1

Roland Steinacher

Studien zur vandalischen Geschichte

 

Die Gleichsetzung der Ethnonyme Wenden, Slawen und Vandalen vom

Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert

Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie aus der

Studienrichtung Geschichte eigereicht an der Geistes- und

Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien

 

bei

 

Herwig Wolfram und Walter Pohl

Wien, im Juni 2002


2

Meinem Großvater Stefan Widmann

 

1914 - 2002


3

VORWORT........................................................................................................................5

 

EINLEITUNG: DIE HISTORISCHEN VANDALEN UND IHR BILD IN DER EUROPÄISCHEN GESCHICHTE...............................................................................10

 

I. DIE ETHNONYME "WENDEN" UND "SLAWEN".............................................28

I.1. DIE VORGESCHICHTE DER BEZEICHNUNG 'WENDEN' ............................................28

I.1.1. Wenden.............................................................................................................28

I.1.2. Das Ethnonym Veneder (Oçen¡dai/ Venedi/ Venethi) bei Klaudios Ptolemaios,

Plinius und Tacitus....................................................................................................29

I.1.3. Die Anwendung des Venedernames auf die Slawen seit dem sechsten

Jahrhundert und die Identifizierung der Veneder als "Urslawen"............................31

I.2. GRUNDZÜGE DER SLAWISCHEN GESCHICHTE ........................................................35

I.3. DIE ETHNONYME "SLAWEN", "ANTEN" UND "VENETHI" IN DEN QUELLEN DES

SECHSTEN JAHRHUNDERTS: PROKOP, JORDANES, THEOPHYLAKTOS SIMOKATES.....45

II. VANDALEN = WENDEN. EIN FRÜHMITTELALTERLICHES ETHNONYM

MIT LANGEM NACHLEBEN......................................................................................53

II.1. DIE GLEICHUNG WENDEN = VANDALEN IN QUELLEN SEIT DEM 8. JAHRHUNDERT

.......................................................................................................................................53

II.1.1. Salomoglossar/ Glossae Salomonis (9. Jh.)....................................................53

II.1.2. Wessobrunner Glossen (9. Jh.) .......................................................................56

II.1.3. Annales Alamannici/ Murbacenses, Annales Sangallenses, Annales

Petavienses, Annales Fuldenses ................................................................................58

II.1.4. Rupertsvita (791/93) .......................................................................................60

II.1.5. Chronicon Vedastinum (10.Jh.) ......................................................................62

II.1.6. Adam von Bremen, Die Verwendung des Vandalennamens in den "Gesta

Hammaburgensis ecclesiae pontificum" (11.Jh.) ......................................................62

II.1.7. Helmold von Bosau, Chronica Slavorum (Mitte 12. Jh.)................................67

II.1.8. Vita sanctorum Marini et Anniani (Anfang 12. Jh.) .......................................71

II.1.9. Gottfried von Viterbo (12. Jh.)........................................................................72

II.1.10. Heinrich von Huntingdon, Historia Anglorum, Buch V und VI (Mitte 12. Jh.)

...................................................................................................................................74

II.1.11. Gervasius von Tilbury (frühes 13. Jh.) .........................................................79

II.1.12. Dänemark und die Slawen im 12. Jahrhundert; Saxo Grammaticus - Gesta

Danorum; Der dänische Königstitel rex Danorum Sclavorumque ...........................80

II.1.13. Chronicon Balduini Ninoviensis (2. H. 13. Jh.)............................................88

II.1.14. Bartholomaeus Anglicus: Der Vandalenname im Buch "De provinciis" der

"De proprietatibus rerum" ........................................................................................89

II.1.15 Die polnischen Vandalentraditionen. Vincentius Kadlubek, Mierszwa und

Baszko Boguphal (13. Jh.).........................................................................................92

II.1.16. "Vandali, qui nunc Poloni dicuntur". Jan Dlugosz (15. Jh.)........................96

II.2. PAWEL JOSEF SCHAFARSCHIKS THESEN VON 1837 ..............................................98

II.3. EIN (EIGENER) ERKLÄRUNGSVERSUCH...............................................................102


4

III. DIE GLEICHSETZUNG WENDEN = VANDALEN IM DEUTSCHEN UND

DEREN ZURÜCKWEISUNG IM POLNISCHEN HUMANISMUS.......................115

III.1. DER PSEUDO-BEROSSOS UND DIE VERBINDUNG DER BIBLISCHEN GESCHICHTE

MIT TACITUS IN DER HUMANISTISCHEN HISTORIOGRAPHIE ......................................115

III.1.1. Exkurs: Alexander der Große und Julius Caesar in der politischen

Traditionsbildung des Mittelalters ..........................................................................119

III.2. HUMANISTISCHE IDEEN ZUM VERHÄLTNIS VON WENDEN UND VANDALEN.

ZWISCHEN VORNATIONALER IDENTITÄT UND HÖFISCHER GESCHICHTSSCHREIBUNG121

III.2.1. Die Gleichsetzung zeitgenössischer mit antiken ethnischen Identitäten in der

humanistischen Historiographie .............................................................................121

III.2.2. Albert Krantz. Die "Wandalia" und die Germanisierung der Slawen.........127

III.2.3. Martin Cromer. Die Slawen als "sarmatisches" Volk.................................138

III.2.4. Die Slawisierung der Vandalen. Dubravius und Schurtzfleisch..................141

III.2.5. Die neutrale Position des Aenaes Silvius Piccolomini................................142

III.2.6. Nicolaus Leuthingers Brandenburgische Geschichte..................................144

III.2.7. Mecklenburg - Das slawische Abodritenland wird im 12. Jahrhundert das

Land Mecklenburg. Die Vandalen/Wenden in der höfischen Geschichtsschreibung

Mecklenburgs im 16. und frühen 17. Jahrhundert ..................................................146

