berücksichtigt man Heinrichs
moralisierendes Geschichtsbild und seinen Bildungshintergrund, liegt es durchaus im
Bereich des Möglichen, daß die aus der hagiographischen Literatur zumindest dem
Namen nach bekannten Christenverfolger des fünften Jahrhunderts einfach in
eine Reihe schlimmer Feinde der rechtgläubigen Briten aufgenommen worden waren.
Daß derselbe Völkername zweimal für verschiedene Völker angewandt wurde,
war wohl wenig störend.219 Im sechsten Buch berichtet Heinrich von einem dänischen Kriegszug
unter Beteiligung eines englischen Kontingents gegen - in diesem Fall wohl
sicher - Slawen unter König Knud dem Großen. Knud war König in England und von
Dänemark, da sein Vater Svend Gabelbart die dänische Herrschaft in
England wieder etabliert hatte.220 Neben Zügen ins Frankenreich griffen dänische Schiffe um die Mitte
des neunten Jahrhunderts auch England immer wieder an. Die politische Lage auf
der Insel, es bestanden mehrere angelsächsische Teilreiche ohne besondere
Schlagkraft, kam der Errichtung einer dänischen Herrschaft im letzten Drittel des
neunten Jahrhunderts sehr entgegen.221 Die Regionen Englands, deren Rechtsgewohnheiten durch die dänischen Eroberungen des späten neunten und frühen zehnten Jahrhunderts
beeinflußt worden waren, nannte man seit dem frühen elften Jahrhundert 'Danelag'
(wörtlich 'Dänenrecht', englisch 'Danelaw'). Die Ausdehnung dieses Gebiets wird
erst in Texten des 12. Jahrhunderts genauer eingegrenzt. Ein Vertrag zwischen
Alfred |
218Heinrich von Huntingdon V, ed. F. Liebermann, MGH SS 13, p. 149. 219Diese
Ansicht vertreten im wesentlichen auch Reisinger und Sowa 1990, 8. 220LMA
III, s.v. Danelaw, 494f; RGA 5, s.v. Danelag, 227ff. 221Bohn
2001, 10f; RGA 5, s.v. Danelag, 228f. |
76 |
dem Großen und dem dänischen König
Guthrum in den achtziger Jahren des neunten Jahrhunderts dürfte diese Teilung Englands fixiert haben. In
einem Gesetz des Dänenkönigs Knud des Großen aus der ersten Hälfte des
elften Jahrhunderts wird England als in die angelsächsischen Reiche East
Anglia, Wessex und Mercia wie eben den 'Danelag' geteilt beschrieben. Der
'Danelag' erstreckte sich östlich einer Linie London-Chester von der Themse bis
zum Hadrianswall. York wurde im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts
der Sitz des dänischen Wikingerkönigs Halfdan und die Stadt selbst ein
blühendes Handelszentrum. Die keltischen und angelsächsischen Kleinkönigreiche
an den Rändern des 'Danelag' genannten Gebiets wurden nach und nach
tributpflichtig. Nach rund siebzig Jahren brach die dänische Herrschaft in England
zusammen, und es gelang angelsächsischen Königen Anfang des zehnten
Jahrhunderts, den 'Danelag' wieder zu beherrschen.222
Das war durch die innenpolitische Schwäche Dänemarks bedingt, das
zusätzlich in Machtkämpfe mit den römisch-deutschen Kaisern verwickelt war.
Svend Gabelbart, der bis 1014 die dänische Krone trug, sicherte am Anfang
seiner Herrschaft seine Stellung in Dänemark wie in Norwegen. Durch mehrere Feldzüge zwang er den angelsächsischen König Ethelred, die dänische
Herrschaft in Britannien erneut anzuerkennen. Hohe englische Abgaben flossen
nach Dänemark, und der Sohn Svends, Knud der Große, konnte das dänische Nordseereich weiter festigen. In der Zeit der Herrschaft Knuds
bestanden enge Kontakte zur englischen Kirche, und es waren eben auch englische
Vasallen bei den Feldzügen des Dänenkönigs mit dabei.223 Vor diesem
Hintergrund ist der Bericht Heinrichs von Huntingdon zu verstehen. König Knud führt also im fünften Buch der englischen Geschichte
Heinrichs ein Heer von Dänen und Engländern gegen die
Wandali, erobert eine Burg
("in castris invenit") und fügt den Wandali eine schwere Niederlage zu. "Cnut tertio anno regni sui ivit in Daciam, ducens exercitum
Anglorum et Dacorum in Wandalos." Ein gewisser Godwin ist bei diesem Feldzug
der "consul Anglorum" und erweist sich als außergewöhnlich tapfer. Die
Angli kehren ruhmbeladen und geehrt nach dem erfolgreichen Feldzug nach Britannien
heim. |
222LMA III, s.v. Danelaw, 494f; Coupland 1995, 193f. 223Vgl:
LMA III, s.v. Danelaw, 494f; RGA 5, s.v. Danelag, 227-236 (Hier auch
umfangreiche Literaturverweise); Coupland 1995, 190ff; Bohn 2001,
10f. |
77 |
Erwähnt wird noch, daß die Engländer
mindestens ebenso tapfer wie die Dänen gekämpft hatten.224 Das genaue Ziel dieses Heerzugs ist nicht sicher zu lokalisieren.
Lübke vermutet, er könnte im Zusammenhang mit den Ereignissen des Jahres 1018
gestanden haben. Das Ziel der Aktion wäre dann das Gebiet des Liutizerbunds
gewesen und die Wandali die heidnischen Liutizen.225 Am 30. Jänner 1018 schlossen die Emissäre Kaiser Heinrichs II. mit
dem Polenkönig Boleslaw Chrobry den Frieden von Bautzen. Die Bedingungen
des Friedens sind nicht überliefert, waren aber wohl eher ungünstig für
das Reich. Boleslaw Chrobry behielt jedenfalls nicht nur Mähren, sondern auch
die Marken östlich der mittleren Elbe, und das ohne eine Lehensabhängigkeit vom
Reich. Trotzdem stellte dieser Frieden die Grundlage für ein entspannteres
Verhältnis Polens zum Westen dar.226 Die slawisch-heidnischen Liutizen im Westen des späteren Mecklenburg
hingegen sahen den Frieden als Bedrohung an. Als Reaktion griffen sie den
christlich- slawischen Fürsten der Abodriten an, der mit der neuen Koaliton
Polens mit dem Reich sympathisierte. Die abodritische Nakonidendynastie wurde in der
Folge gestürzt, und im Abodritenland setzte sich eine nichtmonarchische
(und damit nicht christliche) Stammesverfassung ähnlich der der Liutizen durch.
Die Liutizen standen in einem Bündnisverhältnis zu Heinrich II. Seine 'moralische'
Pflicht als christlicher Herrscher wäre es aber gewesen, die
Christianisierungserfolge der unmittelbaren Vergangenheit zu schützen. Als der Kaiser nicht in
diesen Konflikt von Gegnern und unsicheren Verbündeten eingreifen wollte, trat Knud
der Große von Dänemark auf den Plan, der der Neffe Boleslaw Chrobrys war. Ob
der Kaiser diese Intervention der Dänen nur wohlwollend duldete, weil es zu
diesem Zeitpunkt seinen Interessen entsprach, oder ein regelrechtes Bündnis
zwischen Heinrich II. und Knud bestand, ist unklar.227 |
224Heinrich von Huntingdon VI, ed. F. Liebermann, MGH SS 13, p. 150; Vgl. Lübke 1987, 99, Nr. 547. 225Lübke
1987, 99, Nr. 547. 226Übernächste
Anm. . 227Nächste
Anm. . |
78 |
Einen offiziellen Frieden mit dem
Dänenkönig schloß jedenfalls erst Heinrichs Nachfolger Konrad II. im Jahr 1025 unter der Vermittlung des
Erzbischofs Unwan. Schon 1018 hatte dieser Unwan, der Erzbischof von Hamburg-Bremen und
somit Metropolit des vom Aufstand der Liutizen betroffenen Suffraganbistums
Oldenburg war, die Gelegenheit genutzt, um die mit den
Abodritenfürsten verbündeten sächsischen Billunger, die Gegner Heinrichs II. gewesen
waren, mit diesem zu versöhnen. Die Folge des dänischen Eingreifens war die Wiedereinsetzung der abodritischen Dynastie, die gute Beziehungen zu
den Dänen, den Billungern und den Piasten pflegte.228 Weil geographisch und zeitlich passend, soll die Verwendung des Vandalennamens in den Annales
Augustani des 12. Jahrhunderts hier
Erwähnung finden. Die vernichtende Niederlage eines sächsischen Heeres gegen
die Liutizen bei der Burg (castrum) Prizlava an der Mündung der Havel in die Elbe am
10. September 1056 wird in verschiedenen Annalen und Chroniken teilweise
sehr ausführlich geschildert. Bei diesem Kampf wurden Markgraf Wilhelm,
die Grafen Dietrich und Bernhard wie viele andere von den Slawen getötet. Die
Liutizen werden in den verschiedenen Quellen
Liutizi,
Wandali,
pagani, oder
Sclavi genannt. Enthalten ist die Erzählung in den
Annales Altahenses maiores, den
beiden unten erwähnten Annalen, den Annales
Hildenheimensis, der sächsischen
Weltchronik und anderen Chroniken.229 Wandali wird im kurzen Vermerk der
Annales Augustani zum Jahr 1056
verwendet. "Exercitus Saxonum a Wandalis trucidatur."230 Annalista
Saxo verwendet in seinem sehr ausführlichen Eintrag die Wendung, die Sachsen seien
a barbaris, qui Liutici
dicuntur getötet worden. Weiters
erzählt er von Verstümmelungen der Leichen und anderen Abscheulichkeiten.231 |
228Vgl.: Wolfram 2000, 229f und 231; Fried 1993, 52f; Lübke 1987, 89, Nr. 537f; 95, Nr. 548ff; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47f. 229Lübke
1987, 287f, Nr. 736. Dort eine ausführliche Erfassung der Überlieferung. Wandali kennen nur die Annales Augustani. 230Annales
Augustani ad a. 1056, ed. G. Pertz, MGH SS 3, p. 127. 231Annalist |
79 |
II.1.11. Gervasius von Tilbury
(frühes 13. Jh.) Der englische Kleriker Gervasius von Tilbury (um 1152 - nach 1220)
schrieb ein in drei decisiones gegliedertes Geschichtswerk mit dem Titel
Otia imperialia. Gewidmet waren diese Otia
imperialia dem Welfen Otto IV., der
kurze Zeit als Gönner des Gervasius aufgetreten war. Gervasius wurde auf Betreiben
Ottos Marschall von Arles. Zuerst in den Diensten des Normannenkönigs
Wilhelm II. auf Sizilien tätig, wandte sich Gervasius später ins Arelat, wo er
für den Bischof von Arles arbeitete. Dort kam er in Kontakt mit dem Kaiser. Da die
Otia 1209 - 1214 entstanden sind, waren sie wohl als Zeitvertreib für den
abgesetzten Otto IV. gedacht. Die erste decisio des Werks umfaßt die Weltgeschichte von der
Schöpfung bis zur Sintflut. In diesem Abschnitt wurden auch Teile der
Historia Brittonum eingearbeitet. Die zweite decisio widmet sich der Geo- und Topographie der bekannten Welt und enthält einen Abschnit mit dem Titel "De
Europa a parte septemtrionis".232 In diesem Abschnitt befindet sich auch die unten
behandelte Stelle, in der der Ausdruck Wandalorum
gens ferocissima als Bezeichnung
für die slawische Bevölkerung dieser Gegend verwendet wird. Die dritte
decisio wiederum handelt von mittelalterlichem Volks- und Wunderglauben. In
ihr finden sich ausführliche Kommentare zur Vergilsage und ihrer
fränkischen Tradition wie zum Artuskomplex. Es handelt sich bei den Otia
imperialia um eine bunte Mischung
aus Welt- und Reichsgeschichte, in der Lesefrüchte aus antiken und
mittelalterlichen Autoren, Elemente mittelalterlicher Erzählliteratur aus England und dem sizilischen
Königreich, dem Arelat wie Katalonien kompiliert wurden. Diverse
Rezeptionen der Otia imperialia wurden bei Martin von Troppau, Paulinus Minorita,
Boccaccio, Petrarca und in anderen Werken nachgewiesen.233 Gervasius interessierte sich auch für polnische Geschichte und könnte
das etwa gleichzeitig verfaßte Werk von Vincentius Kadlubek gekannt haben. Wie
das intertextuelle Verhältnis im Detail aussieht, müßte noch geklärt
werden.234 |
232Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, ed. MGH SS 27, p. 102. 233DHGE
XX, 1087-1089; Repertorium Fontium IV, 715f; LMA IV, s.v. Gervasius von
Tilbury, 1362; 234Eine
kurze Bemerkung dazu bei Reisinger und Sowa 1990, 8. |
80 |
Im Kapitel "De Europa a parte
septemtrionis" werden Slawen als Wandalorum
gens ferocissima beschrieben, die zwischen Germanien und den
Mäotidischen Sümpfen lebten. Gervasius bezeichnete nur die nördlichen Slawen als Vandalen,
und damit liegt hier ein Beleg für die Einengung der Gleichung Wenden =
Vandalen auf nicht in einem monarchischen und christlichen Staat organisierte
Slawen vor. Daß diese Terminologie nicht sehr präzise und möglicherweise im 12.
Jahrhundert schon veraltet war, weist darauf hin, daß Wahrnehmungsfilter
bestanden haben, die Gesellschaftsformen außerhalb der abendländischen Norm
pauschalisierten. "Inter Germaniam et Meotides paludes ab oriente Wandalorum gens
ferocissima habitat, inter quam et paludes Meotides Sarmate habitant, a quibus
mare Sarmaticum dicitur, quod a fluvio Sarmatico et Wandalo, flumine
Wandalorum, et Danubio versus orientem impletur."235 Die zweite Verwendung des Vandalennamens bezieht sich auf die Polen,
und hier scheint eine Kenntnis der Chronik Vincentius Kadlubeks zugrunde zu
liegen. Gervasius bezieht sich auf die Stelle in der Schilderung der
'Urgeschichte' Polens, wo von den Untertanen der Königin Vanda die Rede ist, die alle
Vandali genannt würden.236 "Porro inter Alpes Huniae et Oceanum est Polonia, sic dicta in
eorum idiomate, quasi campania, quae a Vandalo flumine suo terra dicitur, ut ab ipsis
indigenis accepi, Vandalorum."237 |
II.1.12. Dänemark und die Slawen
im 12. Jahrhundert; Saxo Grammaticus - Gesta Danorum; Der
dänische Königstitel rex Danorum Sclavorumque II.3.12.1. Saxos Chronik und die Slawentopik in dänischen Quellen Nach der Zerstörung der slawischen Tempelburg Arkona und der damit vollzogenen Eroberung der Insel Rügen am 15. Juni 1169 änderte sich
die Stellung des dänischen Königreichs im Ostseeraum. Nach der Anerkennung des
dänischen Königs als obersten Lehensherren durch die wendischen Fürstentümer 235Gervasius
von Tilbury, Otia imperialia, ed. MGH SS 27, p. 102. 236Vincentius,
Chronicon Poloniae, I 7. 237Gervasius
von Tilbury, Otia imperialia, ed. in SS rer. Brunsv. 2, 1710, p. 764. |
81 |
Mecklenburg und Pommern, nahm der
dänische König Knud VI. (1162/63 - 1202) den Titel rex Danorum Sclavorumque an. Der zweite Teil dieses Titels wurde in volkssprachigen Urkunden, die seit dem 14. Jahrhundert überliefert
sind, als Vendernes
konung ins Dänische übersetzt.238 König Gustav I. Wasa von Schweden übernahm im 16. Jahrhundert den
letzten Teil des dänischen Titels und nannte sich
rex Suecorum Gothorum Vandalorumque.
Dabei wurde der letzte Teil des Titels wahrscheinlich erstmals nach
Jordanes als rex
Vandalorum latinisiert. Dies blieb
der offizielle schwedische Königstitel, der im schwedischen Reichswappen mit drei Schilden symbolisiert wurde.239 Im folgenden soll die historische Situation im Dänemark des 12.
Jahrhunderts mit dem Geschichtswerk Saxos, dem dänischen und päpstlichen Bild von den
Slawen und dem dänischen Königstitel in Bezug gesetzt werden. Die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts war in Dänemark von einem fast
30 Jahre andauernden Kleinkrieg in der Königsdynastie geprägt. Erst 1157
konnte sich Waldemar I. (1131 - 1182) in diesem Konflikt durchsetzen. Waldemar
war der Kandidat der Kirche, die während der dreißigjährigen Thronwirren
Dänemark zusammengehalten hatte. Der mächtige Bischof von Roskilde und
spätere Erzbischof von Lund Absalon (1128 - 1201) nahm neben dem König eine
starke Position ein. Die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung einer
dänischen Geschichtsschreibung war die Konsolidierung der staatlichen und
kirchlichen Macht.240 Absalon hatte erkannt, daß ein eigenständiges dänisches Königtum, das
nicht ständig von Ansprüchen des Kaisers in Frage gestellt werden wollte,
nicht nur politisch und kirchlich, sondern auch historisch legitimiert werden müßte.
Diese historische Legitimierung sollte nach dem Vorbild anderer
christlicher Königreiche Europas gestaltet werden. Im Auftrag des Erzbischofs von
Lund entstand aus diesen Gründen die "Dänische Chronik" des Saxo
Grammaticus, die |
238Bohn 2001, 24; Hildebrand 1884, 59. 239Svennung
1967 a, 71 und Anm. 291; Hildebrand 1884, 59f. Siehe zur Frage dieser Titel
Kapitel IV.2. dieser Arbeit. 240LMA I,
s.v. Absalon, 59; LMA VII, s.v. Waldemar I., 789. |
82 |
die bedeutendste mittelalterliche
historiographische Schrift Dänemarks werden sollte.241 Schon im Vorwort seines Geschichtswerks unterrichtet Saxo über seine
Absicht, Dänemark zu einer eigenen Geschichtsschreibung zu verhelfen, die sich
mit der anderer Länder messen können sollte. Dänemark besaß in den
Vorstellungen Saxos eine ebenso alte und strahlende Vorzeit wie andere bedeutende
Reiche des christlichen Abendlands. Saxos Dänengeschichte entstand um 1200 und
spannte den Bogen vom sagenhaften König Dan und der mythischen Urzeit bis zum
Frühling 1185, als Knud VI. den pommerschen Herzog Bogislaw endgültig
besiegen konnte. Das Werk ist ab origine gentis angelegt und stellt sich damit selbst in die
Tradition der Origines gentium, wie sie seit der Spätantike geschrieben wurden.
Stil und innerer Aufbau der Gesta sind an Valerius Maximus und Justin orientiert. Als
Quellen schöpfte Saxo unter anderem aus Beda und Paulus Diaconus. Die
aus diesen Autoren übernommene 'Exemplum'-Technik beherrscht Saxo
meisterhaft. Jedes der 16 Bücher ist um eine oder mehrere der Kardinaltugenden (prudentia,
fortitudo,
temperantia, iustitia) komponiert,
die weiters mit anderen zentralen mittelalterlichen Lehrbegriffen innerhalb dialektisch geordneter
Muster verwoben sind und am Ende der Gesta in abschließenden Exempla gipfeln. Sein kunstvolles
Latein bescherte Saxo den ehrenden Beinamen Grammaticus.242 Die ersten vier Bücher Saxos behandeln die vor Christus regierenden
Könige. Buch fünf bis acht handelt von der Zeit nach Christi Geburt bis zum
ersten Kontakt der Dänen mit dem Christentum. Die Bücher 9 - 12 schildern
dann die Durchsetzung des Christentums und die Entstehung des dänischen
Königreichs, wie die Zeitgenossen Saxos es kannten. Die restlichen Bücher erzählen
die Geschichte des 12. Jahrhunderts. Die Bücher 15 und 16 beinhalten die
Zeit des Erzbischofs Absalon.243 |
241Feldbaek 1991/92, I, 56ff; Lauring 1964, 89ff. Zur Illustration eine Intitulatio des Bischofs
Absalon: Absalon
dei gratia Lundensis archiepiscopus, apostolicae sedis legatus, Suethiae
primas, Dipl. Dan. 1 r. III., No. 164 von 1190. 242TRE
VIII, s.v. Dänemark I, 302ff; Bohn 2001, 23f; LMA II, s.v. Chronik 1993f;
Hansen 2001, 67f. 243Riis
1977, 14-31; LMA II, s.v. Chronik 1993f. |
83 |
König Waldemar und Bischof Absalon
versuchten die dänische Machtposition im Ostseeraum zu erweitern. Die hehren Ziele der Christianisierung und
Befriedung der slawischen Stämme, welche südlich der dänischen Inseln lebten und
immer wieder die Inseln zwischen Jütland und Schonen angegriffen hatten,
dienten als Rechtfertigung. Jahr für Jahr erfolgten militärische Expeditionen ins
'Wendenland'. Dabei trat Bischof Absalon von Roskilde neben den
König, der jedes Jahr von neuem das sleding aufbot, um Kriegszüge mit vielen Häuptlingen zu leiten. Absalon wird in der Knytlinga
saga, einer romanartigen
Darstellung der Geschichte der dänischen Könige von Harald Blauzahn bis Knud VI., als
großer Kriegsmann geschildert. Mitten im Kampf soll er den Dänen
vorangestürmt sein.244 Man fühlt sich an den heiligen Bischof Udalrich von
Augsburg erinnert, der auf dem Lechfeld den Ungarn entgegenritt, um seine Ritter zu
ermutigen. Der Bischof blieb in der Schilderung Gerhards von Augsburg im Hagel der ungarischen Steine und Pfeile völlig unverletzt, obwohl er keine
Schutzwaffen getragen haben soll.245 Um die kirchliche Macht neben der königlichen zu etablieren, waren solche Bilder bischöflicher 'Propaganda'
unumgänglich. Die schon von Saxo Grammaticus als bedrohliche slawische Angriffe auf
Dänemark geschilderten gelegentlichen Raubzüge der Rügen und anderer Ostseeslawen legitimieren die weiteren dänischen Vorstöße in den
elbslawischen Raum. Schon im fünften Buch der Gesta, das noch die Vorzeit schildert, sind solche slawischen Angriffe eingebaut, die dann von den Dänen
vergolten werden. Slawenzüge unternahmen die dänischen Könige Erich I. Ejegod, Knut
Lavard und Erich II. Emune von 1100 bis 1140, ebenso in der zweiten Hälfte des
12. Jahrhunderts Waldemar der Große und Knud VI. Slawische Angriffe auf Dänemark fanden aber erst um 1150 im Zusammenhang mit dem dänischen Bürgerkrieg und den Thronwirren verstärkt statt und waren teilweise
wohl als Vergeltung für die dänischen Angriffe gedacht.246 Den
Elbslawen fehlt aber die Stimme der Historiographie, um ihre Sicht der Dinge mitzuteilen. |
244Knytlinga saga, ed. Baetke 1924, 369. Vgl. LMA IV, s.v. Knytlinga
saga, 1241f. 245Neumeister
2001, 45 und Anm. 68. "Hora vero belli episcopus super cavallum suum
sedens stola indutus non clippeo aut lorica aut galea munitus iaculis et lapidibus undique circa eum
discurrentibus intactus et inlesus subsistebat." Gerhard v. Augsburg, Vita Sancti Udalrici, I, 12, ed.
Berschin/Häse, 1993, p. 12. 246Saxo
Gramm., XV und XVI und Hansen 2001, 182; Feldbaek 1991/92, 44ff; Lauring
1964, 123ff. |
84 |
Nach Überwindung der Thronwirren und
mit Hilfe einer von Bremen unabhängigen Kirchenpolitik stellte sich Dänemark als neue Macht und gleichwertiger Partner Heinrichs des Löwen an der südlichen
Ostseeküste dar. Zwei Kinder Heinrichs des Löwen heirateten ins dänische Königshaus
ein. Dänische Fürstensöhne wurden an deutschen Höfen erzogen, dänische
Geistliche im Reich ausgebildet. Als Motor der dänischen Expansion im 12.
Jahrhundert stellte sich die Integration slawischer Bevölkerung und slawischer Herrschaftsstrukturen dar. Das führte die Dänen mit den Pommern,
Polen und den nach der Ostsee strebenden Askaniern in Brandenburg zusammen. Wie
weit der dänische Einfluß oderabwärts nach Süden ausgedehnt werden konnte,
ist allerdings eine ungelöste Frage. Das Papsttum war am Dänenreich
interessiert, weil es in den Augen Roms eine wichtige stabilisierende Funktion im
Norden hatte. Auch im Zusammenhang mit den um 1200 einsetzenden Kreuzzugsbewegungen in den baltischen Ländern Estland, Lettland und
Livland blickte man hoffnungsvoll von Rom nach Kopenhagen. Das führte zu
einer Legitimierung der dänischen Züge ins Wendeland, also Mecklenburg,
Holstein und Rügen, als Kreuzzüge mit dem besonderen Segen des Papstes. Nicht
zuletzt sind die Wurzeln hanseatischen Handelns nicht ohne dänische
Unterstützung denkbar.247 Aus der Antwort Papst Alexanders III. vom 4. November 1169 an Bischof
Absalon läßt sich das Slawenbild der Dänen ebenfalls erschließen. Papst
Alexander III. antwortete auf die Bitte Absalons nach der Eroberung Rügens, die
Insel dem Bistum Roskilde zu unterstellen. Die päpstliche Kanzlei referierte
die Briefe ("ex litteris siquidem"), die König Waldemar und andere Personen
zuvor an den Papst geschickt hatten.248 Im Schreiben des Papstes findet sich also eine Wiedergabe, der aus
Dänemark nach Rom gesandten Sichtweise. Auf der Insel namens Rügen in der Nähe
des Königreichs herrsche von jeher nicht der rechte Glaube, sondern
Götzendienst und Irrlehre. Außerdem hätten die Bewohner dieser Insel ständig alle
Nachbarn angegriffen. Der Dänenkönig wird von der Papstkanzlei als strahlender
Sieger im Glaubenskampf beschrieben. "Mit den Waffen Christi versehen,
mit dem Schild des Glaubens bewaffnet, hat er die Grausamkeit der Männer auf dieser
Insel |
247Neumeister 2001, 46ff; LMA VI, s.v. Ostseeraum, 567ff. 248Dipl.
Dan. 1 r. II., No 189, p. 345. |
85 |
bezähmt (...), daß er die Insel nun
der Herrschaft Christi zuführen konnte."249 Diese Argumentation ist der, die 30 Jahre später bei Saxo zu finden
sein wird, sehr ähnlich. Die Wildheit und Rauheit der Slawen habe seit jeher Probleme
in Dänemark gemacht, meint Saxo. In der Korrespondenz des Papstes und wahrscheinlich auch in den Briefen König Waldemars nach Rom, wurde
ein Vokabular verwendet, das typisch für die Kreuzfahrer war.250 Hatten die Dänen und ihre Verbündeten die Angriffe auf slawische
Länder bisher eher als Plünderungszüge gesehen, veränderte sich diese Sichtweise
durch die vollständige Eroberung Rügens im Jahr 1168. Saxo schließt seine
Gesta mit der Unterwerfung der Pommern unter Herzog Bogislaw, die Knud VI. als
ihren Herren anerkennen. Himmlische Zeichen haben nach Saxo den Dänen angekündigt, daß die Wendenmacht zu Ende ging.251 Durch die Gesta zieht sich die Sichtweise, daß die Slawen zwar im Einzelfall tapfere Krieger, tüchtige Redner und zuverlässige Verbündete sein
können, ihr Volk aber im allgemeinen primitiv, grausam und unzuverlässig sei. Im
ganzen ein Bild der Verachtung für minderwertige Barbaren, die immer wieder wie
eine Naturgewalt geschildert werden.252 Der Dänenkönig Jarmerik läßt im achten Buch der Chronik Saxos vierzig slawische Gefangene hängen mit je einem
Wolf an ihrer Seite, um zu zeigen, wie raubgierig sie gewesen waren. Diese
Erzählung wird noch in die Zeit vor der Christianisierung Dänemarks gelegt.253 Für die Slawen verwendete Saxo nun unterschiedliche Bezeichnungen.
Eine Durchsicht der Gesta Danorum ergibt diesbezüglich das folgende Ergebnis. Die am häufigsten verwendete Bezeichnung ist - wenig überraschend -
Sclavi.254 Einige |
249"Quod idem rex, celesti flamine inspiratus et armis Christi
munitus, scuto fidei armatus considerans, divino munere protectus, cum brachio
forti et extento duriciam hominum illius insule expugnavit et exprobacionem immanitatis illorum ad
fidem et legem Christi tam potenter ac valide magnanimiterque revocavit, ut sue quoque subiecerit
dominationi." ed.: Dipl. Dan. 1 r. II., No 189, p. 345. 250Hansen
2001, 184. 251Saxo,
Gesta, XVI; Dahlmann 1840-1843, I, 330. 252nach
Hansen 2001, 180: Saxo, Gesta 73; 155, 6; 426, 36-40; 500. 253nach:
Hansen 2001, 181: Saxo, Gesta 230-232. 254So zum
Beispiel: Sclavorum equites, in XV, 4; Sclavorum
expeditio ad orientales Sialandiae partes, XV, 1. |
86 |
wenige Male finden sich spezifischere
Bezeichnungen wie Rugi.255
Wandali verwendete Saxo lediglich zweimal und zwar als Substantiv und als
Adjektiv. "Igitur Wandali, solam sibi in armis libertatem restare
credentes, fugae eius perinde ac victores insultare coeperunt."256 "Iisdem temporibus, effusis piraticae habenis, a Wandalicis
finibus Eidoram usque omnes per Orientem vici incolis viduri ruraque culturae expertia
iacuere."257 Beide Male sind einfach Slawen gemeint und zwar Gruppen, die kurz
vorher im Text noch als Sclavi bezeichnet wurden. Im Sprachgebrauch Saxos ist der Vandalenname also ein selten verwendetes Synonym für die Slawen. In
seinem Fall spricht er nur von Slawen an der Ostseeküste und auf Rügen, die
in nichtmonarchischen, heidnischen Stammesgesellschaften lebten. Die
Poloni werden an keiner Stelle der Gesta als Slawen bezeichnet. |
II.3.12.2. Der dänische Königstitel
im Hochmittelalter Zwischen 1187 und Anfang 1193 muß der dänische
Königstitel geändert worden sein. Wie schon ausgeführt, war die Annahme des
neuen Titels durch die Anerkennung Knuds VI. als obersten Lehensherren
durch die wendischen Fürstentümer Mecklenburg und Pommern im Jahr 1185
bedingt. Zwischen den beiden Jahren 1187 und 1193 liegen keine Diplome des
Königs vor.258 In einem Diplom Knuds VI. (1187 November 20)
übergibt der König in Grimstrup dem Bischof Waldemar von Schleswig Güter und
königliche Gerichtsrechte. Die Intitulatio lautet:
Kanutus dei gracia rex Danorum259. |
255Saxo, Gesta, XIV, 8. 256Saxo,
Gesta, XIV, 6. 257Saxo,
Gesta, XV, 5. 258Dahlmann
1840-1843, I, 330 zitiert ein Diplom Knuds VI. im Dipl. AM. I, p. 58 als
Beleg für diese Aussage. Das erste Diplom mit der Intitulatio
Ego Kanutus Dei gratia Danorum Slavorumque rex im Dipl. AM. I ist aber No. 53, p. 67, 1194 Oktober 22. Regest: König Knud befreit die Kolonene seiner Brüder
von allen königlichen Frondiensten. 259Dipl.
Dan. 1 r. III., No 143. |
87 |
Im Dänischen Urkundenbuch findet sich
als nächste Nummer ein Brief des Abtes Stefan von St. Geneviève in Paris an Knud VI. von 1188 (keine
genauere Datierung). "Illustrissimo et christianissimo regi Danorum. Kanuto frater.
(...) Gloriosam ac felicem regni Danorum potenciam et virtutem. qua antiqui parentes
vestri. pagano adhuc errore detenti. in fortidudine brachii sunt. et in robore
virium suarum Gallias invaserunt. et annales historiarum continent. et communis
fama recitat (...)."260 Der Abt bittet den weit im Norden regierenden König
interessanterweise um Zuwendungen mit dem Argument, die dänischen Vorfahren Knuds hätten
auch in seinem Kloster geplündert. In einem Diplom Knuds VI., das nach 1192 datiert ist, findet sich
dann zum ersten Mal der erweiterte Titel. Kanutus dei
gracia Danorum Slavorumque rex (...)
Der König erkennt mit diesem Diplom die ihm vorgelegte Hausregel des Klosters
Aebelholt an.261 Von diesem Diplom an erscheint der erweiterte Titel
mit zunehmender Häufigkeit. Er wird aber bis ins 15. Jahrhundert nicht in dieser Form
standartisiert gebraucht. Nach dem Anfang des 15. Jahrhunderts liegen keine Urkundeneditionen dänischer Königsdiplome in der notwendigen Dichte
mehr vor. Erst die komplizierten Verflechtungen der norwegischen,
dänischen und schwedischen Monarchie seit der Mitte des 14. Jahrhunderts könnten
einen regelmäßigeren Gebrauch des erweiterten Titels bedingt haben, um Herrschaftsansprüche möglichst häufig zu artikulieren. Hinzuweisen
bleibt auf die Lücke in der Forschungsliteratur, diese Fragen betreffend. Die
Fragen konnten hier nur angedeutet, nicht aber beantwortet werden. Der um Slavorum erweiterte Titel wird im 12. und 13. Jahrhundert
wie schon gesagt häufig, aber nicht regelmäßig, gebraucht. Zum Beispiel
erscheint er in einem Diplom Knuds VI. von 1193, in dem der König die Privilegien
seines Vaters Waldemar I. für das Kloster St. Odense bestätigt. Der Titel lautet:
Canutus Danorum
et Slavorum rex262 |
260Dipl. Dan. 1 r. III., No 144. Die Interpunktion im Dänischen Urkundenbuch
sic! 261Dipl.
Dan. 1 r. III., No 179. 262Dipl.
Dan. 1 r. III., No. 189; Dipl. AM. I, p. 285, 1193 Januar 22. |
88 |
Die Titulatur kann im 12. Jahrhundert
auch lauten: Ego Kanutus regis Waldemari filius.
per Dei graciam et disposicionem regni Danorum monarchiam tenens263 Im beginnenden 15. Jahrhundert findet sich der Titel aufgrund der
politischen Veränderungen zwar erweitert, aber in den diskutierten Teilen
konstant. Ericus
dei gracia regnorum Dacie Suecie Norwegie Sclavorum Gothorumque rex et dux Pomaranorum264 Die Latininisierung als rex
Vandalorum kennt man seit dem 16.
Jahrhundert. Allerdings konnte sie vom Verfasser nur in schwedischen Druckwerken
geprüft werden. In IV.2. wird an diesem Punkt wieder angesetzt werden. |
II.1.13. Chronicon Balduini
Ninoviensis (2. H. 13. Jh.) Die Chronik reicht in ihrer Anlage von Christi Geburt bis 1294.
Einige später zugefügte Fortsetzungen enthalten Schilderungen bis 1304. Die
Lebenszeit Balduins und die Art und Zeit der Kompilation der Chronik sind
teilweise sehr unsicher. In Ninove, einem Prämonstratenserkloster in der Grafschaft Alostwurde, wurde die Klostertradition um 1254 mit verschiedenen
Exzerpten verbunden, und diese wiederum zur Grundlage einer bis 1294 geführten Kompilation benutzt.265 Die Einträge zu den Jahren 632/33 enthalten eine Nennung der
Vandalen. König Dagoberts Krieg gegen die Slawen Samos wird beschrieben und in diesem
Zusammenhang bediente sich der Schreiber des Vandalennamens. "Dagobertus Sclavos bello domans, etiam Wascones sub jugum
mittit. Dagobertus, Saxonibus sibi fideliter contra Wandelicos auxiliantibus,
annuum quingentarum vaccarum tributum indulget."266 |
263Dipl. Svec. I, No. 97, p. 121. Nur auf 1186 datiert. 264Dipl.
Dan. 4r VII, No. 345. 1400 Februar 3. 265Repertorium
Fontium II, 440. 266Ed.
J.-J. de Smet, Corpus chronicorum Flandriae, Band 2, ad. a. 632/33, p. 642;
ed. Holder-Egger, MGH SS 25, 1880, p. 523, ad. a. 632/33. Zur Chronik Balduins: Repertorium Fontium II, 440. |
89 |
In Fredegars Chronik findet dieser
Sachverhalt auch Erwähnung: Die Sachsen schickten Gesandte zu Dagobert, der mit einem Heer den Rhein
überschreiten wollte, um Krieg gegen die 'Wenden' (Winiti) zu führen, die ihrerseits in Thüringen eingefallen waren. Die Gesandten baten, den Tribut zu
erlassen. Dafür würden die Sachsen die 'Wenden' bekämpfen und die Grenze der Franken bewachen. Die 500 Kühe Tribut werden den Sachsen daraufhin für immer erlassen.267 Es liegt also ein weiteres Beispiel für die Verwendung der Gleichung Slawen/Wenden = Vandalen in einer Quelle vor, die sich auf ein
Ereignis in karolingischer Zeit bezieht. |
II.1.14. Bartholomaeus Anglicus:
Der Vandalenname im Buch "De provinciis" der "De
proprietatibus rerum" Der englische Minorit Bartholomaeus Anglicus starb 1250. Er hatte in
Paris gelehrt und ist seit 1231 in Magdburg als Lektor greifbar. Sein größtes Werk
war die 1235 vollendete Enzyklopädie "De proprietatibus rerum". Dieses
enzyklopädische Werk war handschriftlich sehr verbreitet, wurde in mehrere
Volkssprachen übersetzt und erlebte auch noch einige Druckauflagen. Als Quellen
konnte die Forschung eine Vielzahl von patristischen und mittelalterlichen
Schriften identifizieren, daneben etliche arabische und antike. Plinius spielt
dabei eine wichtige Rolle. Bartholomaeus Anglicus nannte in vielen Lemmata seine
Quellen, und am Ende einiger Handschriften finden sich Verzeichnisse der
benutzten Literatur. Das Werk umfaßt 19 Bücher in unterschiedlicher Länge. Prolog und
Epilog rechtfertigen das Werk als notwendiges Hilfsmittel, um Gottes
Schöpfung ordentlich zu würdigen. Die Bücher 1 und 2 beschreiben die
himmlischen Hierarchien. Die Bücher 3 bis 7 sind dem Mikrokosmos oder den
res non naturales gewidmet. Das bedeutet die unlogisch erscheinende Kategorisierung in
die Fragen vom Menschen mit seiner Seele und seinen Sinnen, den
menschlichen Körperteilen, den Lebensaltern, den Ständen der menschlichen
Gesellschaft und zum Schluß den Krankheiten. Die beiden folgenden Bücher beschreiben
die supralunare Welt, in der mittelalterlichen Vorstellung den
Makrokosmos. Sie 267Fredegar
IV, 74. |
90 |
behandeln die Himmelskörper und die
mit ihnen verbundenen Fragen von der Zeit und der Zeitrechnung. Die Bücher 10 bis 18 handeln von den
Elementen und den ihnen zugehörenden Tieren. So sind die Fische etwa im Buch 13,
das dem Wasser gewidmet ist, beschrieben. Ab Buch 14 ist die Erde das
Generalthema. Buch 15 mit dem Titel De
provinciis handelt von den Ländern
der bekannten Welt, und ist der von der modernen Forschung am meisten behandelte Teil der
Enzyklopädie. Die folgenden Bücher enthalten Beschreibungen der
Steine, Metalle, Pflanzen und Landtiere. Buch 19 schließt dann mit
elementarer Mathematik, Farben, Gerüchen, Tönen und tierischen Produkten ab. Zahlreiche Handschriften der Enzyklopädie sind mit Marginalien
versehen, die dem Zweck gedient haben könnten, Möglichkeiten des Gebrauchs der abgehandelten Sachverhalte in Predigten zu konkretisieren. Verkürzte
und erweiterte Bearbeitungen der Enzyklopädie, sowie Exzerpte aus dieser
waren in großer Zahl verbreitet. Auf diesen Sonderversionen basierte ein
Großteil der Wirkungsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert.268 Der Eintrag zur Sclavia, das Capitulum 140 des 15. Buchs, enthält zweimal den Vandalennamen. Beide Male ist er auf die Elbslawen bezogen. Wie oben ausgeführt, hatte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts der Gebrauch des
Wendennamens in westlichen Quellen auf die Slawen zwischen Saale,
Oder und Ostsee eingeschränkt. Bei Bartholomaeus Anglicus ist zu beobachten, daß er die Form
Wandali allein und weiter unkommentiert gebraucht. In der Enzyklopädie findet sich keine
Überlegung zu Völkergenealogien. Es ist aber anzunehmen, daß
Bartholomaeus Wandali einfach als die ihm bekannte gelehrte Bezeichnung
für die Wenden gebrauchte. Betrachtet man die Erklärung bei Gottfried von Viterbo, ist
anzunehmen, daß es im 13. Jahrhundert auch außerhalb des norddeutschen Bereichs
nachzulesen war, daß es den Wendennamen gab, und seine lateinische Form eben
Wandali sei. "Guandali dicuntur Sclavi in Latino, in lingua vero Theotonica
vocantur Guinidi."269 |
268LMA I, s.v. B. Anglicus, 1492f; LThK II, 9; Repertorium Fontium II,
451-453; Schönbach 1906, 54ff. 269Gottfried
von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102. |
91 |
Der Eintrag zur
Sclavia ist gleich ausführlich
gestaltet, wie die Lemmata zu den anderen Ländern. Polonia und Bohemia haben eigene Capitula, sind also bereits nicht mehr im Begriff Sclavia enthalten. Über Böhmen und Polen wird in den entsprechenden Teilen nicht gesagt, daß sie Slawen seien, dafür holt Bartholomaeus das im folgenden Textstück nach. "De Sclavia. Slavia est pars Mesiae, multas continens regiones.
Nam Sclavi sunt Bohemi, Poloni, Metani, Vandali, Rutheni, Dalmatae, et Charinti, qui
omnes mutuo se intelligunt, et in multis sunt similes quoad linguam, et
quoad mores. Dispares tamen quoad ritum. Nam quidam adhuc cultum Paganorum tenent,
quidam vero retinent ritum Graecorum: quidam autem Latinorum."270 Heiden, Katholiken und Orthodoxe konnte Bartholomaeus also auseinanderhalten. Die meisten Slawen sind am Kopf rasiert, nur nicht
die Ruthenen und die, die mit Deutschen und Lateinern gemischt sind.
Weiters wird die Sclavia in eine Sclavia
maior und eine
Sclavia minor eingeteilt. Die Sclavia maior soll auch Sclavinia heißen und umfaßt Dalmatien, Serbien, Kärnten und viele andere Gebiete. Vor allem die Slawen, die nahe am
Meer leben, sind weniger fromm und berüchtigte Piraten. Die
Sclavia minor reicht in der Einteilung der Enzyklopädie von den Grenzen Sachsens zu den Preußen
und den Böhmen. Die dort lebenden Wandali sprechen viele verschiedene Sprachen ("... lingue sue plures habens conterminos ..."). Böhmen ist durch
verschiedene Flüsse von Prutenia getrennt. Von den Goten und Dänen ist das Gebiet
der Sclavia minor durch das baltische Meer getrennt. Gothi war eine häufige Bezeichnung
für die Einwohner Gotlands.271 Die Sclavia ist fruchtbar, Honig und Milch gibt es dort im
Überfluß. Die Bevölkerung ist von kräftiger Statur und der Landwirtschaft wie dem
Fischfang zugetan, außerdem sehr fromm und friedlich, ganz im Gegensatz zu den
Slawen in der Sclavia magna. Der Grund für diese paradiesischen Zustände ist
auch schnell angegeben: "et hoc est propter mixtionem et societatem, quam
quotidie contrahunt cum Germanis."272
|
270Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, 15, 140, ed.
Schönbach 1906, 77. 271Svennung
1967 a, 56f. 272Bartholomaeus
Anglicus, De proprietatibus rerum, 15, 140, ed. Schönbach 1906, 77. |
92 |
Die Bedeutung der Begriffe
Sclavia/Sclavinia war bereits zur
Entstehungszeit der Enzyklopädie im Wandel begriffen. Woher der Topos der Befriedung
durch das Zusammenleben mit den Deutschen kommt, wäre zu klären.
Möglicherweise handelt es sich um einen Reflex der antislawischen Propaganda etwa im
Kontext des Wendenkreuzzugs. Daß Herodot am Schluß des Lemmas zitiert wird
("ut dicit Herodotus") erklärt den Gebrauch der Bezeichnung
Mesiae. Was Herodot über die Slawen zu berichten wußte, wird wohl nur Bartholomaeus Anglicus
gelesen haben. Es könnte sich aber auch um einen späteren, fehlerhaften
Zusatz handeln. Die Texttradition der De
proprietatibus rerum wäre noch
genauer zu untersuchen. |
II.1.15 Die polnischen
Vandalentraditionen. Vincentius Kadlubek, Mierszwa und Baszko Boguphal (13. Jh.) In der polnischen Chronistik des 13. und 14. Jahrhunderts finden sich
Modelle der polnischen 'Urgeschichte' und Einordnungen der Polen in biblische
Genealogien. Meistens gehen diese von Japhet aus. Den Quellen dieser Modelle im
einzelnen nachzugehen, oder zu klären, wo Übernahmen bzw. Neuschöpfungen
vorliegen, ist hier nur teilweise möglich. In polnischen Chroniken vor dem 13. Jahrhundert sind noch keine
biblischen Genealogien oder Erwähnungen der Vandalen als Stammväter der Polen eingebaut worden. Nach 1206 versuchte der Krakauer Bischof Vincentius
Kadlubek die Geschichte der Polen an die Vandalen anzuknüpfen. Was
Cosmas von Prag für die böhmische Geschichte leistete, tat Vincentius für
die polnische. Er schuf die maßgebenden Geschichtsbilder, die bis weit in die Neuzeit
rezipiert wurden.273 Den Vandalennamen konstruierte Vincentius nach der
sagenhaften Polenkönigin Vanda, deren Untertanen Vandali geheißen haben. Es könnte sich beim Namen Vanda um ein vom Ethnonym Wenden abgeleitets Wort handeln. Vandas Vater Graccus figuriert als erster König Polens. Die Gründung
Krakaus wird ihm zugeschrieben. Die alten Polen waren in der polnischen
'Urgeschichte' Kadlubeks unter Graccus Herrscher über Geten und Parther. Sie kämpften
schon gegen die Gallier, Alexander den Großen und Caesar. Kadlubek erzählt
weiter, die Polen seien mit den Dakern verwandt. 273Vincentius
Kadlubek war Bischof von Krakau (um 1150-1223/Seligsprechung 1764). LMA VII, s.v. Vincentius Kadlubek, 1700f; Graus 1980, 71f. |
93 |
Die Tochter
Vanda wählte man aus Liebe zu
Graccus zur Königin. Sie entzückte mit ihrem Geist und ihrer Schönheit alle. Der
tyrannus der Lemannen (später im Text nur noch rex) wollte die weibliche Erbfolge allerdings anfechten
und zog mit seinem Heer gegen die neue Königin. Als die Männer aber die Königin
Vanda sahen, legten sie wie von einem Strahl der Sonne getroffen den Willen
zum Kampf ab, den sie plötzlich als Frevel und nicht mehr als notwendige Auseinandersetzung sahen. Der rex, von Liebe oder Zorn oder beiden Gefühlen ergriffen, rief daraufhin: "Vanda möge über das Meer, Vanda über die Erde, Vanda über die
Luft gebieten! Den Unsterblichen möge sie für die Ihrigen opfern; ich aber, ihr
Häuptlinge, weihe mich den Unterirdischen, auf daß eure und die Nachkommenschaft
eurer Nachkommen unter Weiberherrschaft ergraue!"274 Mit diesen Worten stürzte sich der König in sein Schwert. Von
Vanda soll der Fluß Vandalus, also die Weichsel, den Namen haben, da er mitten
durch ihr Reich floß. Alle Untertanen der Vanda wurden Vandali genannt ("hinc omnes sunt Vandali dicti, qui eius suffuere imperiis"). Sie verschmähte jede Ehe,
der sie die Jungfräulichkeit vorzog und starb daher ohne Nachkommen. Lange noch
nach ihr hatte das Reich keinen König.275
Borst erklärt die Rückführung der Polen auf die Vandalen mit dem
Wissen Kadlubeks um eine vandalische Präsenz in Schlesien in grauer Vorzeit.
Polen wurde durch die Konzeption Kadlubeks an das westlich-römische Europa
und seine Geschichte gebunden. Antike Namen und historische Elemente
waren dazu am besten geeignet. Der germanisch-antiken Herkunftssage die
biblische hinzuzufügen, fühlte man sich erst nach dem Mongolensturm bemüßigt,
meint Borst, weil man sich nach einem neuen, festeren Halt in der
abendländischen Christianitas umsehen habe müssen.276
|
274"Vanda mari, Vanda terrae, aeri Vanda imperet! Diis immortalibus
Vanda pro suis victimet; et ego pro vobis, o mei proceres, solennem inferis
hostiam devoveo, ut tam vestra, quam vestrarum successionum perpetuitas sub femineo consenescat
imperio!" Vincentius, Chronicon Poloniae, I 7, ed. Bielowski
MPH II, p. 258. 275Vincentius,
Chronicon Poloniae, I 7 und 8, ed. Bielowski MPH II, p. 258ff. 276Borst
1957-1963, II/2, 766. |
94 |
Die Chronik Mierszwas folgt in weiten
Teilen fast wörtlich der Arbeit Kadlubeks. Die Zusätze, die Mierszwa zu seinen Auszügen aus Kadlubek geschrieben
hat, beziehen sich meist auf die Chronologie oder versuchen, unklare
Passagen und Wörter bei Vincentius Kadlubek zu erläutern. Mierszwa dürfte in den
achtziger Jahren des 13. Jahrhunderts gearbeitet haben. In diesem Sinn ist auch
die Einleitung der Chronik zu verstehen, die die Polen durch ihren
Anherren Vandalus auf den Stamm Japhet zurückführt.277 Diese Verbindung der polnischen mit der biblischen Geschichte wurde
von Mierszwa auf Grundlage der "fränkischen Völkertafel" in der
Fassung der Historia Brittonum verfaßt. Der Stammvater der Polen und Vandalen hieß
nun Wandalus und war ein Sohn des Neguo (Inguo) und ein Enkel des
Alanus. Auch die trojanische Ahnenreihe bis zu Javan, den die Polen Iwan nennen, und bis zu Japhet wurde übernommen. Als Quelle dieser Geschichten gab Mierszwa römische
Chroniken an. "Sicut etiam reperitur in cronicis
Romanorum."278 Mierszwa schloß sein Modell, wie ausgeführt, direkt an das Kadlubeks
an. Seiner Vorgeschichte folgt eine Paraphrase der Vandaerzählung Kadlubeks.
"Ipsa denique Wanda a Wandalo, Wandalorum id est Polonorum sive Lechitarum progenitore, de quo supra diximus nomen accepit; vel potest dici
Vanda a Wandalo scilicet flumine Wisla eo, quod eius regni centrum extiterit;
hinc omnes sunt Wandalitae dicti, qui eius subfuere imperiiis. Quae quia omnium
sprevit connubia, immo quia huius connubio praetulerat coelibatum, sine
successore decessit, diuque post ipsam claudicavit imperium sine rege."279 Die um 1253 geschriebene Chronik, die wahrscheinlich der Kustos
Baszko für den Posener Bischof Boguphal II. verfaßt hatte, stellte wieder neue
Genealogien vor die von Kadlubek und Mierszwa. Die
Pannonii, die ihren Namen von ihrem
Herrn Pan haben, stehen am Ursprung der slawischen Völker.
Sie stammten von Janus nepos
Japhet ab. Ihr erster Herrscher war
der Tyrann Nimrod, der die Knechtschaft auf der Erde einführte. Er soll der Sohn eines
Slavo sein und dieser sei der Ahne aller Slawen geworden, wie man ja an der Verwandtschaft der
slawischen |
277Zeissberg 1873, 76. 278Miersuae,
Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 163f-190; Zeissberg 1873, 76. 279Miersuae,
Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 170. |
95 |
Sprachen ersehen könne. "Sunt
autem Slavorum multimoda genera linguarum se mutuo intelligentia."280 Pans Kinder wiederum hießen Lech, Rus und Czech und wurden die Stammväter der lechithischen Polen, der Russen und der Tschechen. Wie
Slavo und
Nimrod mit Pan und dessen Kindern verwandt sind wird nicht weiter
erläutert. Sicher ist nur, daß alle Japhetiten sind. Dies wird noch durch eine alternative
Erzählung untermauert. Die beiden Japhetenkel Janus und Russz hätten die Slawen und die Deutschen gezeugt. Noch die Namengeber beider Völker
Ducz und
Slavus seien Brüder gewesen. Ihr Vater wird nicht genannt.281 Alle diese Ahnenreihen wurden also vor Kadlubeks Urgeschichte von
Graccus und Vanda gesetzt. Ihr Ausgangspunkt ist immer Japhet. Der mit einem eponymen Gründervater und dann mit einer Völkerreihe begründete
ethnische Universalismus, der die Panonnii also die Ungarn an den Anfang setzte und zu Slawen und damit auch zu Vandalen machte, bot eine gemeinsame
Identität für den ganzen osteuropäischen Raum an. Dieses universale Modell bezog
die Russen und die Deutschen, deren Siedler und Stadtrechte sich gerade überall
verbreiteten, ein. "Auf diese Weise erhielt man die umfangreichste
biblisch-genealogische Koalition, die jemals in Ostmitteleuropa ausgedacht worden ist, und
es hält schwer, nicht den Mongolensturm als Veranlassung für übervölkisches Empfinden und Sehnsucht nach größerem Zusammenschluß namhaft zu machen."282 Im frühen 14. Jahrhundert erscheint der polnische Urkönig
Graccus nochmals in einer Konzeption der Vorgeschichte, die diesmal Polen und Tschechen
eine gemeinsame Herkunft geben will. Ein anonymer schlesischer
Zisterzienser konstruierte eine Herkunft von dem Brüderpaar
Czech und
Lech. Nach dem Turmbau von Babel sollen diese beiden die Polen und Tschechen
begründet haben. Der Zweck dieser Konzeption ist vor dem Hintergrund der nach
Krakau orientierten schlesischen Städte zu sehen. Tschechisch sprechende
Bürger hatten |
280Boguphal, Chronicon Poloniae, 1, ed. Bielowski MPH II, p. 468ff; Borst
1957-1963, II/2, 768; Zeissberg 1873, 99ff. Die Autorenschaft Baszkos ist nicht gänzlich geklärt.
Darum erscheint die Chronik oft unter dem Namen des Bischofs Boguphal, dem sie jedenfalls
gewidmet war. 281Boguphal,
Chronicon Poloniae, 1, ed. Bielowski MPH II, p. 470f. 282Borst
1957-1963, II/2, 768. |
96 |
ein Interesse an einer alten,
gemeinsamen Wurzel mit dem polnischen Zentralraum. Schlesien war 1335 von Polen an Böhmen abgetreten worden.283 |
II.1.16. "Vandali, qui nunc
Poloni dicuntur". Jan Dlugosz (15. Jh.) Jan Dlugosz (1415 - 1480) war polnischer Chronist und
Universalhistoriker und stammte aus einer adligen Familie. Er begann das Studium der
artes liberales in Krakau und trat noch während des Studiums ihn die Dienste des
Bischofs von Krakau Zbigniew Olésnicki. 1440 erschien er als Sekretär des Bischofs
und war in verschiedenen diplomatischen Missionen tätig. Seit 1455 war
Dlugosz im Hofdienst und als Prinzenerzieher beschäftigt und erzog die Söhne
Kasimirs IV. Er führte Verhandlungen mit dem deutschen Orden und wurde 1480 zum Erzbischof von Lemberg ernannt, starb aber noch vor der Ordination.284 Bei seinen Annales Regni Poloniae handelt sich um eine polnische Geschichte in zwölf Büchern von der Urzeit bis 1480. Eine erste Redaktion wurde in
den Jahren 1458 - 61 vorgenommen. Die Annales enthalten eine frei gestaltete Bearbeitung älterer polnischer Chroniken, Annalen und Urkunden und verwerten
dabei viel nicht mehr identifizierbares Material. Durch die Einbeziehung
lateinischer und russischer Geschichtsquellen entstand eine Chronik, die die ganze
Geschichte von Mittel- und Osteuropa im ausgehenden Mittelalter beschrieb. Dlugosz
zeichnete in seiner Urgeschichte eine glücklich lebende Menschheit. Alle
sprachen Hebräisch und dienten Gott. Als der Tyrann und Frevler Nimrod seinen
Turm baute, fühlte sich Gott gelästert und schickte als Strafe die 72
Sprachen, die die Menschheit von da an sprechen sollte. Damit begann alle
diversitas varietasque. Selbst die Slawen, die doch das nobile
linguagium Slavonicum haben, lieben
sich gegenseitig nicht.285 Die europäischen Zusammenhänge sind in den Völkergenealogien von
Dlugosz genau so ausführlich enthalten wie die slawischen. Von
Gomers Kindern stammen nach Dlugosz die Stämme Süd- und Mittelitaliens ab.
Magog begründete die Skythen, Geten, Goten und Deutschen. Tubal erscheint als Stammvater der 283Chronicon
Polono-Silesiacum, MGH SS 19, p. 556; Borst 1957-1963, III/1, 1043. 284LMA IV,
s.v. Dlugosz, Jan, 1139f; Zeissberg 1873, 197-260. 285Borst
1957-1963, III/1, 1043; Zeissberg 1873, 293ff. |
97 |
spanischen
Cetubales, der Keltiberer. Deutsche
und Engländer bekommen eine trojanische Abkunft, die Franzosen nicht. Die polnischen Ahnen waren
Japhetiten, und diese Stammtafel wurde aus dem Zusatz Mierszwas zu Kadlubeks
Chronik entwickelt. Somit arbeitete Dlugosz im 15. Jahrhundert wiederum den
auf der fränkischen Völkertafel beruhenden Stammbaum ein. Er verlor zwar kein
Wort über eine Verwandschaft von Germanen und Slawen, diese ist aber in
der Genealogie implizit. Die Vandalen erscheinen in diesem Modell als
Menschen, qui nunc
Poloni dicuntur. Die slawischen
Genealogien aus der Chronik Baszkos/Boguphals sind ebenfalls enthalten. Der polnische
Lech und der tschechische Czech sind Brüder und Söhne des Japhetenkels
Janus. Auch
Rusz ist erwähnt, allerdings äußert Dlugosz Vorbehalte gegen die ihm
vorliegenden Quellen.286 Diese Vorbehalte und die Voranstellung der westlichen Genealogien
haben Gründe. Dlugosz betonte die japhetitische Herkunft der Polen, um sie
in einen europäischen Kontext zu stellen und von den Bewohnern Asiens, also
auch den Russen, abzuheben. Dlugosz klagte an der Stelle, wo er die
trojanische Herkunft der Deutschen und Engländer beschrieb, die Polen seien als Nachkommen
Chams bezeichnet worden. In diesem Zusammenhang wird die Benutzung der
Modelle von Mierszwa und Kadlubek noch klarer. Die 'germanische' Stammtafel
der Historia
Brittonum garantierte eine
polnische Sonderstellung unter den Slawen. Polen war katholisch und nach Westen orientiert. Außerdem
konkurrierte es in der Lebenszeit des Jan Dlugosz mit Böhmen und vor allem Rußland um
die Vormachtstellung im primär slawischen Osteuropa.287 Nach dem Ende der Kriege der Polenkönige mit dem Deutschen Orden
konnte die polnische Monarchie sich für ein Jahrhundert zu einem Großreich
zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer entwickeln. Seit 1386 bestand eine Personalunion mit Litauen. Die jagiellonische Dynastie begann auf
dieser Basis mit einer Reichsbildung. In der Regierungszeit Kasimirs IV. (1447 -
1492) war Polen die wichtigste politische Größe in Osteuropa. Die polnische
Expansion konnte sich aber im ausgehenden 15. Jahrhundert nicht gegen die
Habsburger, das aufstrebende Moskau und die Osmanen durchsetzen.288 Es ging
also um einiges, |
286Dlugosz, Annales Regni Poloniae, ed. Pauli, p. 2-8 und 28f. 287Borst
1957-1963, III/1, 1043f. 288Donnert
1972, 56ff. |
98 |
wenn Dlugosz den Polen eine
westlich-europäische Identität mittels der ihm greifbaren Geschichtsmodelle geben wollte. |
II.2. Pawel Josef Schafarschiks
Thesen von 1837 |
Lediglich zweimal wurde in der
Forschung bisher versucht, die Gleichsetzung Vandalen = Wenden zu erklären. Der erste Versuch stammt vom Autor der
"Slawischen Althertümer" Pawel Josef Schafarschik.289 "Die Wurzelverwandschaft der Namen Wandalen und Weneden, sodann
die Ansässigkeit der Wandalen im Lande der Winiden und ihre Vermischung
mit denselben, gaben den Schriftstellern des Mittelalters Veranlassung
den Namen Wandalen auf die Weneden zu übertragen. Jedenfalls geschah dies schon
sehr früh."290 Schafarschik führt als möglichen frühesten Beleg eine Stelle aus der
Prosperchronik an, in der Prosper von dem Sieg der Langobarden über die Vandalen
spricht.291 Diese Stelle ist aber eine Interpolation des 15. Jahrhunderts.292 Auch wenn
die Stelle keine spätmittelalterliche Interpolation wäre, ist ein Bezug
auf die Wenden/Slawen nicht plausibel. Die Geschichte vom Kampf der
Langobarden, die noch Vinuli genannt wurden, gegen die Vandalen stammt aus
Paulus Diaconus und war von diesem auch auf die historischen Vandalen
bezogen. Wie 289Vgl. zu
Schafarschik Kapitel IV.4.2. dieser Dissertation. 290Schafarschik
1844, 419. 291Prosper,
ad a. 379, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. IX, CM 1, p. 498. "Longobardi ab extremis Germaniae finibus Oceanique protinus
litore Scandiaque insula magna multitudine ingressi et novarum sedium avidi Iborea et Aione ducibus
Vandalos primum vicerunt." Eingefügt wurde die von Mommsen als Interpolation
klassifizierte Stelle unter "Ausonio et Olybrio co(n)su(les)". Die Stelle ist eine Paraphrase aus
Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, I und II, 7, sowie Jordanes, Getica, 3, 16. 292Mit der
späten Interpolation argumentierend kritisiert Steinberger 1920, 116f
Schafarschik. |
99 |
eine Vermischung der Ethnonyme
Vinuli,
Vandali und Wenden, wie sie Adam
von Bremen und Helmold von Bosau vorgenommen haben, zu verstehen wäre,
bleibt zu klären. Weiter meint der Prager Gelehrte, im siebten und achten Jahrhundert
sei der Name Vandalen in Bezug auf die Slawen namentlich im süddeutschen Raum
gebräuchlich gewesen. Als Belege führt Schafarschik die Wesobrunner
Glossen, die Gesta Hrodberti, die Vita SS. Marini et Aniani und das Salomoglossar
an. Seine zusammenfassende Interpretation soll im folgenden wiedergegeben
werden, da sie die bisher einzige Äußerung in der Forschung zum hier
untersuchten Problem darstellt. "Die Verwechslung der Awaren und Slawen, die sich
durch das gemeinschaftliche Einrücken beider Völker in die Länder jenseits der
Donau erklären läßt, verführte die Annalisten zur Übertragung des Namens
Vandalen auf die Awaren, die vermeintlichen Slawen. Recht klare Belege für den
Mißbrauch gewährt uns die Vergleichung der alamannischen und sanktgaller
Annalen mit den Annalen von Petau, Lorch und Fulda u.a.: wo jene nämlich den
Namen Wandali,
Wandalia haben, da setzen diese
Awari, Awaria (ebenso auch
Huni, Hunia nach einem anderen Mißbrauche).293 Demzufolge dürfte vielleicht zu bezweifeln sein, ob das, was die Legenden vom Rupert und Marinus über die
Vandalen berichten und was die Ausleger in der Regel auf die Slawen beziehen,
nicht vielmehr auf die Awaren zu beziehen sein dürfte? (...) Es geht daraus
hervor (gemeint ist die Glossierung von
Wandali in den
Glossae Salomonis der Handschrift der Prager Nationalbibliothek durch
Slowené, d. V.), wie diese
Verwechslung von Vandalen und Weneden schon sehr früh begonnen und nicht nur durch die
Gleichheit der Namen, sondern auch die Gemeinschaftlichkeit der Sitze
und die ehemalige Vermischung beider Völker veranlaßt worden ist."294 Mit der "ehemaligen Vermischung" ist Schafarschiks Konzept
von der Identität der Vandalen gemeint. Er ging davon aus, daß die germanischen Völker
zwischen Oder und Weichsel, also Rugier, Burgunder, Silingen, Marsigner,
Omaner, Diduner, Wisburger, Burgionen, Avarinen und andere unter insgesamt
drei verschiedenen Namen in der antiken Literatur genannt worden seien. |
293Schafarschiks
Anm. 6 von S. 420: "Pertz Monumenta Germanica historica I. 47-48. 75. ad
a. 790. 795. 796. 798 etc." 294Schafarschik
1844, 420f. |
100 |
Ursprünglich seien alle germanische
Sueben gewesen, wie der Wissensstand des Tacitus bezeuge. Durch die Vermischung mit den "Wenedern",
den 'Urslawen' also, wurden diese germanischen Völker aber zu Windilern/ Wandilern/ Wandalen. Durch diese Vermischung sei der "Spott"- oder
"üble Beiname" Vandalen entstanden, der so viel wie die "Verwindeten"
bedeutet habe. Unter geographischen Gesichtspunkten sei der dritte Name zu erklären, den
die germanische Bevölkerung dieses Raums von den benachbarten 'Urslawen'
als Fremdbezeichung bekommen habe. Lygii,
Lugii, Lugiones hießen diese
Germanen, weil sie in das slawische Land Luhy eingewandert seien.295 Schafarschik versuchte zu beweisen, daß die Slawen viel früher als
angenommen "ihre Sitze" auch westlich der Weichsel "eingenommen
haben".296 Daher müsse schon lange ein Völkegemisch in diesem Raum bestanden haben. "Schenken wir dieser Ansicht Beifall, so werden wir nun erst dem
Namengemisch der Sueven, Windiler und Lygier, welches wir bei den alten Griechen
und Römern bemerken, vollkommenes Verständnis abgewinnen. Völker nämlich, welche
Plinius Windiler nennt, nennen Strabon und Tacitus Sueven und Lygier.
Andere, zumal spätere, wieder umgekehrt. Die Sache verhält sich demnach also
so: Die deutschen an der Scheide von Oder und Weichsel angesessenen Völker,
die Rugier, Burgunder, Silingen, Marsigner, Omaner, Diduner, Wisburger,
Burgionen, Avarinen u.s.w. führen ihrer Abkunft nach den Namen Sueven, wegen
ihrer Vermischung mit den Winden den üblen Beinamen Windiler, Wandiler, Wandalen, in geographischer Beziehung wegen ihrer Besitzergreifung
des slawischen Luhy den Namen Lygii, Lugii, Lugiones. Daraus wird
ersichtlich, daß sich eine Scheidelinie zwischen den germanischen und slawischen
Völkern an der Oder und Weichsel zu keiner Zeit genau ziehen läßt. Die Geschichte
findet hier ein Gemisch von Germanen, Kelten und Völkern slawischen
Stammes."297 Das Bild der Forschung über die ethnische Landschaft der Germania in
der Kaiserzeit beruhte auf der Ethnographie des Tacitus und der
Topographie des Ptolemaios, die in manchen Punkten zusammenpassen, in anderen aber
sich widersprechen und des öfteren eine Mischung aus veraltetenen oder
topischen mit tatsächlich verläßlichen Nachrichten darstellen. |
295Schafarschik 1844, 408-419. 296Schafarschik
1844, 406. 297Schafarschik
1844, 408. |
101 |
Tacitus erwähnte nördlich der Karpaten
an Oder und Weichsel zahlreiche Stämme. Manche dieser Namen erscheinen in der Völkerwanderungszeit in
den Quellen in teilweise veränderter Form. Tacitus' Vandiliernamen kennen
wir als völkerwanderungszeitliche Vandalen, die Gutonen als Goten und die Burgundionen als Burgunder.298 Die ethnischen Prozesse, die hinter diesen Namen liegen mögen, sind mangels Quellen kaum rekonstruierbar. Die
ältere Forschung hatte hier ein breites Feld, um Identitäten des
'nationalen' 19. Jahrhunderts nachzuweisen, wie Schafarschik exemplarisch vorgeführt
hat. Andere antike Autoren bringen ähnliche Namen, unter denen aber oft
Verbände und nicht einzelne Völker zu verstehen sind, was die ethnische
Deutung zusätzlich verkompliziert. Plinius meint mit den
Vandili die wichtigsten Völker der östlichen Germania, die Burgundionen, Varinner, Chariner und
Gutonen.299 Bei Tacitus dagegen fungieren die Lugier als wichtige
Völkergemeinschaft in diesem Raum. Zu den taciteischen Lugiern zählen unter anderen die
Harier und die Naharnavalen. Die Gutonen wiederum sind eine eigene taciteische
Gruppe, zu der auch die Rugier und Lemovier gehören, wobei die Burgundionen gar
nicht genannt werden.300 Bei Ptolemaios sind die lugischen Völker dann neu
gemischt, die Vandalen fehlen und die Burgunder sind wieder vorhanden.301 Die meisten der genannten Völkerschaften lebten im heutigen Südpolen,
was dazu führte, daß Schafarschik und andere Forscher den Lugiernamen für
eine vorgermanische oder eben explizit slawische Fremdbezeichnung jener
Völker hielten, die sich selbst Vandalen nannten. Das einzig mit Sicherheit
Feststellbare ist, daß der Lugiername im dritten Jahrhundert verschwand, als
vandalische Gruppen in Richtung Reichsgrenze zu ziehen begannen.302 Schafarschik hat bemerkenswert gründlich gearbeitet und den Großteil
der heute greifbaren Belege für die Gleichsetzung von Wenden und Vandalen vor
dem 10. Jahrhundert erwähnt. Die meisten seiner Datierungs- und
Zuordnungsfehler beruhen auf dem Stand der Editionen in der Mitte des 19.
Jahrhunderts. Seinen |
298Tacitus, Germania, 43 und 44 299Plinius,
Naturalis Historia IV, 14 und 99. 300Tacitus,
Germania, 2, 43 und 44. 301Ptolemaios,
Geographika II, 11. 302Vgl. zu
den Völkern an Oder und Weichsel: Pohl 2000, 23; Wolfram 2001, 47ff; Wolfram
1998, 54 und 83f; Krüger 1976, 1, 49ff. |
102 |
Aussagen bezüglich der Gleichsetzung
von Awaren und Slawen in einigen der genannten Quellen ist nichts hinzuzufügen. Daß die mittelalterlichen
Autoren einem Irrtum aufgesessen seien, ist auch heute noch die
vorherrschende Meinung in der Mediävistik. |
II.3. Ein (eigener)
Erklärungsversuch Wie ist diese Gleichsetzung von Slawen/Wenden und Vandalen in den behandelten Quellen nun zu verstehen? Einen Irrtum basierend auf
einer relativen Namensähnlichkeit anzunehmen, wäre eine wenig befriedigende
Erklärung. Außerdem sollte man die Autoren der genannten Quellen nicht für so
kurzsichtig halten, daß sie ohne weiteres Völkernamen vermischen würden, ohne
eine Überlegung anzustellen. Im folgenden soll versucht werden, eine
mögliche Erklärung zu entwickeln. Einige Überlegungen von Reinhard Wenskus sollen die Basis für diese
Erklärung bilden. "Die Autorität der antiken Schriftsteller verhalf den in
ihren Werken genannten Völkern des Altertums bei den Gelehrten der
frühmittelalterlichen gentes zu hohem Ansehen. Ganz notwendig erwuchs für die
Historiker dieser gentes daraus die Aufgabe, ihre eigenen Stämme diesen
berühmten Völkern zuzuordnen." "Auch im Mittelalter und der Neuzeit blieben
analoge Tendenzen wirksam."303 "Der sich ständig vollziehende ethnische Prozeß steht nun
wiederum im Widerspruch zum ethnischen Bewußtsein der Einzelgruppe, die dazu
neigt, ihre Existenz bis in graue Vorzeit zurückzuverlegen. Die Frage nach dem
Alter eines Ethnos stand schon für Herodot an erster Stelle. Das Alter ist für
die Rangordnung entscheidend; es hat legitimierende Kraft. Diese
Denkweise ist auch im modernen Nationalismus noch wirksam. Wenn früher die Germanen als
'Alte Deutsche' bezeichnet wurden oder wenn der nordische Kulturkreis der
Bronzezeit als 'germanisch' angesehen wird, so wird dieses Bestreben deutlich
spürbar. Was 303Wenskus
1961/1977, 78f. |
103 |
den Nationalismus aber in dieser
Hinsicht vom ethnischen Bewußtsein unterscheidet, ist sein in die Zukunft gerichtetes
Sendungsbewußtsein, das zu Aggresivität und Imperialismus führen kann. Während Stolz auf
mythische Ahnen und alten Ruhm nur das Bewußtsein der Vorzugsstellung des
eigenen Ethnos begründen soll, zieht der Nationalismus daraus Folgerungen für
das Handeln des einzelnen, die dem ursprünglichen ethnischen Denken fremd
waren. Das Sendungsbewußtsein des Nationalismus ist ohne universalistische Strömungen, die aus Christentum und antiker Philosophie in das
ethnische Denken hineinwirkten, nicht zu verstehen. Ohne die Konzeption einer allgemeinen 'Menschheit', die Objekt dieses Sendungsbewußtseins ist
und die dem ethnischen Bewußtsein fehlt, ist der Nationalismus undenkbar. Das
ethnische Bewußtsein an sich hat keine missionarische Tendenz, es sucht nur die
eigene Vorzugsstellung zu erhalten und zu legitimieren. Es wacht
eifersüchtig darüber, daß die richtigen Riten nicht über seine Grenzen hinaus bekannt
werden und so einem potentiellen Gegner (...) zu größerer Macht zu verhelfen.
Umgekehrt suchen sich schwächere Gruppen in den Besitz des Geheimnisses der erfolgreichen zu setzen und gehen zu deren Kult über. Noch die
Christianisierung mancher germanischer Stämme ist auf diese Weise mitverursacht
worden."304 Was Wenskus formuliert, beinhaltet die Erklärung für eine Reihe von
Versuchen, Verbindungen zwischen der Mythologie und Geschichte der antiken Mittelmeerwelt und dem frühen Mittelalter herzustellen. Die Franken
werden in diesem Zusammenhang wie die Römer zu Nachfahren der Trojaner. Die
Sachsen lassen sich zu Abkömmlingen der Makedonier Alexanders des Großen
machen. Ein sehr früher Beleg für solche Versuche, sich als
gens einen Stammbaum in der
Kulturtradition der mittelmeerischen Schriftkulturen zu schaffen, ist die bei
Ammianus Marcellinus erwähnte Vorstellung der Burgunder, sie seien
eigentlich Nachkommen der Römer.305 Das Verhältnis Römer-Burgunder war aber ein besonderes. 278 fielen
Burgunder in Raetien ein und wurden von Kaiser Probus besiegt. Die Beziehungen
zwischen dem Imperium und den Burgundern verbesserten sich allerdings in den folgenden hundert Jahren. Als Feinde der Alamannen schienen die
Burgunder als Verbündete in Frage zu kommen, und die Römer erklärten sich den 304Wenskus
1961/1977, 81f. 305Wenskus
1961/1977, 79; Die Eigendefinition der Burgunder als Römer bei: Ammianus Marcellinus, 28, 5; Besprochen bei: Wolfram 1998, 84f. |
104 |
Burgundernamen schließlich damit, daß
diese die Besatzungen der burgi gestellt hätten.306 Im zweiten Buch der Chronik des sogenannten Fredegar werden zwei
biblische Genealogien entwickelt, die auf Hieronymus aufbauten. Von Abraham und
der Magd Agar stammen die Sarazenen ab, von Jakob die Juden. Die Franken
selbst haben eine eigene Genealogie und leiten sich wie schon kurz erwähnt
von Aeneas und den Trojanern ab. Sie sind also mit den Römern verwandt.307 Wenige
Jahre vorher schrieb Isidor von Sevilla von den Söhnen Agars und von der
griechischen Herkunft der Galicier, die bis in die Zeit des trojanischen Kriegs
reiche.308 Die hier zu untersuchende Verbindung der taciteischen Genealogie der germanischen Stämme mit der biblischen Vorstellung von der Abstammung
der Völker hat aber eine komplexere Vorgeschichte. Der alexandrinische
Jude Eupolemos verband nach 145 v. Chr. in griechischer Sprache den
homerischen Sagenkreis von der Erschaffung der Welt mit den jüdischen
Vorstellungen der Genesis. Moses war in diesem Modell der erste Schrifterfinder, von
ihm haben zuerst die Phönizier und dann die Juden die Schrift übernommen. Hier
wird erstmals der Versuch greifbar, die jüdische Urgeschichte der antiken voranzustellen. Das ist die Wurzel, aus der 350 Jahre später die
christliche Chronographie erwuchs.309 133 v. Chr wurde die Hellenisierung der jüdischen Urgeschichte im Hasmonäerstaat fortgeführt. In den älteren Teilen der sogenannten
jüdischen Sibylle läßt sich diese Kombination greifen. Eine metaphernreiche
Auslegung der Geschichte vom babylonischen Turm wird mit der Sintflutsage
verkoppelt. Wichtig ist, daß dieser Text in griechischer Sprache verfaßt wurde.
Die Söhne Noahs, die die Welt zugeteilt bekamen und Völker und Reiche
gründeten, hießen in dieser jüdischen SibylleKronos, Titan und Japetos. Nicht Noah persönlich entschied aber über die Aufteilung der Welt, sondern das Los. Später
stritten sich die Söhne Noahs, und es soll zu den Kämpfen, von denen Hesiod in
seiner Theogonie berichtete, gekommen sein. Die Entstehung der
Weltreiche Ägypten, Assyrien, Babylon, Makedonien, Persien, Medien, Äthiopien und Rom, die
im |
306Wolfram 1998, 85; Zöllner 1970, 22. 307Fredegar
II, 1. 308Isidor,
Etymologiae IX, 2, 26. 309DNP 2,
s.v. Eupolemos, 678f; Borst 1957-1963, I, 145. |
105 |
Buch Daniel nur angedeutet waren,
werden in der Sibylle gründlich ausgearbeitet und in diese Konzeption integriert. In der spätantiken Literatur
hielt man die sibyllinischen Bücher, die auch unter den Namen chaldäische oder
hebräische Sibylle bekannt waren, oft für eine Bearbeitung eines babylonischen
Werks, das auf Berossos beruhe. Tatsächlich handelte es sich aber um eine
Kombination der Genesis mit der griechischen Tradition, die weitreichende Folgen für
die Geschichtsbilder im späteren Europa haben sollte.310 Der Spanier Isidor, der einen immer noch nicht in seiner ganzen
Tragweite erfaßten Einfluß auf die Vorstellungswelt des mittelalterlichen
Europa ausübte, tradierte die Idee, Identitäten als Völkergenealogien zu beschreiben.
Ihr Ursprünge werden unten noch angesprochen. Auf Basis der biblischen
Berichte versuchte Isidor in seinen Etymologiae die ethnische Landschaft der Welt, die er wahrnahm, zu erfassen. Von Noah wurden in diesem biblisch fundierten Geschichtsbild nach der
Sintflut seine Kinder ausgeschickt, um die Welt zu besiedeln. Sem, Japhet und
Cham sollen die Urväter der späteren Völker in Afrika, Asien und Europa
gewesen sein. Gallier, Skythen, Goten, Meder, Griechen, Spanier, Italier,
Kappadokier, Thraker und alle anderen wurden davon hergeleitet.311 Herwig Wolfram hat bereits 1979 in seiner Neubearbeitung der
Conversio bemerkt, daß Ingo als karantanischer Fürst, die "großartigsten,
um nicht zu sagen, die wildesten Kombinationen" erlaubte.312 Wolfram
führte den Nachweis, daß Ingo aus der Reihe der Karantanenfürsten zu streichen und ein
Salzburger Spitzenmissionar der Zeit Bischof Arns gewesen sei. Seitdem Ingo im Geschichtswerk Johann von Viktrings (gestorben 1345/47) erstmals als
Herzog von Kärnten bezeichnet worden war, war eine Tradition entstanden, die
auch in die moderne Forschung Eingang gefunden hatte. Die Identifizierung als
karantanisch-slawischer Herzog beruhte aber auf einem Übersetzungsfehler.
Ingo presbyter ist vermutlich mit dem so bezeichneten Priester im
Verbrüderungsbuch von St. Peter identisch, und die Schilderung von Ingos Gastmahl in
der Conversio |
310RE II A, 2, s.v. Sibyllen (die einzelnen), 2097-2102; Borst 1957-1963,
I, 146ff; Kurfess 1951, 45ff; Oracula Sibyllina III, GCS 8, 52ff. 311Isidor,
Etymologiae IX, 2, 26-31. 312Wolfram
1979, 101f. |
106 |
wäre als christliche Parabel nach den
Kompositionsprinzipien der biblischen Gleichnisse besser verständlich.313
Die Kombinationen, die wünschenswert wären, sind dann nicht mehr
möglich. Wolfram deutet trotzdem an, was er meint. Ingo ist in der
taciteischen Ethnogonie der Stammvater der Ingaevones. Die taciteische Ethnogonie lebte in
den Redaktionen der "fränkischen Völkertafel" fort. In einer
Version dieser "fränkischen Völkertafel" der Zeit um 800 ist Ingo der
Stammvater der Sachsen, Thüringer, Bayern und Vandalen. "Diese Zusammenstellung ist
damals geschaffen worden und läßt im Hinblick auf die Vandalen die Annahme zu, in ihnen
die Slawen-Awaren der Zeit zu sehen. Für derartige pseudologische
Gleichsetzungen, wie sie im Hoch- und Spätmittelalter gang und gäbe sind, kennt man
die ersten Belege aus dem letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts. Die
Überarbeitungen der 'fränkischen Völkertafel' haben seit jeher die Veränderungen im Gemeinschaftsgefüge des Frankenreichs widergespiegelt." Wenn die
Bayern und Vandalen-Slawen, so Wolfram weiter in seinen Überlegungen,
denselben Stammvater Ingo haben, sind sie eben Brüder.314 Die "großartigsten, um nicht zu sagen, die wildesten
Kombinationen" scheinen über einen anderen Weg möglich, der aus humanistischen Schriften des
16. Jahrhunderts ins Polen des 13. und weiter ins Kloster St. Varras am
Pas-de-Calais des 10. Jahrhunderts führt. Auf diesem weiten Weg findet man zur
"fränkischen Völkertafel" und der Vorstellung von der Abstammung der Slawen
von Ingo/Negue. Nun stellt sich zuerst die Frage, wie die Vorstellungen der
Humanisten über die Abstammung der Slawen zu werten sind. Ordnen sie kreativ und unter Heranziehung neuer Quellen die Vorstellungen bzw. erschaffen solche
gemäß der politischen Interessen, die sie umgeben, neu, oder verwerten sie auch
älteres Material? Im Fall von Albert Krantz und Martin Cromer, die im
nächsten Abschnitt ausführlich behandelt werden, liegt auch eine Auswertung
älterer Traditionen vor. Krantz bringt dabei die Vorstellung von einem
Stammvater Vandalus, dessen Söhne zwei verschiedene Identitäten
annahmen. Der in den Norden Gewanderte wird ein Deutscher, der in den Süden Gezogene ein
Slawe. |
313Wolfram 1979, 1979ff; Wolfram 1995, 287ff. 314Wolfram
1979, 101f und Anm. 27. |
107 |
Als antikes Fundament dieser Thesen
bedient sich Krantz des Ende des 15. Jahrhunderts ins Spiel gebrachten Pseudo-Berossos.315 Ebenso ist der Eintrag im "Thesaurus" des Basilius Faber
aus dem letzten Drittel des 16. Jahrhunderts einzuordnen. Sub voce "Vandalus, Tuisconum rex fuit, a quo Vandali, populosissima natio; & Vandalia, quam nunc
tenent Poloni, Pomerani, Cassubii, Bohemi & gentes apud Vistulam fluvium, qui priscis
Vandalus dicebatur, Altham. Vide Sclavi."316 Tatsächlich sind diese Vorstellungen aber älter und stehen in einer
für die Humanisten nicht mehr nachvollziehbaren, komplizierten sowie
indirekten Beziehung zu Tacitus. Cromer, der sich von solchen Vorstellungen zwar
distanzierte und auch Krantz zu widerlegen versuchte, referierte
diverse Thesen zur Herkunft der Slawen. Dabei kommt er auch auf verschiedene alte
Chroniken der Polen und Böhmen zu sprechen, in denen von der Nachkommenschaft
Japhets die Rede ist. Über Japhets Sohn Philaros geht die Reihe über
Alames,
Anchises und Aenaes zu den Trojanern weiter.
Aeneas Ururenkel
Alanus wandte sich mit seinen vier Söhnen nach Europa. Der älteste Sohn des
Alanus war
Vandalus, der der Weichsel seinen Namen gab und damit auch dem polnischen Land. Seine Eroberungen verteilte er an seine Söhne, die die verschiedenen
slawischen Staaten stifteten.317 Hier beginnt die Spur, die den Kreis zu schließen
ermöglicht. Genau diese von Cromer beschriebene und kritisierte Genealogie findet
sich nämlich in der Chronik Mierszwas aus dem 13. Jahrhundert. Hier ist es
der Japhetnachfahre Alanus, der "primus Europam intravit" und
Negno zeugte. Dieser Negno wiederum zeugte vier Söhne. Der Erstgeborene war
Wandalus, von dem die Wandalitae, "qui Poloni nunc dicuntur", abstammen.318 Dieses Modell bezog Mierszwa wiederum aus der Völkergenealogie, die
in der sogenannten "fränkischen Völkertafel" entwickelt wird. In
der Fassung, die die Historia
Brittonum enthält, sind die beiden
Namensformen Alanus und Negue vorhanden. "Primus homo venit ad Europam de genere Iafeth:
Alanus cum tribus |
315Zu Berossos Vgl. Kapitel III.1. dieser Arbeit. 316Faber,
Thesaurus, 1587/1692, s.v. Vandalus, p. 2720. 317Cromerus,
De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 2. 318Miersuae,
Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 163f. |
108 |
filiis suis quorum nomina sunt
Hessitio, Armeno, Negue."319 Mierszwa hat also lediglich Negue zu Negno verändert und die Genealogie ausschnittsweise nacherzählt, man könnte auch sagen, auf die polnischen Bedürfnisse
des 13. Jahrhunderts zugeschnitten. Sicher ist die Quelle zuerst als Programm
dieses polnischen 13. Jahrhunderts zu lesen, aber die Vorstellung, die ihr
zugrunde liegt und hier expliziert wird, ist nicht nur polnisch-slawische Eigensicht
und älter. Ein Rückgriff auf eine nicht eben kanonische Quelle im Polen des 13.
Jahrhunderts ist nicht zufällig. Die Kernfrage ist nun, ob die
hochmittelalterlichen Polen eine Gegebenheit erklärten, die Realität ihrer Zeit war, oder ob man in
diesen Quellen die Spur einer europäischen Tradition aufnehmen kann, die 400 Jahre
älter ist und letztlich auf die Einordnung der als neue ethnische Gruppe
wahrgenommen Slawen zurückgeht. Der hier postulierte Vorgang muß jedenfalls
zeitlich nach der Chronik Fredegars vorgenommen worden sein, da in diesem Text noch
keine andere Benennung als Sclavi oder Wenedi zu finden ist. Ein textlicher Bezug von Historia
Brittonum und der Gleichsetzung von
Vandalen und Slawen/Wenden ist im Chronicon
Vedastinum aus dem zehnten Jahrhundert
gegeben. Nicht weit im Text entfernt von der Schilderung der
vorrömischen Geschichte, die wohlgemerkt auf der
Historia Brittonum basiert, fügte
der Schreiber beiläufig folgende Erläuterung ein: "(...) Vandalos,
quos nunc appellant Guénedos."320 Dies klingt gleich selbstverständlich wie der
Eintrag in den Glossae Salomonis "UUandalus id est uuinid".321 Auch
Gottfried von Viterbo erklärte seinen Lesern, wer die Vandalen, die er in seiner Erzählung von den
gotischen Königen des fünften und sechsten Jahrhunderts erwähnte, denn seien.
"Guandali dicuntur Sclavi in Latino, in lingua vero Theotonica vocantur
Guinidi."322 Nimmt man diese beiden Quellen, also Mierszwas Chronik und das
Chronicon Vedastinum, in denen eine unmittelbare Nähe von der Völkergenealogie
der Historia
Brittonum bzw. der der
"fränkischen Völkertafel" zur Gleichsetzung Wenden = Vandalen gegeben ist, als Belege für einen Platz, der den
Slawen in den Geschichtsvorstellungen des frühen Mittelalters zugewiesen
wurde, läßt sich auch |
319Ed. Goffart 1983, 110f. 320Chronicon
Vedastinum, ed. G. Waitz, MGH SS 13, p. 680. 321Diese
Schreibung nach Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f bezogen auf
den Admonter Codex und das Münchner Einzelblatt. 322Gottfried
von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102. |
109 |
ein Entwicklungsprozeß dieser
Vorstellung und dieses Namensgebrauchs rekonstruieren. Fredegar sieht die Slawen nicht als Neuzuwanderer, und der nächste
Schritt ist sie einfach in die vorhandenen Geschichtsvorstellungen hereinzunehmen und
ihnen einen Platz im Stammbaum zuzuweisen. Adam und Helmold sind in diese
Linie einzuordnen; wenn sie meinen, die Slawen hätten früher eben
Wandali geheißen, ist das nicht mehr und nicht weniger als ein hochmittelalterliches
Zitat der Ingogenealogie. Natürlich ist immer mitzudenken, daß Vandalen in der historischen
Realität einmal tatsächlich im Gebiet zwischen Oder und Weichsel gelebt haben.
Wie zäh die Erinnerung an eine solche alte Bevölkerungsgeschichte sein kann,
ist in den vieldiskutierten Toponymen wie Schlesien und Andalusien zu sehen. Wie
genau solche Benennungen zustande gekommen sein mögen, und ob sie von irgendwelchen ethnischen Strukturen Zeugnis ablegen könnten, ist
müßig zu diskutieren. Der Schwedenplatz in Wien zeugt auch nicht unbedingt von
einer schwedischen Urbevölkerung, von der Reste verblieben waren, die den
Namen weitertragen konnten. Zuerst muß geklärt werden, wie die Verbreitung der Völkertafel war und
ob sie als Spur der Grundlagen der postulierten Vorstellung in Frage kommt.