IV. DIE HISTORISIERUNG DES VANDALENNAMENS .....................................156

IV.1. DIE ENTWICKLUNG VON DER GLEICHSETZUNG VANDALEN=WENDEN ZUR

HISTORISCHEN DARSTELLUNG IN WÖRTERBÜCHERN UND ANDEREN TEXTEN DES 16. -

18. JAHRHUNDERTS.....................................................................................................156

IV.2. DER SCHWEDISCHE KÖNIGSTITEL REX SUECORUM, GOTORUM VANDALORUMQUE

.....................................................................................................................................163

IV.3. DAS 18. JAHRHUNDERT......................................................................................167

IV.3.1. Philipp Clüver (Cluverius): "Germania antiqua libri tres" ........................168

IV.3.2. Johann Jacob Mascov..................................................................................170

IV.3.3. Johann Christophoph Jordan: "De originibus slavicis opus chronologico-

geographico-historicum".........................................................................................172

IV.3.4. Johann Christoph Gatterer: Veneder und Vandalen sind Germanen .........174

IV.3.5. Conrad Mannert ..........................................................................................178

IV.3. 6. Ludwig Albrecht Gebhardi: "Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten"

.................................................................................................................................180

IV.4. WISSENSCHAFTLICHE POSITIONEN AUF DER BASIS HERDERS UND DER

PANSLAWISMUS. DIE VENEDER ALS 'URSLAWEN'......................................................185

IV.4.1. Der polnische Graf Potocki wirbt in Paris für die slawische Sache ...........187

IV.4.2. Pawel Josef Schafarschiks "Slawische Althertümer" von 1837 ..................188

V. RESÜMEE ................................................................................................................195

 

ANHANG .......................................................................................................................197

A. ABKÜRZUNGEN.......................................................................................................197

B. QUELLEN.................................................................................................................200

B.1. Quellen bis zum 15. Jahrhundert in Editionen.................................................200

B.2. Quellen vom 15. Jahrhundert bis 1800............................................................205

C. LITERATUR..............................................................................................................208


5

Vorwort

Der Verfasser der ersten wissenschaftlichen deutschsprachigen Monographie zur

vandalischen Geschichte, Conrad Mannert, äußerte sich im Jahr 1785 zu den

Fragestellungen dieser Dissertation wenig optimistisch.

 

"Den Spuren der übrigen Haufen nachzuforschen, oder anzuzeigen, wie oft der

Name der Vandalen bey verschiedenen Schriftstellern in verschiedenen Gegenden

und Kriegen um diese Zeit (dem Mittelalter, d. V.) noch vorkommt, würde unnüz,

weitläufig, ermüdend, und das erstere auch wohl unmöglich seyn."1

 

Dieses Urteil entspringt der im 18. Jahrhundert entwickelten Abneigung, gegen

die Verwendung des Vandalennamens außerhalb der durch Quellen

absicherbaren antiken und frühmittelalterlichen Geschichte. Noch im 17.

Jahrhundert wurde der Vandalenname häufig als Bezeichnung der slawischen

Wenden in Mecklenburg und anderen Territorien gebraucht. Im gelehrten

Schrifttum mangelt es nicht an Werken, die regelmäßig die Latinisierung Vandali

für das deutsche Wenden gebrauchen.

 

Das Ethnonym Wenden ist in verschiedenen Varianten seit dem sechsten

Jahrhundert in unserer schriftlichen Überlieferung zu greifen. Verwendet wurde

es zuerst als unpräziser Sammelbegriff für Slawen. Seinerseits geht es als

germanische Fremdbezeichnung auf das antike Venedi/Ouenedai oder Venethi

zurück und wird erst bei Jordanes im 6. Jahrhundert eindeutig als Benennung der

Slawen greifbar.2

 

Die Veneder, die nach den kaiserzeitlichen Autoren Plinius, Tacitus und

Ptolemaios an der oberen Weichsel und östlich der Elbe ansässig waren, wurden

auch in der Forschungsgeschichte immer wieder mit den Slawen in Verbindung

gebracht. Eine ethnische Zuordnung der Veneder ist aber keinesfalls möglich. Der

Name Wenedi wurde von den Germanen jedenfalls auf ihre neuen slawischen

1Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 17.

 

2Plinius, Naturalis Historia IV, 97; Ptolemaios, Geographika III, 5, 7-9; Tacitus, Germania 46;

Jordanes, Getica, 5, 34.


6

Nachbarn übertragen. Aufgrund der althochdeutschen Lautverschiebung steht in

den frühmittelalterlichen Quellen meist eine Form von Winida zu lesen. Diese

Bezeichnung findet sich in der lateinischen Überlieferung zur slawischen Frühzeit

bis ins Spätmittelalter als Synonym für Sclavi wieder, vor allem im

westfränkischen Bereich.3

 

Im ersten Kapitel der vorliegenden Dissertation wird der Frage nach der

Entstehung und Verbreitung des Slawennamens bei byzantinischen und

lateinischen Autoren nachgegangen. Weiters wird der Wendenname einer

eingehenden Untersuchung unterzogen. Sowohl die Forschungsgeschichte, als

auch aktuelle Positionen wurden dabei berücksichtigt. Ebenso wurde diesem

Kapitel ein kurzer Überblick über die slawischen Ethnogenesen und die

Geschichte Osteuropas bis ins hohe Mittelalter angefügt. Diese Vorgehensweise

schien notwendig, um eine gewisse Orientierung des Lesers in den folgenden

Kapiteln zu gewährleisten. Im Rahmen dieser Arbeit war es aber nur beschränkt

möglich, die umfangreiche Problematik in der notwendigen Ausführlichkeit

darzustellen.

 

Mittelalterliche Autoren verwendeten auch die Form Wandali für die

Slawen/Wenden. Dieser Namensgebrauch konnte in der Forschung bisher nicht

zureichend erklärt werden. Ziel des zweiten Kapitels dieser Arbeit war es, eine

Erklärung für dieses Phänomen zu entwickeln.

 

Seit dem achten Jahrhundert ist der Name der Vandalen in Bezug auf die Slawen

namentlich im süddeutschen Raum gebräuchlich. Als älteste Belege sind die

Wessobrunner Glossen und das Salomoglossar anzuführen.