Die sogenannte "fränkische Völkertafel" ist in zumindest sieben
Handschriften und der Historia Brittonum aus dem neunten Jahrhundert überliefert. Acht unterschiedliche Fassungen dieser Vökertafel nennen 13 bzw. 12
Völker, neben verschiedenen germanischen Völkern die
Romani und die
Britones. Die Völker sind in drei Gruppen geordnet, von denen jede einen Stammvater
hat. Die Namen der Stammväter sind den bei Tacitus genannten Ingväonen,
Hermionen und Istväonen zumindest ähnlich. In einigen Fassungen ist das
Verzeichnis mit einer vorangestellten Übersicht über römische Könige begonnen worden.
Text und Datierung der frühesten Fassung sind ebenso umstritten wie der Entstehungsort. Die früheste Datierung wurde für 520 vorgeschlagen,
die späteste für den Anfang des achten Jahrhunderts. Italien, Byzanz, Deutschland
und Spanien zog man als mögliche Entstehungsräume in Betracht. Ob die |
110 |
Vorstellungen der Völkertafel
zeitgenössische sind, oder ältere Literatur verarbeitet wurde, ist ebenfalls unklar.323 "Nur kurz nach der ehrgeizigen Nachahmung Isidors und seiner
biblischen Genealogie durch die fränkische Trojanersage im ersten Buch Fredegars
bewies der Autor der Historia Brittonum ein feineres Gespür für die Beteiligung der europäischen Nachbarvölker an der eigenen Rang- und Alterserhöhung.
Hier sind die drei Germanenahnen Erminus, Ingu und Istio statt dem taciteischen
Mannus einem Vater namens Alanus zugeschrieben."324 In einigen
anderen Handschriften ist Alanus ein vier Generationen älter als die drei Stammväter der
genannten Völker datierter Römerkönig. So machen sich germanische Stämme zu Nachfahren der Römer. Wichtiger
sind die Nachkommen der drei germanischen Brüder. Dem ersten waren Gothi, Walagotus, Wandalus, Gepedes und Saxones zugewiesen. Zu den Ingväonen
zählten Burgundiones, Toringus/Loringus, Langobardus, Baiarus. Die
Kinder Istios waren dagegen Romani, Britones, Francus und Alamannus. Die
Aufstellung berichtet eindringlich vom Sieg des gentilen Denkens und der
Annäherung von Franken und Römern und nicht zuletzt von einem Gefühl der inneren Zusammengehörigkeit der Völkerfamilie West- und Mitteleuropas. Zwar
blieben die meisten Romanen und alle Slawen unberücksichtigt, nur die
germanischen Völker sind aufgezählt. Diese kühne Nachahmung der mosaischen
Völkertafel war doch wie eine Antwort auf den Partikularismus der Trojanerfabel.325 In der Historia Brittonum wird noch eine biblische Genealogie vorgeblendet,
die Alanus zu einem Sohn Japhets macht. Bei Isidor findet man die Alanen
einmal an der Spitze einer ganzen Reihe von Völkernamen Briten, Schotten,
Pikten, Armenier, Albaner, Alemannen, Germanen und Goten. Die fränkische
Völkertafel nennt 15 Namen, genau so viele Japhetiten zählt Isidor, und da er ja
schließlich Europa als Japhets Erbteil angibt, war die Verbindung zu Japhet
leicht zu ziehen. |
323Goffart 1983, 98ff; LMA, s.v. Völkertafel, frk., 1821f; Borst datiert
bzw. lokalisiert die Völkertafel im alemannnischen Raum Ende des siebten/Anfang des
achten Jahrhunderts und setzt die Kenntnis des Tacitus voraus. Borst 1957-1963, II/1,
461f. Ältere Forschungsmeinung in: Krusch 1928, 31-76. Generatio regum MGH SS 8, p. 314 und MGH SS rer.
Merov. 7, 851. 324Borst
1957-1963, II/1, 461. 325Borst
1957-1963, II/1, 461. |
111 |
Der Stammbaum des Alanus wird dann
noch mit hebräischen und irischen Namen aufgefüllt. Da nun aber der Stammbaum zu viele unbekannte Namen
enthielt, konstruierte man wieder eine neue Brücke zu den Trojanern
über Rhea Silvia, Aeneas, Anchises, Trous, Dardanus, Flisa (biblischer Elisa)
und wieder über Javan zurück zu Japhet. Alle Kinder Japhets traten in der aus Isidor
bekannten Art auf, als Gallier, Skythen, Goten, Meder, Griechen, Spanier, Italier,
Kappadokier und Thraker. Im zweiten Kapitel der Germania berichtet Tacitus, daß die Germanen in ihren carminibus
antiquis ein erdentsprungenes und
zweigeschlechtliches Zwitterwesen namens Tuisto als Schöpfergott verehren. Dessen Sohn
Mannus sei der Urvater der Germanen, und dieser habe drei Söhne gezeugt. Die Nachkommen des
ersten Sohns lebten dem Ozean am nächsten. Sie wurden
Ingvaeones genannt. Die Nachkommen des zweiten Sohns, die in der Mitte des Landes saßen,
nannte man Herminones. Die Kinder des dritten Sohns erhielten den Namen
Istvaeones. Ohne sich auf eine Variante festzulegen, führte Tacitus eine parallele
Tradition an, nach der Mannus noch andere Söhne gezeugt habe. Es gebe bei den
Germanen nämlich noch weitere Namen nach Geschlecht und Stamm, zum Beispiel Marser, Gambrivier, Sueben, Vandilier. Auch diese seien echte, alte Namen der
Germanen.326 So weit der Bericht des Tacitus. Eine andere Unterteilung der germanischen Stämme findet sich bei
Plinius: Er nannte die Ingvaeones, zu denen die Kimbern, Teutonen und Chauken
gehören, die Istvaeones, die dem Rhein am nächsten wohnen, und die
Herminones im Inneren des Landes. Zu den Herminones zählte Plinius die Sueben, Hermunduren, Chatten und Cherusker. Als vierte Gruppe fungieren bei Plinius die
Vandilii. Teilstämme der Vandilier sind die Burgundionen, Varinnen, Charini und
die Gutonen. Fünftens gebe es noch die Peukiner.327 Aber zurück zur Mannusgenealogie im Tacitus: Die zwei Varianten des
Tacitus, es habe als erste Variante drei Gruppen von Stämmen abstammend von den
drei Mannussöhnen gegeben und als zweite Variante, es habe noch andere
Söhne des Mannus als Stammesgründer gegeben, sind widersprüchlich. |
326Tacitus, Germania, 2,2. 327Plinius,
Nat. hist. 4,99f; davon abhängig Solinus 20,1. Vgl. dazu RGA 19, s.v. Mannusstämme, 234-237. |
112 |
Timpe schlägt vor, den möglichen
Entstehungszeitraum für diese Genealogien auf das 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. einzugrenzen, und die Überlieferung
für die griechisch-römische Welt mit Poseidonios beginnen zu lassen. Der Germanenbegriff des Poseidonios sei durch die Abgrenzung der Germanen
von ihren Nachbarn entstanden. Die Germanen wurden von Poseidonios als
sowohl von den Kelten, als auch von den Kimbern unterschiedene Gruppe im
Raum zwischen Rheinmündungsgebiet, Mittelgebirgsschwelle und
Weser-Leine-Linie definiert.328 In der Mannusgenealogie seien autochthone Traditionen mit
griechischen Interpretationsschemata verknüpft worden. Von den Römern wurde die Einteilung in Herminonen, Ingvaeonen und Istvaeonen dann vor allem
als räumliches Orientierungsschema verwendet und literarisch
weiterentwickelt. Die bei Tacitus überlieferte Variante des Anspruchs der Marser,
Gambrivier, Sueben und Vandilier, echte, alte Stämme zu sein, ziehe gleichsam einen
Halbkreis um den Kern der von der Nordsee gesehenen poseidonischen Germania, und dokumentiere somit in der Verbindung des Mannuschemas mit neuen historischen Erfahrungen die Ausweitung des Germanenbegriffs. Da das
Schema mit der vorgefundenen Realität nicht übereinstimmte, wurde die Mannusgenealogie dann etwa bei Caesar und Strabon auch als
literarischer Topos aufgegeben. Demgegenüber wurden bei Pomponius Mela und Plinius neben
den neuen, bekannten Stammesnamen veraltete Quellen referiert, und
Tacitus führte sie in seinem Werk, das ganz eigene Zwecke verfolgte, ja explizit als
altes Material an.329 Timpe gibt der Mannustradition so eine zeitliche
und räumliche Einordnung. Diese taciteische Mannusgenealogie der germanischen Stämme wurde in
der antiken Ethnographie kaum rezipiert. Demgegenüber steht das große
Interesse an diesem Modell in der neuzeitlichen Diskussion seit dem Humanismus.
Der Text des Tacitus war dem Mittelalter kaum bekannt.
Überlieferungsgeschichtlich nimmt der Codex Hersfeldensis, der zwischen 830 und 850 geschrieben
worden sein dürfte, eine zentrale Rolle ein. Diese Handschrift war 1455 nach
Rom gebracht worden, und von ihr aus begann die Wiederentdeckung und
massive |
328Timpe 1991, 69-124; auch publiziert in: Timpe 1995, 1-61; RGA 19, s.v.
Mannusstämme, 234-237. 329Timpe
1991, 69-124; auch publiziert in: Timpe 1995, 1-61. |
113 |
Rezeption der
Germania des Tacitus. 1470 erschien
der Text in Venedig zum ersten Mal im Druck.330 Sehr schnell fand Tacitus Eingang in die humanistischen Vorstellungen
von der germanischen Frühzeit. Er wurde dabei als so grundlegend empfunden,
daß man es für nötig erachtete, die Erzählung auch noch mit biblischen
Informationen zu verifizieren. Die Fälschung des Pseudo-Berossos, die das Modell des
Tacitus mit der biblischen Geschichte verband, erschien 1499 in Rom im Druck. Der
babylonische Weise Berossos erweiterte die bisher nur aus den
biblischen Texten ableitbaren Vorstellungen von Ursprung und Herkunft der Völker. Es
schien bewiesen, daß die Germanen, deren frühe Geschichte man aus Tacitus
kannte, direkt mit den biblischen Menschen verwandt seien, was wiederum den deutschen humanistischen Patriotismus des 16. Jahrhunderts förderte.
Im Kapitel III.1. dieser Arbeit wird der Pseudo-Berossos noch ausführlich
besprochen. Die Erklärung der Gleichung Wenden = Vandalen scheint somit möglich
unter der Voraussetzung, daß die Vorstellungen der "Fränkischen
Völkertafel" einigermaßen verbreitet waren. Die Gleichung Wenden = Vandalen zeugt von den Schwierigkeiten, die
ethnische Landschaft Osteuropas im Frühmittelalter zu klassifizieren. Sie wurde
vor der Zeit gebildet, als die Ethnogenesen der Slawen im Osten ein Stadium
erreicht hatten, das sie als Gruppen mit einer spezifischen Identität erkennen
ließ. Wir greifen sozusagen die longue durée der Unsicherheit der frühmittelalterlichen Ethnographie. Das Nachleben dieser Unsicherheit zieht sich bis ins
19. Jahrhundert, und was die Venedervorstellungen betrifft, bis heute.
Die Polen geben sich erst im hohen Mittelalter mit der Ableitung von Japhet
einen Platz in der europäischen Geschichte, den andere Gruppen schon früher
eingenommen haben. Auch die angeblichen Kämpfe mit Alexander dem Großen in der polnischen Frühzeit dienen demselben Zweck. Auf Basis des schon vorhandenen Platzes in der Literatur wird dann
die vandalische Tradition der Glossare und Annalen des achten
Jahrhunderts weitergeführt. Die süddeutschen Schreiber hatten einem Volk von
"newcomers and nomads" (Curta) einen Stammbaum gegeben und sich dabei eines
der Völker bedient, mit dem man sonst nur wenig anfangen konnte, weil es eben an
keinem 330Heubner
1989, 16ff. |
114 |
anderen Ursprung stand. Dabei war
vielleicht aber gleichzeitig impliziert, daß die Slawen zur großen Familie gehörten. Aber wohl eher im Sinne einer
biblischen Vorstellungen vom allgemeinen Menschengeschlecht. Das impliziert
allerdings, daß die "Fränkische Völkertafel" nicht als Darstellung der
ethnischen Landschaft des fränkischen Reichs konzipiert war. Diese Liste von Völkern, der
ein erklärender und ordnender Abstammungsgedanke implizit ist, war als Stammbaum der Völker des ganzen Erdteils gedacht. Spätestens seit dem
Humanismus verengte man diesen Erklärungshorizont auf eine
germanische Identität und begründete darauf auch Herrschaftsansprüche über die im
Frühmittelalter hereingenommenen Slawen. |
115 |
III. Die Gleichsetzung Wenden =
Vandalen im deutschen und deren Zurückweisung im polnischen Humanismus |
III.1. Der Pseudo-Berossos und
die Verbindung der biblischen Geschichte mit Tacitus in der humanistischen Historiographie Als wichtiges Element in den Vorstellungen von der
biblischen Herkunft der Germanen im Spannungsfeld zwischen Völkertafel,
Tacitus und Isidor erscheint im 15. Jahrhundert der Text des sogenannten
(Pseudo-) Berossos in den Überlegungen der humanistischen Autoren. Der historische Berossos war Priester des Gottes
Marduk im Seleukidenreich des dritten Jahrhunderts vor Christus. Gewidmet ist
seine babylonische oder chaldäische Geschichte in drei Büchern dem Seleukiden
Antiochos I. Soter (281 - 262/1). Möglicherweise trug dieses Geschichtswerk
den Titel Babyloniaka. Im zweiten Buch wurde von den vorsintflutlichen Königen
berichtet. Der Flutbericht selbst entspricht der aus Uruk überlieferten
babylonischen Tradition. Das Werk ist ein Produkt des Kulturkontakts zwischen griechischer
und baylonischer Tradition und diente der ideologischen Unterstützung der
seleukidischen Dynastie. Christen und Juden interessierten sich für Berossos
wegen der scheinbaren Bestätigung einiger Berichte des Alten Testaments.331 Die nur sekundäre Überlieferung des Berossos geht
vor allem auf den Grammatiker Alexander Polyhistor aus Milet zurück.
Alexander Polyhistor, der unter Sulla als Sklave nach Rom gekommen war,
benutzte um 40 v. Chr. das Alte Testament, die Bücher der sogenannten jüdischen
Sibylle und eben Berossos, um ein mythisch-historisches Bild von der
Sprachentrennung zu gestalten. Offenbar war dieser Mythos in das antike Denken integrierbar,
da es einfach keine |
331DNP 1, s.v. Berossos, 579f; RE III,1, s.v. Berossos, 1345ff; Die von
der Philologie auf die Babyloniaka zurückgeführten Fragmente sind ediert in: FGH 680. |
116 |
griechische Mythologie gab, die die
Tatsache sprachlicher Vielfalt erklärt hätte. Seine jüdische Geschichte Per‹ Iouda€vn wurde von Eusebios einige Male zitiert.332 Der griechische Historiker Abydenos benutzte für seine wohl im
zweiten Jahrhundert nach Christus entstandene chaldäische Geschichte Berossos
wiederum indirekt über das Werk des Alexander Polyhistor.333 Die Chaldäergeschichte des Abydenos und die Berossosauszüge des Alexander
Polyhistor wurden in der armenischen Fassung der Kirchengeschichte
des Eusebios integriert.334 Der mauretanische König Iuba, der bei Tatian
überliefert ist, benutzte nach eigenen Angaben für seine zwei Bücher assyrische
Geschichte die babylonische Geschichte des Berossos.335 Außerdem wurden Stellen aus
Berossos in den Antiquitates Judaicae des Josephos Flavius eingebaut.336 Von diesen Werken zu trennen ist die Überlieferung bei Vitruv, Seneca
und Plinius dem Älteren. Diese Autoren berichten von einer astronomischen
und astrologischen Schule des Berossos auf der Insel Kos. Außerdem
überliefern sie die Erzählung von einer babylonischen und ägyptischen Sibylle, deren
Vater der chaldäische Priester Berossos gewesen sei. Aufgenommen wurden diese Geschichten im Pseudo-Iustin und im 10. Jahrhundert von den
Kompilatoren der Suda.337 Seinen Namen enthält auch die Hieronymuschronik.338 Berossos
war im europäischen Mittelalter also zumindest peripher bekannt. Die Aura
des orientalischen Weisen hatte sich um ihn gelegt. Für den Humanismus bekam Berossos im ausgehenden 15. Jahrhundert
große Bedeutung. Die vermeintliche Entdeckung der vollständigen
babylonischen Geschichte des Berossos kam einer Szene von Humanisten, die sich in
die nächste Nähe des Kaisers drängte und protopatriotische Ideen vertrat, gerade
recht. Man wollte der Bibel nicht mehr die alleinige Deutungsgewalt zugestehen.
Aus den antiken Quellen sollte der Ruhm der deutschen Vorzeit erwiesen
werden. Der |
332 DNP 1, s.v. Alexander Polyhistor, 478f; Borst 1957-1963, I, 146f; ed.
FGH 273. 333DNP 1,
s.v. Abydenos, 46; ed. FGH 680. 334Eusebios,
Chron. I, p. 11. 335DNP 5,
s.v. Iuba (2), 345; Fragmente der assyrischen Geschichte des Iuba ed. in: FGH
275; enthalten in: Tatian PrÚw ÜEllhnaw, 36. 336FGH
685. 337DNP 1,
s.v. Berossos, 579f. 338Hieronymus:
Translatio Chronicorum Eusebii Pamphilii, ed. J. P. Migne PL 27, p. 67f. |
117 |
Franke Conrad Celtis (1459 - 1508)
trug in Wien nach 1497 Weltgeschichte an der Universität vor und vertrat die Ansicht, daß nach dem Zeugnis des
Tacitus die Deutschen ein uraltes Volk seien, dem germanischen identisch und auf
den Urvater Tuisco zurückzuführen. Die deutsche Kultur kam nach den
Vorstellungen Celtis allerdings von den keltischen Druiden. Die Druiden verwendeten
in Gallien die griechische Sprache. Zur Zeit des Kaisers Tiberius kamen die
Druiden dann nach Deutschland und brachten ihre Lehren mit. So erklärte sich für
Celtis die angebliche enge Verwandschaft des Deutschen mit dem Griechischen.339 Welche Quelle hatte nun die größere Autorität? Die Bibel, die alle
Völker aus dem Orient kommen ließ, oder die Germania, die von autochthonen Germanen berichtete? Der bei mehreren Päpsten tätige Dominikaner, Kuriale und Humanist
Giovanni Nanni (ca. 1432 - 1502) aus Viterbo, genannt Annius, hatte 1498 einen
Genesiskommentar geschrieben und 1480 die Apokalypse so ausgelegt,
daß sie den Christen einen Sieg über die Türken versprach. Diese Arbeiten
hatten Annius bekannt gemacht. Angeblich besuchten Annius 1471 zwei armenische
Mönche, die ihm die verloren geglaubte babylonische Urgeschichte des Berossos
gebracht haben sollen. Ob dieser Pseudo-Berossos in Armenien kompiliert worden
war oder ob Annius selbst der Fälscher war, ist nicht feststellbar.
Annius gab nun diesen gefälschten Text 1499 in Rom heraus und kommentierte ihn
ausführlich.340 Durch den Pseudo-Berossos schien der Nachweis erbracht, daß die Bibel
mit ihrer Auffassung von der menschlichen Urgeschichte zwar prinzipiell recht
hatte, aber einige wesentliche Informationen über den Ursprung europäischer und
speziell germanischer Völker nicht enthielt. Es ließen sich eine ganze Menge
Sagen mit dem Text verifizieren und die Berichte des Tacitus waren nun mit
denen der biblischen Schöpfungsgeschichte kompatibel. Der falsche Berossos
berichtete unter anderem, ein Sohn Noahs habe
Tuyscon geheißen. Somit war für
Annius der Schluß möglich, daß "Tuyscon tam Beroso quam Cornelio Tacito
testibus fuit author Germaniae".341 Hinter Tuyscon waren noch achtzehn neu erfundene Söhne Noahs in die neue Genealogie der Völker aufgenommen. Die von
Tuyscon |
339Borst 1957-1963, III/1, 1053f; Kirchner 1938, 23 und Anm. 2;
Stemmermann 1934, 10, 24 und Anm. 1. 340Borst
1957-1963, III, 1, 975ff; Kirchner 1938, 23 und Anm. 2; Gotthelf 1900, 5ff. 341Nanni,
Berosi sacerdotis libri, 1499/1612, p. 10. |
118 |
abgeleiteten Germanen zählten ganz
Osteuropa vom Balkan bis nach Rußland einschließlich Preußens zu ihrem Territorium.342 Der Heide Berossos erweiterte also die bisher nur aus den biblischen
Texten ableitbaren Vorstellungen von Ursprung und Herkunft der Völker. Das
in der Bibel enthaltene Wissen um die germanischen Völker schien bewiesen,
was wiederum den deutschen humanistischen Patriotismus des 16.
Jahrhunderts förderte. So erklärte etwa der Tübinger Professor der Rhetorik Heinrich Bebel
(1472 - 1518) 1501 in einer Rede vor Kaiser Maximilian I., Berossos und Tacitus
seien Zeugen dafür, daß die Germanen von Tuisco, einem Sohn Noahs, abstammten, den
andere Völker Janus nennen würden. Die politische Lage der Zeit schlägt sich
in einer Spitze gegen die mit den Habsburgern verfeindeten Valois nieder.
Gallien sei ja von Germanien aus überhaupt erst gegründet worden. In seinem
Schwankbuch berichtete Bebel weiters von einem Fürsten, der mit seinem
trojanisch-römischen Blut geprahlt habe. Ein Doktor aber erzählte, er sei aus Nürnberg und
die Nürnberger kenne man ja wohl. Die Trojaner dagegen seien völlig
unbekannt und Aeneas, sofern man es beurteilen könne, ein Verräter und Romulus ein
Räuber. Der pseudobiblische und nach Berossos konstruierte Tuisco war für
Bebel nur eine Hilfe. Ernsthaft wollte und konnte man die fernen Urzeiten ja nicht
erforschen. Wichtig war das Alter der Deutschen, die seit der klassischen Zeit,
was für die Humanisten gleichbedeutend mit 'seit immer' war, im Lande saßen.343 Zweihundert Jahre wurde dieser Pseudo-Berossos rezipiert und als selbstverständliche Autorität für die frühe Geschichte der Germanen
zitiert. "Annius leitete eine neue Epoche der Sprachen- und
Völkertheologie ein."344 Im achtzehnten Jahrhundert hielt der Text der philologischen Kritik
nicht mehr stand. In der Literatur nach 1750 wurde nicht mehr auf dem Text des
Pseudo- Berossos aufgebaut. Gebhardi spricht im Zusammenhang mit einer Kritik
an der Wandalia des Albert Krantz vom "untergeschobenen
Berossos", dem Krantz und andere aufgesessen wären.345 |
342Nanni, Berosi sacerdotis libri, 1499/1612, p. 10f. 343Borst
1957-1963, III/1, 1053f. 344Borst
1957-1963, III/1, 977. 345Gebhardi,
Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. 16. |
119 |
III.1.1. Exkurs: Alexander der
Große und Julius Caesar in der politischen Traditionsbildung des Mittelalters Neben der Ergänzung des Tacitus durch den
Pseudo-Berossos im 15. Jahrhundert ist noch eine hochmittelalterliche Vorstellung zu
erwähnen. Die Gleichsetzung von Germanen und Deutschen war eine erstmals im 11.
Jahrhundert greifbare, wenig bekannte Folge des Investiturstreits.
Vorgenommen wurde sie von den Anhängern des Kaisers, um die eigene Position zu
stärken und auf Angriffe der Kirche mit einer zusätzlichen Legitimation des
Kaisertums zu entgegnen. Es handelt sich um eine durch pseudohistorische
Erzählungen abgesicherte Variante der translatio - Idee, in der durch die Behauptung eines
Bündnisses Caesars mit den deutschen Stämmen eine Legitimation der
Reichsidee und der kaiserlichen Macht gestützt werden sollte.346 Wolfram deutet diese im Umfeld schwerer politischer
Auseinandersetzungen vorgenommenen Projektionen in die antike Geschichte
als schweres Erbe, das "dem Germanismus bis zum Ende geblieben
ist".347 Gegenüber dem altehrwürdigen Papsttum mit seiner sorgsam
ausgearbeiteten geschichtlichen Legitimation war man im Norden in der Defensive.
Dieser Charakter eines 'historischen Minderwertigkeitskomplexes' haftete
auch den im folgenden zu besprechenden Texten des deutschen Humanismus an.
Auch die neuzeitlichen Konzepte konnten sich dann bis in die Kriege des
vergangenen Jahrhunderts nicht mehr von den Grundkonstellationen von Mittelalter
und Humanismus lösen. Im bald nach 1080 entstandenen mittelhochdeutschen
Annolied ging der Dichter von der Annahme aus, die Römer und die Franken seien
von Haus aus verwandt, da ja beide von den Trojanern abstammten. Julius
Caesar besiegte zuerst die vier deutschen Stämme, denen im Annolied besonderes
Interesse gilt und deren origines teilweise in diesem Text erzählt werden. Im Laufe
des römischen Bürgerkriegs wandte sich der große Römer dann an
deren Fürsten um Hilfe. Die ehemaligen Gegner kämpften im Annolied an der Seite
Julius Caesars und wurden Mitbegründer seiner Macht und Größe im
Römerreich. Diese |
346Wolfram 1998, 35f; Graus 1975, 220ff. 347Wolfram
1998, 37. |
120 |
Konstruktion stützt in der
Geschichtskonzeption des Annolieds die Theorie der translatio
imperii ad Francos.348 In der Kaiserchronik aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde diese Gleichsetzung von Germanen und zeitgenössischen Deutschen aus dem
Annolied übernommen. Caesar erschien in der Kaiserchronik als milder und
gerechter Herrscher über die von ihm zuerst besiegten Schwaben, Baiern, Sachsen
und Franken. Als nach seinen Siegen in Germanien der römische Feldherr
von seinen Gegnern verraten wurde, triumphierte er mit der Hilfe der deutschen
Ritter über seine Feinde. Zentrale Gestalten für den Verlauf der römischen
Geschichte in der Kaiserchronik sind deutscher Herkunft. Die Geschichte der 'Deutschen'
wurde mit dem römischen Weltreich verklammert.349 In anderen Caesarfabeln, wie dem in der Mitte des 12. Jahrhunderts
entstandenen Chronicon
Ebersheimense, gründete der
römische Imperator Caesar Städte am Rhein und im Elsaß und ordnete die inneren Verhältnisse in Germanien. So
wurde dem alten Römer etwa die Regelung der Stellung der Ministerialen
zugeschrieben.350 Aus dem Bellum Gallicum glaubte man zu wissen, daß Caesar mit den Germanen die Gallier besiegt hatte. Die Analogie Germanen-Deutsche gegen
Franzosen- Gallier stellte im Chronicon die Bezugsebene zur Zeitgeschichte her. In Rom habe
Caesar dann den ersten deutschen Reichstag einberufen und die
"geringeren Ritter den Fürsten unter der Auflage, daß die Fürsten jene nicht als
Unfreie und Knechte gebrauchten, sondern sie wie Herren und Beschützer in Dienst
nähmen," übergeben. "Von daher kommt es, daß die deutschen Ritter - zum
Unterschied von den anderen Völkern - Diener des Reiches und Ministerialen der
Fürsten heißen."351 Diese mittelalterlichen Vorstellungen von Julius Caesar als
unbestreitbare kaiserliche Autorität sind als Voraussetzung für seine Rolle im unter
Rudolf IV. von Österreich gefälschten Privilegium
maius zu sehen. Eine der sieben
Urkunden mit den 'uralten', aber erfundenen Privilegien wurde angeblich von
Caesar ausgestellt. In Österreich begründete das Fälschungswerk eine
historiographische |
348Annolied III, 2ff; LMA I, s.v. Annolied, 668; Thomas 1977, 24ff. 349LMA V,
s.v. Kaiserchronik, 856f; Nellmann 1963, 82ff; Crossley 1939, 45f und 67. 350Graus
1975, 221 und Anm. 68. 351Wolfram
1998, 37f. |
121 |
Tradition, die das Privilegium lange
verteidigte. Sonst erhielten sich nur lokale Traditionen, die Caesar eine Rolle in der Geschichte der späteren
deutschen Länder zubilligten. Im ganzen wurde die Integration Caesars in die Reichsgeschichte von der mittelalterlichen Historiographie nicht
rezipiert.352 Ein wenig bekanntes Pendant zur Fälschung des
Privilegium maius ist das in Böhmen im 15. Jahrhundert entstandene "Slawenprivileg". Es
sollte angeblich von Alexander dem Großen ausgestellt worden sein. Für die treuen Dienste
am großen griechischen Feldherrn habe dieser der
illustri prosapiae Sclavorum
"den ganzen Erdraum vom Norden bis zu den Grenzen Italiens im Süden"
als ewigen Besitz übergeben. Dieses Privileg spielte allerdings keine weitere
Rolle in den Traditionsbildungen Böhmens;353 einerseits weil die enthaltenen Ansprüche zu weit von der politischen Realität entfernt lagen, andererseits weil
das Bild Alexanders des Großen in der mittelalterlichen Literatur zu
ausgeprägt war, um solchen Spekulationen Raum zu lassen. Als Beispiel für auf antike
politische Figuren bezogene Versuche der Traditionsbildung ist es jedoch
erwähnenswert. |
III.2. Humanistische Ideen zum
Verhältnis von Wenden und Vandalen. Zwischen vornationaler
Identität und höfischer Geschichtsschreibung |
III.2.1. Die Gleichsetzung
zeitgenössischer mit antiken ethnischen Identitäten in der humanistischen Historiographie Die im folgenden zu besprechenden humanistischen
Werke von Albert Krantz, Martin Cromer, Dubravius, Schurtzfleisch, Marschalk,
Latomus, Simonius, David Chyträus und Leuthinger sind in die im
'transalpinen' Humanismus des 15. und |
352Graus 1975, 221f; Lhotsky 1957, 18. 353Graus
1975, 217 und Anm. 52. |
122 |
16. Jahrhunderts vielerorts
feststellbaren Bemühungen einzuordnen, auch den quasi neuentdeckten eigenen Vorfahren einen Platz in der Geschichte
zu geben und dadurch die eigene Identität zu definieren. Muhlack spricht vom
"dringenden nationalen Bedürfnis" des deutschen Humanismus, die
"germanisch-deutsche Vorzeit als eine dem klassischen Altertum grundsätzlich ebenbürtige,
wenn nicht überlegene Epoche zu verherrlichen".354 Unter Berufung auf Tacitus wollten die Humanisten den
"Idealtypus des deutschen Menschen mit der Bedeutung eines ethischen Postulats für
die Gegenwart"355 bilden. Von italienischen und französischen
Humanisten wurden die Goten und Vandalen als sprichwörtliche Kulturzerstörer
stilisiert. Noch im heutigen Italienisch und Französisch wird die Völkerwanderung als
"barbarische Invasion" bezeichnet. Prägnanter könnte man die Unterschiede in
der Forschungsgeschichte des deutschen Sprachraums und der romanischen
Länder nicht zusammenfassen. Felix Dahn schrieb im 19. Jahrhundert Lemmata zu den einzelnen
vandalischen Königen in der großangelegten Nationalbibliographie des deutschen
Reichs, der Allgemeinen Deutschen Biographie.356 Selbstverständlich betrachtete man die Könige der Völkerwanderungszeit als ruhmreiche Vorfahren der eigenen
Nation und Staatlichkeit. Diese Sichtweise hat eine Geschichte, die bis in
die Renaissance - und wie oben ausgeführt teilweise bis in den hochmittelalterlichen
Investiturstreit - reicht. Manche Wurzeln dieser Sichtweise werden verständlich, wenn man die Instrumentalisierung germanischer Geschichte und den Aufbau
protonationaler Konstrukte durch deutschsprachige und lateinischschreibende
Humanisten betrachtet. Als Reaktion auf die italienische und französische
humanistische Sicht der Germanen kam es zu einer Verklärung dieser germanischen Stämme im
deutschen Humanismus. Auch die von Goten und Vandalen überlieferten Gewalttaten und Zerstörungen versuchte man zu rechtfertigen. Eines der vielen Beispiele für die Verherrlichung der germanischen
Taten ist folgende Formulierung aus den Briefen des Beatus Rhenanus.
"Nostri ... sunt |
354Muhlack 1991, 206. 355Joachimsen
1910, 2, 350. 356ADB 8,
38, 49, 50, s. v. Gelimer/ Hunerich/ Thrasamund/ Gunthamund. |
123 |
Gothorum Vandalorum Francorumque
triumphi."357 Der Humanist Irenicus begnügte sich nicht mit der vorhandenen Überlieferung und behauptete,
die Goten hätten die Stadt Rom dem Erdboden gleichgemacht. Jedes zerstörte
Bauwerk war ihm ein Beweisstück mehr für die unüberwindliche
Tapferkeit der germanischen Ahnen.358 Die Grundidee der deutschen Humanisten war dabei, daß die moralische
und militärische Tüchtigkeit der alten Deutschen das morbide und
dekadente Imperium überwunden hätte. Der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling
ließ in seiner Epitome rerum Germanicarum usque ad
tempora nostra von 1505 die
deutsche Geschichte mit Kimbern und Teutonen beginnen, sah Ariovist als den
ersten König der Germanen und das Lob Piccolominis für das zeitgenössische Deutschland nur als Anbahnung weiterer finanzieller Ansprüche durch
die Kurie.359 Die Epitome Germanorum war der erste humanistische Versuch einer zusammenfassenden deutschen Geschichte. Dieser entsprang nationalen
und pädagogischen Zielen und verteidigte mit den Mitteln der
Historiographie Wimpfelings Ansichten von deutschen kirchlichen und politischen
Zielen gegen historisch wie rechtlich seiner Ansicht nach ungerechtfertigten
französischen Ansprüchen. So vertrat und förderte Wimpfeling die Bestrebungen der
religiösen Parteikämpfe am Oberrhein mit ihren spezifischen Problemen.360 Auch Wimpfeling fand große Worte für die germanischen Vorfahren.
"Vera nobilitas/ vera libertas et in militari disciplina fides/ robur/
fortitudo/ constantia apud Germanos sunt."361 Die Germania ad
rem publicam Argentinensem von
1501, mit dem prägnanteren deutschen Titel in der Übersetzung von
Moscherosch aus dem Jahr 1648 Tutschland zu Ere der
Statt Straßburg und des Rinstroms,
sollte widerlegen, daß jemals das linke Rheinufer gallisch oder französisch
gewesen sei.362 |
357Horawitz und Hartfelder 1886, 402; Messmer 1960, 49. 358Messmer
1960, 50f. 359Muhlack
1991, 207; Wolf 1915, I, 322f. 360Wolf
1915, I, 323f. 361Zitiert
nach: Messmer 1960, 50, Anm. 239. 362Wolf
1915, I, 323. |
124 |
Die deutschen Humanisten entwickelten,
aufbauend auf antiker Rhetorik - vor allem der der kaiserzeitlichen römischen Staatsideologie - sowie dem
neuen italienischen Nationalismus, neue Dimensionen der Begriffe 'deutsch',
'germanisch' und 'Nation'. Ihr germanisch-deutsches Nationalgefühl
und ihre Deutschtümelei wurden die Grundlage solcher Denkweise in den
folgenden Jahrhunderten. Es handelte sich bei diesen Auseinandersetzungen um
quasi protonationale Debatten, bei denen historische Identitäten als
gelehrte Aufhänger dienten. Konnten die Italiener, Spanier und Franzosen im Prozeß der Bewußtmachung eines überregionalen Nationalbewußtseins auf die römischen
Großprovinzen Italia, Hispania und Gallia zurückgreifen, war es für
deutsche Humanisten schwierig, die von den antiken Autoren eigentlich nur
geographisch gemeinte Germania zu einem Begriff mit politischen Implikationen zu
machen. Der Gleichung Germania = Deutschland fehlte das historische Fundament
einer römischen Reichsprovinz und die historische wie gegenwärtige
politische Einheit. In dem aus den patriae der Territorien bestehenden Heiligen Römischen
Reich, konnten diese Ideen keiner konkreten politischen Integration dienen.
Sie wurden aber die Grundlage für Träume und Idelalbilder von einer solchen,
wirkten also sekundär und mythologisierend.363
Die Versuche der humanistischen Geschichtsschreiber im Reich, die
germanische Vorzeit zu fassen, fußten also auf formlosen und verschwommenen
Vorstellungen von der eigenen 'nationalen' Identität. Wesentlich klarer ausgeprägt
war dagegen ein lokaler Patriotismus. Den aufkommenden Territorialstaaten sollte
zu einer angemessenen Geschichte verholfen werden.364 Die deutschen Humanisten wollten den italienischen nicht in der
Erforschung einer glorreichen Vorzeit nachstehen. Den italienischen Städten und
Staaten wurden von ihren Humanisten römische Ursprünge bewiesen. Im Süden gestaltete es sich um einiges leichter, ein hohes Alter, also eine
Rolle in der alten Geschichte und in der antiken Literatur, nachzuweisen und
abzusichern. Zweck dieser italienisch-humanistischen Historiographie war es meist, die
Existenz der autonomen Renaissancestaaten zu rechtfertigen. Dieses Bedürfnis nach
einer Fundierung der territorialen oder sogar überregionalen Geschichte in
antiken Völkern ist das wesentlichste Moment zum Verständnis der hier
behandelten |
363Geschichtliche Grundbegriffe VII, s.v. "Volk, Nation",
234-245; Böhme 1986, 178ff. 364Messmer
1960, 51. |
125 |
Texte, die meistens die älteste
Geschichte der jeweiligen Territorien zum Inhalt haben. Trotzdem war die progermanische Haltung von Wimpfeling oder Beatus Rhenanus kein ausschließlich deutsches Phänomen. In Italien sind
einschlägige Äußerungen bei Aeneas Silvius überliefert, in Schweden bei Olaus
Magnus (1554), in Frankreich bei Hotman (1573) und in England bei Verstegan (1605).365 Allerdings ist die Instrumentalisierung der verschiedenen Germanen
bei den Genannten mehr literarischer Topos als politisches Programm. In der
Mehrzahl der Fälle tendierten Autoren, die für kleinere Territorien oder
Dynastien tätig waren, verstärkt zur Geschichtsklitterung. Quellenkritik mußte man
sich leisten können, den Magen füllte Panegyrik mit historischen Exkursen besser. Krantz hatte durch die Verwendung mittelalterlicher Überlieferungen
in Kombination mit dem Pseudo-Berossos und einiger Kunstgriffe einen bei
den antiken Historikern genannten Völkernamen mit einem zeitgenössischen gleichgesetzt und auf dieser Basis eine antike Vorgeschichte
geschaffen. Aventin arbeitete ähnlich und identifizierte die Bayern mit den Illyrern. So
konnte er sogar eine Verbindung der alten Bayern zu Alexander dem Großen herstellen.366 Eine wesentliche Voraussetzung für die deutschen Humanisten war das
Werk des Flavius Blondus (Flavio Biondo, 1388 - 1463). Blondus war als
Sekretär an der Kurie tätig und verfolgte zuerst antiquarische Interessen. Einige
seiner Arbeiten waren als Lexika konzipiert und behandelten die antike Topographie
und die römischen Altertümer (Roma
triumphans). Spätere Arbeiten
hatten dann gelehrten wie kritischen Charakter und hinterfragten die verwendeten Quellen.
Seine Italia illustrata in acht Büchern war 1453 in Rom erschienen. Die
Dreiteilung der historiographischen Literatur nach Altertum, Mittelalter und Neuzeit präformierte direkt die Einführung dieser Periodisierung in die
allgemeine Geschichte. Material aus den Historiarum
ab inclinatione Romanorum imperii decades wurde in vielen humanistischen Arbeiten verwendet.367 Fueters Urteil über Blondus bringt das Wesentliche zum Verständnis
der hier besprochenen humanistischen Arbeiten auf den Punkt: "Freilich
war auch der |
365Bieder 1921-1924, 78ff. 366Muhlack
1991, 46f; Fueter 1936, 192f. 367Muhlack
1991, 166f; Fueter 1936, 106ff; Joachimsen 1910, 257f. |
126 |
Stoff so gewählt, daß eine amtliche
Belohnung nicht zu erwarten war. Der heimatlose Blondus war wohl durch seinen Aufenthalt an der Kurie dazu
geführt worden, nicht die Geschichte seiner Stadt, sondern die der ganzen
Christenheit, mit vorzüglicher Berücksichtigung Italiens zu beschreiben. Aber die
Päpste wünschten, wenn sie Geschichte unterstützen sollten, erstens einen
besseren Stilisten als Blondus und dann vor allem ein Werk, das die
Entwicklung des Papsttums und des Kirchenstaats in den Mittelpunkt der Darstellung
stellte."368 Blondus wurde zwar posthum zum Vorbild der humanistischen
Historiographie und ihrer Methodik, blieb aber in Rom während seiner Lebenszeit eine
periphere Figur. Es steht zu bezweifeln, daß Blondus durch seine
Heimatlosigkeit zu seinen Fragestellungen kam. Andererseits klingt in dieser
Bemerkung Fueters ein Grundverständnis von Geschichtswissenschaft an, das immer noch
Bedeutung hat. Der Historiker hat zuerst und vor allem die Geschichte seiner
wie auch immer definierten Heimat zu schreiben. Dieser ist er emotional verbunden
und trägt zu ihrem Ruhm durch die Schilderung ihrer Vergangenheit bei. Ein
Prinzip, das immer ein Teil der Historiographie war und hier besonders zu betonen
ist. Sicher hat die Institutionalisierung der Historie im 19. Jahrhundert
eine größere Freiheit der Themenwahl gebracht. Bei den unten besprochenen
gelehrten Werken des 16. bis 18. Jahrhunderts wird aber gezeigt werden, wie sehr
Erkenntnis und Interesse am jeweiligen Geld- oder Auftraggeber der Autoren
orientiert waren. Daß die meisten der Verfasser der einschlägigen Texte nicht nur
Gelehrte, sondern auch Diplomaten und Politiker waren, rundet die Interpretation der
Texte ab. Krantz etwa vertrat Hamburg mehrmals als Gesandter und war in das
politische Geschehen seiner Zeit aktiv eingebunden. Viele andere
Geschichtsschreiber hatten zumindest engste Kontakte zu Höfen und Herrschern. Kaum ein
Geschichtswerk vor dem 18. Jahrhundert ist rein der Gelehrsamkeit gewidmet. Der
Zweck der Werke ist in aller Regel die Stärkung einer territorialen Herrschaft
oder einer größeren politischen Struktur. Die kaiserliche Herrschaft oder die
habsburgische Monarchie waren solche Suprastrukturen. Ein Versuch im letztgenannten Kontext ist die
De gentium aliquot migrationibus
des Hofgeschichtsschreibers Kaiser Ferdinands I. Wolfgang Lazius. Seine
ausgedehnte Darstellung der Völkerwanderung verfolgt letztlich keinen anderen
Zweck, als |
368Fueter 1936, 109. |
127 |
das habsburgisch-spanische Reich zu
einem Nationalstaat mit uralten historischen Wurzeln in der Völkerwanderungszeit zu stilisieren. Auf ihren
ausgedehnten Zügen, die durch Zeiten der Seßhaftigkeit unterbrochen wurden, hätten
die Germanen die durchwanderten Länder vom Schwarzen Meer bis Cádiz zu
einer Art Nationalstaat gemacht. Diese Länder seien nun unter der
habsburgischen Herrschaft wieder vereint.369 Die Wandalia von Albert Krantz und die Werke der
mecklenburgischen Hofgeschichtsschreiber, die im folgenden besprochen werden, sind in
eben diesem Kontext zu verstehen. Dem eigenen Territorium, seien es die
Hansestädte oder das Herzogtum Mecklenburg, soll eine altehrwürdige Geschichte
mit einem Konnex zu den antiken Vandalen gegeben werden. Dabei wurden entweder
die slawischen Untertanen und Nachbarn zu Germanen gemacht, oder wie in
den Werken von Marschalk, David Chyträus und Latomus einer ursprünglich
slawisch-abodritischen Dynastie eine germanische Abstammung herbeigeschrieben. |
III.2.2. Albert Krantz. Die
"Wandalia" und die Germanisierung der Slawen Albert Krantz (1448 - 1517) war der Sohn eines
Hamburger Schloßhauptmanns. Sein Studium der Theologie und des kanonischen
Rechts absolvierte er in Rostock. Krantz wurde an dieser Universität Dekan und Rektor
und machte anschließend eine Karriere als Diplomat verschiedener
Hansestädte. Unter anderem vermittelte er im Streit Rigas mit dem deutschen Orden und im
Auftrag der Hanse selbst in Antwerpen zwischen den Hansestädten und den
Gesandten des englischen Königs. Ab 1492 wirkte Krantz als Lector primarius
am Hamburger Dom. Seit 1508 war Krantz Domdekan und visitierte den
nordelbischen Kirchensprengel. Neben seinen bedeutenden historischen Schriften
verfaßte er theologische, politische und philosophische Arbeiten. Erst aus
seinem Nachlaß wurden vier umfangreiche historische Arbeiten herausgegeben und
erschienen dann in mehreren Auflagen bis ins 17. Jahrhundert. Es
handelt sich um die unten näher zu erläuternde Wandalia, die Saxonia, die erstmals 1520 erschien, und die
Chronica |
369Wolfram 2001, 13 und 16; Messmer 1960, 51 und Anm. 248. |
128 |
regnorum aquilonarium. Auch eine Hamburger Kirchengeschichte, die
sogenannte Metropolis, wurde erst posthum gedruckt.370 In seiner Chronica regnorum aquilonarium, die die Geschichte der nordischen Länder behandelt, kommt Krantz erstmals auf seine Vorstellungen vom Verhältnis der Slawen und Vandalen zu sprechen. Die
Chronica hat drei Abschnitte: Dania, Suecia und Norwagia. Den größten Teil nimmt aber die Schilderung der dänischen Geschichte ein, da Norwegen und Schweden
zur Entstehungszeit des Werks von Dänemark abhängige Nebenländer waren. Möglicherweise handelt es sich um das erste Geschichtswerk von Albert
Krantz. Da alle historischen Arbeiten, wie erwähnt, posthum erschienen sind,
ist die Frage der Abfassungszeit nicht gänzlich zu klären. Die
Chronica regnorum aquilonarium erschien erst 1545 in einer deutschen Übersetzung in Straßburg und im
Jahr darauf im lateinischen Original.371
Der dreifache Slawenname aus der bekannten Stelle in der
Getica des Jordanes (5, 34) wird von Krantz in diesem Werk folgendermaßen interpretiert. Die
genannten drei slawischen Gruppen Veneter, Slawen und Anten seien nichts
anderes als die Vandalen. Diese trügen einfach verschiedene Namen wegen ihrer großen
Zahl und den vielen verschiedenen Orten an denen sie lebten. Der
Slawenname sei der häufigste, der Vandalenname aber der älteste, wie Tacitus bezeuge. Als Beweis führt Krantz die Bezeichnung Wenden an, die noch von der
Abkunft der Slawen von den Vandalen zeuge. "Quod vocabulum usque adeo
apud multos habetur abolitum, ut nisi vernacula Saxonum lingua conservaret (quae
Sclavonos Wenden apellat) hodie qui Wandali et ubi essent ac olim fuissent,
ignoraremus."372 Diese Vorstellung der Herkunft der Slawen von den Vandalen ist dann
auch der Ausgangspunkt des Konzepts der Wandalia. Die Verherrlichung der Vergangenheit der Hanse ist primäres Ziel der
1519 erstmals erschienen Wandalia. Hamburg war aber im Geschichtsbild von Krantz auch eine sächsische Stadt und so finden Land und Stamm eine
historische Würdigung auch in der Saxonia. |
370Nordmann 1934, 13-14; DBE 6, s.v. Krantz, Albert, 71; ADB 8, s.v.