 

Nach dem achten Jahrhundert findet sich diese Gleichsetzung von Wenden und

Vandalen in den Alamannischen Annalen, den Annales Sangallenses, den Annales

Petavienses, den Annales Fuldenses, der Rupertsvita, dem Chronicon Vedastinum

aus dem 10. Jahrhundert, bei Adam von Bremen in den Gesta Hammaburgensis

ecclesiae pontificum aus dem 11. Jahrhundert und in der Slawenchronik des

Helmold von Bosau aus der Mitte des 12. Jahrhunderts. Weitere Quellen des 12.

Jahrhunderts wie die Vita sanctorum Marini et Anniani, Gottfried von Viterbo,

Heinrich von Huntingdon, Gervasius von Tilbury, das Chronicon des Balduin von

3Reisinger und Sowa 1990, 10f.


7

Ninove, die Enzyklopädie des Bartholomaeus Anglicus und Saxo Grammaticus

nennen die Slawen ebenso Vandalen.

 

Teilweise läßt sich in diesen Quellen eine Einschränkung des Begriffs

Wenden/Vandalen auf die Elbslawen im Bereich zwischen Saale, Oder und

Ostsee beobachten. Daß die Allgemeinbezeichnung Slawen und damit auch der

Begriff Wenden im 12. Jahrhundert meist hinter spezifischere Namen wie Polen

oder Böhmen zurücktrat, ist in der Mediävistik Konsens.4

 

Im europäischen Maßstab griff im 12. Jahrhundert eine Diversifizierung und

'Nationalisierung' des Geschichtsinteresses Platz. Auch in den slawischen

Königreichen machte die Historiographie diese Entwicklung mit. Die polnischen

Beispiele solcher Geschichtswerke, die Chronica Polonorum des Vincentius

Kadlubek, die Fortsetzung derselben durch Mierszwa und die Chronik des

Baszko/Boguphal bieten Varianten einer Erzählung, die die Polen von den

Vandalen abstammen läßt. Noch im Geschichtswerk des Jan Dlugosz aus dem 15.

Jahrhundert findet sich der Satz Vandali, qui nunc Poloni dicuntur.

 

Gestützt wurden die polnischen Geschichtsmodelle des 12. bis 15. Jahrhunderts

mit der Völkergenealogie, die in der sogenannten 'Fränkischen Völkertafel'

enthalten ist.

 

Diese, in einer Beziehung zu Tacitus stehende, Quelle war wahrscheinlich vor

dem achten Jahrhundert im fränkischen Bereich die Ausgangsbasis für die

Gleichsetzung der Slawen/Wenden mit den Vandalen. Mit der Gleichsetzung

wurden die Verhältnisse, die die slawischen Ethnogenesen in den Jahrhunderten

zuvor geschaffen hatten, in ein europäisch-fränkisches Geschichtsbild integriert.

Die Besprechung der genannten Quellen und die Entwicklung dieser These ist

Inhalt des Kapitels II. der vorliegenden Arbeit.

 

Kapitel III. setzt mit erstmals in diesem Zusammenhang interpretierten

frühneuzeitlichen Quellen aus dem Norden des deutschen Sprachraums fort. Die

Verwendung des Vandalennamens hatte auf Basis der mittelalterlichen

Traditionen sowohl für die slawische Bevölkerung, als auch als Selbstbezeichnung

politischer Gebilde im 'Wendenland' eine lange Tradition.

4Reisinger und Sowa 1990, 18f; Graus 1980, 61.


8

Der Humanist Albertus Krantz (1448 - 1517) nahm diese Tradition in seiner 1519

posthum erschienenen Wandalia auf. Geschrieben hat er die Geschichte

verschiedener slawischer Völker, hanseatischer Städte und des herzoglich

mecklenburgischen Hauses, die er mit gelehrter Mühe an die antiken Vandalen

anzuschließen wußte. Diese Mühe wurde wesentlich durch den sogenannten

Pseudo-Berossos erleichtert. Es handelte sich bei diesem erstmals 1499 gedruckten

Text um eine humanistische Fälschung, die Elemente der biblischen Geschichte

mit den germanischen Genealogien des Tacitus zu verbinden suchte. Die von

Krantz vor allem auf Basis des Pseudo-Berossos vollzogene Germanisierung der

Slawen wurde im polnischen Humanismus, namentlich vom im Auftrag des

Königs Sigismund August schreibenden Martin Cromer, zurückgewiesen.

 

Seit dem 14. Jahrhundert ist die Bezeichnung wendische Städte für Danzig, Lübeck,

Wismar, Rostock, Stralsund, Königsberg, Riga und andere Hansestädte

gebräuchlich. Latinisiert wurde dies als vandalicae urbes. Die Bezeichnung

wendische Städte stand im Zusammenhang mit der Einteilung der Hanse in

Quartiere. Das Hansequartier mit dem Vorort Lübeck, das die aufgezählten Städte

umfaßte, wurde als wendisches Quartier bezeichnet. Auch im Namen des

pommerschen Teilherzogtums Wenden findet sich im Lateinischen die Form

Ducatus Vandaliae. Die gelehrte Latinisierung erst beinhaltete eine historische

Dimension, die von der humanistischen Geschichtsschreibung zu Spekulationen

verwendet werden konnte. Die Wurzeln der Bezeichnung reichen weit ins frühe

Mittelalter. Vor diesem Hintergrund kann eine Reihe von Geschichtskonzeptionen

aus dem Umkreis des mecklenburgischen Hofes gedeutet, erklärt und in einen

Zusammenhang gestellt werden.

 

Der zuerst in der dänischen und seit dem Wasakönig Gustaf I. auch in der

schwedischen Königstitulatur verwendete Wenden/Vandalenname steht in einem Zusammenhang mit durch humanistische Geschichtsmodelle gefestigten Herrschaftsansprüchen im 'Wendenland'.

 

Der Titel Suecorum, Gothorum Vandalorumque rex bringt den Anspruch der

schwedischen Monarchie im slawischen Teil des Ostseeraums zum Ausdruck.

Aufgrund der schwierigen Quellenlage und des geringen Interesses auch der

skandinavischen Forschung an diesen Fragen konnten hier aber nur wenige

Aussagen zu den Königstiteln erarbeitet werden.


9

Anhand von Wörterbüchern, Lexika und anderen Texten wird im vierten Kapitel

der Weg der Diskussion um Wenden und Vandalen vom 16. ins 18. Jahrhundert

angerissen. Feststellbar ist eine im Kapitel IV.2. weiterverfolgbare Negierung der Gleichsetzung Wenden = Vandalen, die die Wortverwendung auf einen Irrtum

der mittelalterlichen Autoren reduziert hat.

 

Kapitel IV.2. analysiert die deutschsprachige und zum Teil die tschechische

Diskussion um die Identität der Vandalen und der Veneder beziehungsweise der

Slawen vom 17. bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts. Dabei wurden neben

historischen Handbüchern und Überblickswerken wie denen von Johann Jacob

Mascov und Johann Christoph Gatterer auch Arbeiten zur Geschichte der Slawen herangezogen, wie die von Gebhardi und Jordan. Ein Ausblick auf das Werk von

Pavel Josef Schafarschik, dem Begründer der auf den Modellen Herders und

Humboldts fußenden slawisch-nationalen Geschichtswissenschaft, schließt das

Kapitel ab.

Herwig Wolfram und Walter Pohl möchte ich für die Chance, bei Ihnen zu lernen,

und die Betreuung dieser Dissertation herzlich danken. Robert Rollinger vom

Institut für Alte Geschichte der Universität Innsbruck wies die ersten Schritte in

Richtung Vandalen.

 

Das Projekt "Vandalische Geschichtsbilder" von Juli bis Dezember 2001 wurde von

der Universität Innsbruck als Graduiertenstipendium finanziert. Im Rahmen

dieses am Institut für Geschichte der Innsbrucker Universität durchgeführten

Projekts wurden Ergebnisse erarbeitet, die in die vorliegende Dissertation

einfließen konnten. Josef Riedmann sei herzlich für die Leitung des Projekts und

seine Hilfe gedankt.

 

Karin Schneider und Thomas Wallnig halfen in vielen wertvollen Gesprächen, die

Überlegungen und die Form dieser Arbeit zu verfeinern. Stefan Donecker

übersetzte Literatur aus dem Schwedischen. Dem geduldigen und freundlichen

Personal des Augustinerlesesaals der Österreichischen Nationalbibliothek und des Sonderleseraums der Innsbrucker Universitätsbibliothek sei für die Bereitschaft

gedankt, immer wieder viele verstaubte Folianten auszuheben.


10

Einleitung: Die historischen Vandalen und ihr

Bild in der europäischen Geschichte

Wer waren die Vandalen, die 429, als sie den Römern schon hinlänglich als

militärisches wie politisches Problem bekannt waren, unter nicht ganz geklärten

Umständen nach Afrika übersetzten und in kurzer Zeit die Provinzen Byzacena

und Proconsularis erobern? Eroberer, Einwanderer, ein nomadisches Volk, edle

Wilde, Ketzer, brutale Zerstörer und Feinde der Kirche, die die Rechtgläubigen

verfolgen und die Voraussetzung für viele Wunder schaffen, Leute, die die

gerechte Strafe Gottes ausführen, verweichlichte Schwächlingen, die nur in

Annehmlichkeiten leben wollen, bald schon Mäzene und Euergeten,

kunstliebende Villenbesitzer und Literaturliebhaber. Die Quellen sind sich nicht

einig, im Gegenteil.5

 

Die Vandilier, Burgundionen und Rugier waren eine von kaiserzeitlichen Autoren

erwähnte germanische Völkergruppe, deren Ethnogenese nicht restlos geklärt ist.

Ähnlich wie bei den Gutonen-Goten greifen wir zwar eine Namenskontinuität,

können aber wenig über die ethnischen Prozesse hinter diesen Namen aussagen.

Im Osten der Germania an Oder und Weichsel seßhaft, waren diese Völker den

ethnisch nicht zuordenbaren Venedern benachbart. Tacitus, Plinius und

Ptolemaios sind sich in ihren Berichten über diese Völker nicht einig.6

 

Kurz nach 400 brach eine gotische Gruppe aus dem Gebiet der unteren und

mittleren Donau nach Italien auf. Die Alanen, ein Stammesverband skythisch-

sarmatischer Herkunft, die Sueben und die Vandalen zogen gemeinsam in

Richtung Gallien. Die genaue Zusammensetzung dieser Verbände ist eine

komplexe Fragestellung. Neben den erwähnten gentes dürften sich auf allen

Etappen der Migration zwischen der pannonischen Tiefebene und Afrika

römische Deserteure, entflohene Sklaven, Abenteurer und Menschen, die sich als

nun 'germanische' Krieger einfach mehr Chancen erwarteten, als in ihrer

vorherigen sozialen Umgebung, angeschlossen haben. Gens bezeichnet eine

5Vgl. zur Geschichte der Vandalen: Pohl 2002, 70-86; Wolfram 1998, 228-257; Diesner 1966; Miltner

1955; Courtois 1955; Berthier 1951; Schmidt 1901/1942; Papencordt 1837.

 

6Vgl. neuerdings Pohl 2002, 70; Pohl 2000, 22f.