Krantz, Albert, 43f; Wegele 1885, 285ff; Krabbe 1878, 224ff; Wilckens, Leben des
Albert Krantz, 1722. 371Nordmann
1934, 28f. 372Krantz,
Chronica regnorum aquilonarium, 1546/1575, p. 241. |
129 |
Die Hansestadt Hamburg hatte als
Partner Lübeck, Rostock, Stralsund, Greifswald, Riga, Elbingen, Königsberg, Wißmar und Lüneburg, die
Wandalicae urbes. Die Hansestädte waren in Gruppen mit
landschaftlicher Gliederung, sogenannte Quartiere, unterteilt. Die Statuten des Kontors von Brügge
nannten 1347 erstmals ein wendisch-sächsisches, ein westfälisch-preußisches
und ein gotländisch-livländisches Quartier. Die Gesamthanse nahm zuerst nur
selten Bezug auf diese Organisation. Erst die Wehrbündnisse der Hansestädte
im 15. Jahrhundert, die sogenannten Tohopesaten, gingen von einer Einteilung in Viertel aus. Grundlegend sind jedoch die regionalen Zusammenschlüsse und
Tagungen der Städte geworden, wobei sich neben dem lübisch-wendischen ein
niederrheinisch-westfälisches Quartier unter Köln als Hauptort entwickeln konnte. Ende des 15. Jahrhunderts begann sich auch die Gruppierung
der sächsischen Städte unter Braunschweig und die der preußischen unter
Danzig zu festigen. Eine Viertelgliederung aller hanseatischen Städte erfolgte
jedoch erst im 16. Jahrhundert.373 Diese Quartiere hatten wie erwähnt einen Vorort. Das Quartier mit dem
Vorort Lübeck, das die aufgezählten Städte umfaßte, wurde also als
wendisches Quartier bezeichnet. Die Bezeichnung wendische Städte ist nach wie vor
gebräuchlich.374 Die gelehrte Latinisierung erst beinhaltete eine historische
Dimension, die von der humanistischen Geschichtsschreibung zu Spekulationen
verwendet werden konnte. Die Wurzeln der Bezeichnung reichen weit ins frühe
Mittelalter. Vierhundert Jahre vor der Abfassung der
Wandalia war das Land um diese vandalicae
urbes von den slawischen Wenden
bewohnt. Diese Wenden teilten in den Augen des Albert Krantz ihre Geschichte mit den Sachsen. Letztere
haben zwar das Christentum und die sächsische Sprache, Gesetze und Sitten
unter den Wenden verbreitet, insbesondere aber die Kämpfe mit den Dänen
verbinden die beiden Gruppen. In diesem Zusammenhang wird die Geschichte der
wendischen Fürstentümer behandelt. Mecklenburg, Pommern, Holstein und die Mark Brandenburg finden ihren Platz. Als ehemaliger Rostocker Professor
stand Krantz dem Haus Mecklenburg besonders nahe. Das Ende der
Wandalia beinhaltet dann auch einen Panegyrikus auf Herzog Magnus von Mecklenburg.375 373LMA
VII, s.v. Quartiere (Hansequartiere), 357. 374Vgl.
Sprandel 1982, 273f; Meister 1922, 557. 375Da hier
nicht der gesamte Inhalt des sehr umfangreichen Werks geschildert werden
kann, sei auf die ausführliche Inhaltsangabe bei Nordmann 1934, 49-74 verwiesen.
|
130 |
Die Darstellung beschränkt sich aber
nicht nur auf nostri Wandali, also die Wenden der ostelbischen Gebiete, sondern versucht wenigstens teilweise die
Geschichte aller slawischen - nach der taciteisch/berossischen Definition und
dem Wortgebrauch von Krantz aber eben vandalischen - Völker und Reiche anzuführen. Tschechische, polnische, russische und bulgarische
Geschichte finden sich in der Wandalia angeschnitten. Krantz kommt zu diesen Kapiteln,
weil er den Ursprung der Wenden und ihrer Verwandten untersuchen will. Im Vorwort
und in den ersten sechs Abschnitten der
Wandalia gibt er eine Übersicht
über sämtliche mit den ostelbischen Wenden verwandten Völker. Die gemeinsame
slawische Sprache ist dabei die Klammer. Eine slawische Geschichte ist die
Wandalia also sicherlich nicht. Die Historie der meisten slawischen Staaten wird
nur fragmentarisch beschrieben. Das sagt Krantz auch selbst. "Harum
omnium gentium res gestas perscribere, et ad aetatem nostram perducere,
infinitum est, et his viribus non ferendum. Habet Polonia, habet Bohemia, habet et
Dalmatia cum Histria suos scriptores. (...) Et Russi aetate nostra ad maiorem
civilitatem perducti, invenient, qui illorum praeclara facinora commemoratam antiquitatem,
et designatam latitudinem, illa solum prosequi quae nostris Wandalis -
hoc est ad litus Germanici maris olim habitantibus - sint propria. (...) Huius
autem maritimi tractus Wandalorum res gestas perscribere in animo est. De ceteris
autem eius gentis hominibus, si quid ad nos fama pertulerit - nam annales non
tenemus - suis temporibus inseremus."376 Der von den Humanisten postulierte gemeinsame Ursprung von Slawen und
Deutschen ist die wichtigste Voraussetzung zum Verständnis der
Konzeption der Wandalia. Die Urgeschichte der Slawen konstruierte Krantz
nach der vermeintlich echten babylonischen Geschichte des Berossos und nach Tacitus. Noahs
ältester Sohn Tuisto zeugte neben verschiedenen anderen einen Sohn
Vandalus. Die Nachkommenschaft dieses Vandalus hat im Norden den Namen der Deutschen und im Süden den Namen der Slawen angenommen.377 Germania und Teutonia sind bei Krantz keine identischen Begriffe.
Teutonia bezieht sich auf die Gebiete, in denen auch tatsächlich deutsch gesprochen
wird. Germania dagegen ist der Name des Gebiets zwischen Don und Rhein, wo
verschiedene und eben auch slawische Sprachen gesprochen werden. Die Herrschaft und |
376Krantz, Wandalia, 1519, I, 6. 377Krantz,
Wandalia, 1519, Praefatio. |
131 |
Lehenshoheit des römisch-deutschen
Reichs über die Slawen wird aufgrund dieser historischen Konstruktion dann auch eigens betont. Flavius Blondus, eine der wesentlichen Quellen und mit seiner
Historiarum ab inclinatione
Romanorum decades III ein Vorbild
für die Konzeption von Krantz, sprach von den Wanderungen der Burgunder, die er wohl nach Plinius
als pars Vandalorum bezeichnete, und ging dann zu den übrigen
Vandali über. Ein Teil von ihnen zog laut Blondus unter Stilicho nach Rom und der im Norden
verbliebene Teil der Vandalen soll den Namen
Sclavi beziehungsweise Wenden
angenommen haben. Ein Teil dieser Wenden soll nach Blondus um die Zeit des
Kaisers Mauricius nach Illyrien und Dalmatien gezogen sein. Von den
Verbliebenen sollen die späteren Tschechen und Polen abstammen.378 Krantz zitierte diese Passage aus Blondus zweimal in seiner
Wandalia.379 Wandali zog er als Benennung auch deshalb vor, weil sie die ältere sei und
Sclavi erst in einem Brief Gregors des Großen an die dalmatinischen Bischöfe
erscheine.380 Der Wendenname ist für Krantz an sich ein Beleg für diese Vorstellung, da
er sich von Vandali ableiten lasse. "Hodie tamen, quae fuerit olim
gens Wandalorum in 378Blondus
sagt über die Burgunder und ihre Zugehörigkeit zu den Vandalen: "Sed Suevos Octavius Augustus, teste Suetonio, ex Germania in
citeriores Rheni ripas transtulit, eiusdemque Augusti temporibus, ea pars Vandalorum, quibus
Burgundionibus postea fuit nomen, ad octoginta armatorum milia, ulteriores Rheni ripas insederant, quos
Drusus et Tiberius Caesares, sicut Cornelius refert, post subactam inferiorem Germaniam, in sedes
proprias repulerunt, et extra urbes munitaque loca dissiparunt, a quibus habitandi vicatim modis,
quos patrio gentis vocabulo Burgos appellabant, eos Burgundiones fuisse appellatos asserit
Orosius. Facta autem est postmodum alia in dictis gentibus mutatio: siquidem Vandali a fluvio
regionis sic dicti, paulo postquam illi, quos Stilicho concitavit, patria erant profecti, se
Sclavos dixere a nomine gentis, quae a Bosphoro Cimmerio in Tanaim fluvium habitare solita, se contulit in
sedes Vandalorum Burgundionumque patria profectorum. Nec tamen diu tenuere hi populi
eam Sclavorum nominationem sed cum eorum pars Mauricii imperatoris temporibus, in
Dalmatiam Illyricumque emigrasset, qui manserunt domi, paulo post mutarunt nomina, et partim
se Polonos, partim Bohemos nominavere." Blondus, Historiarum ab inclinatione Romanorum decades III, 1531, Dec.
I, VIII, p. 11f. Die Dekaden haben in der Basler Gesamtausgabe der Werke Biondos eine
gesonderte Seitenzählung! 379Krantz,
Wandalia, 1519, I, 22 und II, 6. 380Krantz,
Wandalia, 1519, Praefatio. |
132 |
universum ignoraremus, nisi vernacula
Saxonum lingua hoc vocabulum conservasset, ut inter eos, qui olim Wandali, fracto ut fit vocabulo
nunc Wenden vocitentur."381 In der gesamten
Wandalia wird deshalb folgerichtig
die Bezeichnung Sclavi vermieden und durch
Wandali ersetzt, selbst wenn
Sclavi in den genannten Quellen verwendet worden war. So ist der Titel und die Gesamtkonzeption zu verstehen.382 Die Slawen seien keine asiatischen Skythen, sondern Europäer im Sinn von Tacitus und Berossos. "Unde liquido
apparet, non modo Wandalos, sed et Hunos, non esse Scythas, sed Europaeos homines."383 Die Schilderung der Länder und der Geschichte der einzelnen
slawischen Völker beginnt bei den ostelbischen Wenden. Als zweites wurden die
Russi, die Strabon noch Roxani oder Roxi genannt hatte, beschrieben. Diese
Russi stellte Krantz als Völkertrias dar. Russen, Polen und Lithauer waren gemeint. Die
russischen Großfürsten, die orthodoxe Religion und die Städte Moskau, Novgorod
und Pskow erfahren dann eine ausführlichere Besprechung. Polen, Krakau
und die Bemerkung, daß in Polen alle Städte aus Holz gebaut seien, folgen.384 Die Darstellung setzt mit Böhmen und seiner Geographie fort. Die
Gruppe der Slawen, die aus Sarmatien über Pannonien nach Westen gewandert war, identifizierte Krantz aufgrund von Tacitus, Siegebert von Gembloux
und Blondus als Vandalen und Burgunder. Stilicho und seine Kämpfe gegen die Goten
werden besonders erwähnt, weil Stilicho der erste historisch bedeutende
Vandale gewesen sei. Es folgt eine Schilderung der antiken vandalischen Geschichte. Diese
ist im Verhältnis zum Gesamtumfang der Wandalia marginal. Die Wanderungen durch Gallien, die Regierung König Gunderichs, die Reichsgründung in
Spanien und die Ereignisse in Afrika 429 wie auch der Rest der Erzählung zum
nordafrikanischen Vandalenreich wurden von Krantz aus Blondus und Siegebert von
Gembloux entnommen.385 Die von den Vandalen eroberten Provinzen
bezeichnete Krantz als |
381Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio. 382Nordmann
1934, 55f. 383Krantz,
Wandalia, 1519, I, 8. 384Krantz,
Wandalia, 1519, I, 2. 385Krantz,
Wandalia, 1519, I, 22-41. Eine genaue Identifizierung der von Krantz
verwendeten Quellen für diesen Abschnitt findet sich bei: Nordmann 1934, 109ff. |
133 |
von der römischen Herrschaft befreit.
"Itaque Hispanias, iam pene Romano imperio liberas, inter se sortiri coeperunt."386 Die Siege der Vandalen über das römische Reich verglich er mit denen
des Perserkönigs Kyros über das neubabylonische, Alexanders des Großen
über das persische und denen der Römer über die hellenistischen Staaten.
"Si est gloria Cyri oppressisse Chaldaeorum, si Alexandri Magni subvertisse Persarum et
Medorum, si Romanorum decus et extinxisse monarchiam Graecorum: cur non laudi ducimus Wandalorum Romanis insolentiis finem dedisse?"387 Dieses Lob, das Krantz für die vandalischen Siege einforderte, ist
neben die oben erwähnten Beispiele humanistischer Begeisterung für die alten
Germanen zu stellen. Erwähnt sei, daß nach Krantz Venedig von den Wenden/Vandalen
gegründet worden sei. Der Name der eisenzeitlichen italischen Veneter, der auch
im Toponym Venedig enthalten ist, war Ausgangspunkt dieser Anekdote. Im "Genealochronicon Megapolitanum" des Bernhard Latomus von
1610, das unten besprochen werden wird, war Venedig ebenfalls eine Gründung der
Vandalen. Auch Odoaker wurde zu einem Vandalen gemacht. Diese beiden Motive
finden sich in den sonst benutzten Vorlagen nicht und scheinen eine Idee von
Krantz selbst zu sein.388 Im 2001 erschienen Katalog des schwedischen Museum Vandalorum in
Värnamo wird die Gründung Venedigs durch die Vandalen als sehr wahrscheinlich
dargestellt. Nach 533 seien die "dark ages" beziehungsweise
die "diaspora period" für die Vandalen angebrochen. Um ihre weitere Geschichte
rekonstruieren zu können, müsse man bedenken, daß die Vandalen Seefahrer gewesen seien.
Pontus Hultén, der Gründer des Museums, meint dann weiter: "Did they
found Venice in the sixth century? It is very probable. And the present Venetians are
blond and have blue eyes, 1.500 years later."389 Es handelt
sich bei diesen Ausführungen um eine direkte Rezeption der Wandalia, ohne die historischen Hintergründe des Texts zu berücksichtigen. |
386Krantz, Wandalia, 1519, I, 27. 387Krantz,
Wandalia, 1519, I, 36. 388Krantz,
Wandalia, 1519, I, 32 (Venedig), I, 35 (Odoaker). 389Hultén
2001, 7. |
134 |
Im zweiten Buch zog Krantz den Bogen
von den nach Blondus mit den Vandalen verwandten Burgundern und ihrer völkerwanderungszeitlichen Geschichte
zur Schilderung des mittelalterlichen Herzogtums bis in seine eigene Zeit
zu den Nachfolgern der alten Burgunderkönige Karl dem Kühnen und Kaiser
Maximilian I. Anschließend springt die Schilderung in den Osten und ins frühe
Mittelalter zurück. Nach Helmold von Bosau und Siegebert von Gembloux wird
wendische Geschichte erzählt: Der Krieg des Frankenkönigs Dagobert gegen die
Wenden und die verschiedenen Ereignisse, die mit Karl dem Großen und Ludwig
dem Frommen verbunden sind. Die verschiedenen Christianisierungsversuche
bei den elbslawischen Stämmen, die Gründung des Klosters Corvey, die Vita des
heiligen Veit und die Kämpfe Kaiser Arnulfs gegen den Mährerfürsten Swatopluk
wie dessen Bekehrung zum Christentum werden ebenso geschildert wie die
Kriege Kaiser Heinrichs I. und anschließend die Christianisierung Böhmens
und Polens. Um einen Eindruck von der Menge des bei Krantz gebotenen Materials zu
geben, seien noch die Erzählungen von der Christianisierung der Wenden unter
Otto dem Großen, die Gründung des Erzbistums Magdeburg und seiner Suffraganbistümer und daran anschließend die polnische Geschichte des
11. und 12. Jahrhunderts erwähnt. Aus Saxo Grammaticus entnahm Krantz
umfangreiches Material zur dänischen Geschichte. Die in dieser Arbeit ja
angesprochene Entstehung Brandenburgs und Mecklenburgs gehört ebenfalls in diesen
Abschnitt der Wandalia.390 Im fünften Buch wird der Betrachtungsraum wiederum erweitert und die Geschichte anderer Zeiten und Räume geboten. Von den Bulgaren, deren Geschichte nur angerissen wird, zieht sich der Bogen zu den Ungarn,
dem Baltikum, den Preußen und Lithauern. Die ursprünglich lithauische Jagellonendynastie gibt Anlaß zu einer Aufzählung ihrer verschiedenen
Verbindungen zu deutschen Fürstenhäusern. Am Anfang des sechsten
Buchs setzte Krantz mit der Geschichte des 12. Jahrhunderts im Ostseeraum
fort. Die Politik Barbarossas, Waldemars I. von Dänemark und des Bischofs
Absalon finden ihren Platz. |
390Krantz, Wandalia, 1519, II-V. Vgl. kurzgefaßt: Nordmann 1934, 62ff. |
135 |
Der zweite Teil der
Wandalia, also Buch sieben bis
vierzehn, wurde anders aufgebaut. Ab dem siebten Buch durchbrach Krantz die thematische
Gliederung vollends und ging zu einer chronologischen Schilderung über. Diese
Bücher beinhalten die eingangs erwähnte Geschichte der Hansestädte und des Ostseeraums, immer aber in Bezug zu den europäischen Ereignissen.
Fallweise sind Erzählungen der dänischen, böhmischen, polnischen und russischen
Geschichte eingearbeitet. Umfangreichere Schilderungen der
zeitgenössischen Politik sind von Krantz' eigenen Urteilen und Einschätzungen geprägt.
Abgeschlossen wird das Werk, wie oben angedeutet, mit der Erzählung
über den Tod und die prunkvolle Bestattung des mecklenburgischen Herzogs
Magnus samt einem Panegyrikus auf diesen. Krantz verstand die Wanderungen der Vandalen nicht als bloßen
Durchzug, sondern als Expansion oder etappenweise Verschiebung unter
Zurücklassung von Teilen des Stammes in den verschiedenen Gegenden. In dieser
Vorstellung ist er mit Lazius vergleichbar.391 Wenn auch das Krantzsche Konzept nicht so geschlossen an eine
bestehendes politisches Gebilde geknüpft ist wie das des Lazius ans Reich der
Habsburger, blieb die Wandalia doch ein fruchtbarer Boden für in den folgenden
Jahrhunderten geschriebene Erklärungen der nordischen Geschichte. Die Konzepte der
Wandalia sicherten der, wie oben gezeigt werden konnte ja schon sehr alten,
Gleichsetzung von Vandalen und Wenden noch ein langes Nachleben. Das Werk wurde von
Krantz nicht gänzlich vollendet und vor allem nicht veröffentlicht. Krantz verfolgte mit seiner historischen Konstruktion mindestens zwei
Ziele. Erstens ging es um die Legitimation der Herrschaft hanseatischer
Städte und deutscher Reichsfürsten in Gebieten mit slawischer Bevölkerung. Den mecklenburgischen Herzögen wird bereits durch Krantz ein indirekter germanisch-deutscher Stammbaum garantiert. Dies wiederum konnte dazu beitragen, die Position als Reichsfürsten zu festigen. Um zum Klub der deutschen Reichsfürsten auch in der historischen Tiefendimension zu gehören, war es für die Nakoniden in Mecklenburg offensichtlich wichtig, sich über den Umweg des Tacitus in
Kombination mit dem Pseudo-Berossos einen germanischen Ursprung geben zu
lassen. Wenn Slawen |
391Messmer 1960, 52; Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio; Lazius,
Praefatio. |
136 |
und Germanen von denselben Urvätern
abstammen sind sie in gleicher Weise berechtigt, Territorialfürsten im heiligen römischen Reich
"teutscher Nation" zu sein. Zweitens ist Krantz Hanseate. Unter diesem Aspekt gesehen, kann man
seine Wandalia unter einem weiteren Gesichtspunkt deuten. Die
Perspektive des hanseatischen Handels reichte im Osten über die Ostsee weit nach
Rußland und in die anderen slawischen Länder, deren Geschichte Krantz kurz anreißt.
Im 15. und 16. Jahrhundert war die große Zeit des Städtebunds im Ostseeraum aber
bereits zu Ende. Das hatte verschiedene Ursachen. Die wachsende Bedeutung der
nordischen Nationalstaaten und die Bildung eines starken Staates in Rußland
erschwerten die ökonomische und politische Einflußnahme der Hanse. Seit der Union von
Kalmar 1397, die Dänemark, Norwegen und Schweden zeitweise unter einer
Monarchie zusammengeschlossen hatte, entwickelten sich die skandinavischen
Staaten zu neuen Machtfaktoren im Ostseeraum. Vorher hatte nur Dänemark eine
solche Rolle spielen können.392 Noch 1392 waren alte Verträge zwischen der Hanse und Novgorod
erneuert worden. Im 15. Jahrhundert gelang es aber den livländischen Städten
zusehends, die hanseatischen Städte aus dem Geschäft mit Rußland zu verdrängen.
1480 wurde die Republik Novgorod, die der wichtigste Partner der
Hansestädte im Ostgeschäft gewesen war, durch Zar Iwan III. erobert.393 Im Zuge der Entwicklungen in Rußland bekam die Lage in Osteuropa eine
völlig neue Dynamik. Im 16. Jahrhundert gab es nur noch zwei wichtige
slawische Staaten im östlichen Europa: das griechisch-orthodoxe Zartum Moskau
und das römisch-katholische Polen. Moskau hatte sich nach für die Russen
katastrophalen Kriegen gegen die Mongolen Ende des 14. Jahrhunderts konsolidieren
können. Gegen die von Süden über das Schwarze Meer vordringenden Türken und
gegen die Angriffe des polnisch-litauischen Staates aus dem Westen konnte
es sich ebenfalls behaupten. Der Eroberer von Novgorod Iwan III. bildete das |
392Dollinger 1981, 34ff; HRG 1, s.v. Hanse, 1990ff. 393LMA IV,
s.v. Hanse, 1924; Dollinger 1981, 78ff. |
137 |
solchermaßen erfolgreiche Moskowiter
Reich in einen nationalen Einheitsstaat unter autokratischer Führung des Zaren um.394 Der Zar ließ sich nicht nur den Kreml von italienischen Architekten
ausbauen. In seinem Umkreis bildete man den Mythos von Moskau als dem
"dritten Rom" und schuf die Grundlagen des neuzeitlichen russischen
Nationalbewußtseins. Byzantinischen Ursprungs waren die Elemente der Repräsentation dieses
politischen Programms wie das Hofzeremoniell und der Doppeladler. Die
Moskauer Eliten definierten sich als Nachfolger des byzantinischen
Reichs und verstanden sich als Bewahrer der orthodoxen Rechtsgläubigkeit.395 Das Sendungsbewußtsein der Kreise rund um den Zaren, den man als Stellvertreter Gottes auf Erden ansah, hatte natürlich nicht rein
religiöse Hintergründe. Auf Basis dieser Ideologie war es möglich, einen
Abschluß nach außen zu vollziehen und selbst die gewinnbringenden
Handelsbeziehungen zu übernehmen. In diesem Prozeß schaltete man die Hansestädte als
unliebsame Konkurrenten aus. Die Verlagerung der Handelswege aus dem Mittelmeer und der Ostsee in
den Atlantik durch die Entdeckung Amerikas tat ein übriges.396 Die Hanse
war in den Jahrhunderten zuvor jedenfalls auch als militärische und politische
Größe aufgetreten und kommt insofern genauso wie die oben angesprochenen Territorialfürsten als Adressatin einer Geschichtskonzeption in
Frage. Krantz war dem mecklenburgischen Fürtsenhaus mindestens genau so verpflichtet wie den hanseatischen Städten. Sein Werk ist also als
doppelter historisierender Panegyrikus zu lesen. Die Legitimation der
Herrschaft über die Wenden in den oben genannten Territorien ist eine Sache. Der Versuch, dem großen Handelsraum der Hanse eine Klammer in Form
einer angedeuteten gemeinsamen historischen Wurzel zu geben, ist der zweite
Zweck des Werks. Die 'Brüder der Slawen' aus den hanseatischen Städten sind
die, die das älteste und würdigste Recht auf Handelsmonopole in den slawischen
Ländern haben. Gerade in einer Zeit der Krise, in der die hanseatische
Vormachtsstellung 394Donnert
1972, 56ff; Torke 1985, s.v. Iwan III., 98. 395Vgl.
Torke 1985, s.v. Iwan III.; s.v. Moskau; s.v. Novgorod, 98, 189, 256; LMA V,
s.v. Iwan III., 789f; Donnert 1972, 56ff. 396LMA IV,
s.v. Hanse, 1921-1926; Braudel/Duby, et al. 1985, 45ff; Sprandel 1982, 2f. |
138 |
im Handel mit diesen Ländern
eigentlich schon der Vergangenheit angehörte, und es schwierig geworden war, sich gegen verschiedenste Konkurrenten zu behaupten, kommen solche Konzeptionen gelegen. |
III.2.3. Martin Cromer. Die
Slawen als "sarmatisches" Volk Martin Cromer (1512 - 1589) studierte in Krakau,
Padua und Bologna und zeigte schon früh humanistische Interessen. Seit 1533 ist
Cromer als Mitarbeiter der polnischen Reichskanzlei nachweisbar, wo er eine
Karriere begann, die ihn schließlich zum Sekretär des polnischen Königs
machte. Mitte des 16. Jahrhunderts wurde Cromer ein Domkanonikeramt in
Frauenburg gegeben, er selbst wirkte aber weiter am Hof des polnischen
Königs. 1558 bis 1564 hielt er sich als Gesandter am Wiener Hof Kaiser Ferdinands I.
auf. Bei den Friedensverhandlungen zwischen Schweden, Dänemark
und Lübeck 1572 in Stettin war Cromer wiederum als Beauftragter des
Königs von Polen tätig. Auch nahm er mit dem Kardinal Stanislaw Hosius am
Trientiner Konzil teil. Nach dem Tod des Kardinals folgte ihm Cromer 1579 als Bischof
von Ermland. Als Bischof zeigte sich Cromer als eifriger Verfechter der Gegenreformation,
Förderer des Jesuitenordens in den polnischen Ländern und als
theologisch-politischer Autor.397 Mit seiner hier besprochenen, 1555 entstandenen,
polnischen Geschichte in 30 Büchern (De origine et
rebus gestis Polonorum), versuchte
Cromer, den historischen Darstellungen deutscher Humanisten eine polnische
und slawische Sichtweise entgegenzustellen. Den Auftrag zur Abfassung einer
polnischen Geschichte hatte Cromer von König Sigismund August erhalten. Der
Humanist stützte sich auf die Klassiker der polnischen Historiographie des
Mittelalters, auf Kadlubek, Martinus Gallus und Dlugosz. Außerdem hatte er Zugang zum
Reichsarchiv und der königlichen Bibliothek in Wilna.398 Krantz hatte den bei den antiken Historikern
genannten Vandalennamen mit dem zeitgenössischen Wendennamen gleichgesetzt und auf
dieser Basis eine antike Vorgeschichte geschaffen. In der
De origine et rebus gestis Polonorum
wird mit 397NDB 3,
s.v. Cromer, Martin, 422; Wetzer & Welte's 1, s.v. Cromer, Martin,
1195-1199; Ersch/Gruber I/20, s.v. Cromer, Martin, 170f. 398Ersch/Gruber
I/20, s.v. Cromer, Martin, 170f. |
139 |
derselben Methode versucht, eine
eigene slawische Vorgeschichte zu konstruieren. Dazu war es nötig, die Konstrukte der deutschsprachigen
Humanisten entsprechend zu widerlegen, um eine bessere Deutung der
antiken beziehungsweise in diesem Fall biblischen Schriften zu bieten. Cromer beginnt seine Darstellung schon mit der Feststellung, daß
"Primum omnium constat, Polonos Slavicam gentem esse. (...)". Dann
referiert er verschiedene, seiner Ansicht nach falsche, Thesen über den Ursprung
der Slawen. Das Kapitel schließt eben mit der Feststellung "superiores
opiniones falsas".399 Die erste dieser von Cromer widerlegten Thesen baute auf der
Kombination der biblischen Genealogie um Japhet mit Elementen der Trojanersage auf.
Weiters beinhaltete sie Argumente aus dem Pseudo-Berossos. Von einem Sohn
Japhets namens Philaros stamme Alames ab, dessen Sohn wiederum Anchises war,
der Vater des Aenaes. Dessen Ururenkel Alanus wandte sich mit seinen vier
Söhnen nach Europa. Der älteste Sohn des Alanus war Vandalus, der der
Weichsel seinen Namen gab und damit auch dem polnischen Land. Seine Eroberungen
verteilte er an seine Söhne, die die verschiedenen wendischen Staaten stifteten.
Diese Staaten waren Polen, Rußland, Cassubien, Böhmen, Mähren, Dalmatien, Bosnien, Kroatien, Bulgarien und Pannonien. Cromer spricht nur unspezifisch
von den Chroniken der Polen und Böhmen als Quellen dieser Sichtweise. Es
handelt sich aber um ein Referat der Chroniken von Kadlubek, Dlugosz und Mierszwa.400 Cromer widerlegt dann ausführlich die genannten und auch noch weitere
Vorstellungen vom Ursprung der Slawen. Die folgenden
Kapitelüberschriften seien kurz genannt: "Slavos non esse Dalmatas neque Illyrios
(Cap. 4); Quod Slavi Vandali non sint (Cap. 5); An Venedi seu Veneti et Vinidae (Cap. 6);
Quod Slavi Germani non sint (Cap. 7)". Der Wandalia des Albert Krantz widmete Cromer im Kapitel 5
"Quod Slavi Vandali non sint" seine besondere Aufmerksamkeit. Krantz wirft
der polnische Geschichtsschreiber vor, er habe die Polen und alle Slawen zu
Germanen gemacht. Einer der Hauptbelege für diese in den Augen Cromers völlig
unhaltbare Behauptung wäre bei Krantz der Wendenname. Krantz meine, der
Wendenname sei von den antiken Vandalen abzuleiten. Und das wie die auf Tacitus
und |
399Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 1. 400Cromer,
De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 3. |
140 |
Berossos gestützte Argumentation
reiche dem Hamburger Konkurrenten aus, um gleich alle Slawen zu Germanen zu machen.
Tuisco der mythische Germanenkönig, der in der von Krantz beschriebenen Germania regiert
haben soll, kann nach Cromer unmöglich alle sarmatischen Völker begründet
haben. "Iam ne ex illo quidem Berossi testimonio, quo is Tuisconem
Germanorum omnium conditorem a Tanai ad Rhenum usque regnasse et ab eo Sarmatos maximos populos conditos esse afferit, satis recte comprobatur,
Slavos Germanos esse."401 Den Wendennamen entlarvte Cromer im folgenden als späte
Frembezeichnung der Germanen für die Slawen. Die Slawen haben früher verschiedene
Namen wie Polen, Boemi, Moravi, Cassubii und so weiter getragen. Einen gemeinsamen Namen der Slawen gebe es in den Quellen nicht. Als Beleg führte Cromer die
sächsische Geschichte Widukinds von Korvey aus dem 10. Jahrhundert an.402 "Itemque accolae sinus Vendici et Oceani Germanici, Sala et Albi
tenus: quorum reliquiae hodieque a Germanis Vindae seu Vendi vocantur, olim variis
distincti nominibus ac populis, ut est videre apud Vitichindum Saxonem."403 In Wahrheit seien die Slawen ein sarmatisches Volk, schloß Cromer.
Ihre Abstammung ginge nicht von Japhet, sondern von Sem aus. Der Sohn Sems
hieß Jactam, dessen Sohn Asarmat wiederum ist der Stammvater der Sarmaten.
Späte Nachkommen der Sarmaten waren die Wenden. Diese hatten ihren Namen
selbst angenommen und man könne aber nichts sicheres über seine Bedeutung
sagen. Ein Zweig der Wenden zog schließlich in
Wandaliam und legte die Sitten und Gebräuche der sarmatischen Wenden ab. Schließlich tauschten sie noch
ihren alten Wendennamen gegen den neuen Namen der Slawen.404 Schon Cromer hatte also die Vorstellung von einer slawischen
Einwanderung in das vormals vandalische Gebiet. Griff Krantz auf die Vandalen zurück,
um Deutsches im Sinne der Humanisten, Sächsisches und Hanseatisches mit
antiken Wurzeln zu legitimieren, wollte Cromer eine eigene in den Osten
weisende slawische Geschichte entwickeln. Daß er dabei auf eine Nähe zu in
antiker |
401Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 5. 402Zu
Widukind von Korvey: Manitius 1911, 714ff. 403Cromer,
De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 5. 404Cromer,
De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 9. |
141 |
Literatur genannten Ereignissen,
Völker und Personen verzichtete und statt dessen eine biblisch fundierte Genealogie anbot, mag durch den von
Krantz schon besetzten Platz bedingt gewesen sein. Eine protonationale Konzeption
im Auftrag des polnischen Königs mit einer Verwurzelung in der antiken
Ethnographie, die sich gegen die Vereinnahmung durch die historischen Konzepte der
deutschen Humanisten verwehrt, liegt uns vor. |
III.2.4. Die Slawisierung der
Vandalen. Dubravius und Schurtzfleisch Der Olmützer Bischof Johannes Dubravius (gestorben
1513) überspitzte die Polemik gegen die Germanisierung der Slawen in der
humanistischen Literatur mit der Vorstellung, die historischen Vandalen seien
in Wirklichkeit Slawen gewesen. Die Slawen wurden nämlich erst nach der
Besiedlung des von den ursprünglichen Vandalen verlassenen nördlichen
Deutschlands mächtig. Sie nahmen dann einfach den Namen der besiegten Wenden
oder Vandalen an und zeigten sich unter diesem Namen als Sieger in Afrika
und Spanien.405 Konrad Samuel Schurtzfleisch (1641 - 1708) war
Professor für Historie in Leipzig und Wittenberg. Unter seinen umfangreichen
Publikationen findet sich in einer Sammlung von kleineren Abhandlungen auch eine über
Fragen der slawischen Geschichte und Ursprünge.406
Schurtzfleisch erzählte in De rebus slavicis im 17. Jahrhundert eine andere Variante der vandalischen
Geschichte, die sich wie eine Mixtur aus Cromer und Dubravius liest. Die Vandalen
seien aus Asien an die Ostsee gewandert, haben sich dort aber den stärkeren
Wenden unterwerfen müssen. Die Wenden und die von ihnen besiegten Vandalen
seien aber dann wieder von den Sarmaten besiegt worden. Diese drei
Nationen zusammen nannten sich dann wieder Vandalen und führten die in
den antiken Autoren nachzulesenden Unternehmungen in Afrika und Spanien
aus. Nach der Niederlage durch Belisar legten sie den
Vandalennamen ab und nannten sich von nun an "die Berühmten", also
"Slawen".407 |
405Dubravius, Historia Boiemica, 1575, I und II. 406Zedler
35, s.v. Schurtzfleisch Conrad Samuel, 1684-1689. 407Schurtzfleisch,
De rebus slavicis, 1667, p.466f. |
142 |
III.2.5. Die neutrale Position des
Aenaes Silvius Piccolomini Als Beispiel für eine humanistische Geschichtskonzeption, die etwas
andere Wege bei der Urgeschichte der Slawen beschritt, soll hier noch die
böhmische Geschichte des Aenaes Silvius Piccolomini (1405 - 1464) erwähnt werden. Die
De Bohemorum origine
ac gestis historia, kurz
Historia Bohemica genannt, wurde
von Aeneas Silvius 1458 abgeschlossen und erschien 1475 zum ersten Mal im Druck. Die
böhmische Geschichte war das am weitesten verbreitete Werk Piccolominis und
wurde bis ins 17. Jahrhundert in mehreren Auflagen herausgegeben. Gewidmet ist
das Werk an Alfons von Aragon/Neapel und enthält neben der allgemeinen
historisch- geographischen Landesbeschreibung eine ausführliche Schilderung der hussitischen Bewegung. Auch die Geschichte des jungen Königs
Ladislaus, den Piccolomini in Wien kennegelernt hatte, findet breiten Raum.408 Obwohl das
Werk Alfons von Aragon gewidmet war ist zu vermuten, daß bei der hier zu besprechenden Schilderung der böhmischen und slawischen Urgeschichte,
Piccolomini habsburgische Interessen einfließen ließ. Der Wendenname wird vom italienischen Humanisten in seiner böhmischen
Geschichte überhaupt nicht erwähnt. Piccolomini erzählte, es gebe bei
den Böhmen sogar Geschichten, die sie auf Noahs Arche und auf das
Paradies zurückführen, aber wahrer Adel sei nicht durch solche Phantasien
sondern nur durch edle Taten zu erreichen. Die fabulösen Genealogien der böhmischen
Herzöge lehnte Piccolomini als Quellen ab. Erst seit der Zeit
Ottokars II. seien sichere Aussagen möglich.409 Der spätere Papst spielte damit auf Material an, das ins Umfeld der
hier diskutierten Konzeptionen gehört. Piccolomini befand sich in einer
anderen Position als die oben behandelten Autoren. Er konnte als ehemaliger
Höfling der Habsburger in einer kirchlichen Position in Italien arbeiten. Am
Wiener Hof hatte man an der slawisch-germanischen Verwandschaft offenbar weniger
Interesse als im Norden. Geschichtskonzeptionen sind keine zufälligen
Schlampereien, sondern sehr bewußt und gezielt eingesetzte Mittel der politischen
Legitimation durch konstruierte historische Dimensionen. Die Habsburger hatten
ihre eigenen Geschichtsgebäude, wie das später entstandene Werk des Wolfgang
Lazius zeigt. 408Verfasserlexikon
VII, 656ff; Fueter 1936, 116. 409Aenaes
Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p. 4. |
143 |
Piccolomini stellte seine
Vorstellungen von der ältesten Geschichte der Böhmen beziehungsweise der Slawen weiter vor: Nach der babylonischen Sprachverwirrung bekamen die Slawen den Namen
Sclavoni in der Bedeutung von Wortreiche ("verbosos"). Sie wanderten daraufhin durch
Kleinasien und Byzanz nach Bulgarien und stifteten die illyrischen Staaten. "Ex
Asia in Europam profectos, eos agros occupasse, quos nunc Bulgari, Servii, Dalmatae,
Croaci, et Bosnenses incolunt." Im Anschluß daran gründeten andere
wandernde Slawen "Rusuniam, Pomeraniam, Casubiam", Böhmen und Polen.410 Unter der Kapitelüberschrift De origine
gentis Bohemorum führte Aeneas
Silvius dann aus, auch Böhmen sei olim
theutonica gewesen. In der
mittelalterlichen tschechischen Literatur wurde die eigentlich mittelhochdeutsche
Bezeichnung 'Böhmen' nach Cosmas von Prag mit einem eponymen Vorfahren der
Tschechen Boemus erklärt. Wenn Cosmas das Land als Teil der
Germania beschrieb, so meinte er damit nicht eine Zugehörigkeit zu den Deutschen, sondern er verstand
wie Regino von Prüm und Paulus Diaconus die
Germania als vom Don (Tanais) bis zum Sonnenuntergang sich erstreckendes Gebiet.411 Auf diese
Quellen bezog sich Piccolomini und lieferte natürlich eine Basis für einen
habsburgischen Anspruch auf Böhmen. Im Caput IIII De Croco, secundo
Bohemorum duce beschrieb
Piccolomini den gerechten und uneigennützigen König
Crocus. Dieser habe eine Burg bei
Stemna, die nach ihm Crocavia benannt worden sei, errichtet. Drei Töchter des
Crocus werden genannt: Brela, die die Burg Brelum gebaut habe, Therba/Therbiza und drittens Libussa. Libussa sei die bedeutendste, obwohl jüngste gewesen.412 Crocus wurde auch von Gregor von Tours erwähnt. Dieser
Crocus war allerdings ein Alammanenkönig zur Zeit der Kaiser Valerian und Gallienus (253 -
260) und habe auf Anregung seiner Mutter Gallien geplündert. Der König
Crocus soll das alte Merkurheiligtum der Arverner zerstört und viele christliche
Märtyrer ums Leben gebracht haben. Bald darauf sei er aber bei Arelate gefangen
und daraufhin hingerichtet worden. Diese Ereignisse wurden im Fredegar ins Jahr 411
verlegt |
410Aenaes Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p.
5f. 411Cosmas
von Prag, Chronica Boemorum, I, 1 und 2.Regino von Prüm, ad a. 889; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, I 1. Vgl.: RGA 3, s.v. Boihaemum, 207 und s.v. Boier, 205;
Graus 1980, 162-169. 412Aenaes
Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p. 8. |
144 |
und aus dem Alammanenkönig wurde ein
Vandale. Auch in der Chronik des Hydatius erscheint der Vandalenkönig
Crocus.413 Wie der
Zusammenhang des bei Piccolomini vorkommenden Crocus mit dem bei Gregor von Tours, Fredegar und Hydatius erwähnten König ist, bleibt zu klären. |
III.2.6. Nicolaus Leuthingers
Brandenburgische Geschichte Nicolaus Leuthinger (1554 - 1612) war Sohn eines
Predigers in der brandenburgischen Provinz. Er besuchte die
Fürstenschule in Meißen und die Universitäten von Wittenberg und Frankfurt an der
Oder. Leuthinger hatte verschiedene Schulämter inne. Eine angestrebte
Karriere an der Universität oder am fürstlich brandenburgischen Hof erreichte er
nicht. Seine brandenburgische Geschichte hatte er dem regierenden Fürsten
gewidmet. Nach dem Tod seines Vaters wurde ihm dessen Pfarrstelle übertragen.414 Nach kurzer Zeit verließ er diese Stelle und begab
sich auf Reisen durch Deutschland, Schweden, England, Dänemark und Polen.
In der Sprache der erzählfreudigen Biographien des 18. Jahrhunderts war
Leuthinger "ein gekrönter Dichter und gelehrter Vagabund. Wohl konnte er sich
mit Odysseus vergleichen, aber ihn erwartete kein Ithaka;"415 eine
offenbar zeitlose - durch die Grundtendenz der europäischen Hochschulpolitik des 21.
Jahrhunderts wieder umso zutreffendere - Charakterisierung des
Gelehrtenlebens. Leuthingers Schriften wurden Anfang des 18. Jahrhunderts neu aufgelegt. Wie Cromer erklärte Leuthinger die Anwendung des
Vandalennamens auf die Wenden aus der späteren Einwanderung von Slawen in
die ehemaligen vandalischen Gebiete. "Fuerunt autem Vandali
contra multorum opinionem non Slavi, sed ex Gottorum et Germanorum gente omnium
molissimi atque 413Gregor
von Tours, Historiarum Libri Decem, I, 32-34; Fredegar, III, 1; Hydatius,
Cont. Chron., AD 411. Vgl.: Courcelle 1964, 67; RE IV, s.v. Crocus, 1725. 414ADB 7,
s.v. Leuthinger N., 56f; Wegele 1885, 439. 415Ersch/Gruber
43, 272; Wegele 1885, 439 und 715; Küster, Commentarius de vita et scriptis
N.L., in: Nicolai Leuthingerii opera omnia, II, 1729, 12ff.