11

Großgruppe wie eine Sippe, einen Stammessplitter, wie eine Konföderation

mehrerer ethnischer Einheiten. Hinzu kommt, daß die völkerwandergszeitlichen

gentes keinen Zustand implizieren, sondern einen offenen Prozeß. Wer mitkämpft,

gehört dazu. Die gens vergrößert und erweitert sich ständig. Ein Beispiel aus

einem etwas anderen Umfeld: Ein gefangener römischer Baumeister errichtete

seinem hunnischen Herrn in Pannonien ein Bad aus Spolien. Nach der

Fertigstellung des Gebäudes machte der hunnische Herr den Experten zum

Badeknecht, der heizen und waschen mußte. Ein anderer Römer diente demselben

Hunnen als Krieger und kämpfte in mehreren Schlachten an seiner Seite. Keine

zwei Jahre vergingen, und der Römer war ein hunnischer Krieger geworden,

äußerlich nicht mehr von den anderen zu unterscheiden.7

 

Die gentes waren aufnahmebereit für Einzelne oder ganze Gruppen. Die Frage

nach Sprache, Hautfarbe oder selbst Religion war nicht das Thema. Grund für den

Aufbruch der Alanen, Vandalen und Sueben dürften die Bewegungen der

Hunnen gewesen sein, verbunden mit der Hoffnung, in den Kernprovinzen des

Westreichs mit ihrer alten, wohlhabenden Städtelandschaft ein besseres Leben

führen zu können.

 

Nach dem Eindringen ins römische Imperium im Jahr 406 durchzog der

vandalische Verband zusammen mit Alanen und Sueben etwa zwei Jahre lang

Gallien. Im ganzen sind die zur Verfügung stehenden Quellen für den

Vandaleneinfall von 406 dünn gesät. Hieronymus berichtete in einem Brief aus

Palästina von den Zerstörungen, die die Vandalen angerichtet haben sollen.

Mainz, Speyer, Worms, Tournai, Straßburg und Reims seien wie viele andere

Städte geplündert worden. Die arianischen Vandalen sollen die Kirchen

geschändet und viele Priester getötet haben. Die Traditionen der späteren

französischen Klöster und Bischofsstädte enthielten diverse Märtyrerlegenden, die

unmittelbar mit den Plünderungen der Vandalen oder der Erettung von diesen in

Zusammenhang standen. Solche Märtyrer sind beispielsweise Exuperius von

Toulouse und Antidius von Besançon. Diese Traditionen sind in aller Regel aber

erst seit karolingischer Zeit greifbar.8

7Vgl.: Wolfram 2001, 20; Nach Priscus, Fragment 8.

 

8Hieronymus, Eoistola 123; Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem II, 2.

Pohl 2002, 74 und Anm. 25; Courtois 1955, 38ff und 44ff; Courcelle 1964, 79ff; Miltner 1955, 305f.


12

Die rege Editionstätigkeit im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts, genannt sei

nur das benediktinische Projekt der Acta Sanctorum, rief viele dieser

Märtyrertraditionen und Wundergeschichten wieder in ein allgemeineres

Bewußtsein. Durch diese hagiographische Topik waren die Vandalen in der Zeit

der Prägung des Begriffs vandalisme durch Henri-Baptiste Grégoire als

Namensgeber für ein solches Vokabel naheliegend. Ihnen haftete der nun auch

gedruckt verbreitete Ruf an, Verursacher von in Frankreich nie wieder zu

erduldenden Verwüstungen gewesen zu sein.

 

Nach 408 zog der alanisch-vandalisch-suebische Verband nach Spanien weiter

und errichtete dort kurzlebige Staatswesen. Die Provinzen Hispaniens wurden

unter den Eroberern aufgeteilt. Nach dem Chronisten Hydatius teilten sich die

Eroberer die Halbinsel folgendermaßen auf: Die Alanen erhielten Lusitanien und

die Carthaginensis, die silingische Teilgruppe der Vandalen bekam die Baetica,

also das heutige Andalusien, und die restlichen Vandalen und Sueben die Provinz

Galaecia im Nordwesten Spaniens. Die Tarraconensis, das heutige Katalonien,

blieb den wenig später eintreffenden Westgoten unter ihrem König Athaulf. Wie

in diesem Jahrhundert häufig schlossen die Römer 417 als Gegenmaßnahme einen Bündnisvertrag mit den Westgoten. Ein römisch-westgotisches Heer zerstörte

daraufhin das silingische und das alanische Staatsgebilde in Spanien. Die

Hasdingen wurden zu einem neuen Sammelpunkt, und Alanen wie Silingen

schlossen sich dem Königtum des Hasdingen Gunderich an. Sein Nachfolger

Geiserich führte den nun schon lange miteinander kämpfenden und wandernden

Verband nach Afrika. Die Sueben blieben in Spanien und ihr Reich in Galizien

hatte bis ins späte 6. Jahrhundert Bestand.9

 

Afrika war eine der wohlhabendsten Gegenden des römischen Reichs. Im Mai 429

überquerten die Vandalen und Alanen die Meerenge von Gibraltar. Nach der

Landung zogen sie die Küste entlang westwärts bis nach Hippo Regius, das

monatelang belagert wurde. Augustinus war der Bischof dieser Stadt. Er starb im

August 430, noch bevor die Stadt von Geiserich erobert werden konnte. Nach

diversen militärischen Aktionen gestand die Reichsregierung den Vandalen 436

Gebiete in Mauretanien und Numidien zu. 439 eroberten diese aber unter Bruch

des Vertrags Karthago. Karthago war zu dieser Zeit eine der drei größten Städte

des Mittelmeerraums. Mit Karthago als Hauptstadt errichteteten die Eroberer nun

ein regnum, vergleichbar dem der Ostgoten in Italien, in den reichen Provinzen

 

 

9Diesner 1966, 25ff; Wolfram 1998, 235ff; Hydatius, Cont. Chron., AD 411 - 418.


13

Byzacena und Proconsularis, was etwa dem Gebiet des heutigen Tunesien

entspricht . Auch diese Sachlage erkannte die Regierung in Ravenna 442 mit

Vertrag an, der Kaiser in Konstantinopel ließ sich damit bis 472 Zeit und riskierte

noch einen fehlgeschlagenen Invasionsversuch.10

 

Die Vandalen schafften es im folgenden, das westliche Mittelmeer unter ihre

Kontrolle zu bringen. Sardinien, Korsika, Sizilien und die Balearen waren Teil des

Regnum, wiederholt wurden die Küsten Süditaliens und Griechenlands

geplündert. 455 gelang es Geiserich sogar Rom zu erobern und mit großer Beute,

darunter der von Titus im Jahr 70 nach Rom gebrachte jüdische Tempelschatz aus

Jerusalem, nach Karthago zurückzukehren. Im Vandalenreich selbst kam es zu

konfessionellen Kämpfen, da Geiserich und sein Sohn Hunerich den Arianismus

bei der katholischen Mehrheit durchzusetzen versuchten. Die katholische

Historiographie (Victor von Vita, Fulgentius von Ruspe), die von diesen Kämpfen

berichtet, ist die beste uns zur Verfügung stehende Überlieferung zum regnum,

prägt aber natürlich ein sehr einseitiges Bild von der vandalischen Herrschaft.