Das Jahr der ersten Drucklegung von Leuthingers
brandenburgischer Geschichte konnte nicht ermittelt werden. |
145 |
delicatissimi, ut Procop
annotat." Vom "palude Maeotide" zogen die Vandalen wegen der bei Prokop erwähnten Hungersnot weg und hielten sich
Richtung Westen, wo sie bessere Wohnsitze vermuteten. Die von ihnen
verlassenen Gebiete wurden dann von Slawen besiedelt. "(...) Slaworum gens has
terras occupavit (...)".416 Weil die Vandalen zuerst in den Gebieten zwischen der Weichsel und
dem Baltischen Meer gelebt hatten, blieb den Städten in dieser Gegend der
Name civitates
vandalicae. Und auch noch in der Gegenwart
des Nicolaus Leuthinger (hodie) nannten sich die Könige von Dänemark
Dominos Danorum, Gothorum atque Vandalorum. Dieser Titel wurde als Relikt der ehemals in der
Gegend ansässigen Völker gedeutet, die ihre eigenen Reiche in Spanien und Afrika gegründet
hatten. Die Weichsel habe ihren lateinischen Namen "Vistula" von
den Vandalen, die, wie nochmals betont wird, gleicher Sprache und gleichen Geschlechts (linguae
atque gentis) mit den Goten gewesen seien.417 An anderer Stelle wieder erklärte Leuthinger, ein Teil der Vandalen
sei nicht nach Afrika, sondern nach Schweden und Dänemark gewandert und habe dort Königreiche gegründet. Auch die Herzöge von Pommern könnten ihren
Titel, der wie der schwedische und dänische Königstitel die Goten und Vandalen
nenne, mit gutem Recht auf diese Germanen zurückführen.418 Die Erklärungen Leuthingers entsprachen wohl der verbreitetsten
Ansicht in den deutschen und skandinavischen Ländern, in denen es eine Tradition der
Herleitung der slawischen Wenden von den antiken Vandalen gab. Eine
scheinbar uralte Namenstradition legitimierte Städte wie Fürstenhäuser. Ein
hohes Alter bedeutete Würde und die mögliche Legitimation von
Herrschaftsansprüchen. Eine Verbindung zu in antiken Quellen genannten germanischen Völkern
kam in diesem Zusammenhang eben höchst gelegen. Auf der einen Seite wurde
der mittelalterliche Namensgebrauch verworfen, weil er keine ethnische Differenzierung in Germanen und Slawen ermöglichte. Gleichzeitig
konstruierte man aber immer wieder auf Basis eben dieses mittelalterlichen
Namensgebrauchs eine quasi antike Legitimation der eigenen politischen Gebilde. Auch
aus |
416Leuthinger, Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p.
329. 417Leuthinger,
Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p. 1129. Fast wörtlich gleiche Ausführungen finden sich nochmals auf p.
1123. 418Leuthinger,
Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p. 990. |
146 |
Kadlubeks polnischer Chronik wurden
einzelne Motive übernommen; im Falle Leuthingers die Erklärung für den lateinischen Namen der Weichsel. |
III.2.7. Mecklenburg - Das
slawische Abodritenland wird im 12. Jahrhundert das Land Mecklenburg. Die Vandalen/Wenden in der höfischen
Geschichtsschreibung Mecklenburgs im 16. und frühen 17. Jahrhundert III.2.7.1. Abriß der mecklenburgischen Geschichte
und Nicolaus Marschalks "Annales Herulorum ac
Vandalorum" von 1507 Nicolaus Marschalk (1456 - 1525) stammte aus Erfurt
und führte in humanistischen Kreisen aufgrund seiner thüringischen
Herkunft den Beinamen Thurius. Studiert hat er in seiner Heimatstadt, wo er auch
als Universitätslehrer in Erscheinung getreten war. Marschalk ging dann nach
Mecklenburg und trat in die Dienste des Herzogs Heinrich. Seit 1510 war er als
Lehrer an der Universität in Rostock tätig, ohne seine Beziehungen zum Hof
aufzugeben. An der Spitze seiner Karriere bekleidete Marschalk das Amt eines
mecklenburgischen Kanzlers.419 Seine historischen Arbeiten entstanden in Rostock
und sind im Kontext von Marschalks Verbindung mit dem mecklenburgischen
Herrscherhaus zu sehen. Sein Hauptwerk, die "Annalium Herulorum ac
Vandalorum libri septem" erschien 1521. Eine mecklenburgische Reimchronik in deutscher
Sprache wurde erst 1737 im fünften Teil der
Amoenitates historicae des
Pistorius gedruckt. Diese |
419Wegele 1885, 89f; Krabbe 1878, 273ff; Schöttgens, Commentatio de vita
N. Marscalci Thurii, 1752. |
147 |
Reimchronik entspricht, was die hier
relevanten Teile betrifft, inhaltlich im wesentlichen den Annales.420 In Marschalks "Annales Herulorum ac Vandalorum" findet sich
das Kapitel "Wer die Vandalen, Sclaven und Sclavonen seyn".421 Benannt
wurden die Slawen, wie Marschalk aus Pseudo-Berossos zitiert, nach
Vandalus, der nach
Tuyscon König war. Es folgen abenteuerliche Geschichten, die bis in Marschalks
Gegenwart führen. Marschalk erfand einen Anthyrius mit einem Heruler als Vater und einer Amazone als Mutter. Sein Vaterland sei die Gegend zwischen Krim und
Don gewesen. Anthyrius soll dann die Elbe hinaufgefahren sein, die
Wenden,
Vindilos oder Vandalen besiegt haben und daraufhin den wendisch-deutschen
Staat Mecklenburg errichtet haben.422 Marschalk besprach auch schriftlose Monumente, nämlich Hügel-,
Megalith- und Urnengräber. Er bemühte sich um eine Zuweisung an verschiedene Stämme
und ebenso um eine soziale Klassifizierung der materiellen
Hinterlassenschaften. Diese Überlegungen sind natürlich aus der Sicht der heutigen
Archäologie nicht weiter zu diskutieren, für das frühe 16. Jahrhundert waren sie aber
insofern eine Innovation, als andere humanistische Geschichtsschreiber nur römische
Inschriften und Münzen in ihre Betrachtungen einbezogen hatten. Erst 120 Jahre später mit den Arbeiten des Schweden Ole Worm kam es
zu einer breiteren Beschäftigung mit materiellen Hinterlassenschaften des
Ostseeraums. Worm kannte und verwendete für seine 'archäologischen' Arbeiten
jedenfalls die "Annales Herulorum ac Vandalorum" Marschalks.423 Marschalk widmete sein 1521 entstandenes Werk an Heinrich, den
"illustrem Megapolensem ducem, Vandalorum principem etc.". Neben dem
schwedischen und dem dänischen Königsttitel erscheint der Vandalenname also auch
im |
420Wegele 1885, 90 und Anm. 2. 421Marschalk,
in: Westphalen, Monumenta inedita T. I, 1739, p. 198ff. Erstmals erschienen
1521. 422Marschalk,
Annales, p. 217ff. 423Kirchner
1938, 12f. |
148 |
mecklenburgischen Herzogstitel.
Bezogen war er auf das bis 1436 von einer Seitenlinie regierte Fürstentum Wenden.424 Die Titelfolge in der Intitulatio der Diplome der mecklenburgischen
Herzöge vor 1418 blieb allerdings ohne den Wenden/Vandalennamen. Sie lautete etwa
Ende des 14. Jahrhunderts: "(...) Wi Albrecht van der gnade godes
herteghe to Mekelenborg, greue to Zwerin, to Stargarde unde to Rosteke here
(...)".425 Das Interesse Marschalks an einer 'historischen' Erklärung des Wenden/Vandalennamens basierte auf der Entwicklung des
mecklenburgischen Herzogtums, das wie die 'wendischen' Städte in altem slawischem
Gebiet, also im 'Wendenland', lag. Die seit Beginn des siebten Jahrhunderts im Gebiet des späteren
Mecklenburg lebenden slawischen Gruppen der Abodriten im Westen und der Liutizen
im Osten konnten immer nur für einen kurzen Zeitraum in den
Reichsverband integriert werden. Politisch erscheinen die Abodriten zuerst im
Bündnis mit dem Frankenreich. Im Laufe der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts
gerieten sie aber mehr und mehr in den dänischen Einflußbereich.426 Unter den Ottonen war die Abhängigkeit vom Reich wieder stärker. Der
jüdisch- arabische Reisende Ibrahim ibn Jakub aus Tortosa im spanischen
Kalifat bereiste im Jahr 965 Europa und hatte Kaiser Otto I. in seiner Magdeburger
Residenz aufgesucht. Kurz darauf kam Ibrahim an den Hof des
Abodritenherrschers Nakon auf der Mecklenburg. Ibrahim schrieb, dieser slawische Fürst sei
neben dem Bulgarenzar und den Herrschern von Böhmen und Polen der mächtigste slawische Fürst.427 Im Zusammenhang mit der Eroberungs- und Missionspolitik Ottos I.
gegenüber den Slawen östlich von Elbe und Saale entstand 967 das abodritische Missionsbistum Oldenburg in Holstein, das dem Erzstuhl Hamburg-Bremen
unterstellt wurde. Die Dynastie der Nakoniden nahm im 10. Jahrhundert
das Christentum an. Ein um 995 auf der Mecklenburg (Michelenburg)428 bei Wismar 424Köbler
1999, s.v. Mecklenburg, 331. 425Diplom
von 1385 nach Juni 15, Wismar, MUB XX, No. 11600, p. 276. 426Köbler
1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47ff. 427Herrmann
1986, 276. 428Michelenburg erscheint in einem Diplom Ottos III. von 995. |
149 |
erstmals erwähntes Bistum wurde 1066
im Kontext eines Aufstands des nichtchristlichen abodritischen Adels wieder zerstört. Die
Michelenburg war Hauptfürstensitz der abodritischen Dynastie und gab Mecklenburg nach
1256 den Namen.429 1147 hatte Bernhard von Clairvaux im Zusammenhang mit dem zweiten abendländischen Kreuzzug zu einem "Wendenkreuzzug" gegen
die nördlichen Elbslawen aufgerufen. Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe konnte sich
so dem Jerusalemzug entziehen und griff die Abodriten und ihren Hauptsitz
Dobin am Schweriner See an. Albrecht der Bär machte sich von dem bis kurz
zuvor slawischen Brandenburg aus gegen Demmin und Stettin auf. Auch die
Dänen und die Polen beteiligten sich an diesem Nebenunternehmen des zweiten Kreuzzugs.430 Die sächsische Expansion vor und nach dem Wendenkreuzzug zeitigte
Erfolge. Die westlichen Teile des Gebiets der Abodriten fielen an sächsische Territorialfürsten. Der östliche Teil unter dem Nakoniden Niklot
konnte sich vorerst behaupten. 1154 wurde das Bistum Ratzeburg, nach 1160 das
Bistum Schwerin gegründet. Heinrich der Löwe besiegte 1160 den im Osten Mecklenburgs herrschenden Fürsten Niklot aus dem Haus der Nakoniden endgültig. Die Nakoniden hatten die Abodriten im Laufe des 11. und
12. Jahrhunderts in einer Herrschaft zusammmengefaßt. 1167 gab Heinrich
das Gebiet mit Ausnahme der neugeschaffenen Grafschaft Schwerin Niklots
Sohn Pribislaw, der seinerseits die bis 1918 regierende mecklenburgische
Dynastie begründete, als sächsisches Lehen.431 Diese mecklenburgische Dynastie war also eine in den Reichsverband integrierte slawisch-abodritische
Herrscherfamilie, was die hier besprochenen dynastischen Konzepte verständlich macht. Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen kam das Gebiet bis 1227 unter
dänische Oberhoheit. 1229 bis 1238 teilten sich dann die vier Urenkel
Pribislaws das Land Mecklenburg in die Teilgebiete Mecklenburg(-Schwerin), Werle, Rostock
und Parchim. Bis 1436 fielen die letzten drei Territorien wieder an die
Linie von Mecklenburg(-Schwerin) zurück. 1256 wurde Wismar Fürstensitz, doch
wurde |
429Köbler 1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; LMA I, s.v. Abodriten,
Obodriten, 47ff; Hermann 1972, 37ff. 430LMA
VII, s.v. Wendenkreuzzug, 2183. 431Kahl
1962, 78ff; Hermann 1972, 45-67; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47ff. |
150 |
der Name der Michelenburg Landesname.
1347/48 wurde Mecklenburg unter Karl IV. nach Ablösung der Lehenshoheit von Sachsen-Lauenburg zum reichsunmittelbaren Herzogtum.432
Seit 1418 nannten sich die Herren von Werle Fürsten von Wenden (der
lateinische Titel lautete: "princeps Vandalorum/Venedorum") und
bereiteten durch einen Erbvertrag die Vereinigung der Güter vor. 1426 fielen die werlischen
Güter an Werle-Güstrow und 1436 beim Aussterben dieser Linie an Mecklenburg
Schwerin und Mecklenburg Stargard. Brandenburg wurde 1442 durch
Geldleistungen, Pfandrückgabe und Einräumung eines Eventualerbrechts in Mecklenburg abgefunden. Am Ende des 18. Jahrhunderts gehörte Mecklenburg zum niedersächsischen Reichskreis.433
|
III.2.7.2. David Chyträus. Die
Fortsetzung der Arbeiten von Albert Krantz David Chyträus (1530 - 1600) wurde in Ingelfingen
bei Schwäbisch-Hall geboren und studierte in Tübingen und Wittenberg. Er war ein
Schüler Melanchthons. 1561 folgte Chyträus einem Ruf an die Universität
Rostock und wurde dort Professor für evangelische Theologie. Chyträus
arbeitete intensiv am Aufbau einer protestantischen Kirchenorganisation in
Mecklenburg mit und genoß das Vertrauen und die Unterstützung des
mecklenburgischen Hofes. Er unterhielt ein ausgebautes Netz an Briefpartnern oder besser gesagt
gelehrten Korrespondenten.434
Seine biographischen Arbeiten zu zeitgenössischen
Persönlichkeiten hat Chyträus nach dem Vorbild Melanchthons in Form von Reden
verfaßt. Unter anderem schrieb er Reden für die Habsburgerkaiser Karl V.,
Ferdinand I. und Maximilian II.435 Seine Arbeiten zur norddeutschen Geschichte
schließen sich als deklarierte Fortsetzungen an die Werke von Albert Krantz an. In der Continuatio
Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500 von 1585 versuchte Chyträus eine zeitgeschichtliche Fortsetzung der
Wandalia. Unter
Vandalia im 432Hamann
1968, 23-78; LMA VI, s.v. Mecklenburg, 438-442. 433Köbler
1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; s.v. Wenden, 604; s.v. Werle, 606; Zedler 47,
s.v. Wenden, 2002f. 434Wegele
1885, 426ff; Krabbe 1870, 12-67. 435Wegele
1885, 427 und Anm. 1. |
151 |
geographischen Sinn verstand er
dasselbe wie Krantz, also die norddeutschen Gebiete am balthischen Meerbusen inklusive Pommern und alle
slawischen Länder. Entsprechend finden sich auch Nachrichten aus Russland, Polen
und Böhmen. Mit der Entfernung von Rostock nimmt die Zahl dieser
Nachrichten allerdings ab. Die Ereignisse der Reformation und der Aufbau einer
reformierten Kirche, Prozesse an denen Chyträus intensiv beteiligt war, stehen
dabei im Zentrum der Darstellung.436 Chyträus setzte auch die Hamburger Kirchengeschichte, die
Metropolis von Albert Krantz, für die Jahre 1500 bis 1586 fort. Die acht Bistümer, die
Krantz ausgelassen hatte, weil sie nicht zu Niedersachsen gehörten, bezog Chyträus in
seine Fortsetzung mit ein. Der Titel Praemium
metropolis seu succesionum episcoporum in ecclesiis
Saxoniae et Vandaliae ist eine
Anspielung auf Krantz. Gemeint ist mit Vandaliae
et Saxoniae der Bereich der alten
hamburgischen Kirche, nur erweitert um die erwähnten acht Bistümer. Sicher muß man aber berücksichtigen,
daß im Zuge der reformatorischen Neuorganisation der kirchlichen Struktur,
auch ein anderer Anspruch ausgedrückt werden sollte.437 Im Auftrag Herzogs Ulrich von Mecklenburg verfaßte Chyträus einen Stammbaum des mecklenburgischen Hauses. Dieser konnte für die
vorliegende Studie nicht eingesehen werden. Der Herzog hat an diesem
genealogischen Werk selbst mitgearbeitet. Der Stammbaum enthält nur wenige Informationen
zu Vorstellungen von der Frühzeit. Die Abstammung der Nabodriten von
Anthyrius wurde aus Marschalks Annalen übernommen.438 |
III.2.7.3. Johannes Simonius: Die
"Vandalia" von 1598 Simonius (1565 - 1627) begann seine Karriere als
Hofmeister des Herzogs Wilhelm in Kurland. Er wurde dann zum Professor für Poesie
und Eloquenz in Rostock ernannt, lehrte also an der Universität, der hundert
Jahre zuvor Albert Krantz vorgestanden hatte. Gleichzeitig bekleidete Simonius
das Amt eines Protonotarius |
436Chyträus, Continuatio Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500,
1585, I und II. 437Chyträus,
Praemium metropolis seu succesionum episcoporum in ecclesiis Saxoniae et Vandaliae, 1586. 438Vgl.
Krabbe 1870, 354ff. |
152 |
am Landgericht des Herzogtums Mecklenburg.
Schließlich wurde er auf ein Professorenamt in Uppsala berufen.439
Johannes Simonius entwickelte in seiner 1598 geschriebenen
"Vandalia" ebenfalls ein Konzept, das eine 'deutsche' Wurzel in der frühen Geschichte
Mecklenburgs zu erweisen suchte. Die mecklenburgischen Wenden waren in der
Erzählung des Simonius erst im Jahr 500 aus den Slawen und den antiken Vandalen
entstanden. Simonius teilte die Wenden auf Basis der Völkernamen, die Helmold von
Bosau in seiner Chronica Slavorum genannt hatte, in vier Gruppen ein. Diese sind nach
den Himmelsrichtungen untergliedert. Der von Simonius verwendete Überbegriff für die westliche slawische
Gruppe aus der die Mecklenburger und damit auch die nabodritische
Herrscherdynastie entstanden, ist gemäß seiner Vorstellung von der 'Ethnogenese' der mecklenburgischen Wenden
Slavo-Vandalica.440 Die
nördliche Gruppe der Slawen besteht aus den Rügern, Femern und Wismern, die östliche aus den
Pommern, Kissin, Lebres und Tolenz, die westliche aus den Obotriten, Liutizen
und anderen, die südliche aus den Hevellern und Beizanern.441 |
III.2.7.4. Bernhard Latomus und sein
"Genealochronicon Megapolitanum"442 1610 entwarf Bernhard Latomus in seinem
"Genealochronicon Megapolitanum" ein Konzept, das an der wahren historischen Größe
des Hauses Mecklenburg keinen Zweifel mehr aufkommen lassen konnte. Zur Zeit der Zerstörung Troias seien die Vandalen
nach Paphlagonien gewandert, nannten sich darauf
Henetoi und sandten nicht nur eine Kolonie
unter einem gewissen Antenor nach Venedig, sondern auch einige Vandalen nach Griechenland. Diese griechisch gewordenen Vandalen
flohen vor den Persern unter Xerxes nach Thrakien und siedelten sich dort
bei Abdera an. Deshalb 439Zedler
37, s.v. Simonius (Johann), 1492. 440Simonius,
Vandalia, in: Westphalen, Monumenta inedita T. I, 1739, p. 1542ff. Erstmals erschienen 1598. 441Simonius,
Vandalia, p. 1543. 442Zedler
16, s.v. Latomus, 911. Das Lemma enthält lediglich eine kurze Erwähnung der
Schriften des Bernhard Latomus. Ansonsten war kein
biographisches Material zu finden. |
153 |
nannten sie sich bald
Abderiten, was den slawischen
Abodriten eine antike und germanische Geschichte gab. Damit war der Zweck des Werks, nämlich
der mecklenburgischen Herzogsdynastie eine würdige Wurzel herbeizuschreiben, erfüllt.443 Latomus sagt kurz später explizit, es handle sich bei den
Abderiten in Wahrheit um die Vorfahren der slawischen Abodriten/Obotriten.
Anthyrius einer der Könige der Abderiten war ein Freund Alexanders des Großen und des
schwedischen Kronprinzen Barvan, den er am Hofe Alexanders kennengelernt hatte. Nach Alexanders Tod wurden die Abderiten von Cassander aus Abdera vertrieben und schifften sich nach Schweden zu Barvan ein. Auf ihrer Wanderung
durch Europa durchzogen die Vandalen-Abderiten die Provinz Wallis. Sie
hinterließen dort den Namen Venedotia. Mitgeführt haben diese
Abderiten eine Flagge mit dem Kopf von Alexanders Bucephalus, welcher später zum Wappen
Mecklenburgs wurde. Andere von Cassander vertriebene Vandalen zogen über Land durch Sarmatien und Thule bis sie zu Anthyrius stießen.444 Anthyrius heiratete, am Ziel angekommen, die Schwester seines
Freundes Barvan, des schwedischen Kronprinzen. Barvan schenkte den Vandalen-Abderiten
einige wüste Inseln als eigenes Land. Anthyrius nahm aber Mecklenburg in
Besitz und baute dort Städte nach griechischem Vorbild, wie
Megalopolis (Mecklenburg) und Bucephalea (Buckow). Er eroberte oder stiftete weiters für seine Söhne 13 Königreiche und
24 Fürstentümer und erbte dann noch Schweden, Finnland und Sarmatien.
Den Venetianern, seinen Stammvettern, sandte er dann noch die Kimbern
gegen Marius zu Hilfe. Seine Nachfolger ließen die Heruler, Vandalen und
Burgunder nach Italien ziehen. Dadurch wurde ihr Land entvölkert und es kamen sarmatische Wenden nach Mecklenburg. Dies ließ die Slawen erst
entstehen.445 In der mecklenburgischen Hofhistoriographie des 16. und 17.
Jahrhunderts wurde auf Basis der Identifikation der Wenden mit den antiken Vandalen und
den |
443Latomus, Genealochronicon Megapolitanum, in: Westphalen, Monumenta
inedita T. IV, 1745, p. 9ff. Erstmals erschienen 1610. 444Latomus,
Genealochronicon Megapolitanum, p. 23ff. 445Latomus,
Genealochronicon Megapolitanum, p. 22ff. |
154 |
Mitteln der literarischen Fiktion das
ehrwürdige Alter des mecklenburgischen Hauses hervorgehoben. Zum einen ist dies aus der deutschen humanistischen Rezeption des
Pseudo- Berossos und seiner Verwendung bei Krantz zu verstehen. Slawen und
Germanen waren eigentlich gleicher Abstammung und bis in die ersten Zeiten
seien Nachrichten über diese Vorfahren zu greifen. Alle behandelten Texte
erfüllten also den Wunsch nach einem Platz der eigenen Vorfahren in der alten
Geschichte. Besonders zu betonen ist der, im Verhältnis zu einer recht unklaren
Vorstellung von einer überregionalen aktuell-politischen wie historisch-antiken
Identität, klarer ausgeprägte lokale Patriotismus. Zweitens basiert dieses Konstrukt auf der mittelalterlichen
Gleichsetzung von Wenden und Vandalen und war auch für einen gelehrten Leser kein
krasser Widerspruch. Ein solcher gebildeter Leser wird eher den
intellektuellen Reflex gehabt haben, endlich zu verstehen, was in den Autoren des
Mittelalters nur angedeutet worden war. Zuletzt sei eine österreichische Kuriosität erwähnt, die das
"Genealochronicon Megapolitanum" von Bernhard Latomus rezipierte. Der
österreichische Sprachforscher Johann Sigmund Valentin Popowitsch (1705 - 1774) nahm
auf die angebliche Beziehung zwischen den vandalischen Königen im Norden und
den Venetern in Oberitalien bei Latomus bezug, um zu zeigen, daß die
Heruler und Rugier zu den slawischen Werlern und Rugen geworden seien. Popowitsch hatte verschiedene, meist ungedruckte, Untersuchungen zu südslawischen Sprachen geschrieben. Er wollte erweisen, daß die "österreichischen Wenden" alte, quasi slawisierte, Germanen
seien. Diese "österreichischen Wenden" würden, so Popowitsch, viele in
der Wurzel plattdeutsche Wörter verwenden. Verstehbar sei dies nur, wenn man die
Geschichte der Heruler als aus dem Norden nach Italien geschicktes
Volk, wie sie bei Latomus dargestellt worden war, berücksichtige. Als historischen Hintergrund seiner Überlegungen bediente sich Popowitsch also der
Modelle des mecklenburgischen Hofhistoriographen und der Grundidee von der
eigentlich germanischen Abkunft der Wenden-Vandalen.446 |
446Popowitsch, Erstes Probestück vermischter Untersuchungen, 1749, p. 49.
Wurzbach 23, p. 108-111. |
155 |
Immer wieder scheint die mitunter
schwer rekonstruierbare Geschichte der völkerwanderungszeitlichen gentes dazu herauszufordern, Identitäten aus dem Blickwinkel der eigenen Zeit neu zu definieren. Das Festlegen der
Ahnen spielt dabei eine wichtige Rolle. Derselbe Reflex läßt sich in der
mecklenburgischen Hofhistoriographie wie in Publikationen der Gegenwart
beobachten. |
Die vom Verfasser nicht eingesehenen
Manuskripte von Popowitsch zu den slawischen Sprachen sind im Wurzbach genannt: "In grammaticam Vindicam edendam, id
est: Vinidarum seu Vindorum australium cogitata et praeparata" und "Specimen
vocabularii Vindo-Carniolici". |
156 |
IV. Die Historisierung des
Vandalennamens |
IV.1. Die Entwicklung von der
Gleichsetzung Vandalen=Wenden zur historischen Darstellung in Wörterbüchern und anderen Texten des 16. - 18. Jahrhunderts Anhand von Lexika und Wörterbüchern kann die Entwicklung der
Vorstellungen hinter dem Vandalennamen nach dem 16. Jahrhundert am prägnantesten demonstriert werden. Im wesentlichen handelt es sich um einen Prozeß
der 'Historisierung'. Die Gleichsetzung von Vandalen und Wenden
verschwindet und weicht einer ausführlicheren, problemorientierten Darstellung der
antiken und frühmittelalterlichen vandalischen Geschichte. Im ältesten eingesehenen deutsch-lateinischen Wörterbuch, der von
Josua Maaler 1561 herausgegeben "Teutschen spraach", findet sich sub
voce "Wenden (die) Sorabi" die lateinische Wiedergabe mit "Vandali".447 Der "Wende" in der Bedeutung Slawe wird im folgenden Lemma
mit "Vandalus" oder "Venedus" übersetzt.448 Auch das Herzogtum Wenden wird in der "Teutschen spraach"
mit dem folgenden Eintrag latinisiert. "Wenden/ ein Herzogtum in
Pommern/ Ducatus Vandaliae s(eu) Venedorum".449
Das Adjektiv "Wendisch" ist mit "venedicus, vandalicus"
wiedergegeben und "Windisch" ebenfalls mit "venedicus".450 Worin der
Unterschied zwischen den beiden Bezeichnungen bestehen soll ist nicht ersichtlich. Der Wortgebrauch in der verbreiteten "Teutschen spraach"
zeugt von der Selbstverständlichkeit der Gleichsetzung Wende/Vandale noch im 16. |
447Maaler, Teutsche spraach, 1561, s.v. Wenden, p. 456. 448Maaler,
Teutsche spraach, 1561, s.v. Wende, p. 456. 449Maaler,
Teutsche spraach, 1561, s.v. Wenden (ein Herzogtum in Pommern), p. 456. 450Maaler,
Teutsche spraach, 1561, s.v. Wendisch/Windisch, p. 456. |
157 |
Jahrhundert. Offenbar galt
Vandalus als selbstverständliche
Latinisierung des Ethnonyms Wende. Ein weiteres Zeugnis für die Selbstverständlichkeit der Gleichsetzung
slawisch- vandalisch stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Im Rahmen einer
Sprachenliste bei Johann Heinrich Alstedius wird die
lingua Vandalica erwähnt. Gemeint sind in diesem Fall die slawischen Sprachen im Elbe- und
Ostseegebiet. Eingeleitet ist die Liste verschiedener europäischer Sprachen mit den
Worten: "Linguas LXXII hoc modo enumeramus, iuxta seriem
alphabeti".451 In die Besprechung der Wörterbücher und Lexika eingereiht sei noch
ein Beispiel für die gängige Latinisierung des Adjektivs wendisch/slawisch als
vandalicus. Der Titel einer Gesetzeskompilation in lateinischer Sprache für die
Insel Rügen von 1724 lautet: "De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani
eiusque compositione oratio quam sub ipsis rectoratus academici
auspiciis". In der Einleitung beschreibt der Jurist Joachim Andreas Helwig einen spätmittelalterlichen Rechtscodex, der Bestimmungen von dreierlei
Provenienz enthalten habe, die auf Rügen der juristischen Praxis zugrunde lagen.
Der compilator dieses von Helwig nicht näher datierten Codex
"nobis referat, ius trifariam in Rugia administrandum esse". Dieses "ius
trifariam" sei nun aus dem vandalischen, dänischen und schwedischen Recht zusammengesetzt, also
"ex iure scilicet Vandalico, Danico & Sverinensi".452 Der Codex selbst hatte auch einen deutschen Titel, den Helwig einige
Seiten später auch nennt. "Codex autem ipse antiquum Vandalico-Rugianum
ius Provinciale inscribebatur, dass Olde
Wendische Rugianische Landtrecht."453 Anfang des 18. Jahrhunderts war es für einen gelehrten Juristen der
Universität Greifswald als weiter nicht verwunderlich, im Zusammenhang mit
slawischen Rechtsgewohnheiten im Ostseeraum wendisch mit vandalisch zu
übersetzen. König Friedrich der Große schrieb Mitte des 18. Jahrhunderts eine brandenburgische Geschichte, die der richtigen Erziehung der Eliten
dienen sollte. |
451Johann Heinrich Alstedius, Thesaurus chronologiae, 1650, p. 265f;
Borst 1957-1963, II/2, 952. 452Joachim
Andreas Helwig, De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani, 1724, p. 15. 453Joachim
Andreas Helwig, De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani, 1724, p. 23. |
158 |
Geschichte, so meint der König in
seiner Einleitung, sei die Schule der Prinzen und Edlen. "L'histoire peint à leur mémoire les règnes des
souverains qui ont été les pères de la patrie, et des tyrans, qui l'ont disolée."454 In den Ausführungen zur mittelalterlichen Geschichte der Markgrafen
von Brandenburg verwendete der König durchgehend "Vandales" für
die elbslawischen Gegner der Grafen. Die Kämpfe zwischen Sachsen und
Slawen im 10. und 11. Jahrhundert erscheinen bei Friedrich dem Großen
durchgehend als Kämpfe gegen die Vandalen. Die Markgrafen seien ständig in
Scharmützel "contre les vandales et d'autres peuples barbares" verwickelt gewesen.
Der Nakonide Primislaw wird als "prince des Vandales" bezeichnet.455 Noch 1750
ist die Gleichsetzung Vandalen-Wenden also der Normalfall, zumindest beim
Versuch, Völkernamen des Ostseegebiets lateinisch oder französisch
wiederzugeben. In Frankreich selbst ist die Bezeichnung
Pays des Vandales für Preußen in
der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zu greifen. Zumindest bei
der hier zitierten Nennung aus einem Brief Voltaires ist keine peiorative
Bedeutung mit dieser Wortverwendung beabsichtigt. Auch im Spanischen erscheint die Bezeichnung 'vandalisch' für die Preußen in einer europäischen
Geschichte von Federico Vidal. "Raubaire de nacien, Prussian, raço vandalo
(...)"456 Es handelt sich bei diesen Beispielen um ein Fortleben der mittelalterlichen
Bedeutung vandalisch-wendisch-slawisch auch in den romanischen Sprachen. Im Thesaurus des Basilius Faber in der Ausgabe von 1692 findet sich die
aus Pseudo-Berossos beziehungsweise Tacitus abgeleitete Vorstellung von
der Herkunft der Vandalen von König Tuisco und seinem Sohn
Vandalus. Die Vorstellung von der späteren Einwanderung der
Poloni,
Pomerani,
Cassubii und Bohemi in die ehemals vandalischen Gebiete, die
Vandalia also, liegt dem Lemma zugrunde. Nur der alte Name der Weichsel,
Vandalus, ist aus Kadlubek oder
einer späteren Verarbeitung seiner polnischen Geschichte in den Thesaursus eingegangen. Im Lemma Sclavi wird Philipp Clüvers
Germaniae antiquae libri tres (vgl. unten IV.3.) zitiert. Die hier verwendete Ausgabe des Thesaurus
wurde 1692 |
454Friedrich der Große, Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de
Brandenbourg, 1749, p. 2. 455Friedrich
der Große, Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandenbourg,
1749, p. 19ff. 456Die
beiden Zitate nach Messmer 1960, 53, Anm. 256. |
159 |
gedruckt und überarbeitet. Da im
Thesaurus nicht zitiert wurde, lassen sich die verwendeten Quellen nicht mit Sicherheit feststellen. Sub voce "Vandalus" findet sich folgendes Lemma.
"Tuisconum rex fuit, a quo Vandali, populosissima natio & Vandalia, quam nunc
tenent Poloni, Pomerani, Cassubii, Bohemi & gentes apud Vistulam fluvium, qui priscis
Vandalus dicebatur, Altham. Vide Sclavi."457 Das Lemma "Sclavi" im Thesaurus des Basilius Faber läßt die
Slawen von den Venetern abstammen, bietet aber noch die alternative Erklärung, die
Slawen wären ein sarmatischer Stamm und beruft sich dabei auf Clüver. Der Wendenname erscheint explizit als germanische Fremdbezeichnung. Die
Deutung des Slawennamens als "Verbosi" in Kombination mit der
Erwähnung der babylonischen Sprachverwirrung findet sich in analoger Form in der
böhmischen Geschichte des Aeneas Silvius Piccolomini von 1575.458 "Sclavi, seu Slavi, Gens a Venetis oriunda, quos inter Magnae
Germaniae gentes declarat Tacitus. Alii Sarmatici generis faciunt & verius, ut
Cluverius judicat, lib. III Ant. Germ. cap. XLIV. Vagi & mercenariam militiam facientes
late fuderunt nomen non per Sarmatiam tantum, sed et Germaniam ipsam; in Illyricum
usque ad Histriam, ubi et sedes fixere, penetrantes, unde progressi
Bohemiam occuparunt. Hinc Poloni, Bohemi, Dalmatae et nostri per germaniam
Wendi, unam linguam utuntur, quae Sclavonica dicitur, nec nisi dialectis diversa. (...) Referunt enim originem generis ad ipsam confusionis linguarum turrim.
Ubi auctores et conditores Sclavones, id est Verbosos, se appelarint: Deinde ex Asia in Europam transgressi, occuparunt agros, ubi nunc Bulgari, Servii,
Dalmatae, Croatae et Bosnenses colunt. (...)"459 Das weit verbreitete Lexikon von Calepino, das erstmals 1726
erschien, bietet drei Varianten zur vandalischen Geschichte an. Die erste ist ein aus den
antiken Quellen gezogener Abriß des historischen Verlaufs. Die ursprünglichen
vandalischen Wohnsitze werden im Herzogtum Mecklenburg lokalisiert.
Die Gleichsetzung mit Fenni und Venedi ist eine eigenwillige Interpretation des Tacitustexts. Bei der zweiten Variante handelt es sich um eine
geraffte Wiedergabe |
457Faber, Thesaurus, 1587/1692, s.v. Vandalus, p. 2720. 458Aenaes
Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1575, p. 4. 459Faber,
Thesaurus, 1587/1692, s.v. Sclavi, p. 2543. |
160 |
der polnischen Traditionen des 13.
Jahrhunderts. Die Königin Vanda und der von ihrem Namen abgeleitete Vandalenname ihrer Untertanen stammt zuerst
aus Kadlubeks Chronik. Die dritte Variante bezieht sich auf die
humanistischen Schriftsteller und erwähnt die Vorstellung der vandalischen Herkunft
nach Berossos. Auf diese Traditon wird aber praktisch nicht mehr
eingegangen. "Vandali, Venedi, Fenni, Sclavi, populus Septentrionales, qui
olim tenere Germaniam ad oram maris Baltici, ubi Ducatus Megalopolitanus est,
Vandalia olim dictus, deinde per Pomeraniam, Poloniam, Slesiam, Bohemiam,
Russiam, Dalmatiam effusi sunt, postea progressi sunt in Galliam, inde in
Hispaniam, ibique sedes in Baetica locarunt, quae propterea Vandalia, seu
Vandalitia magna ex parte nominata est, nunc Andaluzia, inde in Africam trajicientes,
illam occuparunt, diuque tenerunt, sicuti et Sardiniam, sub Geinserico
Rege. Alii Vandalos a Vanda Regina dictos tradunt et primo in Polonia circa
Vistulam fluvium habitasse. Alii ex Beroso dictos malunt a Vandalo filio
Tuisconis, nepote Manni Vandalorum."460 Im Steinbachschen Wörterbuch von 1734 wird als lateinische
Entsprechung der "Windischen Mark", also Krains, "Venedorum
marchia" angegeben. Die Gleichsetzung vandalisch-wendisch/windisch kam außer Gebrauch und die
Vorstellung von den bei Tacitus und Plinius erwähnten Venetern als
Vorfahren der Slawen fand auch in die Latinisierungen Eingang. Zu
"Wende" und "Windisch" bringt Steinbach nur noch "Sclavus/Slavus"
als lateinische Formen.461 In Zedlers "Grossem Universallexikon" von 1745 finden sich
sehr umfangreiche Einträge zu den Vandalen im allgemeinen und den "Vandalischen
Städten" im besonderen. Im Vergleich zu Calepinos Lexikon oder Fabers Thesaurus
fällt auf, daß den Spekulationen des 16. Jahrhunderts nicht einmal mehr eine
Erwähnung zuteil wird. In den genannten Werken war zwar die Gleichsetzung von
Vandalen und Wenden auch nicht mehr enthalten, man fühlte sich aber offenbar
bemüßigt, die verbreiteten Spekulationen zu erwähnen. Die Betonung des gemeinsamen Ursprungs war, wie oben gezeigt werden
konnte, nur in spezifischen Kontexten vorgenommen worden und erfüllte einen
klar benennbaren politisch-ideologischen Zweck. Im Zedler ist die Frage
der |
460Calepino 1726, s.v. Vandali, p. 521. 461Steinbach,
Wörterbuch 1734, s.v. Wende, p. 972/s.v. Windisch, p. 996. |
161 |
vandalischen Identität historisiert.
Auf die häufige Verwechslung mit den Wenden wird explizit hingewiesen, ohne jedoch die Gründe und Argumentationen zu schildern. "Um dieselbe Zeit, als die Macht der Vandalen in Africa zerfiel,
ward auch ihr altes Vaterland an der Ost-See in Deutschland, welches weyland die
Grenze aller Vandalischen und Gothischen Völker gewesen, nun aber von Einwohnern
gantz erschöpffet war, von den Venedis oder Wenden, einem Sarmatischen
Volcke, überschwemmet und eingenommen. Daher ist der Irrthum gekommen, daß
man die Vandalen und Wenden, bevorab da ihre Nahmen fast gleiches Lauts
waren, mit einander vermenget hat, welche doch von einander wohl zu
unterscheiden sind."462 Als Quellen sind im Zedlerschen Lexikon verschiedene antike und
byzantinische Autoren genannt. Es handelt sich um Dio Cassius, Zosimus, Dexippus,
Petrus Patricius, Eutrop, Prosper Tiro, Gregor von Tours, Hydatius, Jordanes
und Paulus Diaconus. Als hochmittelalterliche Quelle wurde für den Artikel
Helmold von Bosau herangezogen. Seine Slawenchronik diente allerdings lediglich
als Beispiel für die falsche Verwendung des Vandalennamens. Die "Deutsche
Geschichte" von Johann Jacob Mascov ist das einzige zitierte zeitgenössische Werk.
Die im Zedlerschen Lexikon ausgeführten Standpunkte sind dieser
"Deutschen Geschichte" entnommen, was bis in die Formulierungen nachweisbar
ist. Das Lemma "Vandalische Städte, Urbes Vandalicae" beinhaltet
auch Ausführungen zur vandalischen Geschichte. Der Text versucht die
Benennung der Städte zu problematisieren, kann sie aber nicht erklären. Der einzige
Grund für die Bezeichnung, den der Autor angeben kann ist, daß verschiedene
Schriftsteller Vandalen und Wenden verwechselt haben. Der im Titel der dänischen und
schwedischen Könige enthaltene Vandalenname wird auf denselben Irrtum
zurückgeführt. Ob der Autor des Lemmas nun annimmt, daß die
Königstitel einen Bezug zu den wendischen Städten haben, oder nur andeuten will,
daß der Irrtum auch in diesem Fall vorhanden war, bleibt unklar. "Es machen zwar viele noch darüber Scrupel, warum sie also
genennet würden, indem doch die Vandaler, Völcker Deutschlands im vierdten Jahrhundert
gewesen zu welcher Zeit aber noch keine Städte in Deutschland gewesen
wären. |
462Zedler 46, s.v. Vandalen, 507. |
162 |
Und es ist auch dieser Scrupel nicht
unerheblich, weil darin ein großer error popularis beruhen soll. Denn es sind zweyerley Völcker von
diesen in Deutschland bekannt gewesen, die zwar fast einen Nahmen gehabt, aber sonst weit voneinander unterschieden gewesen, nehmlich die Vandalen und Vinidi
zu deutsch die Wenden und Wandalen. Diese werden von vielen
Scriptoribus wiewohl mit Unrecht untereinander vermischet, welches auch dahin
gediehen, daß man die Städte, die Wendischen oder Vinidischen Städte heissen
sollte, und an der Ora maris Balthici liegen, nunmehro unrecht die Vandalischen heisset.
[Die grammatikalische Konstruktion sic!] Denn es waren die Vandalen ein
zusammen gelauffener Schwarm deutscher Völcker, und die ihren Namen von dem rumwandern bekommen. Diese haben in dem eilfften Jahrhundert [sic!]
sich aufgemachet, und sind durch Franckreich und Spanien gerücket, haben
sich auch hinüber in Africa begeben, und allda ein eigen Reich aufgerichtet,
welches aber im sechsten Jahrhundert von Bellisario zerstöhret worden. Im sechsten
Jahrhundert aber nach Christi Geburt seynd die Vinidi deutsch Wenden auch die
Slavi genannt eine Sarmatische Nation aus Ungarn und Pohlen in Deutschland kommen,
und haben solches weit und breit, sonderlich was zwischen der Saale, Elbe
und dem Balthischen Meere lag, in ihre Gewalt gebracht. Und weil sie sich nun
auch an dem Ufer dieses Meeres starck niederliessen, und allda führnehmlich
diese Städte aufbaueten, als : Danzig, Stralsund, Elbingen, Wißmar, Königsberg und
Riga, etc. auch viele Deutsche sich mit ihnen vermischeten, sind sie
per errorem die Vandalischen Städte genennet worden. Wiewohl nicht zu leugnen, daß
die Vandalen vorhero auch diese Gegenden bewohnet haben, und die Wenden
an jener Stelle kommen seyn, siehe den Artickel: Vandalen. Wie denn aus
dieser Ursache die Könige von Schweden und Dännemarck den Titel
Vandaliae unter andern führen."463 Bei der Datierung "in dem eilfften Jahrhundert" muß es sich
um einen Fehler des Autors handeln. Ansonsten datiert er ja korrekt mit Jahrhunderten
nach Christi Geburt. Zusammenfassend gesagt, ist in den Lexikoneinträgen des 18.
Jahrhunderts eine Historisierung des Problems zu beobachten. Historisierung bedeutet in
diesem Fall eine Beschränkung des Erklärungshorizonts auf die antiken
Quellen und ein Ausklammern des mittelalterlichen Wortgebrauchs. Das hatte zur Folge,
daß die verbreitete Gleichsetzung von Wenden und Vandalen samt ihrer 463Zedler
46, s.v. Vandalische Städte, 508f. |
163 |
Instrumentalisierung für die
Legitimation frühneuzeitlicher politischer Territorien aus der gelehrten Literatur verschwand. In den wendischen Städten und dem dänischen wie schwedischen
Königstitel lebte die Gleichsetzung fort. In der Wissenschaft ging man nicht mehr
auf die Sache ein, weil man sie auf einen schlichten Irrtum des Mittelalters
reduziert hatte. Das blieb auch in der Forschungsliteratur seit dem 19.