 

Wie das vandalische Regnum im Detail organisiert war, ist eine offene

Forschungsfrage. Den Eroberern war jedenfalls enteigneter Besitz römischer Großgrundbesitzer zugewiesen worden, die sogenannten sortes Vandalorum. Die

Klagen Victors von Vita und Prokops, die Römer seien in Armut und Sklaverei

gestürzt worden, sind sicher übersteigert. Für die römischen Eliten war es einfach

schwierig, eine jahrhundertelange Tradition der Vorherrschaft als beendet zu

akzeptieren und sich am Hof des rex Vandalorum et Alanorum als Dichter und

Juristen zu verdingen.11

 

Die vandalische Aristokratie lernte schnell, die Vorzüge der verfeinerten

römischen Elitenkultur zu genießen. Die im Regnum entstandene Mischkultur

läßt sich gut anhand der 'vandalischen Hofdichtung' illustrieren. Im Umfeld

vandalischer Großer oder des Hofes waren lateinische Dichter tätig. Der Bogen

ihrer Themen reichte von der Klage "Inter 'eils' goticum 'scapia matzia itan

drincan/ Non audet quisquam dignos edicere versus."12 bis zur schwärmerischen

Huldigung des Dichters Florentinus an den König Thrasamund: "(...) Carthago

florens , Thrasamundi nomine regnans./ cuius ut imperium maneat per saecula

10Pohl 2002, 78f; Schmidt 1901/1942, 77ff; Diesner 1966, 56f; Clover 1990, 23.

 

11Vict. Vit., I 13; Prokop, BV, III 5; Pohl 2002, 81 und Anm. 63.

 

12Anthologia Latina, ed. D.R. Shackleton Bailey, 279.


14

felix,/ optamus domino multos celebrare per annos/ annua, dum repetit fulgentia

gaudia regni."13 Die unmittelbare Vorstufe literarisch-historiographischer

Leistungen vergleichbar derer im Ostgotenreich ist hier zu greifen.

 

Nach dem Friedensvertrag mit Byzanz ging die einzige ernsthafte Bedrohung des

Regnums von den Berbern (Numidae, Gaetuli, Mauri, Maurusier) aus. Diese

gründeten an der Wende vom 5. zum 6. Jahrhundert insgesamt acht Staatsgebilde

von Altava bis in die Tripolitana südlich der Provinzen Byzacena und Africa

Proconsularis. Einiges über diese politischen Gebilde läßt sich aus Inschriften und

aus Prokop schließen.14 Der Panegyrikus des Corippus zeugt von massiven Auseinandersetzungen der Byzantiner auch nach Ende des vandalischen Reichs

mit diesen berberischen Gruppen.15 Die Berber standen in vielfältigen

Beziehungen zu den Vandalen und Römern.16 Sie stellen die Landungstruppen

beim Unternehmen Geiserichs gegen Rom17 und wurden überhaupt als Seeleute

und Soldaten eingesetzt. 534 und 535 mußten byzantinische Truppen gegen

Mauren auf Sardinien aufmarschieren. Diese saßen dort als 'vandalische'

Militärsiedler.18 Verbannte Katholiken wurden zum maurischen König Capsur in

die Wüstengegend Caprapicta geschickt.19 Fulgentius meint, er ziehe es vor in

Gegenden zu sitzen, die von den Mauri bedroht würden, als in solchen, wo er den

Arianern ausgeliefert wäre.20

 

Erwähnt werden soll auch die Inschrift am Stein von Altava von 508 auf dem sich

die Formel "pro salute et incolumitate regis Masunae gentium Maurorum et

Romanorum" findet.21 Diese zeugt von der Übernahme römischer Staatsideen und

der Art und Weise, Herrschaft in berberischen Sonderreichen zu legitimieren.

 

 

13Anthologia Latina, ed. D.R. Shackleton Bailey, 371.

 

14Zu diesen maurischen Staatsbildungen vgl.: Wolfram 1998, 243f; Gsell 1929, 56ff; Courtois 1955,

333ff.

 

15Boissier 1901, 5-9 und 351-360; Bouchier 1913, 4-12; Courtois 1955, 104-112; Schmidt 1901/1942,

23.

 

16Courtois 1955, 325-359; Diesner 1966, 145-150.

 

17Die Quellen zu diesem Unternehmen von 455 am besten bei: Schmidt 1901/1942, 79; Prokop BV,

I 5.

 

18Prosper Tiro, 1357; Prokop BV, II 7.

 

19Vict. Vit. I, 35; Courtois 1955, 37f.

 

20Vita Fulgentii 6, 3.

 

21Wolfram 1967, 82f; Miltner 1955, 322.


15

Berberische Herrscher nannten sich imperator oder wie oben gesagt König der

Mauren und Römer.

 

Der von den Mauren offenbar imitierte vandalische Königstitel rex Vandalorum et

Alanorum findet sich mehrfach bezeugt unter Hunerich und Gelimer. Der

Anspruch dieses Titels bezog die Alanen als zweite beteiligte Gruppe mit ein.

Diese Titulatur ist in den beiden Königsdiplomen Hunerichs bei Victor von Vita

und dann erst in einer Inschrift auf einer Silberschale Gelimers bezeugt.22

 

Nachdem König Geiserich im Januar 477 gestorben war folgte ihm sein ältester

Sohn Hunerich auf den Thron. Um einen Thronstreit unter seinen Söhnen und

Nachkommen zu verhindern, hatte Geiserich eine Erbfolgeregelung hinterlassen:

Jeweils der älteste seiner Söhne und Nachkommen sollte die Herrschaft antreten.

Diese Regelung benachteiligte die Söhne des Königs und gab dessen Brüdern,

Neffen oder anderen männlichen Verwandten den Vorrang. Die Folge dieser

Verfügung des Reichsgründers Geiserich waren eine Reihe von Morden in der

Königssippe. Hunerich hatte zwei Brüder, Theoderich und Gento. Offenbar um

die Thronfolge für seinen Sohn Hilderich zu sichern, kam es zu tätlichen

Angriffen gegen diese Familienmitglieder. Die Gattin Theoderichs und den

ältesten Sohn, der nach Victor von Vita höhere Bildung besaß, die Klassiker

kannte und eine rhetorische Ausbildung erhalten hatte, ließ Hunerich hinrichten.

Theoderich und der älteste Sohn Gentos namens Godagis starben in der

Verbannung. Jedenfalls blieben die beiden Söhne Gunthamund und Thrasamund

verschont und konnten später den Thron besteigen.23

 

Hunerich wurde als der große Katholikenverfolger bekannt. Der konfessionelle

Gegensatz wurde erst relevant, als Geiserich und vor allem sein Nachfolger

Hunerich den Versuch unternahmen, die Bedeutung der katholischen Amtskirche

zu bekämpfen. Eine von den Königen abhängige Kirche schien geeigneter, die in

Afrika etablierten Verhältnisse dauerhaft zu stabilisieren. Die katholische Kirche

22Vict. Vit., II 39 und III 3; Zur Titulatur siehe Wolfram 1967, 79-87. Zu den Urkunden siehe

Heuberger 1929, 93-104. Heuberger bezeichnet die beiden Stücke als Mandat (19. Mai 483) und

Verordnung (24. Februar 484).

 

23Prokop, BV, I 5; I 6; I 8; Vict. Vit. II, 12; Eine ausführliche Aufzählung der Quellen in PLRE II,

502f und bei Schmidt 1901/1942, 104f.

Vict. Vit., II, 12 und 13. Einen Stammbaum der hasdingischen Königssippe geben Schmidt

1901/1942, vorderes Deckblatt; PLRE II, 1333, Stemma 41 und Courtois 1955, 390.


16

war Teil der Reichskirche geblieben und ihre überseeischen Verbindungen waren

eine stete Bedrohung für den vandalischen Staat. Hauptquelle für die sehr

drastische Schilderung der Katholikenverfolgung des Königs ist Victor von Vitas

zweites und drittes Buch. Die erste Maßnahme bestand nach Victor in der

Verfügung, daß alle Inhaber von Hof- und Staatsämtern zum Arianismus zu

konvertieren hätten. Vermögenskonfiskationen und Verbannung wurden bereits

als Sanktionen eingesetzt. Der anfänglich gehegte Plan, das Vermögen

verstorbener Bischöfe einzuziehen und Neuwahlen von der Bezahlung einer

hohen Summe von 500 Solidi abhängig zu machen, wurde wegen befürchteter

byzantinischer Intervention wieder verworfen. Der nächste Schritt sei die

Verbannung von 4966 Bischöfen, Priestern und anderen Amtsträgern in

maurisches Gebiet gewesen. Victor von Vita scheint Augenzeuge dieser Vorgänge

gewesen zu sein und ergänzt die Erzählung mit dem Bericht einer Reihe von

Wundern, die das Leiden der Bekenner quasi belohnten. Verbannungsort war

wohl die Gegend um Kapsa im Süden der Byzacena, denn die Städte Sicca Veneria

und Lares werden als Sammelpunkte für den Zug der Verbannten erwähnt.24

 

Kaiser Zeno schickte daraufhin den Gesandten Reginus, um zu intervenieren.

Dieser vermochte offenbar nichts auszurichten, denn das bei Victor von Vita

wiedergegebene Mandat Hunerichs vom Himmelfahrtstag 483, dem 19. Mai, ruft

alle afrikanischen homousischen, also katholischen, Bischöfe zu einer

Rechtfertigung ihres Glaubens nach Karthago, und zwar für den ersten Februar

des folgenden Jahres. Anlaß für diese Maßnahme war nach dem Mandat die

wiederholte Übertretung des Verbots katholischer Religionsausübung in den

vandalischen Gebieten.25

 

Zu diesem erschienen etwa 466 Bischöfe aus Afrika und den zum vandalischen

Regnum gehörenden Inseln. Die "Notitia provinciarum et civitatum Africae"26

zählt die Namen der Bischöfe auf, die "Carthagine ex praecepto regali venerunt

 

 

24Vict. Vit., II, 26ff; Die Frage der Lokalisierung bei Courtois 1954, 38f.

 

25Vict. Vit., II, 39: Das Mandat ist datiert mit "sub die XIII. Kal. Junias anno septimo Hunerici", das

wäre der 20. Mai. In II, 38 steht aber es wäre am Himmelfahrtstag verlesen worden. Heuberger

1929, 103 und Schmidt 1901/1942, 106, Anm. 4 halten das Datum deshalb für falsch.

 

26Ed. C. Halm: MGH, Auct. Ant. III, p. 63-71. Die Bischöfe aus den Provinzen Africa Proconsularis,

Numidia, Byzacena, Mauretania Caesariensis, Mauretania Sitifiensis, Tripolitania und von der

Insel Sardinien werden genannt. An erster Stelle firmiert Eugenius von Karthago für die

Proconsularis, der ja auch erster Empfänger des Edikts Hunerichs war.


17

pro reddenda ratione fidei". Die Anregung des Wortführers Eugenius, auch

Vertreter der Kirche aus Ländern, die nicht unter vandalischer Herrschaft

stünden, einzuladen, wurde von Hunerich zurückgewiesen. Schon vor Beginn der

Debatten wurden einige führende Köpfe verbannt, gefoltert oder eingekerkert.