Jahrhundert der Stand der Dinge. So liegt keine Arbeit vor, die den schwedischen
Königstitel erklärt. Außer in Schafarschiks Überlegungen von 1837 wurden keine
Versuche unternommen, die synonyme Verwendung von Vandalen und Wenden in den mittelalterlichen Texten zu deuten. |
IV.2. Der schwedische Königstitel
rex Suecorum, Gotorum Vandalorumque |
Die hier gebotenen Erklärungen
beruhen lediglich auf Fußnoten in der Sekundärliteratur. Aus welchen Gründen auch immer
hatte die schwedische Forschung bisher wenig Interesse an den Ursachen für
den Vandalennamen im Königstitel seit Gustav I. Wahrscheinlich hielt man
den Titel für eine willkürliche Kreation des Dynastiegründers, was ja nicht ganz
unrichtig ist. Es wäre aber eine lohnende Aufgabe, das intellektuelle Umfeld des
Königs zu untersuchen. Es ist anzunehmen, daß im Rahmen humanistischer
Überlegungen die Annahme des Titels gerechtfertigt wurde. Im 17. Jahrhundert
geschah dies jedenfalls im Rahmen |
164 |
der unten genannten
Dissertationes. Letztere konnten
für diese Arbeit nicht eingesehen werden, da sie außerhalb Schwedens nicht auffindbar waren.
Wie schon in II.3.12. ausgeführt nahm der dänische König Knud VI.
(1162/63 - 1202) nach seiner Anerkennung als oberster Lehnsherr durch die
slawischen Fürstentümer Mecklenburg und Pommern den Titel
rex Danorum Sclavorumque an. Der zweite Teil dieses Titels wurde in volkssprachigen Urkunden, die
seit dem 14. Jahrhundert überliefert sind, als
Vendernes konung ins Dänische
übersetzt.464 Der dänische König Waldemar IV. Atterdag überfiel 1361 die Insel Gotland
vor der schwedischen Küste und gliederte sie seinem Reich ein. Interessant
war die Insel nicht zuletzt wegen des bedeutenden Handelshafens Witby. Nach dieser Eroberung führte Waldemar neben den bisherigen auch den neuen Titel
rex Gothorum. Ins Dänische wurde die Titulatur als
de Gothers Konge übersetzt.465 Der schwedische König Gustav I. Wasa (1496 - 1560) nahm vor dem
Hintergrund der Auseinandersetzungen Schwedens und Dänemarks um die Vorherrschaft
in der Ostsee den Titel Venders
konung an. Latinisiert wurde dieser
Titel als rex Vandalorum. Gustav I. Wasa erweiterte den Titel der
schwedischen Könige ohne territorialen oder historischen Hintergrund. Dem ersten
protestantischen Erzbischof von Schweden, Olaus Petri (1493 - 1522), warf der König
vor, die schwedische Geschichte verstümmelt zu haben. Petri hatte die
historischen Vandalen und die Wenden auseinandergehalten und Kritik an der
Erweiterung des Königstitels durch Gustav Wasa geübt. Olaus meinte, es gehe nicht
an, diesen Titel zu beanspruchen, ohne wendische Besitzungen zu haben. Daß die historischen Vandalen etwas mit den Schweden zu tun haben könnten
schloß er aus. Die Brüder Johannes und Olaus Magnus hatten dem König offenbar brauchbarere Konzepte geliefert.466 Letztere verfaßten Texte mit Geschichtskonzeptionen, die die Schweden auf die Goten zurückführten.
Dabei gingen sie ähnlich vor, wie Krantz und andere Humanisten, die
zeitgenössische Ethnien auf antike zurückführten. Olaus Petri dagegen arbeitete
quellenkritischer und entgegnete den Brüdern Magnus diverse Male. Auch im schwedischen 464Bohn
2001, 24; Hildebrand 1884, 59f. Für die freundliche Hilfe bei der Übersetzung
aus dem Schwedischen danke ich Stefan Donecker! 465Svennung
1967 a, 71 und Anm. 291. 466Hildebrand
1884, 59 und Anm. 1. Die von Hildebrand nicht genau zitierten Schriften von
Petri und den Brüdern Magnus konnten weder genau identifiziert noch
eingesehen werden. Bei Olaus Petri handelt es sich wahrscheinlich um sein Hauptwerk "En Swensk
Crönicka". |
165 |
Humanismus lassen sich also ähnliche
Muster und Debatten wie im deutschen feststellen.467 Schweden hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine
Besitzungen im slawischen Siedlungsgebiet an der Ostsee. Goten und Vandalen sollten
lediglich Alter und Würde der schwedischen Könige garantieren. Die schwedische Monarchie hatte sich erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts als
eigenständige durchsetzen können. Zuvor bestand durch die Kalmarer Union von 1397
eine Personalunion mit Dänemark. 1521 bis 1523 konnte Gustav Wasa mit
Hilfe der Hanse die dänischen Statthalter vertreiben und schwedischer König
werden. Ein Dynastiegründer war also auf der Suche nach brauchbaren
Legitimationen. 1632 schrieb Johann Ludwig Gottfried ein Werk mit dem Titel
"Inventarium Sueciae. Das ist gründliche und warhaffte Beschreibung des
Königreichs Schweden und dessen incorporierten Provinzen", das in Frankfurt
am Main erschien. Im Kontext des dreißigjährigen Kriegs wurde auch in
Deutschland Panegyrik für die Könige aus dem Norden verfaßt. Das erste Kapitel
handelt von den seit Beginn der christlichen Zeitrechnung in Schweden
herrschenden gotischen Königen und ihren Verwandten, die Skandinavien verlassen
hatten, um in Spanien und Italien Reiche zu begründen. Es sei an die Vorstellung
der 'doppelten Goten' bei Adam von Bremen erinnert. "Erster Teil:
schwedische und gothische Könige, die von Christis Geburt hero so wol ausser als
inner Lands regieret bis zu Gustav Adolph König der Schweden, Gothen und
Wenden." Kapitel zwei beschränkt sich auf Gustav Adolph und die Geschichte des
dreißigjährigen Kriegs. "Zweiter Teil: Expeditionen und
Verzeichnis der Siege Eroberungen und Victorien, die der edle König bis jetzto erlangen
konnte." Gustav Adolph führt in diesem deutschen Text den Titel "König
der Schweden, Gothen und Wenden". Gottfried war die Bedeutung der
Latinisierung von Wenden als Vandalen offensichtlich geläufig. Der erste schwedische
König, der im "Inventarium Sueciae" den Wendennamen im Titel führt ist
wenig überraschend Gustav I. Wasa. Der Eintrag zum ersten Wasakönig wird ohne weiteren Kommentar mit "Gustavus Erichson, der Schweden, Gothen und
Wenden König" überschrieben.468 Ein Titelkupfer mit dem der Eintrag zu König Erich
XIV., dem Nachfolger Gustavs I., beginnt nennt einige Seiten weiter erstmals in
der |
467Mörke 1996, 120f. 468Gottfried,
Inventarium Sueciae, 1632, p. 68. |
166 |
Latinisierung des Königstitels den
Vandalennamen: "Ericus D.G. Suecorum Gothorum, Vandalorum etc. Rex".469 Zwischen Karl IX. von Schweden und dem dänischen König Christian IV.
brach im 17. Jahrhundert ein Streit um Wappen und Titel aus. Ergebnis war
eine neuerliche Erweiterung des schwedischen Titels um die seit dem 16.
Jahrhundert dazugewonnenen Gebiete. Der Titel Karls IX. lautete nun.
"Suecorum, Gothorum, Vandalorum, Finlandiae, Careliae, Lapponiae septentrionalis, Caianae
et Esthonaie Livoniaeque rex." Gustav Adolph modifizierte den Titel
ein weiteres Mal, die Vandalen blieben aber immer Bestandteil. Drei Königsttitel beanspruchten die schwedischen Monarchen. Aus diesem Grund finden
sich auch drei Kronen im sogenannten Reichswappen. Interessant dabei ist, daß
das bis 1905 in Personalunion mit Schweden regierte Norwegen dabei gar nicht im
Titel vorkam, man aber den Anspruch, König der Goten und Vandalen zu sein, aufrechterhielt.470 Karl XI. von Schweden hatte den Gelehrten Johann Gabriel Sparwenfeld ausgesandt, um die Bibliotheken Europas nach Nachrichten über die
Goten und Vandalen zu durchforschen. Im Umfeld dieser Bestrebungen wurde etwa
die Wulfilabibel ediert. Außerdem entstanden verschiedene
Dissertationes, die eine Beziehung der Schweden oder zumindest des schwedischen
Herrscherhauses zu Goten und Vandalen herzustellen suchten.471 In einer 1991 erschienen ideengeschichtlichen Quellensammlung aus
Schweden findet sich eine Bemerkung über die Bedeutung der drei Kronen im
schwedischen Reichswappen. "Die Kronen stehen für die drei Reiche der
Svea, Götar und Venden (was auch immer letzteres gewesen sein mag)."472 |
469Gottfried, Inventarium Sueciae, 1632, p. 80. 470Hildebrand
1884, 60. 471Messmer
1960, 11 und Anm. 12. Diese Texte konnten nicht eingesehen werden: A. Hessel,
Dissertatio de Vandalis, Uppsala 1698; Jan Broems,
Dissertatio de Vandalorum in Africa imperio, Upsala 1698; Carl Iserhielm, Dissertatio
historico-politica de Regno Westrogothorum in Hispania, Upsala 1705. Letztere
dissertatio trägt die Widmung:
Serenissimo Principi Carolo XII Suecorum, Gothorum,
Vandalorumque Regni. 472Broberg
und Jansson 1991, 1258. Übersetzung von Stefan Donecker. |
167 |
IV.3. Das 18. Jahrhundert |
Die Geschichtswissenschaft hatte bis
ins 19. Jahrhundert auch den Charakter einer Staatswissenschaft. Seit dem Westfälischen Frieden
wurde die Reichsstandschaft und damit die souveränen Hoheitsrechte der kleineren
Territorien immer wieder in Frage gestellt. Die historische Dimension war
also von elementarem (territorial- )staatlichem Interesse Die Wissenschaft von den Urkunden, die Diplomatik,
wurde von Dynasten, Städten und anderen interessierten Gruppen gefördert
und mit Interesse verfolgt. Nicht nur vor den Gerichten, auch in der
Öffentlichkeit trug man die sogenannten bella
diplomatica aus. Jede der
beteiligten Parteien suchte berühmte Juristen und Historiker zu gewinnen, die unter ihrem Namen
Darlegungen der Standpunkte zu veröffentlichen bereit waren.473 Der dadurch bedingte Verwissenschaftlichungsprozeß
läßt sich am Beispiel des Streits zwischen Stadt und Kloster Lindau im Jahr
1672 verdeutlichen. Hermann Conring (1606 - 1681), Professor in Helmstedt,
sollte ein Gutachten über verschiedene umstrittene Urkunden erstellen. Conring
ging von anderen, gesicherten Stücken aus und verglich sie nach
Schrift, Sprache und Formeln mit den fraglichen Urkunden. Sprachliche Besonderheiten
akzeptierte er dabei nur dann als Argument gegen die Echtheit eines Stücks,
wenn sie in der jeweiligen Kanzlei nicht nachzuweisen waren. Er tat dies zehn
Jahre vor Erscheinen der methodisch wegweisenden Arbeit
De re diplomatica libri VI des
Mauriners Jean Mabillon.474 Derselbe Hermann Conring verfaßte eine
"besondere Dissertation", also eine spezielle Abhandlung, über die
vandalicae urbes, die in Zedlers
"Grossem Universallexikon" von 1745 erwähnt wurde. Diese
dissertatio, die nicht eingesehen werden konnte, dürfte Fragen des rechtlichen Status
der wendischen Städte gegenüber Schweden und dem Reich behandelt haben.475 |
473Bresslau 1969, 21f. 474Bresslau
1969, 11f und 22ff; Wegele 1885, 546ff. 475Zedler
46, s.v. Vandalische Städte, 509. |
168 |
Wie in IV.1. gezeigt setzte sich seit
dem 17. Jahrhundert eine quellenkritischere Sicht nicht nur allgemein in der Geschichtswissenschaft, sondern auch
im speziellen das Verhältnis von Slawen und Vandalen betreffend, durch.
Die Frage nach dem Verhältnis Mecklenburgs, der wendischen Städte oder des schwedischen Königshauses zu den antiken Vandalen verlor dabei an
Wichtigkeit. Völkergenealogien von der Art wie sie Albert Krantz oder
Bernhard Latomus enwickelt hatten, reichten nicht mehr aus, um Territorien eine
Legitimation zu geben. Nach dem dreißigjährigen Krieg lassen sich solche Konstruktionen
kaum mehr finden. Der Vandalenname hatte als Legitimationsgrundlage
ausgedient und war nur noch ein historisches Relikt. Andere Diskussionen traten
nun in den Vordergrund. Diese führten zu einer differenzierten
Legitimationsstruktur, die im Kontext der Entwicklung des Nationalismus und der zusehends stärker werdenden Verstrickung der Geschichtswissenschaft mit diesem zu sehen
ist. Am Anfang des 19. Jahrhunderts war der beschriebene
Rationalisierungsprozeß auch in die lokale und regionale Geschichtsschreibung vorgedrungen.
August von Kotzebue, der preußische Dichter, schrieb 1808 eine "Ältere
Geschichte Preußens". In dieser vermeidet er die Spekulationen seiner Vorgänger und erwähnt
die aus den Namen der Veneder oder Vandalen abgeleiteten Ethnonyme gar nicht
mehr. Zu vergleichen sind seine Aussagen mit dem 50 Jahre vorher
geschriebenen Text Friedrichs des Großen. "Ich bekenne, daß ich ein abgesagter
Feind von allen Schlüssen bin, die man aus Ähnlichkeiten der Worte herleitet."476 "Wer
demnach solchen Sagen ein behutsames Vertrauen weigert, der darf überhaupt an
keine Geschichte glauben, wenigstens an keine ältere, denn was ist sie
anderes als Sage?"477 |
IV.3.1. Philipp Clüver
(Cluverius): "Germania antiqua libri tres" Philipp Clüver war Historiker und Geograph. Er wurde 1580 in Danzig
geboren und starb 1622 in Leiden. Unter dem Einfluß des Josephus Justus
Scaliger wandte sich Clüver den Altertumswissenschaften zu und erhielt aufgrund
seiner Germania antiqua von 1616 eine Bestallung als
Geographus Academicus in Leiden.
Clüver gilt |
476Kotzebue 1808, 238. 477Kotzebue
1808, 255. |
169 |
als Begründer der historischen
Länderkunde. Seine Geschichte war in ihrer Konzeption mehr der Frühzeit Europas als nur der eines Landes
gewidmet. Clüver wies in seiner Germania
antiqua die Vorstellungen von den
Noahsöhnen als Gründer der Völker zurück. Er argumentierte mit dem Bibeltext der
Genesis (Moses caput X ver. 32), der nicht in der Weise zu lesen sei, wie das
bisher oft geschehen war und mit der zweifelhaften Herkunft vieler Texte, die
genanntes Bild gestützt hatten. So äußerte Clüver auch Zweifel an der Echtheit
des Pseudo- Berossos. Vor allem aber sei die Vorstellung von Sem, Japhet und
Cham, die die meisten Völker begründet haben sollen, wie die anderen Varianten
einer solchen Völkergenealogie deshalb zurückzuweisen, weil im ältesten und
verläßlichsten Text, den man für die Frühzeit nur haben könne, dem Homer, sich kein
Wort von solchen Geschichten finden lasse. Vielmehr seien die Illyrer, Germanen, Gallier, Spanier und Briten
alle Kelten gewesen (de natione celtica). Dies versuchte Clüver anhand von
Sprachvergleichen zu beweisen. Alle genannten Sprachen haben eine gewisse
Verwandschaft, manche Worte seien ähnlich und auch die Grammatik weise gemeinsame Grundzüge auf. Bei Caesar, Tacitus und anderen antiken Autoren sei
nachzulesen, daß die Kelten das älteste erwähnte Volk seien. Zweihundert Jahre
später wird Humboldt Clüver als Pionier der Indogermanistik, der allerdings
völlig im Dunkeln getappt sei, hervorheben.478
Mit langen Beweisketten anhand von Vergleichen des Vandalennamens mit
dem der Veneder in den verschiedenen Varianten der antiken Überlieferung
kommt Clüver zu dem Schluß, die Veneder seien sarmatische Slawen gewesen.479 Die Verwechslung der Vandalen mit den Slawen sei erstens dadurch
begründet, daß Autoren wie Helmold von Bosau verschiedene Völkernamen schlicht durcheinander gebracht hätten. Zweitens aber haben die einwandernden
Slawen den Vandalennamen übernommen, genau so, wie die Böhmen ihren Namen
von den keltischen Bojern übernommen haben, die vor ihnen und vor den Markomannen das Gebiet besiedelt hatten. "Vinidos equidem sive Venedos fuisse Slavos, id est Sarmatas,
supra sati validis certisque probatum est mihi argumentis. At Vandalos, sive Vindelos,
fuisse 478Clüver,
Germania antiqua, 1616, p. 32ff. 479Clüver,
Germania antiqua, 1616, p. 695ff. |
170 |
Germanos, citra Vistulam colenteis,
iam CCCC circiter annis ante Venedorum sive Slavorum in Germaniam transmigrationem, testati sunt luculentissimi
auctores Plinius ac Tacitus. (...) Venedi autem, sive Vinidi, id est Slavi,
cur Vinidi et Vandali adpellati sint, nulla alia fuit ratio, nisi quae et Marcomannos
Svevos, postque hos etiam Slavos, sive Venedos, qui sibi ipsis et ceteris Slavis dicuntur
Czechi, Bojohaemos nominari fecit. Primum Bojohaemi proprie fuerint Boji
Galli, ante Marcomannos regionem Hercynia silva incinctam habitantes. quae inde
nomen Bojohaemi accepit. Nempe ut Marcomanni et postmodum Czechi, quia Bojohaemum occuparunt, dicti sunt Bojohaemi. Sic Vinidi Sarmatae,
quia Vandalorum obsederant agros, adpellati sunt Vandali."480 Die Vandalen/Wenden wurden nicht mehr mit einer biblisch-taciteischen
Konstruktion über eponyme Stammväter erklärt, sondern anhand von Wanderungen und Namenskontinuitäten. |
IV.3.2. Johann Jacob Mascov Johann Jacob Mascov (1689 - 1761) arbeitete und
lehrte als Geschichtsschreiber wie Staatsrechtslehrer. Er studierte in Leipzig und war
dort ein Schüler von Burkhard Mencken. Als Professor an der Leipziger Universität
war er in der Stadtpolitik tätig und wurde später mehrmals zum Abgeordneten in
den sächsischen Landtag in Dresden gewählt. Zuerst arbeitete Mascov vor
allem zur Reichsverfassung und zu rechtsgeschichtlichen Fragen, wie oben ausgeführt
ein wesentlicher Teil der Geschichtswissenschaft vor dem Ende des alten
Reichs im Jahr 1806. Anfang der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts
wandte sich der als Universitätslehrer sehr erfolgreiche Mascov
allgemeineren historischen Fragestellungen zu. Die unten besprochen
"Geschichte der Teutschen bis zum Anfang der Fränkischen Monarchie in zehen Büchern
verfasset" von 1726 wurde breit rezipiert. 1737 legte Mascov den zweiten Band
seiner deutschen Geschichte mit dem Titel "Geschichte der Teutschen bis auf
den Abgang der Merowingischen Könige in sechs Büchern fortgesetzt" vor. Die
beiden Bücher wurden wiederholt aufgelegt und erschienen bis 1750 in vier Auflagen.
Auch Übersetzungen in verschiedene europäische Sprachen erschienen, was
für einen deutschsprachigen Historiker dieser Zeit sehr selten war. Ein dritter
Teil der deutschen Geschichte 480Clüver,
Germania antiqua, 1616, p. 697. |
171 |
erschien in lateinischer Sprache 1748
und deckte den Zeitraum zwischen Konrad I. und Konrad III. ab. Die Karolingerzeit hat Mascov ausgelassen.481 Im Unterschied zu anderen Universitätshistorikern seiner Zeit hatte
Mascov versucht zu erzählen und das, ein Novum in seinem Fach, in deutscher
Sprache. Wissenschaftsgeschichtlich ist das besonders hervorzuheben, setzte
Mascov doch Standards in der Fachsprache. Er begann seine "Geschichte der
Teutschen" mit dem "ersten Auftreten der Deutschen", also der germanischen
Geschichte. Dann schilderte er die Kämpfe mit den Römern und die Sitten und
Gepflogenheiten der Germanen. Auch Belisar, Narses und das Gepidenreich wurden wie andere
Teile der völkerwanderungszeitlichen Geschichte im ersten Band abgehandelt.
Erst der Anhang ist dann Detailfragen gewidmet.482 Mascov erklärte die Verwendung des Vandalennamens einfach und
präzise. Durch die Einwanderung von Slawen in die alten vandalischen Gebiete
sei die Übertragung des natürlich germanischen Namens auf die Slawen zu
erklären. Damit bietet Mascov dieselbe Erklärung wie Clüver hundert Jahre
zuvor. "An ihrer Stelle sind die Slawen oder Wenden eingerücket. Daher
verwechselt man insgeheim die Vandalen und Wenden; welche letztere in den
mittlern Zeiten fast durchgehends zu Latein Vandali genennet werden. Also kommt der
Name der Vandalorum noch in den Tituln einiger Könige und Fürsten für,
welche eigentlich von diesen Wenden zu verstehen. Doch kan es seyn, daß
würklich einige Vandalen unter den Wenden sich erhalten."483 Die Einwohner von "Sarmatia Europaea" wurden in den
verschiedenen Epochen der antiken Literatur zuerst Skythen und dann Sarmaten genannt. Im
sechsten Jahrhundert unter Justinian veränderte sich der Schauplatz. Die
"Venedi, Sclaueni und Antae" machten durch ihre Züge und die Reichsgründungen so
viel von sich reden, daß der Name der Sarmaten verschwand. "Der Name Venedi,
Winidae, oder Wenden, begreifet viel einzelne Völcker unter sich, und werden
daher die Venedi unter die Haupt-Nationen von Sarmatien gerechnet. Ich lege
billig zum |
481ADB 20, s.v. Mascov Johann J., 554-558; Wegele 1885, 664-675. Bei Wegele 1885, 666 und Anm. 1/2 finden sich die
genauen Zitate dieses dritten Teils der deutschen Geschichte Mascovs. 482Wegele
1885, 666f; Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 13ff. 483Mascov,
Geschichte der Teutschen, 1726, p. 30. |
172 |
Grund, was Tacitus, Germania 46 von
ihnen anzeiget: (...) Zwar wenn Tacitus die Wenden zu den Teutschen rechnet, so wiederleget ihn selbst ihre
Sprache, welche von der Teutschen ganz unterschieden ist. Woher es aber kommt, daß
viele die Vandalen und Wenden miteinander verwechseln, ist bereits oben p. 30
angezeiget worden."484 Die Venethi bei Tacitus und die
Venedi bei Jordanes waren nach
Mascov dasselbe Volk, eben die späteren Wenden. Aus den Bemerkungen der genannten
Autoren sei der Schluß zu ziehen, daß Slawen und Anten von den
Wenden/Venedern abstammten. Die Frage nach dem Ursprung der Slawen ist für Mascov nur
am Rande wichtig. Ihm geht es um klare ethnische Grenzen, und die kann
er mit der Zuordnung der Veneder zu den sarmatischen Nationen ziehen. Die nötige
Erklärung für die Verwechslung der Namen ist für Mascov die der
späteren slawischen Einwanderung und des daraus folgenden irrtümlichen
Gebrauchs des Vandalennamens. |
IV.3.3. Johann Christophoph
Jordan: "De originibus slavicis opus
chronologico-geographico-historicum" Wahrscheinlich sei Johann Christoph von Jordan 1730
in den Ritterstand erhoben worden, meldet der Wurzbach lapidar. Ansonsten
findet man in den sonst sehr gut recherchierten Gelehrtenlexika des 18.
Jahrhunderts nur folgenden Eintrag: "Ungarisch und Böhmischer Hofrath zu Wien,
gegen die Mitte des gegenwärtigen Jahrhunderts, von welchem mir bekannt ist:
De originibus Slavicis. Wien
1745."485 Johannes Christoph Jordan, der der Frage nach den
slawischen Ursprüngen nachging, referierte zwar die offenbar verbreitetste
Ansicht von der Einwanderung der Slawen in ein von den Vandalen
verlassenes Gebiet an der Weichsel, ließ aber anklingen, daß ein germanischer
Ursprung der Wenden eigentlich nicht so unwahrscheinlich sei. Die älteren Autoren wie Adam von Bremen und Helmold
von Bosau seien ungerechtfertigterweise kaum rezipiert worden. In
ihnen sei explizit nachzulesen, |
484Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 205. 485Christian
Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon. Fortsetzungen und Ergänzungen
von J.C. Adelung, Bd. 2, 1787; Wurzbach 10, 265. |
173 |
daß die Wenden ursprünglich Vandalen
gewesen waren. Weil der Vandalenname sich so hartnäckig gehalten habe und nicht derart viele
mittelalterliche Schriftsteller irren konnten, gebe es nur eine Erklärung und die
liege im Namen der Vandalen.486 Im dritten Jahrhundert habe es fünf germanische Völker, nämlich die
Vandalen, die Sueben, die Sachsen, die Franken und die Alemannen gegeben.
Jordan versuchte dann eine Erklärung der Etymologie einiger dieser
Völkernamen. Die Vandalen trügen ihren Namen vom vielen herumwandern, meint Jordan:
"Id est a mutatione frequenti sedium". Der häufige Wechsel ihrer Wohnsitze
habe den Namen bedingt, der aus der Wurzel
wandelen herzuleiten wäre. Tacitus
und Ptolemaios haben die Vandalen deshalb nicht richtig lokalisieren
können, weil sie keine fixen Sitze gehabt hatten, sondern eben immer in Asien
herumgewandert seien. Bei diesen Wanderungen in Asien sei Ende des vierten
Jahrhunderts ein Teil der Vandalen ins römische Reich eingefallen. Ein anderer Teil aber
müsse in den folgenden Jahrhunderten an die Ostsee gezogen sein und dort neben den
verschiedenen anderen sarmatisch-slawischen Völkern gelebt haben. Im
Laufe der Zeit begannen diese Vandalen sich ihren slawischen Nachbarn
anzupassen und bald waren sie nicht mehr von ihnen zu unterscheiden. Nur der
Wendenname blieb erhalten.487 Außerdem habe es auch einen griechischen Namen für die Vandalen
gegeben, den der Alanen nämlich. Auf Griechisch bedeute ålaomai, dasselbe wie das
deutsche wandelen. Die Vandalen, die in der Nähe griechischer Städte
gelebt hatten, sollen Alanen genannt worden sein. Die anderen, die an die Weichsel gezogen
waren, sollen ihren germanischen Namen behalten haben. "Historicis his notitiis correspondet graeca etymologia nominis
Alanorum: quemadmodum enim Vandali Germanice a
wandelen, vagari, compellationem sortiti sunt, ita Alani Graece ab ålaomai, vagor, pariter dicti.
Vandali igitur, qui sedes Graecis civitatibus propinquiores circa Borysthenem ceperant,
graeco more communius Alani audierunt: Vistulae vero propinquiores nomen
Germanicae derivatione retinuerunt."488 |
486Johann Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 195ff. 487Johann
Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 208f. 488Johann
Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 54. |
174 |
Berezan war eine dem Mündungsgebiet
des Borysthenes (Dnjepr) vorgelagerte Halbinsel, auf der sich die ältesten Siedlungsspuren milesischer
Kolonisten an der nördlichen Schwarzmeerküste aus dem siebten Jahrhundert vor Christus gefunden haben. Seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert
verwendete man in der antiken Geographie für den Fluß den Namen
Danaper. Die Siedlungen auf Berezan wurden aber weiterhin Borysthenes genannt und das ist bei Jordan gemeint.489 Es mag eine Kenntnis der mecklenburgischen Hofgeschichtsschreibung
oder einfach ein eigenwilliger Kopf gewesen sein, der in der Arbeit
Jordans diese Variante entstehen ließ. Jedenfalls liegt sein Standpunkt außerhalb
des Mainstreams der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts. |
IV.3.4. Johann Christoph
Gatterer: Veneder und Vandalen sind Germanen Johann Christoph Gatterer (1727-1799) lehrte als
Professor für Geschichte in Göttingen. Als Universitätslehrer war er ein
wichtiger Proponent der Etablierung der historischen Hilfswissenschaften an den
deutschsprachigen Universitäten und gab etliche Zeitschriften heraus.490 In seiner 1771 erschienen "Einleitung in die
synchronistische Universalhistorie" entwickelte Gatterer eine auf methodischen
Überlegungen basierende Epocheneinteilung, die kurz zu besprechen ist. Zuvor
war im Rahmen der historischen Lehre an Universitäten die Chronologie
der antiken Historiker bindend. Außer der aus Herodot, Thukydides,
Polybios, Livius und anderen entnommenen antiken Periodisierung, bediente man
sich noch des Schemas der vier Weltreiche, das der protestantische Humanist Sleidanus
(Johann Philippi 1506 - 1556) in seinem weltgeschichtlichen Abriß
De quattuor summis imperiis
entwickelt hatte. Seine Abhandlung wurde als universitäres
Lehrbuch bis 1701 mindestens achtzigmal aufgelegt. Erst im 18. Jahrhundert begann
man nach den Ursachen von Aufstieg und Fall der großen politischen Gebilde zu
fragen und die Chronologie als solche bekam den Charakter einer
Hilfswissenschaft.491 489DNP 2,
s.v. Borysthenes, 750. 490NDB 4,
s.v. Gatterer Johann C., 345ff; ADB 8, s.v. Gatterer Johann C., 78ff. 491Rüegg
1992, 460f; Scherers 1927, 46-53. |
175 |
Gatterer legte mehrere
weltgeschichtliche Konzeptionen vor. Einigermaßen repräsentativ ist seine "Einleitung in die synchronistische
Universalhistorie". Sie basierte auf einer von Gatterer jahrzehntelang in Göttingen
gehaltenen Vorlesung. Sein Verständnis von Weltgeschichte als Zivilisationsgeschichte der
Nationen ist ein Konzept Voltaires. Voltaire ersetzte in seinem "Le siècle de
Louis XIV." die vier Weltmonarchien der christlich-teleologischen
Weltgeschichte durch vier Zeitalter einer Weltgeschichte der aufgeklärten Zivilisation. Der Göttinger
Professor Gatterer will aber auch nicht zuletzt eine didaktische Hilfe mit
seinem Gliederungsschema anbieten.492 Gatterer unterschied vier Elementarereignisse oder
"Ruhepuncte" der Weltgeschichte: Die Schöpfung der Welt, den Ursprung der Nationen,
die Völkerwanderung und schließlich die Entdeckung Amerikas. Jedem der
durch diese Ereignisse eingeleiteten Zeitalter ordnete Gatterer noch eine
eigene Art von "Erkenntnisquellen der historischen Wahrheit" zu. Ein erstes Zeitalter nennt Gatterer das "Zeitalter der
historischen Notmittel, von der Erschaffung der Welt bis zum Ursprung der Nationen". Die
"historischen Notmittel" sind die "Erkenntnisquellen der historischen
Wahrheit" für dieses Zeitalter. Gatterer meint die archäologischen Quellen. Der Ansatz bei
der Schöpfung der Welt, die Gatterer wie die Geschichte des ersten
Zeitalters praktisch ausschließlich nach der Bibel erzählte, sowie die
Verbindung des Ursprungs der Nationen mit dem Turmbau zu Babel, zeigen die
Nachwirkung der christlich-theologischen Konzepte. Heilsgeschichtlich oder
teleologisch ist Gatterers Konzeption aber nicht mehr. Da Weltgeschiche für Gatterer
im wesentlichen Völkergeschichte war, ist auch eine
nationalgeschichtliche Gliederung impliziert. Der Ursprung der Nationen am Beginn des
zweiten Zeitalters ist der eigentliche Anfang der Universalgeschichte, das
erste ist bloße Vorgeschichte.493 Das "Zeitalter der biblischen und classischen Schriftsteller bis
zur Völkerwanderung" beginnt mit der greifbaren historiographischen
Tradition. Eine Reihe von "Völkersystemen" soll den synchronistischen
Zusammenhang gewährleisten, ein unverbundenes Nebeneinander der einzelnen
nationalen |
492Muhlack 1991, 130 und 172. 493Gatterer,
Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 1ff;
Muhlack 1991, 131f. |
176 |
Geschichten ist nicht Zweck der
Arbeit. Auf außen- und machtpolitische Verhältnisse konzentriert, entwickelt Gatterer verschiedene
"Völkersysteme". Einer bloßen "mosaischen Bevölkerungskunde", folgt ein
"assyrisches Völkersystem", diesem das persische, dann das makedonische, das
römische und schließlich das parthische Völkersystem. Der Überblick entstand vor
den großen archäologischen Entdeckungen in Ägypten und im Zweistromland. Er
bezieht seine Kategorien praktisch ausschließlich aus den biblischen Schriften,
die fast nur das erste Jahrtausend aus dem Blickwinkel der Levante beinhalten. Das
dritte Zeitalter oder die "mittlere Zeit" bezeichnete Gatterer als
das "Zeitalter der Chronisten und Urkundenschreiber". Die Einteilung in die uns
geläufigen drei großen Teile der europäischen Geschichte kennt man seit der
Renaissance, als die Humanisten ihre eigene 'neue' Zeit von der mittleren trennen wollten.
Ein viertes Zeitalter oder "Zeitalter der Sammler, Aesthetiker, Kritiker und
Pragmatiker, die Neuzeit von der Entdeckung Amerikas bis zu uns" vervollständigt
das System.494 Gemeint sind damit die Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung
der Neuzeit. Im Rahmen einer allgemeinen 'historischen Ethnographie', die als
Ergänzung an die "Universalhistorie" angeschlossen ist und auf die im
Text immer wieder verwiesen wird, findet sich das Kapitel "Ob Taciti Venedi die
Wenden sind?". "Oben versprach ich, daß ich an dieser Stelle einige Gründe
aufführen wolle, daß die Veneder des Tacitus und die Vindeler oder Vandaler des Plinius
ein Volk sind und zwar Teutsche und nicht Wenden von slavischem Stamme nicht völlig
gewiß, sondern nur sehr wahrscheinlich, Vandalen und Venedi ein Volk von
teutscher Herkunft."495 Die Beweisführung soll in allen Punkten hier wiedergegeben werden.
Erstens meint Gatterer hätten "diejenigen alten Schriftssteller, die die
Vandalen haben, die Veneder nicht und umgekehrt." Zweitens sei die Ausbreitung des
Wendennamens seit der Völkerwanderung entlang der Ostsee identisch mit dem Gebiet,
in dem nach Plinius Angaben der Vandalenname gereicht hatte. Auch ein
Vergleich mit Tacitus erhärte diese These. |
494Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I,
1771, p. 1ff. 495Gatterer,
Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 828. |
177 |
Das dritte Argument stammt aus der
russischen Historiographie. Die russische Nestorchronik wurde von Gatterer dahingehend interpretiert, daß alle
slawischen Völker seit dem fünften Jahrhundert allmählich von der Donau nach
Norden hinaufgezogen seien. Nestor nannte die "Nowgoroder, die Liachen
an der Weichsel, die Polen, Lutiscer, Masovzaner und Pommern". Er wußte
nichts von der Bezeichnung Wenden und kein slawisches Volk hatte nach ihm an der
Ostsee gelebt. Auch in "Livland, Curland und Preussen noch in Polen
noch in Teutschland" kannte Nestor Slawen. Bei Helmold von Bosau sei explizit gesagt, daß Vandalen und
Winithi, also Veneder, nur zwei Namen für dasselbe Volk seien. Gatterer nimmt auf
die hier schon behandelte Stelle Chronica Slavorum I, 2 bezug: "Ubi ergo
Polonia finem facit, pervenitur ad amplissimam Slavorum provinciam, eorum qui
antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur." Prokop wird als nächster Zeuge aufgerufen. Im Bellum Goticum III, 14 unterscheide Prokop in Slawen und Anten. Er erwähne aber den
Wendennamen nicht und erzähle auch nichts von alten Namen. Jordanes wiederum sage
ja in der Getica explizit, daß die Slawen
principaliter Veneder geheißen
haben. In der altrussischen Nestorchronik fand Gatterer einen weiteren Beleg
für seine Beweiskette. Im Nestor findet sich die Bemerkung, die Slawen hätten
ihre Namen meist von den Gegenden, in denen sie sich niedergelassen hatten,
"empfangen". Dazu meinte Gatterer weiter: "Öfters nämlich bleibt der Name
eines ausgewanderten Volkes auf dem Lande, das es bewohnte, sitzen, und die
neuen Bewohner heißen, wenigstens in dem Munde der Nachbarn, noch immer so,
wie die alten Bewohner. Ein Theil der Slawen bezog die Länder an der
Ostsee, wo vormals theils die eigentlichen Vandalen oder Veneder, theils andere
unter diesem Namen von Plinius begriffene Völker gewohnt haben, und diesen
wurde nunmehr, wie den ausgewanderten Bewohner, gleichfalls der Name der Vandalen, Winuler oder Wenden gegeben."496 Schließlich sei das finnische Wort
Wenalainen für 'Russen' aus dem bei
Tacitus genannten Vendili abzuleiten. Der Wendenname stamme aus derselben
Wurzel. Die Finnen seien nun aber alte Nachbarn der "Teutschen Veneder
oder Wenden", |
496Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I,
1771, p. 828ff. |
178 |
so wie sie heute Nachbarn der der
Russen und Slawen seien. "Die Slawen wohnen heute einfach in einem Theil des Landes der Veneder des
Tacitus."497 |
IV.3.5. Conrad Mannert Mannert (1756 - 1834) begann seine Laufbahn als
Lehrer am Gymnasium in Nürnberg. 1797 wurde er zum Professor der Geschichte
und der abendländischen Sprachen an die Universität Altdorf berufen. Diese
Hochschule war 1623 von der Reichsstadt Nürnberg in Altdorf gegründet worden.
1805 folgte Mannert einem Ruf als Professor der Geschichte nach Würzburg. 1808
wurde er zum königlich- bairischen Hofrat ernannt und erhielt eine Professor
in Landshut. Die erst im Jahr 1800 von München nach Landshut
verlegte Ludwig-Maximilians Universität war ein Modernisierungsexperiment. So
war das Universitätsbürgertum mit dem Privileg einer eigenen
Gerichtsbarkeit sowie viele der mittelalterlichen Bräuche im akademischen Leben
abgeschafft, und die Universität als ganzes auf dem Weg zu einer
Lernschule. Eine spätabsolutistische Reglementierung hatte gegriffen, das
Examenswesen war völlig neuartig gestaltet, es gab bereits eine regelrechte Lehramtsprüfung, und
an der Hochschule dominierte neuhumanistisches und aufklärerisches
Gedankengut. Verschiedene Parteiungen an dieser Landshuter Hochschule rangen
um die intellektuelle Vorherrschatf: Anhänger von Kant standen
antiaufklärerischen Gruppierungen wie den Vertretern der Landshuter Romantik, der sich
auch der bairische Kronprinz Ludwig verpflichtet fühlte, gegenüber.498 1826 erfolgte die Rückverlegung der Universität nach
München und Mannert wurde dort Professor für Geschichte und Statistik.
Als Mitglied der königlichen Akademie der Wissenschaften hatte er das als
Gelehrter Mögliche erreicht. Thematisch hatte Mannert nach dem Übertritt in den
bairischen Staatsdienst deutsche und bairische Geschichte in den Vordergrund
gestellt und die Fortsetzung seiner Arbeiten zur antiken Geographie
daneben betrieben. Die umfangreiche "Geographie der Griechen und
Römer" war seit 1788 entstanden |
497Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I,
1771, p. 837. 498Boehm
und Müller 1983, 270f. So wurde F. W. J. Schelling 1802 an dieser Universität
ein Ehrendoktorat verliehen. |
179 |
und eine bis weit ins 19. Jahrhundert
verwendete Materialsammlung zur antiken Topographie. Aus diesem Kontext erklärt sich das statistische
Interesse Mannerts. Die Arbeit "Über die älteste Geschichte Bayerns und seiner
Bewohner" von 1807 und die in zwei Bänden erschienene "Geschichte Baierns" von
1826 schrieb Mannert im Rahmen seiner Pflichten als bairischer Hochschullehrer.499 Die erste deutschsprachige Monographie zur vandalischen Geschichte
fußte auf Mannerts Dissertation an der Universität Altdorf.500 Zur -wie
man heute sagen würde - Ur- und Frühgeschichte der Vandalen äußerte sich Mannert
nicht sehr ausführlich. Weite Teile des einschlägigen Kapitels verstehen sich
als Widerlegung der Thesen Gatterers. Wichtig ist Mannert, die Vandalen
als "Deutsche" und Germanen zu klassifizieren, und sie von den
"sarmatischen und slavischen Nationen", zu denen die Veneder gehören, zu trennen. Mannert legte seiner Argumentation die Texte von Plinius und Tacitus
zugrunde. Die Vandalen und Veneder waren in seiner Vorstellung zwei ganz
verschiedene Völker. Die Vandalen gehörten zu den "deutschen", die
Veneder zu den "sarmatischen oder slavischen Nationen". Dann versuchte
Mannert "den Hofrat Gatterer" zu widerlegen. Gatterers Argument sei, daß alle
Schriftsteller, die die Vandalen nennen, die Veneder nicht erwähnten und umgekehrt. Eher
beweise dies wohl, daß man am Mittelmeer von den Vandalen vor ihrem Zug in
den Süden nicht viel mehr als eben den Namen wußte, und sie so leicht mit
einem ebenso wenig bekannten Volk in der Nachbarschaft verwechseln konnte.
Mannert argumentierte dann mit Plinius, Tacitus und Ptolemaios, daß nicht
beweisbar sei, daß diese antiken Autoren Vandalen und Veneder verwechseln würden.501 Im Mittelalter sei der antike Wissensstand verschwommen und eine Gleichsetzung der verschiedenen Völker vorgenommen worden. "Man
weiß, daß die Schriftsteller des Mittelalters fast durchgehend die Vandalen und
die slavischen Völker, welche von ihren Ländern Besitz nahmen, mit
einander |
499ADB 20, s.v. Mannert Konrad, 199f; Neuer Nekrolog der Deutschen, 1834,
2. Hälfte, 783-787; Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon,
Band 6, Nürnberg 1805, 668. Geographie der Griechen und Römer aus ihren Schriften
dargestellt, 14 Bde, Nürnberg 1788-1825 500"Specimen
historicum inaugurale de Vandalis, iis praecipue, qui sub rege Genserico in
Africa regnum sibi parabant."Altdorf 1783. 501Mannert,
Geschichte der Vandalen, 1785, p. 11. |
180 |
vermengten."502 Mannert sah
in der Einwanderung der Slawen in die vormals vandalischen Gebiete den Grund für diese Verwechslungen. Mannert brachte weiter vor, daß Gatterer auch Jordanes in seine
Argumentation eingebaut habe, "obwohl dieser doch für mich spricht und die
Veneder den Slawen zuschlägt". Die Etymologie des Worts Vandalen zeuge
ebenso von der Verschiedenheit der beiden Völker. "So verschieden
Lateiner und Griechen den Vandalennamen schreiben, so vermißt man doch nie
den Radical-Buchstaben l; nirgends ist dieser Radical-Buchstabe im Venedernamen
überliefert."503 "Ich glaube ziemlich deutlich gezeigt zu haben, daß die Vandalen
Deutsche sind. Daß sie an der Ostsee, von der Weichsel bis an die Elbe wohnten, und
sich vielleicht nach und nach immer weiter südlich zogen, und daß sie von
den Venedern verschieden sind." Nur wenige Nachrichten stehen über
die Vandalen bis zum markomannischen Krieg zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt
beginnt ihr Name aber bekannt zu werden, denn sie gehörten zu den vielen
"deutschen" und "sarmatischen" Völkern, die das Imperium unter Marc
Aurel angegriffen haben.504 |
IV.3. 6. Ludwig Albrecht
Gebhardi: "Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten" Ludwig Albrecht Gebhardi (1735-1802) war zuerst als
Professor an der Ritterakademie von Lüneburg tätig. 1787 erhielt
Gebhardi per Dekret König Georgs III. Titel und Besoldung eines königlich
großbritannisch-hannoverschen Rats. Die durch den Sitz des Königshauses in London
bedingte periphere Lage war Gebhardi zu wenig prestigeprächtig. So folgte er
1799 einem Ruf nach Hannover und wurde dort Hofrat, Bibliothekar und
Historiograph des Hauses Braunschweig.505
Sein Vater, der Historiker und Genealoge Johann
Ludwig Gebhardi (1699 - 1764), hatte die umfangreiche "Geschichte der
erblichen Reichsstände in Teutschland" |
502Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 12. 503Mannert,
Geschichte der Vandalen, 1785, p. 13. 504Mannert,
Geschichte der Vandalen, 1785, p. 14. 505NDB 3,
s.v. Gebhardi Ludwig A., 486; Ersch/Gruber I/55, s.v. Ludwig A. Gebhardi,
258. |
181 |
hinterlassen, die vom Sohn 1777 - 1785
herausgebracht wurde.506 In der Bibliothek von Hannover lagerten die Materialien, die Leibnitz hinterlassen
hatte. Die Bibliothekare arbeiteten meistens an 'leibnitzschen' Fragestellungen,
wie etwa der Geschichte des welfischen Hauses, weiter. Die für einen
hannoveranischen Bibliothekar ungewöhnliche Themenwahl erklärte sich aus der Mitarbeit
an einem großen, überregionalen Projekt und Gebhardis Kontakten nach England. Gebhardi hatte seine Geschichte der slawischen Staaten ursprünglich
für die "Allgemeine Weltgeschichte" von Guthrie und Gray
geschrieben. In England war seit 1730 erstmals das Projekt einer allgemeinen Weltgeschichte
angegangen worden. Diese war von 1744 an auch ins Deutsche übersetzt worden.
Zuerst wurden der Übersetzung unter der Herausgeberschaft des Hallenser
Theologen Sigmund Baumgarten Ergänzungsbände beigestellt. Vom 31. Band an
übernahm Johann Semler die Herausgabe, und man begann die freie Bearbeitung
der Geschichte einzelner Staaten. Der Grundgedanken einer allgemeinen Weltgeschichte war somit aufgegeben worden.507 Ein pragmatischer und verkürzender Versuch, dem nicht zu Ende
geführten Ansinnen einer allgemeinen Weltgeschichte zu entsprechen, war
Gatterers "Einleitung in die synchronistische Universalhistorie" von
1771. Gebhardi lieferte für das zweite Projekt unter der Leitung Semlers die Dänemark,
Norwegen und Ungarn betreffenden Teile. Als 50. und 51. Band der Weltgeschichte
erschien 1785 eine Geschichte von Kurland verbunden mit einer der Wenden und
Slawen. Diese Arbeit gab Gebhardi zwischen 1790 und 1796 in drei Bänden erweitert
und vervollständigt als eigenständige Publikation unter dem Titel
"Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten" heraus.508 Ein erklärtes Ziel des ersten Bands dieser slawischen Geschichte war
es, die Identität der Wenden in Deutschland zu klären. Gebhardi kritisiert,
daß die gelehrte Welt diese Slawen "bald die wendische, bald die
slavische Nation" nenne. Weiter stieß sich Gebhardi daran, daß die "Chronicae
Slavorum" des Mittelalters |
506ADB 8, s.v. Gebhardi Ludwig A. und s.v. Gebhardi Johann L., 483ff;
Ersch/Gruber I/55, s.v. Ludwig A. Gebhardi, 258. 507Wegele
1885, 782ff. 508Gebhardi,
Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. II; Ersch/Gruber I/55,
s.v. Ludwig A. Gebhardi, 258; Wegele, 1885 #322]784. |
182 |
und Albert Krantz sich auf Fragen der
holsteinischen, mecklenburgischen und pommerschen Gebiete, sowie des polnischen Reichs beschränkt hatten.509 Gebhardi glaubte dagegen nachweisen zu können, daß der Wendenname der
"wahre, alte, allgemeine Stammname aller slavischen Völker"
sei. Das Mißverständnis in der slawischen Namengebung werde behoben, wenn man bedenke, daß die ungarischen Slowaken ihren Namen von den
griechischen Slawen und nicht von den nördlichen Wenden übernommen haben. Außerdem
würden ihre deutschen Nachbarn die ungarischen Slowaken ohnenhin seit
dem frühen Mittelalter "windische Leute" nennen.510 Weiter argumentiert Gebhardi, der bei Prokop genannte Völkername
Sporen sei eine Übersetzung von Wenden ins Griechische. Die slawischen Völker in
Dalmatien und Illyrien seien in den fränkischen Annalen durchwegs als
Winidi bezeichnet. Helmold von Bosau berichte, daß alle Slawen im
Reichsgebiet den Namen Winithi oder Winuli führen würden. Alle Polen, Russen, Böhmen, Kärntner und Sorben und andere, die vom "slavischen Hauptstamm
herkommen", haben den Wendennamen aber verworfen und den "besonderen
Stammnamen" vorgezogen. Tacitus zähle die Veneder, welche nach der Ansicht
Gebhardis die Stammväter der Slawen gewesen waren, überhaupt den "Teutschen"
zu. Daran sei zu sehen, daß der Ursprung des Wendennamens in die Frühzeit
zurückgehe und damals die Slawen und Germanen eben nicht zu unterscheiden waren.
Dann bringt Gebhardi die Thesen Gatterers als weiteren Beleg für seine
Vorstellung.511 Gebhardi bietet außer dieser noch insgesamt 22 weitere Theorien der
slawischen Herkunft verschiedenster Provenienz. Das macht seine slawische
Geschichte zu einer Fundgrube für Material zu den hier behandelten Fragen. Diese Theorien werden in unterschiedlicher Länge abgehandelt. Hier
seien sie nur kurz genannt. Die erste ist die aus den Texten der polnischen
Chroniken des 13. Jahrhunderts bekannte Variante, die Slawen seien Nachfahren des
biblischen Japhet. Auch die in der Nestorchronik entwickelte Völkergenealogie
von Japhet |
509Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. IV. 510Gebhardi,
Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. VIf. 511Gebhardi,
Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. VIf. |
183 |
als dem Erzeuger der Stammväter der
"Waräger, Schweden, Normänner, Engländer, Franzosen, Teutschen und Wenden (Wenedici)" wird
referiert.512 Weitere der von Gebhardi referierten Möglichkeiten der slawischen
Abstammung von den Armeniern, den Hebräern, den Heniochen aus Cholchis,513 von den Bürgern der cholchischen Stadt Pola, von den Awaren/Chazaren, den
Kirgisen wegen der angeblichen sprachlichen Ähnlichkeit, den Phrygiern, den
Lateinern, den Illyrern, den Scythen und schließlich den Finnen, können hier
nicht weiter diskutiert werden. Die Veneti/Heneti in Paphlagonien, die man aus Homer und Herodot
kannte, wurden etwa bei Latomus mit den Slawen/Vandalen in Verbindung
gebracht. Die Vorstellung der slawischen Abstammung von den Pannoniern stammt aus
der 1253 vollendeten Chronik des Posener Bischofs Boguphal II. Die Idee
von den Sarmaten als slawische Urväter ist spätestens seit Cromer eine der
häufigsten in der Literatur diskutierten Varianten. Als letzte seiner 22 Thesen
nannte Gebhardi die oben besprochenen Ideen der Abstammung der Slawen von den
"Deutschen", also den germanischen Vandalen. Gebhardi schließt seine Aufzählung mit der neutralen Feststellung:
"Vom Ursprung der Wenden ist genug gesagt, es kann nichts zuverlässiges
gemeldet werden."514 Gebhardi geht nicht soweit, die Slawen zu Germanen zu machen. Ihm
geht es nur um die Frage des älteren Namens. Klar wird aus seinen Überlegungen
aber, daß den Slawen eine Vorgeschichte fehlte. Den Deutschen hatte die Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts eine solche geben können.
|
Ein Beispiel für die von den
slawophilen Historikern im 19. Jahrhundert massiv angegriffenen Versuche deutscher Gelehrter, die Veneder zu Germanen
zu machen, ist ein Lemma in Adelungs Wörterbuch. Johann Christoph
Adelung (1732 - 1806), ein früher Pionier der germanistischen
Sprachwissenschaft, der viele |
512Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. XVff.
513Diese
These wurde von Gebhardi aus dem Werk eines gewissen Pstorius mit dem Titel "Origines Sarmaticae" entnommen, das nicht
auffindbar ist. 514Gebhardi,
Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. XXII. |
184 |
Jahrzehnte an seinem "Versuch
eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart" gearbeitet hatte, wollte
die Veneder nicht als Vorfahren der Slawen durchgehen lassen. Er beanspruchte sie
vielmehr als Germanen. Sub voce Weneden meint Adelung, die
Weneden - man beachte die sonst nicht übliche Schreibweise mit W - könnten nichts mit den
Slawen zu schaffen haben, da der Völkername ja von deutsch 'Wasser' abgeleitet
sei. Das Ethnonym würde ein germanisches Volk, das am Wasser lebte,
bezeichnen. Die Berichte des Tacitus und Plinius, die von den
Venedi/ Venethi als am Meer lebendes Volk erzählt hatten, wurden von Adelung als zusätzlicher
Beweis angeführt.515 |
515Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs,
Band 4, 1784, s.v. Weneden, p. 345. |
185 |
IV.4. Wissenschaftliche Positionen
auf der Basis Herders und der Panslawismus. Die Veneder als 'Urslawen' |
Die Philosophie des deutschen
Idealismus eines Kant, eines Fichte und eines Hegel bot in ihrer historischen Dimension eine neue
Deutung der Weltgeschichte. Darin implizit waren eine eigene historische
Erkenntnistheorie wie eine neue Sinngebung der Geschichte. In diesem Zusammenhang
gewann auch die Frage nach dem Werden und der Identität der Völker eine
ganz andere Bedeutung als zuvor. Der Primat einer Staatsbildung als eigentliches
Kennzeichen eines Volkes erscheint als Idee in den "Vorlesungen über die
Philosophie der Geschichte" von Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 - 1831). Einem
Volk ohne Staat wurde in der hegelschen Staats- und Geschichtsphilosophie, die
einen enormen Einfluß auf das europäische historische wie politische Denken des
19. Jahrhunderts ausübte, das Vorhandensein einer eigenen Geschichte abgesprochen.
Explizit schloß Hegel das seit 1795 dreigeteilte Polen und die Elbslawen aus
dem Reigen der Völker aus, die "als selbstständiges Moment in der Reihe der
Gestaltungen der Vernunft in der Welt aufgetreten" seien.516 Die Vorstellung von einem 'Volksgeist' mit uralten
Wurzeln als Kern aller modernen Nationen fußte auf den Ideen von Johann
Gottfried Herder (1744 - 1803). Dieser 'Volksgeist' steckte als Axiom in der
sich entwickelnden Altertumskunde und den auf ihr fußenden
universitären Disziplinen, die seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden. Die Beschäftigung mit slawischer Geschichte und
Identität war zuerst eine Domäne der Philologie. Das philologische Element
spielte generell im späten 18. und im 19. Jahrhundert eine größere Rolle in der
Entwicklung der Geschichtswissenschaft als zuvor. Schon in den oben
besprochenen Ausführungen Conrad Mannerts über den Vandalennamen ist dieser
Zug sichtbar. Seit der |
516Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte/Moldenhauer und
Markus 1970, 422; Kolakowski 1978, 56-67. |
186 |
zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
waren etymologische Überlegungen häufiger die Grundlage für historische Aussagen. Die Sprache galt in den Ideen Herders als wichtigstes Merkmal für die
Individualität eines Volkes. Aus dieser Wurzel und der um 1800
entdeckten Verwandschaft der indogermanischen Sprachen ist die zunächst stark philologische Ausrichtung der verschiedenen europäischen
Altertumskunden verstehbar. Für die Entwicklung des intellektuellen wie politischen
Panslawismus als Vorstellung von der Einheit der slawischsprechenden und in
unterschiedlichen Staaten lebenden Völker war die Frage nach den Ursprüngen die
unbedingte Voraussetzung.517 Im 19. Jahrhundert wurden parallel zum entstehenden Panslawismus im Deutschland des Vormärz das Mittelalter und die germanische Vorzeit
mit philologischen Methoden von einer romantischen Richtung in der Geschichtswissenschaft stilisiert. Basierend auf einer
vorwissenschaftlichen Geschichtsliteratur wie etwa der von Novalis, und ausgehend von der
Kategorie des 'Volksgeists' Herders sind dieser romantischen Richtung die
germanistische Philologie eines Jacob Grimm, die historische Schule der
Rechtswissenschaft begründet von Friedrich Carl von Savigny und die neue allgemeine
Historie des Mittelalters mit Heinrich Luden, Friedrich Wilken und Johannes Voigt zuzurechnen.518 Die Gelehrten und Politiker in den slawischsprachigen Ländern waren
stark an diesen intellektuellen Entwicklungen im dicht mit Universitäten
durchsetzten deutschen Sprachraum orientiert. Als Projektionsfläche politischer
Hoffnungen ihrer deutschen Zeitgenossen waren Altertum und Mittelalter bestens
geeignet. Mit einiger Mühe bei der Gestaltung der Perspektive waren nationale Einheitsreiche der Germanen in den genannten Epochen auszumachen. Solche Projektionen nahmen im 19. Jahrhundert nun auch polnische,
tschechische und serbische Schriftsteller und Gelehrte vor. In diesem Zusammenhang
sind die Ideen von Potocki und Pawel Josef Schafarschik zuerst zu verstehen.
Bedenkt man, daß Pawel Josef Schafarschik den großen panslawischen Kongreß im Juni
1848 in Prag eröffnete, werden die Zusammenhänge noch deutlicher. Der
Nationalismus |
517Renfrew 1989, 20ff; Boshof/Düwell, et al. 1983, 34ff. 518Muhlack
1991, 412. |
187 |
am Balkan, der auch noch in der
Gegenwart eine gewichtige Rolle spielt, hat seine Wurzeln ebenfalls in dieser Zeit. |
IV.4.1. Der polnische Graf Potocki
wirbt in Paris für die slawische Sache Die slawische Urgeschichte war - und ist es teilweise bis heute
geblieben - in der Geschichtsforschung ein 'obskurer' Prozeß. Schon die
Geschichtsschreiber des frühen Mittelalters hatten sich an herrschaftlich organisierten
Großgruppen orientiert. Die slawische Verbände wurden nur am Rand wahrgenommen
oder von dem Moment an, wenn sie eine dem westlichen Vorbild einigermaßen analoge politische Struktur gebildet hatten. Keine großen
Erobererkönige wie Geiserich oder Alarich ließen sich bei den frühen Slawen als Häupter
kollektiver Individualitäten stilisieren.519
Der polnische Graf Potocki war einer der ersten, der eine Konzeption
von der slawischen Frühgeschichte entwickelt hatte. Mit dieser versuchte er
in der aufgeklärten und nationalen französischen Öffentlichkeit Außenpolitik
für das geteilte Polen zu machen und zu zeigen, daß nicht nur die Franzosen
den historischen Anspruch einer stolzen Nation erheben konnten. Potockis "Fragments historiques et geographiques sur la Scythie,
la Sarmatie et les Slaves" waren 1796 erschienen. Es handelt sich um ein schmales
Bändchen, das vor allem nachweisen wollte, daß die Slawen über eine im Westen kaum bekannte, ehrwürdige alte Dichtung, Historiographie und Identität
verfügten. Potocki forderte als Teil seines Konzepts, die taciteischen Veneder
endlich als Urslawen anzuerkennen, ohne dies weiter zu argumentieren. "Les
peuples Slaves où Venedes" ist dann im weiteren Text eine immer wieder
eingesetzte Formulierung. Die älteste slawische "tradition indigéne" im
Sinne Herders sei die altrussische Nestorchronik. Dieser Text wird immer wieder in längeren
Passagen zitiert. Auf die Gleichsetzung Wenden = Vandalen geht Potocki nur mehr mit
einer peripheren Bemerkung ein. "L'Afrique étoit soumise aux Vandales,
peuple Allemand qu'il ne faut pas confondre avec les Vendes où
Venedes." Die |
519Pohl 1988, 94. |
188 |
Wenden/Slawen seien im Zuge der
völkerwanderungszeitlichen Ereignisse von ihren uralten Wohnsitzen an der Weichsel verdrängt worden. Am
Donaulimes seien diese Flüchtlinge dann auf die Byzantiner gestoßen, die ihnen
einen neuen Namen gaben. "Les Vendes chassés de l'Allemagne y parurent sous
le nom d'Antes et de Slaves."
520 Potocki ist als frühes Zeugnis einer national-slawischen
Geschichtsschreibung zu sehen. Das Werk, das die Grundlage für die slawische
Altertumswissenschaft im 19. Jahrhundert liefern sollte, wird im folgenden besprochen. |
IV.4.2. Pawel Josef Schafarschiks
"Slawische Althertümer" von 1837 |
Pawel Josef Schafarschik (1795 -
1861) wurde in der heutigen Slowakei geboren. In Jena studierte er Theologie, Geschichte, Philologie
und Philosophie, unter anderem beim Historiker Heinrich Luden. Die oben
angesprochenen Ideen Herders und Hegels sowie die romantisierende
Richtung der frühen deutschen Mediävistik waren Schafarschik also bestens
vertraut. Seit 1819 gehörte der Slowake einem Kreis von "slawischen
Patrioten" in Bratislava an. Dort kam er erstmals mit Frantipek Palackyin Kontakt. Ganz im Sinne Herders gaben
die jungen Nationalisten eine Sammlung tschechischer und slowakischer
Dichtungen heraus. Schafarschik war bis 1833 als Direktor eines
serbischen Gymnasiums in Novi Sad, das damals zu Südungarn gehörte und heute serbisch
ist, tätig. In Novi Sad verfaßte er eine "Geschichte der slawischen
Sprache und Literatur nach allen Mundarten". In den dreißiger Jahre des 19.
Jahrhunderts versuchte sich Schafarschik dann als Privatgelehrter in Prag.
Zeitweise hatte er Lehraufträge an der Prager Universität, 1842 wurde er zum Kustos der
dortigen Universitätsbibliothek ernannt. In dieser Stellung
blieb er bis 1860. Auch politisch trat Schafarschik in den Vordergrund. Er eröffnete
im Mai 1848 den panslawischen Kongreß in Prag. In den Jahren nach 1848 nahm er an
den Diskussionen um die Einführung des Tschechischen als gleichberechtigte
Unterrichtssprache und die Einrichtung tschechischer Lehrstühle an der Prager
Universität teil. 1850 war |
520Potocki, Fragments historiques, 1797, p. 26. |
189 |
Schafarschik Vorsitzender einer
Kommission des Wiener Justizministeriums, die neue Landesgesetzblätter in der jeweiligen Landessprache
herauszugeben hatte. Der Prager Gelehrte war für die Arbeiten an der juridisch-politischen
Terminologie für die slawischen Sprachen zuständig. Schafarschik
hinterließ ein umfangreiches historisches, philologisches und geographisches Oeuvre
und leistete in vielen Bereichen der Slawistik und Mediävistik
Pionierarbeit. Daß er mit den Brüdern Grimm, Pertz und Bopp verglichen wurde ist
bezeichnend. Nach seinem Tod erschienen mehrere slawische Zeitungen von Kroatien bis
Prag mit einem Trauerrand am Titelblatt. In der slawischen Öffentlichkeit, die
Schafarschik durch seine Mitarbeit an diversen Zeitungsprojekten selbst
mitgestaltet hatte, in der österreichisch-ungarischen Monarchie und den anderen ost- und südosteuropäischen Ländern war Schafarschik eine beachtete und stark
rezipierte Persönlichkeit. Ein Nachruf bezeichnete ihn als den
"ruhmreichsten Sohn der Mutter Slawia".521 Schafarschik arbeitete auch mit der Königinhofer und der Grünberger
Handschrift, jenen gefälschten Manuskripten, die Anfang des 19. Jahrhunderts ein
neues, historisch fundiertes Nationalgefühl der Tschechen mitzubegründen
halfen. Volkstümlich war in der von Herder begründeten romantisierenden Sicht
des Wesens von Völkern gleich altertümlich. Die ost- und südslawischen
Heldenlieder wurden am Anfang des 19. Jahrhunderts neu entdeckt, und das Fehlen
einer solchen Überlieferung bei den Westslawen erzeugte ein Gefühl der Minderwertigkeit vor allem bei den Tschechen. Also half man nach. Der tschechische Dichter Josef Linda produzierte
ein angeblich aus dem 13. Jahrhundert stammendes Gedicht über die alte
Prager Burg. Es wurde begeistert in der gelehrten tschechischen Welt
aufgenommen. Dieses Stück wurde aber auch von Goethe ins Deutsche übersetzt. Bei
der sogenannten alttschechischen Königinhofer Handschrift (Rukopis
Kr·lovÈdvorsk˝) handelte es sich um eine in den folgenden Jahrzehnten vieldiskutierte
Fälschung des Schriftstellers V·clav Hanka und seines Kreises von 1817/1818.
Die angeblich ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammende Handschrift gerierte sich
als Bruchstück eines umfangreichen Manuskripts, das von
heidnisch-tschechischen Kämpfen gegen die Franken im frühesten Mittelalter berichtet. Der
nächste Schritt 521Wurzbach
28, 53-67; Zacek 1970, 84ff. Pawel Josef Schafarschik, "Juridisch-politische Terminologie der
slavischen Völker in Österreich", Wien 1850, Vorrede. |
190 |
der Männer um V·clav Hanka war die
Produktion von vier Blättern 'Original' aus dem 9. Jahrhundert im Jahr 1818. Diese sogenannte Grünberger
Handschrift (Rukopis zelenhorsk˝) berichtet wieder vom selben
heidnisch-tschechischen Sieg gegen die Franken. Außerdem konnte man nachlesen, daß das
tschechische Heer aus freien Männern zusammengesetzt war, die über die militärische Vorgehensweise abstimmen konnten. Diese Fälschung wurde auch
"Gericht der Libussa" genannt.522 Die Handschriften attestierten der tschechischen Nation nicht nur ein
hohes Alter sondern auch eine 'Urdemokratie'. Herder war zuerst der Maler des
Bildes von einem friedlichen slawischen Bauernvolk, das die ländliche Freiheit
geliebt und in einer egalitär organisierten Gesellschaft gelebt haben soll. Die
Deutschen unterwarfen nach Herder viele der friedlichen Slawenstämme, weil
diese nie Interesse an "der Oberherrschaft der Welt" entwickelten und
eben keine kriegstüchtigen Fürsten hervorgebracht hatten.523 Die Fälschungen von 1817/18 waren also bis ins Detail am Herderschen
Idealbild orientiert. Die alten Tschechen sollten nicht nur eine hochstehende
Kultur mit großem nationalem Stolz entwickelt haben, sondern auch von Natur aus Demokraten gewesen sein, die in Heeresversammlungen Rat gehalten
haben. Diese guten alten slawischen Sitten wurden im späteren Mittelalter
durch die Deutschen und dem von ihnen importierten Feudalismus zerstört. Ziel
der nationalen Demokraten im 19. Jahrhundert mußte es also sein, den
Slawen wieder einen ihrem Wesen entsprechenden, eigenen bürgerlichen Staat zu
geben. Jahrzehntelang wurde die Echtheit der Fälschungen nicht mehr
bezweifelt. Die Begeisterung für eine glanzvolle und ideale slawische Vorzeit spielte
eine große Rolle in der Kunst des tschechischen 19. Jahrhunderts. Palackynahm besonders unter dem Einfluß dieser romantischen Handschriftenfälschungen eine ethnische und politische Einheit des
Landes seit dem Beginn der slawischen Siedlung an. Im Vorwort seiner
tschechischen Geschichte formulierte er die These, die gesamte Geschichte Böhmens
sei durch eine ständige Auseinandersetzung mit den Franken und später den
Deutschen charakterisiert. Auch in seinem Schreiben an die Nationalversammlung
in |
522Graus 1975, 267-275. Dort findet sich eine ausführliche Schilderung
der Diskussionen rund um die Fälschungen und die bis um 1900 geführten
Auseinandersetzungen. Plaschka 1955, 30. 523Herder
1985, Sämtliche Werke Band VI, 697ff. |
191 |
Frankfurt vom 11. April 1848, in dem
er seine Ablehnung der Teilnahme an den Tagungen begründete, argumentierte Palackymit den gefälschten Handschriften.524 Schafarschik plante in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts
gemeinsam mit Palackydie Herausgabe einer Sammlung der ältesten Texte in
tschechischer Sprache. Aufgenommen werden sollten sowohl bereits edierte, als auch
nur in Handschriften vorhandene Texte. 1840 erschien in Prag ein Band mit ausführlichem Kommentar und Anmerkungsapparat, der das "Gericht
der Libussa", ein Johannesevangelium und die Glossen der
Mater Verborum beinhaltete.525 Zur umstrittenen Fälschung der Königinhofer Handschrift bringt der
Wurzbach die Wiedergabe einer Stellungnahme Schafarschiks als anerkannte
Autorität: "Er erklärte nicht Zeit und überhaupt Wichtigeres zu thun zu haben, als
ein altes Schriftdenkmal gegen die Angriffe einer pyrrhonischen Kritik
ängstlich in Schutz zu nehmen, ein Schriftdenkmal, das nach seiner lebendigen Überzeugung
das Gepräge seiner Abkunft für jeden Urtheilsfähigen und Unbefangenen
deutlich an der Stirne trage und somit seines ängstlichen Schutzes gar nicht
bedürfe."526 Das bedeutendste Werk Schafarschik waren die "Slawischen
Altertümer", die erstmals 1837 unter dem Titel "Slowanské Starozitnosti" in
Prag erschienen.527 Die "Altertümer" waren auf zwei Bände angelegt, der zweite
erschien aber erst posthum im Jahr 1863. Das zuerst in Tschechisch erschienene Buch
wurde bald nach seinem ersten Erscheinen ins Russische, Polnische und Deutsche
übersetzt. Angelegt war es als Geschichte aller slawischen Stämme von den ersten
Quellen bis zur Christianisierung. Besonderen Wert legte Schafarschik auf die
Namen der Stämme und die geographischen Fragen ihrer Wohnsitze und Wanderungen.
Mit einer 1842 erschienenen "Slawischen Ethnographie" legte
Schafarschik noch eine kulturgeographische Arbeit zu den slawischen Völkern
in der neueren Geschichte |
524Vgl. Graus 1980, 53 und 199; Zacek 1970, 154ff; Plaschka 1955, 23 und
99ff. 525Zacek
1970, 35ff; Plaschka 1955, 156ff. 526Wurzbach
28, 56. Die Stellungnahme stammt aus Vorwort von J.M. Graf v. Thun,
"Gedichte aus Böhmens Vorzeit", Prag 1845. 527Gewidmet
war das Werk Kaspar von Sternberg, einem Philologen, der in Jena gelehrt
hatte. "geho excellencj wysoce urozenému pánu Kasparowi
Hrabeti ze Sternberka (...) s Neyhlubsj uctiwostj."/ "Dem hochgeborenen Herrn
Kaspar H. Sternberg, meinem verehrten Lehrer." |
192 |
vor. Die "Slawischen
Altertümer" boten ja nur eine Darstellung bis ins zweite Jahrhundert nach Christus.528 Daß bei den Forschungen zu den "Slawischen Altertümern"
manches zurechtgebogen wurde, um die Spuren der Slawen in der antiken
Ethnographie aufnehmen zu können, muß nicht weiter betont werden. Im Kapitel I
dieser Arbeit wurde ja schon ausführlich auf Schafarschiks Thesen zu den Venedern hingewiesen. Zu erwähnen bleibt noch die Korrepondenz Schafarschiks mit Gustav
Friedrich Klemm (1802 - 1867), der nahezu gleichzeitig mit dem Erscheinen der
"Slawischen Altertümer" an der Herausgabe eines Handbuchs zur germanischen Altertumskunde arbeitete. In der Tradition gelehrter Korrespondenz
war es möglich, daß Schafarschik und der königliche Bibliothekar aus Dresden
sich mit gegenseitigem Respekt und größter Hochachtung vor der jeweils anderen
Leistung austauschten, obwohl ihre Meinungen über die ethnische
Zuordnung diverser Bodendenkmäler sehr divergierte.529 Die primären Anregungen zur Konzeption der "Slawischen
Altertümer", die eine lange Rezeptionsgeschichte, die teilweise noch immer andauert, haben
sollten, bezog Schafarschik von Herder und Humboldt. Der slawische Teilstamm
war für den Prager Gelehrten ein Zweig der indogermanischen Völkergruppe. Der
wichtigste Punkt der Fragestellung war, daß "jedes große Volk
der Gegenwart" mit Sicherheit irgendwelche Vorfahren im Altertum haben mußte. "Die jetzigen unvermischten und selbständigen Urvölker, wie z.B.
das slawische und das deutsche" waren nach Schafarschik vor 3000 Jahren ein
eigener, durch Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft isolierbarer, Stamm.
Es gibt in Schafarschiks Vorstellung eine Reihe von europäisch-asiatischen
Urstämmen. Alle seit dem Mittelalter bestehenden europäischen Völker bekamen einen
solchen Urstamm zugewiesen.530 Nun galt es, auch für die Slawen etwas den Germanen, Griechen oder
Lateinern Analoges zu finden. Die slawischen Stämme wurden in den Quellen des
sechsten 528Wurzbach
28, 55 und 62ff. 529Schafarschik
1844, 5ff. Hier finden sich einschlägige Äußerungen Schafarschiks zu dieser
Korrespondenz. 530Schafarschik
1844, 40. |
193 |
Jahrhunderts als außergewöhnlich
zahlreich geschildert, meint Schafarschik. Dies erlaube den Schluß, daß die erst von den Byzantinern explizit
erwähnten Stämme als solche älter seien und deren allseits betonte Größe mindestens
schon um Christi Geburt vorhanden gewesen sein müsse. Dann würde für die
Slawen dasselbe wie für die Germanen gelten. Die relevanten Autoren
Jordanes, Prokop, Agathias, Menander, Johannes von Biclaro und Maurikios machten
allesamt keine weiteren Nachforschungen über Herkunft und Alter der slawischen
Stämme, was für andere neu erscheinende Völker aber durchaus von den genannten
Autoren geleistet worden sei. Also muß es sich bei den Slawen um ein altes,
immer schon vorhandenes Volk handeln. Wanderungen vom Ausmaß der indogermanischen
im zweiten Jahrtausend vor Christus seien im fünften Jahrhundert
nicht mehr vorstellbar. Sollte ein slawischer Stamm jemals nach Europa
eingewandert sein, müßte das "in jenem undurchdringlichen Grau uralter Zeiten"
vor sich gegangen sein.531 Weiters argumentierte Schafarschik mit dem bei Prokop überlieferten
Namen Sporen, wie die Slawen zuerst genannt worden seien. Dieser sei als
Ausdruck der weit verstreuten Wohnsitze der alten Slawen zu verstehen und als
Vorform der Bezeichnung Serben mit allen Varianten. Jordanes dagegen überliefere
eine parallele Tradition, die auf dem Ethnonym, Winidae/Veneder oder eben
in der germanischen Form Winden, aufbaue. Sporen, Anten und Slawen seien nur
die Namen von Stämmen, die in den Bereich der Byzantiner gekommen waren.
Der älteste Name sei also der Wendenname und das wird als eines der
wichtigsten Argumente für die Abstammung der Slawen von den Venedern herausgearbeitet.532 Die Zeitgenossen attestierten Schafarschik, "ein gewaltiger
Geist" gewesen zu sein und "die Ehrenrettung der Abstammung der Slawen" übernommen
zu haben. "Er hat diese in dem europäischen Staatensysteme als vollkommen
gleichberechtigt hingestellt und die einzelnen Slawenstämme, der Erste, in ihrer
Gesammtheit als Theile einer großen Nation aufgefaßt. (...) Schafarschik betrachtet
das Slawenthum als Theil der großen, in viele Theile gegliederten, in sich aber doch
einigen Menschheit, welche eben weil sie Leben ist und die Einförmigkeit
flieht, nach individuellen Gestaltungen strebt. Er weist nach, wie sich die
slawische Sprache neben der deutschen, griechischen und lateinischen in Europa
selbstständig 531Schafarschik
1844, 44ff. 532Schafarschik
1844, 67ff. |
194 |
entwickelte und führt aus ihrer
grammatischen und syntaktischen Ausbildung den sprechendsten Beweis, daß die slawischen Völker in den
Culturländern Europas wohl schon lange lebten, ehe die Geschichtsschreibung ihrer
als Slawen erwähnt und daß diese in dem wogenden Völkermeere der
transalpinischen und transbalkanischen Länder neben den Kelten und Germanen
einen bedeutenden Bestandtheil bildeten. (...) Dabei hat dieser geniale Forscher in
voller Leidenschaftslosigkeit seine Forschungen ausgeführt. Er stößt keine
Weh- und Klagelaute darüber aus, daß die baltischen und Elbeslawen, einem
alten Culturgesetze folgend, unter dem Einfluß civilisirterer Volksstämme
ihre selbstständige Existenz einbüßten."533 Dieser Teil eines biographischen Lemmas aus den siebziger Jahren des
19. Jahrhunderts zeugt von der Verschiebung von einem nationalen zu einem
spätestens seit 1870/71 auf allen Seiten chauvinistisch und
nationalistisch überladenen Begriff von Volk und Nation. An die Stelle dieser
Begriffe trat in den folgenden Jahrzehnten der Mythos von Volkstum und Rasse. Schafarschik
arbeitete mit einem nationalen Modell, das noch weitgehend ohne die
Geschichtsbilder von ewiger Feindschaft mit den Nachbarn auskam. Dieser Hintergrund ermöglichte auch die grenzüberschreitende
Akzeptanz wissenschaftlicher Thesen. Schafarschiks Arbeit wurde in der
deutschen Forschung akzeptiert und geachtet. Das mußte 40 Jahre später schon eigens
betont werden. Angenommen wurden seine Thesen von einer deutschen Forschung,
"welche keinen Anstand mehr nahm, seine Ansichten gelten zu lassen und die
Slawen in das ihnen durch mangelhafte frühere Forschung vorenthaltene Recht einzusetzen".534 Im Band IV. der ersten Auflage des Reallexikons der
germanischen Altertumskunde von 1918 ist zu lesen: "Zweifellos
sind mit den Venedi,
Venethi unserer ältesten Quellen
die gesamten Slawen gemeint. Später schränkt sich das Geltungsgebiet des Namens dadurch ein, daß einzelne
Teile der Slawen unter besonderen Bezeichnungen hervortreten."535 |
533Wurzbach 28, 63. 534Wurzbach
28, 63. 535RGA
1/4, s.v. Wenden, 508. |
195 |
V. Resümee Die Bezeichnung wendische Städte/vandalicae urbes und der schwedische Königstitel sind die Relikte der wahrscheinlich im achten und neunten
Jahrhundert vorgenommenen Gleichsetzung von Vandalen und
Wenden/Slawen. Vom 13. bis 15. Jahrhundert wurden die frühmittelalterlichen
Konzeptionen von polnischen Geschichtsschreibern erneut als Identitätsmodell
verwendet. Auf Basis der in einer Beziehung zum Tacitustext stehenden Völkergenealogie,
die in der sogenannten 'Fränkischen Völkertafel' überliefert ist, gaben
Schreiber im fränkischen Machtbereich der durch die slawische Ethnogenese neu
entstandenen Bevölkerung im Osten Europas einen Platz im Rahmen der zur Verfügung stehenden Konzeptionen von Geschichte und Identität. Die Folgen
dieses Vorgangs wurden hier dargestellt. Bis ins 17. Jahrhundert spielte vor dem Hintergrund einer recht
unklaren Vorstellung von einer überregionalen Identität in der Historiographie
von frühneuzeitlichen Territorialstaaten die aus dem frühen Mittelalter
stammende pseudologische Gleichsetzung von Wenden und Vandalen noch eine Rolle.
Mithilfe des Pseudo-Berossos und des Tacitus war versucht worden,
eine im 15. und 16. Jahrhundert nicht mehr erklärbare mittelalterliche
Namenstradition in einen argumentierbaren Rahmen zu stellen. Hatte die deutsche Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts die
Gleichsetzung Wenden = Vandalen als Irrtum des Mittelalters verworfen und nicht
weiter beachtet, versuchten slawische Historiker im 19. Jahrhundert jeden
Zweifel an der slawischen Identität der Veneder als direkte Vorfahren der
Slawen/Wenden abzuweisen. Die Geschichtsschreibung begann sich zu nationalisieren.
Im 18. Jahrhundert rationalisierte man und verwarf die Gleichsetzung mit den
Vandalen, hat den Sachverhalt und die Stellen, an denen sie vorgenommen worden
war, aber noch diskutiert. Die Forscher des 19. Jahrhunderts begannen zwar
verfeinerte Methoden zu entwickeln, verfolgten aber in vielen Fällen benennbare
politische Interessen in ihrer Gegenwart. Das Interesse der Osteuropäer war es,
eine slawische Urbevölkerung vor der erstmaligen Nennung der Slawen in byzantinischen Quellen zu finden. Die deutschen Historiker
akzeptierten die Venederthese auch, weil sie noch vor den nationalistischen Kämpfen
der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts formuliert worden war. Da die Wahl auf
die Veneder gefallen war, störte die Gleichsetzung Wenden = Vandalen ein wenig
die |
196 |
Harmonie der Thesen. Das ist wohl
neben der Ablehnung durch die Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts der Grund, daß die Frage
nach dem Warum nicht weiter diskutiert wurde. Die deutsche Wissenschaft
überließ die antiken Veneder sozusagen den Slawen. |
197 |
Anhang A. Abkürzungen AASS: Acta Sanctorum, ed. J. Bollandus u.a., 67 Bde.,
Antwerpen 1643 ff; Paris 1863-1925. AAW: Abhandlungen der Österreichischen Akademie der
Wissenschaften, Wien. ADB: Allgemeine Deutsche Biographie, Hg. von der
historischen Kommission bei der königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875ff.
AfKuG: Archiv für Kulturgeschichte, 1903/1950ff. AusgQqMA: Ausgewählte Quellen deutscher Geschichte -
Mittelalter. Freiherr von Stein Gedächtnisausgabe. BT: Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum
Teubneriana, Leipzig (seit 1953)/ Stuttgart 1850ff. CAH: The Cambrige Ancient History, Cambridge 1967ff. CCL: Corpus Christianorum Series Latina. Torhout,
1953ff. CFHB: Corpus fontium historiae byzantinae, Washington
1967ff (Series Washingtonensis); Berlin 1967ff (Series Berolinensis); Wien 1975ff
(Series Vindobonensis); Rom 1975ff (Series Italica); Brüssel 1975ff (Series
Bruxellensis). CLA: Codices latini antiquiores, Hg. E. A. Lowe, 12
Teile, Oxford 1934 ff. CMH: The New Cambridge Medieval History, edited by D.
Abulafia; M. Brett u.a., Cambridge 1989ff. CSEL: Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum,
Österr. Akademie der Wissenschaften, Wien 1865 ff. CSHB: Corpus scriptorum historiae byzantinae, ed. B. G.
Niebuhr, 50 Bde., Bonn 1828-1897. DA: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters,
Marburg-Köln 1951 ff. DBE: Deutsche Biographische Enzyklopädie. DHGE: Dictionnaire d'histoire et de géographie
ecclésiastique, Hg. Alfred Baudrillart, Paris 1912ff. Dipl.
AM.: Diplomatarium Arna-Magnaeanum,
ed. G. Thorkelin, Band I-II, Kopenhagen 1786. Dipl.
Dan.: Diplomatarium Danicum. 1.
raekke I-II, IV-V; 2. raekke I-XII; 3. raekke I-VII, Kopenhagen 1938ff. Dipl.
Svec.: Diplomatarium Suecanum/
Svenskt Diplomatarium , hg. J.G. Liljegren, B.E. Hildebrand, Sv. Tunberg og E. Nygren I-VI, Stockholm
1829-1959. DNP: Der NEUE PAULY. Enzyklopädie der Antike, 1996ff. Ersch/
Gruber: Allgemeine Enzyklopädie der
Wissenschaften und Künste in alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und hg.
von J.s. Ersch und J.G. Gruber, I. Section A-G; II. Section H-L; III. Section
O-P, Leipzig 1852. FHG: Fragmenta historicorum graecorum (...) auxerunt,
notis et prolegomenis illustrarunt, ed. C. et Th. Mulleri, Bd. I-IV, Paris 1885. |
198 |
FMSt: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Hg. Karl Hauck. Geschichtliche
Grundbegriffe: Geschichtliche
Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Hg. O.
Brunner, W. Conze, R. Kosseleck, 7 Bände, Stuttgart 1988ff. GCS: Die griechischen christlichen Schriftsteller der
ersten drei Jahrhunderte, 52 Bände, Leipzig/Berlin 1897-1960. Hist.
Gr. Min.: Historici Graeci Minores,
ed. L. Dindorf, Bd. I-II, Leipzig 1870-71. Hoefer: Jean-Francois Hoefer: Nouvelle biographie
générale, 52 tom., Paris 1850ff. HRG: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Hg.
A. Erler, E. Kaufmann, Berlin 1964ff. LCL: The Loeb Classical Library, London/New York
1912ff. LMA: Lexikon des Mittelalters, München 1977 ff. LThK: Lexikon für Theologie und Kirche, Hg. M.
Buchberger u.a., Freiburg 1957- 1965. Mansi: G. D. Mansi: Sacrorum Conciliorum nova et
amplissima collectio, 31 Bde., Florenz 1759-98; Nachdruck Graz 1960. MEW: Marx/Engels Werkausgabe, hg. vom Institut für
Geschichte der Arbeiterbewegung, Berlin 1959ff. MGH
Auct. Ant.: MGH Scriptores.
Auctores antiquissimi, 15 Bde. MGH
SS: MGH Scriptores, 32 Bde. MIÖG: Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung, Innsbruck/ Wien 1948 ff. MPH: Monumenta Poloniae Historica/ Pomniki Dziejowe
Polski, Lwow 1870ff. MUB: Meklenburgisches (sic!) Urkundenbuch, Hg. von dem
Verein für meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Bd. I - XXV, Schwerin
1863 - 1977. NA: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche
Geschichtskunde zur Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher
Geschichte des Mittelalters, Hannover 1876 ff. NDB: Neue Deutsche Biographie, Hg. von der historischen
Kommission bei der bayrischen Akademie der Wissenschaften, 19 Bde., Berlin 1953ff. OCD: The Oxford Classical Dictionary, Hg. N. Kammand;
H. Scullard, 3rd Edition, Oxford 1993. ODB: The Oxford dictionary of Byzantium, 3 Bde., Hg. A.
P. Kazhdan, Oxford 1991. PMH: Portugaliae Monumenta Historica. A saeculo octavo
post Christum usque ad quintumdecimum, Lissabon 1856. PCBE: Prosopographie chrétienne du Bas-Empire; Hg. André
Mandouze, Tom. 1: Prosopographie de l'Afrique chrétienne (303-533), Paris
1982. PG: Patrologia cursus completus: series Graeca; 161
Bde., Paris 1857-1866. PL: Patrologiae cursus completus: series Latina; ed.
J. P. Migne, 221 Bde., Paris 1844-65. PLRE: The Prosopography of the Later Roman Empire; Hg.
J.R. Martindale; A.H.M. Jones; J. Morris, Vol. I: A.D. 260-395; Vol. II: A.D. 395-527;
Vol. IIIA: A.D. 527-641, A-Iy; Vol. IIIB: A.D. 527-641, Ka-Z, Cambridge 1971-1992. |
199 |
RAC: Reallexikon für Antike und
Christentum RE: Pauly/Wissowa - Realencyclopädie der classischen
Altertumswissenschaft, 1894ff. Repertorium
Fontium: Repertorium Fontium
Historiae Medii Aevi; Hg. A. Potthast/ Istituto Storico Italiano per il medio evo, Rom 1967ff. Rer.
Brit.: Rolls Series. Rerum
Britannicarum medii aevi scriptores, edited by the Master of the Rolls, 251 Bde., London 1858-1896. RGA: Reallexikon der germanischen Altertumskunde,
begründet von J. Hoops, zweite völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage unter
Mitwirkung zahlreicher Fachgelehrter und redaktioneller Leitung von R. Müller
hg. von H. Beck, H. Steurer, D. Timpe, Berlin 1967ff. RGA
1: Reallexikon der germanischen
Altertumskunde, hg. von J. Hoops, Straßburg 1910ff. RhM: Rheinisches Museum für Philologie; Hg. Otto
Ribbeck, Franz Bücheler, Bonn/ Frankfurt am Main 1827 ff. TRE: Theologische Realenzyklopädie, Hg. G. Krause und
G. Müller, Berlin 1977ff. Verfasserlexikon: Die deutsche Literatur des Mittelalters.
Verfasserlexikon. zweite Auflage, Hg. K. Ruh, Bd. I-X, Berlin 1978ff. VS: Vies des Saints et des Bienheureux selon l'ordre
du calendier avec l'historique des fêtes, Hg. P. Baudot; P. Chaussin, Paris 1935-1953. Wattenbach-Holtzmann: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter.
Erster - Dritter Teil, Neuausgabe von F.J. Schmale, Darmstadt 1967-1971. Wattenbach-Schmale: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter.
Erster Band, Darmstadt 1976. Wetzer
& Welte's: Wetzer & Welte's
Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften, Freiburg 1884. Wurzbach: Wurzbach, Constant v., Biographisches Lexikon des
Kaisertums Österreich, 60 Bde., Wien 1856-1891. ZDPh: Zeitschrift für deutsche Philologie, Halle 1869ff.
|
200 |
B. Quellen B.1. Quellen bis zum 15. Jahrhundert in Editionen Acta
Apostolorum (Prajeis Apostolvn) : Novum Testamentum Graecum, ed. Eberhard Nestle, Stuttgart 1903. Ammianus
Marcellinus: Rerum gestarum libri
XXXI, ed. W. Seyfahrt, Band 1 und 2, Leipzig 1978. Adam
von Bremen: Gesta Hammaburgensis
ecclesiae pontificum, ed. B. Schmeidler, MGH SSrG, Hannover 1917; übersetzt von W. Trillmich,
AusgQqMA 11, Darmstatdt 1961. Annales
regni Francorum inde ab anno 741
usque ad a. 829, qui dicuntur Annales Laurissenes maiores et Einhardi, ed. F. Kurze MGH SSrG 6, Hannover
1895; ed. und dt. Übersetzung: R. Rau, Quellen zur karolingischen
Reichsgeschichte 1, AusgQqMA A 5, Darmstatdt 1955, p. 1-155. Anthologia
Latina: Anthologia Latina I.
Carmina in codicibus scripta. ed. D.R. Shackleton Bailey, Stuttgart 1982. Agathias: Agathiae Myrinaei Historiarum Libri quinque cum
versione latina et annotationibus, ed. B.G. Niebuhr, CSHB III, Bonn 1828; Historiarum
Libri Qunique, ed. R. Keydell, Berlin 1967; englische Übersetzung: J.D.
Frendo, The Histories, Berlin 1975. Annolied: Das Annolied, ed. E. Nellmann, Übersetzung und
Kommentar, Stuttgart 1975. Appian: Mithridateios, ed. H. White, LCL, 1912/13; ed. und
italienische Übersetzung: Ernesto Gabba, Appiano Storia Romana, Rom 1958. Bartholomaeus
Anglicus: Bartholomaei Anglici de
genuinis rerum coelestium, terrestrium et inferarum proprietatibus, libri XVIII, ed. G.B.
Pontanus, Frankfurt 1601, Nachdruck Frankfurt 1964. Chronicon
Balduini Ninoviensis: ed. J.-J. de
Smet, in: Corpus chronicorum Flandriae, Band 2, Brüssel 1841, p. 581-746; ed. O. Holder-Egger, MGH
SS 25, Berlin 1880, p. 521-546. Beda
Venerabilis: Chronica maiora ad a.
725/ Chronica minora ad a. 703, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XIII, CM 3, p. 223 - 346, Berlin 1898. Boguphal
von Posen: Boguphali II. episcopi
Posnaniensis chronicon Poloniae cum continuatione Basconis custodis
Posnaniensis, ed. A. Bielowski, MPH II, p. 467ff, Warschau 1872 (Neudruck 1961). C.
Julius Caesar: De bello Gallico,
ed. Otto Seel, BT, Leipzig 1961. Cassiodorus: Variae, ed. T. Mommsen MGH, Auct. Ant. XII, Berlin
1887; teilweise englische Übersetzung: Th. Hodgkin, Cassiodors Variae, London 1886;
Chronica, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 109 - 162, Berlin 1894. Chronicon
Paschale: ed. L. Dindorf CSHB,
1832; englische Übersetzung: M. Whitby, Chronicon Paschale 284 - 628 AD, Translated Texts for
Historians 7, Liverpool 1989. |
201 |
Chronicon Vedastinum: ed. G. Waitz MGH SS XIII, p. 674-710, Hannover
1881; ed. C. Dehaisnes: Les Annales de Saint-Bertin et de Saint-Vaast, p.
674ff, Paris 1871. Codex
Justinianus: ed. T. Mommsen; P.
Krüger, Berlin 1887. Codex
Theodosianus: ed. T. Mommsen; P. M.
Meyer, Berlin 1905; englische Übersetzung: C. Pharr, Princeton 1952. Concilia
Africae a. 345 - a. 525: ed. C.
Munier, CCL 149. Conversio Bagoariorum et Carantanorum, ed. F. Lopek, MGH Studien und Texte Band 15, Hannover 1997. Flavius
Cresconius Corippus: Iohannis, ed.
J. Partsch, MGH Auct. Ant. III/2, p. 1- 156, Berlin 1879; ed. und englische Übersetzung: A. Cameron: Flavius
Cresconius Corripus. Text and Translation, London 1976. Cosmas
von Prag: Cosmae Pragensis Chronica
Boemorum, ed. B. Bretholz MGH SSrG NS 2, Berlin 1923; dt. Übersetzung: G. Grandaur/ W. Wattenbach:
Des Dekans Cosmas Chronik von Böhmen, Geschichtsschreiber der dt. Vorzeit
65, Leipzig 21895. Dexippus: Dexippi Atheniensis De Bellis Scythicis; De Rebus
Macedonicis; Fragmenta, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 2-38, Bonn 1829. Jan
Dlugosz: Joannis Dlugossii Opera
omnia, ed. A. Prze´zdziecki, I-XIV, Warschau 1863-1887; Joannis Dlugossii Annales seu Chronicae incliti
Regni Polonia, ed. J. Dabrowski u.a., Warschau 1964ff; Historiae Polonicae
libri XII, ed. I. Zegota Pauli, 3 Bände, Krakau 1873. Einhard: Einhardi Vita Karoli Magni, ed. O. Holder-Egger,
MGH SSrG in usum scholarum 25, Hannover 1911; ed. und deutsche Übersetzung: R. Rau,
Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 1, AusgQqMA A 5, Darmstatdt 1955,
p. 157-211. Evagrius, Historia Ecclesiastica, englische Übersetzung: E.
Walford, A History of the Church, London 1851. Ferrandus: Vita Fulgentii, ed. J. Frapoint, Sancti Fulgentii
Episcopi Ruspensis Opera, CCL 91 und 91A, 1968; teilweise Übersetzung.: Robert B. Eno:
Fulgentius. Selected Works, The Fathers of the Church 95, Washington 1997. Fredegar-Chronik: Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici
libri IV cum continuationibus, ed. Bruno Krusch, MGH SS rerum Merovingicarum
2, p. 1-193, Hannover 1888; ed. und deutsche Übersetzung: Herbert Haupt,
Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte 4a, Darmstadt 1982, p. 1-325. Gelasius: Gelasii epistulum ad episcopos Dardaniae, ed.
Günther, in: C.S.E.L. 35,p. 391. Gennadius: Liber de viris inlustribus, ed. E. C. Richardson,
Leipzig 1896; ed. J. P. Migne PL 58, p. 1053-1132; ed. J. Bernouilli, Leipzig 1895/1968. Gerhard
v. Augsburg: Vita Sancti Uodalrici,
ed. W. Berschin und A. Häse: Die älteste Lebensbeschreibung des hl. Ulrich, Edition und dt.
Übersetzung, Heidelberg 1993. Gervasius
von Tilbury: Gervasii Tilleberinsis
otiis imperialibus, teilweise ed. R. Pauli, MGH SS 27, p. 363-394, Berlin 1885; vollständige Edition:
Emendationes et Supplementorum Otiorum Imperialium Gervasii Tilberiensis, ed.
Wilhelm Leibniz, Scriptores rerum Brunsvicensium 2, p. 751-784, 1710. |
202 |
Gesta Dagoberti, ed. Bruno Krusch, MGH SS rerum Merovingicarum 2,
p. 369- 399, Hannover 1888. Gesta sancti Hrodberti confessoris, ed. W. Levison, MGH
Scriptores rerum Merovingicarum 6, p. 140ff, Berlin 1882. Gottfried
von Viterbo: Gotifredi Viterbiensis
memoria seculorum, ed. G. Waitz, MGH SS 22, p. 94-106, Berlin 1872; Gotifredi Viterbiensis pantheon,
ed. ebd., p. 107-307. Gregor
von Tours, Historia Francorum, ed.
W. Arndt, MGH, Scriptores rerum Merovingicarum 1, p. 1 - 451, Berlin 1885; ed. und deutsche Übersetzung:
R. Buchner, Darmstadt 1970. Heinrich
von Huntingdon: Henrici
archidiaconi Huntendunensis histora Anglorum, ed. T. Arnold, RS - Rer. Brit. SS 74, London 1879;
teilweise ed. F. Liebermann, MGH SS 13, p. 148-158, Berlin 1881; englische
Übersetzung: T. Forester, Henry of Huntingdons History of the English, London 1850. Helmold
von Bosau: Helmoldi presbyteri
Bozoviensis Chronica Slavorum, ed. B. Schmeidler, MGH SSrG 32a, Hannover 1909; ed. und deutsche
Übersetzung: H. Stoob, Chronica Slavorum/Slawenchronik, AusgQqMA 16, Darmstadt 1973. Hermann
der Lahme (Hermannus Contractus):
Chronica, ed. G. H. Pertz, MGH SS V, p. 67-133, Berlin 1844; ed. und Übersetzung: R. Buchner, AusgQ
11, p. 628- 707, Berlin 1961. Herodot: Historiae, ed. H. Stein, Herodotos, Text und
Kommentar, 5 Bde., Berlin 1963; ed. H. B. Rosen, 2 Bde., Teubner 1987-1997. Hieronymus: Translatio Chronicorum Eusebii Pamphilii, ed. J.
P. Migne PL 27, p. 9-507; De scriptoribus ecclesiasticis, ed. J. P. Migne PL 23, p.
631-759. Hydatius: ed. T. Mommsen, Hydatii Lemici continuatio
chronicorum Hieronymianorum, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 13 - 36, Berlin 1894;
ed. und englische Übersetzung: R. W. Burgess, The Chronicle of Hydatius and
the Consularia Constantinopolitana. Two contemporary Accounts of the
Final Years of the Roman Empire. Edited with an English Translation, Oxford 1993.
Ildefonsus
Toletanus: De viris illustribus,
ed. J. P. Migne, PL 96, p. 51-330. Isidor
von Sevilla: Historia Gothorum
Wandalorum Sueborum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 241-304, Berlin 1894; übersetzt: A.
Donini/W. Ford, Leiden 1970; Chronica maiora, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM
2, p. 391-489, Berlin 1894; De viris illustribus, ed. J. P. Migne, PL 83,
p. 356-392. Isidor
von Sevilla: Isidorus Hispalensis
Etymologiae, ed. M. Reydellet u.a., Collection A.L.M.A., Paris 1980ff; Historia Gothorum Wandalorum
Sueborum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 241-304, Berlin 1894;
übersetzt: A. Donini/W. Ford, Leiden 1970; Johannes
abbas Biclarensis: Chronica, ed. T.
Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 208 - 223. Jordanes: De Summa Temporum vel Origine Actibusque Gentis
Romanorum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. V, Berlin 1882. Jordanes: De origine actibusque Getarum, ed. T. Mommsen,
MGH, Auct. Ant. V, p. 53-138, Berlin 1882, Neudruck 1982. Josephus
Flavius: Antiquitates Judaicae, ed.
B. Niese, Berlin 1890/1955. |
203 |
Lactantius, De mortibus persecutorum, ed. und englische
Übersetzung: J. L. Creed, Oxford 1984. Liber
Pontificalis: ed. L. Duchesne, Le
Liber Pontificalis, Texte, introduction et commentaire, 2 vol., Paris 1886-92; ed. T. Mommsen, Gestorum
Pontificum Romanorum vol. 1, MGH, Berlin 1898; englische Übersetzung: R. Davis,
The Book of Pontiffs (Liber Pontificalis), Translated Texts for Historians 5,
Liverpool 1989. Johannes
Malalas: Xronograf€a, ed. L. Dindorf, CSHB 6, Bonn 1831; ed. A. Schenk von Stauffenberg, Die römische Kaisergeschichte bei Malalas.
Griechischer Text der Bücher IX-XII und Untersuchungen, Stuttgart 1931; Ioannis Malalae
Chronographia, ed. I. Thurn, CFHB 35, Berlin 2000; teilweise
englische Übersetzung (des slawischen Texts): M. Spinka; G. Downey, Chronicle
of John Malalas. Books VIII-XVIII, Chicago 1940. Malchus: Ex historia Malchi Rhetoris Philadelphensis
Excerpta de Legationibus Gentium ad Romanos, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 231-278,
Bonn 1829; ed. und italienische Übersetzung: L.R. Cresci: Frammenti. Malco die
Filadelfia, Neapel 1982. Marcellinus
Comes: Chronicon, ed. T. Mommsen,
MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 37-104, Berlin 1894. Mierszwa: Miersuae Chronicon, ed. A. Bielowski, MPH II, p.
163ff, Warschau 1872 (Neudruck 1961). Notitia
provinciarum et civitatum Africae:
ed. C. Halm, MGH, Auct. Ant. III, p. 63-71, Berlin 1879/1961. Passio
beatissimorum Martyrum, ed. C.
Halm: MGH Auct. Ant. III, p. 59-62, Berlin 1879. Paulus
Diaconus: Historia Langobardorum,
ed. L. Bethmann; G. Waitz, MGH SS rerum Langobardicarum, p. 12ff, Berlin 1878. Petrus
Patricius: Petri Patricii Excerpta
de Legationibus Romanorum ad Gentes, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 133-136, Bonn 1829. Plinius: C. Plinii Secundi Naturalis historiae libri
XXXVII, ed. C. Mayhoff, Leipzig 1906; ed. und deutsche Übersetzung: R. König, Gaius Plinius Secundus,
Naturkunde 1-35, Zürich 1973-1978. Plutarch, Vitae Parallelae (Bioi Paralleloi), ed. C.
Lindskog; K. Ziegler, München 1914-1939. Priscus, Historica Gothica Prisci Rhetoris. Excerpta de
Legationibus Romanorum ad Gentes, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 166-228, Bonn
1829; ed. und englische Übersetzung: F. Bornmann, Prisci Fragmenta, Florenz 1979. Prokop: BV = Bellum Vandalicum/ BG = De bello Gothico/De
aedificiis, ed. O. Veh: Prokop. Werke, 5. Bde., Tusculum Bücherei, München 1961; J.
Haury: Procop of Caisareia, 3 Bde., London 1914-40. Prosper
Tiro: Epitoma Chronicon, ed. T.
Mommsen, MGH, Auct. Ant. IX, CM 1, p. 341-499, Berlin 1905. Ptolemaios: Claudii Ptolemaii Geographika I-III, ed. K.
Müller; IV-V, ed. T. Fischer, Paris 1883 und 1901; teilweise deutsche Übersetzung: O.
Cuntz, Die Geographie des Ptolemaeus. Galliae, Germania, Raetia, Noricum,
Pannoniae, Illyricum, Italia. Handschriften, Text und Untersuchung, Berlin 1923.
|
204 |
Rimbert: Vita Anskarii, ed. und übersetzt: W. Trillmich,
AusgQqMA 11, p. 15-133, Darmstatdt 1961. Salvian: De gubernatione Dei, ed. M. Petschenig, CSEL 7,
Wien 1881; Übersetzung: A. Helf, Des Salvianus Priesters von Marseille acht
Bücher über die göttliche Regierung, Kempten 1877. Saxo
Grammaticus: Saxonis Gesta Danorum,
ed. J. Olrik; H. Raeder, CCDMA 4, Kopenhagen 1962; ed. und englische Übersetzung: H. Ellis-Davidson; P.
Fisher, Saxo Grammaticus. The History of the Danes. Books I-IX, Cambridge 1979;
E. Christiansen, Saxo Grammaticus Danorum regum herorumque historia.
Books X- XVI. The text of the first edition with translation and commentary
1-3, British Archival Reports International Series 84, 118,1-2, Oxford 1980-1981. Sigebert
v. Gembloux: Chronica universalis,
ed. L. C. Bethmann, MGH SS VI, p. 300-374. Strabon: Geographika, ed. G. Kramer, Strabonis Geographica,
Leipzig 1844; ed. H.L. Jones 8 Bände, LCL; dt. Übersetzung: A. Forbiger, Strabons
Erdbeschreibung, Berlin 1856-60. Tacitus: Germania, P. Cornelius Tacitus Germania, ed. A. A.
Lund, Heidelberg 1988; ed. und deutsche Übersetzung: G. Perl, Tacitus Germania,
Griechische und lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte
des 1. Jahrhunderts 2, Berlin 1990. Theophylaktos
Simokates: Theophylakti Simokatae
Historiae, ed. C. de Boor, Leipzig 1887; deutsche Übersetzung: P. Schreiner, Theophylaktos
Simokates Geschichte, Bibliothek griechischer Literatur 20, Stuttgart 1985. Victor
von Tunnuna: Chronica, ed. T. Mommsen:
MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 167-184, Berlin 1894; ed. und italienische Übersetzung: A. Placanica,
Vittore da Tunnuna. Chronica. Chiesa e Impero nell'età di Giustiniano, Florenz
1997. Victor
von Vita: Historia persecutionis
africanae provinciae sub Geiserico et Hunirico regibus Wandalorum, ed. C. Halm: MGH, Auct. Ant. III, p.
1-58, Berlin 1879; ed. M. Petschenig, CSEL 7, Wien 1881; ed. und englische
Übersetzung: J. Moorhead, Victor of Vita. History of the Vandal Persecution,
Translated Texts for Historians 10, Liverpool 1992. Vincentius
Kadlubek: Chronica Polonorum, ed.
A. Bielowski, MPH II, p. 193-453, Warschau 1872 (Neudruck 1961). Vita
SS. Marini et Anniani: ed. B. Sepp,
Regensburg 1892 und tw. ed. O. Holder Egger, in: NA 13, Berlin 1889, p. 22-28; ed. in: Monumenta Boica 1,
p. 343-350. |
205 |
B.2. Quellen vom 15. Jahrhundert
bis 1800 Die Druckwerke bis zum Jahr 1800 finden sich in diesem Verzeichnis
gesondert zitiert. Die Titel werden teilweise gekürzt wiedergegeben. Die Autorennamen sind in
verschiedenen Varianten angeführt, da im Bibliothekswesen keine einheitliche Zitierweise etwa
für Humanistennamen besteht. Bei den Erscheinungsorten und -jahren wurde wenn möglich der
Erstdruck und die benutzte Ausgabe zitiert. Die Literatur des 19. Jahrhunderts wird wie die restliche
Forschungsliteratur zitiert. |
Johann Christoph
Adelung: Versuch eines
vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung
der oberdeutschen, 5 Bände, Leipzig 1774 - 1786. Johann Heinrich Alstedius: Thesaurus chronologiae, vierte Auflage, Herborn 1650. Flavius Blondus: De Roma triumphante libri decem. Romae instauratae
libri III. De origine et gestis Venetorum. Italia illustrata. Historiarum ab
inclinatione Romanorum imperio decades III, Basel 1531. (Gesamtausgabe der Werke
Biondos) Jan Broems: Dissertatio de Vandalorum in Africa imperio,
Upsala 1698. Ambrosius Calepino: Calepinus Septem linguarum. Hoc est lexicon
latinum variarum linguarum interpretatione adjecta in usum seminarii
Patavini, Passau 1726. David Chyträus: Continuatio Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi
1500, Wittenberg 1585. David Chyträus: Praemium metropolis seu succesionum episcoporum in
ecclesiis Saxoniae et Vandaliae veteris cathedralis XX ab anno Christi 1550,
ubi Krantzius desiit ad nostram usque aetatem deductae, Rostock 1586. Philipp Cluverius: Germaniae antiquae libri tres. Opus post omnium
curos elaboratissimum, tabulis geographicis et imaginibus, priscum
Germanorum cultum moresque referentibus, exornatum, Leiden 1616/21631. Martinus Cromerus (Martin Cromer): De origine et rebus gestis
Polonorum libri XXX, Basel 1550. Iohannes Dubravius (Olomuzensis Episcopus): Historia Boiemica, Basel
1575. Basilius Faber: Thesaurus eruditionis scholasticae sive supellex instructissima vocum, verborum, ac locutionum: tum rerum, sententiarum, adagiorum ac
exemplorum (...), Leipzig 1587/ 21692. Friedrich der Große (Frédéric le Grand): Mémoires pour servir
à l'histoire de la maison de Brandenbourg, Leipzig 1749. Johann Christoph Gatterer: Einleitung in die synchronistische
Universalhistorie. Zur Erläuterung seiner synchronistischen Tabellen. 2 Bände, Göttingen
1771. Ludwig Albrecht Gebhardi: Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten.
Erster Band, welcher die älteste Geschichte der Wenden und Slaven, und die
Geschichte des Reichs der Wenden in Teutschland enthält, Leipzig 1790. Edward Gibbon: The Decline and Fall of the Roman Empire, 6 vol.,
London 1776. |
206 |
Johann Ludwig
Gottfried (Abelin): Inventarium
Sueciae. Das ist gründliche und warhaffte Beschreibung des Königreichs Schweden und dessen
incorporierten Provinzen (...), Frankfurt/Main 1632. Hugo Grotius: Historia Gotthorum, Vandalorum et Langobardorum,
Amsterdam 1655. Joachim Andreas Helwig (Helvigius): De Codice iuris provincialis
vandalico- rugiani eiusque compositione oratio quam sub ipsis rectoratus
academici auspiciis, Greifswald 1724. A. Hessel: Dissertatio de Vandalis, Upsala 1698. Joachim Hübner: Reales Staats- Zeitungs- und Conversationslexikon,
Leipzig 1795. Carl Iserhielm: Dissertatio historico-politica de Regno
Westrogothorum in Hispania, Upsala 1705. Johannes Christoph(orus) Jordan: De originibus slavicis opus chronologico-
geographico-historicum; ab antiquitate literis nota (...), Wien 1745. Albert(us) Krantz: Wandalia. De Wandalorum vera origine, variis
gentibus, crebris e patria migrationibus, regnis item, quorum vel autores vel
euersores fuerunt, Köln 1519. Albert(us) Krantz: Rerum Germanicarum historici claris regnorum
Aquilonarium, Daniae, Sueciae, Norvagiae chronica. Quibus gentium origi
vetustissima et Ostrogothorum, Wisigothorum, Longobardorum atque Normannorum
antiquitus inde profectorum, res in Italia, Hispania, Gallia et Sicilia gestae
praeter domesticam historiam narrantur, Köln 1546/ Frankfurt 1575. Bernhard Latomus: Genealochronicon Megapolitanum, in: J. E. de
Westphalen, Monumenta inedita (...), Leipzig 1739, p. 9-67, erstmals 1610. Nicolaus Leuthinger(ius): hg. von G. Küsther, Nicolai Leuthingerii
opera omnia quotquot reperiri potuerunt Georg G. Küstherus recensuit, 2. Bde.,
Frankfurt 1729; Collectio Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 2. Bde., Frankfurt/Main und Leipzig 1729. Josua Maaler: Die Teutsche spraach. Alle wörter/namen/und arten
zu reden in Hochteutscher spraach, dem ABC nach ordentlich gestellt unnd mit
gutem Latein gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bishar nie
gesaehen durch Josua Maaler burger zu Zürich, Tiguri 1561. Conrad Mannert: Geschichte der Vandalen, Leipzig 1785. Nicolaus Marschalk: Annalium Herulorum ac Vandalorum libri septem, in:
J. E. de Westphalen, Monumenta inedita (...), Tomus I, Leipzig 1739, p.
78-267, erstmals 1521. Johann Jacob Mascov: Geschichte der Teutschen bis zu Anfang der
Fränkischen Monarchie in zehen Büchern verfasset, Leipzig 1726. Johann Matthias a Sudetis: Bojemarum nationem non ex Slavis, ut
Aenea Silvio et Joanne Dubravio videtur, sed ex Russia seu Roxolania originem trahere
verius esse defendemus, Prag 1614. Charles de Secondat Baron de la Brède et de
Montesquieu: Considérations sur les
causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, Paris 1734. |
207 |
Giovanni
Nanni (Annius): Berosi sacerdotis
chaldaici antiquitatum libri quinque cum commentariis Joannis Annii Viterbensis, Wittenberg 1612, erstmals
Rom 1499. Aenaes Silvius Piccolomini: De Bohemorum origine ac Gestis historia, Basel
1575, erstmals 1475. Jean Potocki: Fragments historiques et geographiques sur la
Scythie, la Sarmatie et les Slaves, tome I- III, Braunschweig 1796. Johann Sigmund Valentin Popowitsch: Erstes Probestück vermischter Untersuchungen, Regensburg 1749. Thierry Ruinart: Historia Persecutionis Vandalicae in duas partes
distincta. Prior complectitur Victoris Vitensis libros V. et alia antiqua monumenta
cum notis et observationibus. Posterior commentarium historicum de persecutionis
vandalicae ortu, progressu et fine, Paris 1699. Gottlob Benedikt Schirach: Observationes de Henetis, Venedis atque Vandalis /De Henetis, Vandalis, de lacu Musicano, Chunis et Cunis, Slavanisque
(Acta Societatis Jablonovianae Vol. 4), Leipzig 1774. August Ludwig Schlözer: Vorstellung der Universal-Historie, Göttingen
1775. Christian Schöttgens: Commentatio de vita N. Marscalci Thurii, ed. A.
Schmid, Rostock 1752. Johann Christoph Schurtzfleisch: De rebus slavicis, in: Dissertationes academicae varii generis, 4 Bde., Wittenberg 1699. Johannes Simonius: Stemma Megapolitanum et Vandalium/ Vandalia, in:
J. E. de Westphalen, Monumenta inedita (...), Tomus I, Leipzig 1739, p.
1542-1567, erstmals 1598. Christoph Ernst Steinbach: Vollständiges Deutsches Wörterbuch vel Lexicon
Germanico-Latinum, Band 1 und 2, Bresslau 1734. Louis Sébastien Lenain de Tillemont: Histoire des Empereurs, VI Bände, Paris 1732 - 1739. Ernestus Joachimus de Westphalen: Monumenta inedita rerum Germanicarum praecipue Cimbriacarum et Megapolensium quibus varia antiquitatum, historiarum, legum juriumque Germaniae, speciatim Holsatiae et
Megapoleos vicinarumque regionum argumenta illustrantur, supplentur et
stabiliuntur (...), Tomus I - IV, Leipzig 1739. Nicolaus Wilckens: Leben des Albert Krantz, Hamburg 1722. Zedler: Grosses vollständiges Universallexikon aller
Wissenschaften und Künste (...), 167 Bände, verlegt durch Johann Heinrich Zedler, Leipzig/Halle
1745. |
208 |
C. Literatur Walter
Baetke: Die Geschichte von den
Dänenkönigen (Knytlingasaga), Thule. Altnordische Dichtung und Prosa 2/19, Jena 1924. Theodor
Bieder: Geschichte der
Germanenforschung I-III, Berlin 1921-1924. Bernhard
Bischoff: Die südostdeutschen
Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit 1: Die bayrischen Diözesen, Wiesbaden 31974. Laetitia
Boehm; Rainer A. Müller: Hermes
Handlexikon Universitäten und Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine Universitätsgeschichte in Einzeldarstellungen, Düsseldorf 1983. Günther
Böhme: Bildungsgeschichte des
europäischen Humanismus, Darmstadt 1986. Robert
Bohn: Dänische Geschichte, C.H.
Beck - Wissen, München 2001. Gaston
Boissier: L'Afrique romaine, Paris 91901. Arno
Borst: Der Turmbau zu Babel.
Geschichte der Meinungen über Ursprung und Vielfalt der Sprachen und Völker, I - IV, Stuttgart 1957-1963. Egon
Boshof; Kurt Düwell; Hans Kloft:
Grundlagen des Studiums der Geschichte, Böhlau Studien Bücher, Köln 1983. E.S.
Bouchier: Life and Letters in Roman
Africa, Oxford 1913. Sebastian
Brather: Archäologie der westlichen
Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa, Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band
30, Berlin/ New York 2001. Fernand
Braudel; Georges Duby; Maurice Aymard:
Die Welt des Mittelmeers. Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen,
Frankfurt/Main 1985. Harry
Bresslau: Handbuch der
Urkundenlehre für Deutschland und Italien. 2 Bände, Berlin 41969. Gunnar
Broberg; Torkel Jansson: Svenska
symboler, in: Gunnar Broberg (Hg.): Gyllene äpplen. Svensk idéhistorisk läsebok, Stockholm 1991, S.
1258-1264. Lewis
Caroll: Die blaue Raupe und wie man
ohne sie eine Dissertation nicht schreiben kann, Wien 2001. Frank
M. Clover: L'année de Carthage et
les débuts du monnayage vandale, in: Histoire et archéologie de l'Afrique du Nord/ Actes du IVe Colloque
international Tome I: Cartgage et son territoire dans l'antiquité (1990), S.
215-220. Simon
Coupland: The Vikings in Francia
and Anglo-Saxon England to 911, in: Rosamond McKitterick (Hg.): CMH II c. 700-900, Cambridge 1995, S. Pierre
Courcelle: Histoire littéraire des
grandes invasions germaniques, Paris 31964. Christian
Courtois: Les Vandales et
l'Afrique, Paris 11955. Christian
Courtois: Victor de Vita et son
oeuvre, Algier 1954. George
Crossley: Die Kaiserchronik, Berlin
1939. Florin
Curta: The Making of the Slavs.
History and Archaeology of the Lower Danube Region, c. 500-700, Cambridge Studies in Medieval Life and
Thought. Fourth Series, Cambridge 2001. |
209 |
F. C. Dahlmann: Geschichte von Dänemark, 1-3, Geschichte der
europäischen Staaten, Hamburg 1840-1843. Felix
Dahn: Die Könige der Germanen. Das
Wesen des ältesten Königthums der germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Auflösung des
karolingischen Reiches. Erster Band/ Zweite Abtheilung. Die Vandalen, München 1861. Alexander
Demandt: Der Fall Roms. Die
Auflösung des römischen Reiches im Urteil der Nachwelt, München 1984. Alexander
Demandt: Vandalismus. Gewalt gegen
Kultur, Berlin 1997. Émilienne
Demougeot: La formation de l'Europe
et les invasions barbares, 1 und 2, 1/2, Paris 1969/79. Hans-Joachim
Diesner: Das Vandalenreich.
Aufstieg und Untergang, Stuttgart 1966. Philipp
Dollinger: Die Hanse, Hamburg 31981. Pavel
Dolukhanov: The Early Slavs.
Eastern Europe from the Initial Settlement to the Kievan Rus, London/New York 1996. Erich
Donnert: Rußland an der Schwelle
der Neuzeit. Der Moskauer Staat im 16. Jahrhundert, Berlin (Ost) 1972. Robert
B. Eno: Fulgentius. Selected Works,
The Fathers of the Church 95,, Washington D.C. 1997. Verena
Epp: Amicitia. Zur Geschichte
personaler, sozialer, politischer und geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter, Monographien zur
Geschichte des Mittelalters Band 44, Stuttgart 1999. Ole
Feldbaek (Hg.): Dansk
Identitetshistorie I - IV, Kobenhaven 1991/92. Johannes
Fried: Die Formierung Europas.
840-1046, Oldenbourg Grundriss der Geschichte Band 6, München 1993. Wolfgang
Fritze: Untersuchungen zur
frühslawischen und frühfränkischen Geschichte bis ins 7. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1945/1994. Eduard
Fueter: Geschichte der neueren
Historiographie, Handbuch der mittelalterlichen und neueren Geschichte. Abteilung I. Allgemeines,
München 1936. Georg
Goetz: Der liber glossarum, in:
(Hg.): Abhandlungen der philolog.-histor. Klasse der k. sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig,
Leipzig 1893, S. 218-267. Walter
Goffart: The Narrators of Barbarian
History (AD 550-800). Jordanes, Gregory of Tours, Bede and Paul the Deacon, Princeton 1988. Walter
Goffart: The Supposedly 'Frankish'
Table of Nations: An Edition and Study, in: FMSt 17 (1983), S. 98-130. Friedrich
Gotthelf: Das deutsche Altertum in
den Anschauungen des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts, Forschungen zur neueren
Literaturgeschichte 13, Berlin 1900. Frantisek
Graus: Die Nationenbildung der
Westslawen im Mittelalter, NATIONES. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung
der europäischen Nationen im Mittelalter. Band 3, Sigmaringen 1980. Frantisek
Graus: Lebendige Vergangenheit.
Überlieferung im Mittelalter und in den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975. |
210 |
S. Gsell: Histoire ancienne de l'Afrique du Nord, 1-5, Paris 21929. Michael
Hamann: Mecklenburgische
Geschichte. Von den Anfängen bis zur Landständischen Union von 1523, Berlin 1968. Paul
Grinder Hansen: Die Slawen bei Saxo
Grammaticus - Bemerkungen zu den Gesta Danorum, in: Christian Lübke und Ole Harck (Hg.): Zwischen
Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer
internationalen Konferenz Leipzig 4.-6. Dezember 1997, Stuttgart 2001, S. 179-187. Hanno
Helbling: Goten und Wandalen.
Wandlung der historischen Realität, Zürich 1954. Manfred
Hellmann: Neue Kräfte in Osteuropa.
Die Slawen, in: Theodor Schieder (Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte, 1, Stuttgart 1976, S.
357-370. Johann
Gottfried Herder: Ideen zur
Philosophie der Geschichte der Menschheit, Sämtliche Werke in zehn Bänden, Frankfurt/Main 1985. Johann
Gottfried Herder (Hg.): Journal
meiner Reise im Jahre 1769, Sämtliche Werke in zehn Bänden, Frankfurt/Main 1985. Joachim
Hermann (Hg.): Die Slawen in
Deutschland. Geschichte und Kultur der slawischen Stämme westlich von Oder und Neisse vom 6. bis 12.
Jahrhundert, Berlin 1972. Erwin
Herrmann: Slawisch-germanische
Beziehungen im südostdeutschen Raum von der Spätantike bis zum Ungarnsturm. Ein Quellenbuch mit
Erläuterungen, Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17, München 1965. Joachim
Herrmann (Hg.): Welt der Slawen.
Geschichte. Gesellschaft. Kultur, München 1986. Richard
Heuberger: Vandalische
Reichskanzlei und Königsurkunde im Vergleich mit verwandten Einrichtungen und Erscheinugen, in: (Hg.): MIÖG, Erg.
Bd. 11, Innsbruck 1929, S. 89-124. Heinz
Heubner: Die Überlieferung der
Germania des Tacitus, in: Dieter Timpe und Herbert Jankuhn (Hg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des
Tacitus, I, Göttingen 1989, S. 16-27. Hans
Hildebrand: Det Svenska Riksvapnet,
in: Antiqvarisk tidskrift 7 (1884), S. 59-102. Heinz
Hofmann: Neues Handbuch der
Literaturwissenschaft. 4. Spätantike. Mit einem Panorama der byzantinischen Literatur, Wiesbaden 1997. Oswald
Holder-Egger: Über einige bairische
Heiligenviten, in: NA 13 (1889), S. 19-34. Alexander
Horawitz; Klaus Hartfelder (Hg.):
Beatus Rhenanus Briefwechsel, Leipzig 1886. Pontus
Hultén (Hg.): The true story of the
Vandals. Museum Vandalorum Värnamo, Värnamo 2001. Paul
Joachimsen: Geschichtsauffassung
und Geschichstschreibung in Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, Beiträge zur
Kulturgeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Heft 6, Leipzig 1910. Hans-Dietrich
Kahl: Heidnisches Wendentum und
christliche Stammesfürsten. Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und
Universalreligion im abendländischen Hochmittelalter, in: AfKuG 44 (1962), S. 72-119. |
211 |
Horst Kirchner: Das germanische Altertum in der deutschen Geschichtsschreibung des achtzehnten Jahrhunderts, Historische
Studien Heft 333, Berlin 1938. Gerhard
Köbler: Historisches Lexikon der
deutschen Länder. Die deutschen Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 61999. Leszek
Kolakowski: Main Currents of
Marxism. 1. The Founders, Oxford 1978. August
von Kotzebue: Preußens ältere
Geschichte, Band 1, Riga 1808. Otto
Krabbe: David Chyträus, Rostock
1870. Otto
Krabbe: Die Universität Rostock im
15. und 16. Jahrhundert. Teil 1, Rostock 1878. Hans
Krahe: Das Venetische. Seine
Stellung im Kreis der verwandten Sprachen, Heidelberg 1950. Hans
Krahe: Sprache und Vorzeit.
Europäische Vorgeschichte nach dem Zeugnis der Sprache, Heidelberg 1954. Bruno;
Autorenkollektiv Krüger (Hg.): Die
Germanen. Geschichte und Kultur der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden,
Berlin 1976. Bruno
Krusch: Der Bayernname, Der Kosmograph
von Ravenna und die Fränkische Völkertafel, in: NA 47 (1928), S. 31-76. Alfons
Kurfess: Sibyllinische
Weissagungen, München 1951. Peter
Lauring: Geschichte Dänemarks,
Neumünster 1964. Walter
Lendi: Untersuchungen zur
frühalamannischen Annalistik. Die Murbacher Annalen, Freiburg 1971. Alphons
Lhotsky: Privilegium Maius. Die
Geschichte einer Urkunde, Österreich Archiv, München 1957. Fritz
Losek: Conversio Bagoariorum et
Carantanorum und der Brief des Erzbischofs Theotmar von Salzburg, MGH Studien und Texte Band 15,
Hannover 1997. Christian
Lübke: Regesten zur Geschichte der
Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr 900 an). Teil IV. Regesten 1013-1057, Osteuropastudien der
Hochschulen des Landes Hessen. Reihe I. Giessener Abhandlungen zur Agrar- und Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens. Band 152, Berlin 1987. Max
Manitius: Geschichte der
lateinischen Literatur des Mittelalters. Erster Teil: Von Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts, Handbuch der Altertumswissenschaft 9, 2, 1, München 1911. J.R.
McGeachy: The Glossarium Salomonis
and its Relationship to the Liber Glossarum, in: Speculum 13 (1938), S. 309-318. Aloys
Meister (Hg.): Gebhardts Handbuch
der Deutschen Geschichte. Erster Band. Von der Urzeit bis zur Reformation, Berlin 61922. Hans
Messmer: Hispania-Idee und
Gotenmythos. Zu den Voraussetzungen des traditionellen vaterländischen Geschichstbilds im spanischen
Mittelalter, Geist und Werk der Zeiten Heft 15, Zürich 1960. Pierre
Michel: Barbarie, Civilisation,
Vandalisme, in: Rolf; Schmitt Reichardt, Eberhard (Hg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in
Frankreich 1680- 1820, 8, München 1988, S. 7-51. |
212 |
Franz Miltner: s.v. Vandalen, in: RE VIII A,1 (1955), S. 298-335.
Eva
Moldenhauer; Karl Markus (Hg.):
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Werke 12, Frankfurt/Main
1970. John
Moorhead: Victor of Vita: History
of the Vandal Persecution. Translated with notes and introduction, Translated Texts for Historians 10,
Liverpool 1992. Olaf
Mörke: Bataver, Eidgenossen und
Goten: Gründungs- und Begründungsmythen in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden in
der frühen Neuzeit, in: Helmut Berding (Hg.): Mythos und Nation. Studien
zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3,
Frankfurt/Main 1996, S. 104-132. Rudolf
Much: Die Germania des Tacitus,
Heidelberg 31967. Ulrich
Muhlack: Geschichtswissenschaft im
Humanismus und in der Aufklärung. Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991. Erich
Nellmann: Die Reichsidee in
deutschen Dichtungen, München 1963. Peter
Neumeister: Die slawische
Ostseeküste im Spannungsfeld der Nachbarmächte (bis 1227/1239), in: Christian Lübke und Ole Harck
(Hg.): Zwischen Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und
ihren slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer internationalen Konferenz Leipzig 4.-6. Dezember 1997, Stuttgart
2001, S. 37-57. Viktor
Anton Nordmann: Die Wandalia des
Albert Krantz, Tom. XXIX, Suomalaisen Tiedeakamian Toimituksia/ Annales Academiae Scientiarum Fennicae, Helsinki 1934. Massimo
Pallotino: Etruskologie. Geschichte
und Kultur der Etrusker, Berlin 1989. Felix
Papencordt: Geschichte der
vandalischen Herrschaft in Afrika, Berlin 1837. Richard
Georg Plaschka: Von Palackybis Pekap. Geschichtswissenschaft und Nationalbewußtsein bei
den Tschechen, Wiener Archiv für Geschichte des Slawentums und Osteuropas 1, Graz/Köln 1955. Walter
Pohl: Das awarische Khaganat und
die anderen Gentes im Karpatenbecken (6.-8. Jh.), in: Bernd Hänsel (Hg.): Die Völker
Südosteuropas im 6.-8. Jh. . Symposion Tutzing 1985. Südosteuropajahrbuch 17, Wien
1987, S. Walter
Pohl: Die Awaren. Ein Steppenvolk
in Mitteleuropa 567 - 822 n. Chr., Reihe 'Frühe Völker', München 1988. Walter
Pohl: Die Germanen, Enzyklopädie
deutscher Geschichte Band 57, München 2000. Walter
Pohl: Die Völkerwanderung.
Eroberung und Integration, Stuttgart 2002. Erich
Polaschek: Ptolemaios als Geograph,
in: RE Suppl. 10 (1965), S. 733-770. Jutta
Reisinger; Günter Sowa: Das
Ethnikon Sclavi in den lateinischen Quellen bis zum Jahr 900. Beiheft Nr. 6, Glossar zur frühmittelalterlichen
Geschichte im östlichen Europa, Stuttgart 1990. Colin
Renfrew: Archaeology and Language.
The Puzzle of Indo-European Origins, London 1989. Thomas
Riis: Les institutions politiques
centrales du Danmark 1100-1332, Odense University Studies in History and Social Sciences Vol. 46, Odense
1977. Walter
Rüegg: Geschichte der Universität
in Europa. Band II. Von der Reformation zur Französischen Revolution (1500 - 1800), München 1992.
|
213 |
Pavel Joseph Schafarschik: Slawische Alterthümer, deutsch von Mosig von Aehrenfeld, 1 und 2, Leipzig 1844. Martin
Schanz; Carl Hosius; Gustav Krüger:
Geschichte der römischen Literatur von den Anfängen bis zum Gesetzgebungswerks des Kaisers Justinian 4,
2: Die römische Literatur von Constantin bis zum Gesetzgebungswerk
Justinians. Die Literatur des fünften und sechsten Jahrhunderts, 4, 2, Handbuch der Altertumswissenschaft 8, 4, 2, München 31920. Herbert
Schelesniker: Der Name der Slawen.
Herkunft, Bildungsweise und Bedeutung, Innsbruck 1973. Eugen
Carl Scherers: Geschichte und
Kirchengeschichte an den deutschen Universitäten, Freiburg 1927. Ludwig
Schmidt: Die Wandalen, Dresden 11901/1942.
A.
E. Schönbach: Des Bartholomaeus
Anglicus Beschreibung Deutschlands gegen 1240, in: MIÖG 27 (1906), S. 54-90. Martin
Schönfeld: Wörterbuch der
altgermanischen Personen- und Völkernamen, Heidelberg 1911. Andreas
Schwarcz: Bedeutung und
Textüberlieferung der Historia persecutionis Africanae provinciae des Victor von Vita, in: Anton Scharer und Georg
Scheibelreiter (Hg.): Historiographie im frühen Mittelalter, Wien
1994, S. 115-140. Klaus
von See: Europa und der Norden im
Mittelalter, Heidelberg 1999. Bernhard
Sepp: Nochmals zur Legende der hl.
Marinus und Annian, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens XXXIV (1913),
S. 719- 734. Rolf
Sprandel: Quellen zur Geschichte
der Hanse, AusgQqMA 36, Darmstadt 1982. Gerard
Sprigath: Sur le vandalisme
révolutionnaire, in: Annales historique de la Révolution Francaise 52 (1980), S. 510-535. Ludwig
Steinberger: Wandalen=Wenden, in:
Archiv für slavische Philologie 37 (1920), S. 116-122. Ludwig
Steinberger: Zum dritten Male die
Legende der hl. Marinus und Annian, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens
XXXV (1914), S. 305-307. Ludwig
Steinberger: Zur Legende der hl.
Marinus und Annian. Patrone des Stifts Rott, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des
Benediktinerordens XXXIV (1913), S. 110-131. E.
Steinmeyer; E. Sievers: Die
althochdeutschen Glossen I-IV, Berlin 1893ff. Harald
Stemmermann: Die Anfänge der
deutschen Vorgeschichtsforschung, Berlin 1934. Jan
Svennung: Zur Geschichte des
Goticismus, Skrifter Utgivna av K. Humanistiska Vetenskapssamfundet i Uppsala. Acta Societatis
Litterarum Humaniorum Regiae Upsaliensis 44:2 B, Stockholm 1967 a. Heinrich
Thomas: Bemerkungen zu Datierung,
Gestalt und Gehalt des Annolieds, in: ZDPh 96 (1977), S. 24-61. Dieter
Timpe: Die Söhne des Mannus, in:
Chiron 21 (1991), S. 69-124. |
214 |
Dieter Timpe: Romano-Germanica. Gesammelte Studien zur Germania
des Tacitus, Stuttgart 1995. Hans-Jürgen
Torke: Lexikon zur Geschichte
Rußlands, München 1985. Jürgen
Untermann: Veneti, in: RE Suppl. XV
(1978), S. 855-898. Wilhelm
Wackernagel: Das Wessobrunner Gebet
und die Wessobrunner Glossen, Berlin 1827. Franz
Xaver Wegele: Geschichte der
deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Historismus, Geschichte der Wissenschaften in
Deutschland. Neueste Zeit. 20. Band. Geschichte der deutschen Historiographie,
München 1885. Reinhard
Wenskus: Stammesbildung und
Verfassung. Das Werden der frühmittelalterlichen Gentes, Köln 21961/1977. Gustav
Wolf: Quellenkunde der deutschen
Reformationsgeschichte. Band I und II, Gotha 1915. Herwig
Wolfram: Conversio Bagoariorum et
Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und
Pannonien, Böhlau Quellenbücher, Wien 1979. Herwig
Wolfram: Das Reich und die
Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter, Deutsche Geschichte 1, Berlin
31998. Herwig
Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen
bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München 42001. Herwig
Wolfram: Grenzen und Räume.
Geschichte Österreichs vor seiner Entstehung. 378-907, Wien 1995. Herwig
Wolfram: Intitulatio I. Lateinische
Königs- und Fürstentitel bis zum Ende des 8. Jahrhunderts, Erg. Bd. 21, MIÖG, Graz 1967. Herwig
Wolfram: Konrad II. (990-1039).
Kaiser dreier Reiche, München 2000. Herwig
Wolfram: Salzburg. Bayern.
Österreich. Die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit, MIÖG Ergänzungsband 31, Wien
1995. Joseph
Frederick Zacek: Palacky. The
Historian as Scholar and Nationalist, The Hague/Paris 1970. Heinrich
Zeissberg: Die polnische
Geschichtsschreibung des Mittelalters, Preisschriften gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich
Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig, Leipzig 1873. Kaspar
Zeuss: Die Deutschen und die
Nachbarstämme, München/ Heidelberg 21837/1925. Erich
Zöllner: Geschichte der Franken bis
zur Mitte des sechsten Jahrhunderts, München 1970. |