Der Bischof Laetus von Nepte wird kurz darauf auf dem Scheiterhaufen

verbrannt. Die arianische Geistlichkeit zeigt sich dann keineswegs gesprächsbereit

und boykottiert das Treffen. Die katholische Seite hatte ein schriftliches

Glaubensbekenntnis als Argumentationsbasis verfaßt, das Victor von Vita im

Volltext wiedergibt. Dieser "Liber fidei catholicae" wird dem König und der

arianischen Seite übergeben, von diesen empört zurückgewiesen, allein schon

wegen des Anspruchs auf die Bezeichnung 'Katholiken'.27

 

Die arianischen Geistlichen beschuldigen die Katholiken nun, in der Stadt

Aufruhr entfacht zu haben. Hunerich war erzürnt und reagiert prompt. Während

die Bischöfe sich in Karthago befanden, ließ der König alle Kirchen in den

Provinzen schließen und den Kirchenbesitz den arianischen Bischöfen übereignen.

Der katholische Bischof Victor von Vita läßt allerdings durchblicken, daß seiner

Ansicht nach diese Maßnahmen schon vorbereitet gewesen wären. Diese

Maßnahmen sollten zunächst nur bis zur Wiederaufnahme der Gespräche

aufrecht bleiben. Da es dazu nicht kam, erließ der König am 24. Februar eine

Verordnung, die die Anwendung der Ketzergesetze des Codex Theodosianus28

gegen alle katholischen Untertanen, die bis zum ersten Juni nicht zum Arianismus

übergetreten wären, vorsah. Wie angedroht begannen am ersten Juni 483 die Verfolgungsmaßnahmen. Eugenius wurde nach Tamallenum an der Grenze

zwischen Byzacena und Tripolitania verbannt, wo er vom arianischen Bischof

Antonius schikaniert wurde.29

 

Hunerich, der 484 gestorben war, folgten seine beiden Neffen Gunthamund (+496)

und Thrasamund. Thrasamund führte die antikatholische Politik fort und

verschied am sechsten Mai 523.30 Victor von Tunnuna erzählt, Thrasamund habe

seinem Nachfolger Hilderich am Totenbett das Versprechen abgenommen, der

 

 

27Vict. Vit., II, 56-101. Bei Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem II, 3 ist der "Liber fidei

catholicae" in der Form eines Briefs inseriert.

 

28Cod. Theod. XVI, 5, 52 und 54. Eine übersichtliche Zusammenstellung der Maßnahmen gibt

Schmidt 1901/1942, 108.

 

29Vict. Vit., III, 68.

 

30Schmidt 1901/1942, 121.


18

katholischen Kirche weder ihre Kirchen, noch ihre Privilegien wiederzugeben.

("hic ergo sacramento a decessore suo Trasamundo obstrictus, ne catholicis in

regno suo aut ecclesias aperiret aut privilegia restitueret.")31

 

523 trat Hilderich die Regierung an. Die Rücknahme der Repressionen seiner

Vorgänger unter Hilderich, also die Aufhebung aller antikatholischen

Verfügungen, führte zu Spannungen in der vandalischen Elite. Der König wollte

seine Position durch einen Frieden mit der Kirche stärken.32 Nach einer massiven

militärischen Niederlage des vandalischen Heers unter Hoamer, Hilderichs

Neffen, gegen maurische Stämme, von der Prokop und Corippus erzählen,33

nutzte die innere Opposition im vandalischen Reich die Schwäche des Königs aus

und stürzte ihn. Eine Gruppe vandalischer Aristokraten scharte sich um Gelimer,

einen Enkel des von Hunerich ermordeten Gentos und Sohn Geilariths, und erhob

ihn 530 zum König. Hilderich, Oamer und andere Familienangehörige wurden

eingekerkert.34 Oamer, der Achilles der Vandalen,35 wird nach Prokop geblendet,

nach Victor von Tunnuna sogar getötet.36

 

Dieser Putsch gab Kaiser Justinian einen Vorwand, auf Basis des Vertrags von 474

zu intervenieren. 533 gelang es den Byzantinern unter Belisar, das vandalische

Reich zu erobern. Der byzantinische Historiker Prokop war Offizier in dieser

Armee und hinterließ einen Bericht über den Krieg, der auch ausführlich die

Vorgeschichte schilderte. Gelimer, der letzte Vandalenkönig, wurde gefangen vor

Kaiser Justinian nach Konstantinopel geführt. Als Verwandter des Kaisers - ein

Versuch der Friedenssicherung im fünften Jahrhundert hatte darin bestanden,

einen Vandalenprinzen mit der Tochter des Kaisers Zeno zu verheiraten - hat er

 

 

31Vict. Tonn., 523,2; Schmidt 1901/1942, 121.

 

32Courtois 1955, 289ff; Courcelle 1964, 183ff.

 

33Prokop, BV, I, 9: Die Vandalen erleiden eine schlimme Niederlage gegen die Maurusier der

Byzacena. Corippus, Iohannis, III, 262ff: Das geschlagene Heer kehrt zurück und stürzt den alten

und schwachen König. Daraufhin bringen die Krieger den "saevus (...) tyrannus", also Gelimer an

die Macht.

 

34Schmidt 1901/1942, 123ff; Diesner 1966, 97f; Wolfram 1998, 78.

Die Namensform Oamer entspricht der lateinischen Überlieferung, Hoamer der griechischen bei

Prokop, wie aus dem Quellenzitaten in der folgenden Anmerkung zu entnehmen ist.

35 Prokop, BV, I 9: Die vandalischen Feldzüge leitet „O‹mer, ein

 

"Žn¯r Žgayòw", "÷n d¯ kaÜ Axill¡a BandÛlvn ¤k‹loun".

 

36Prokop, BV, I 9; Victor Tonn., 531.


19

die Wahl mit seiner Familie auf ein Landgut nördlich der Hauptstadt in die

Verbannung zu gehen, oder dem Arianismus abzuschwören und in den Senat aufgenommen zu werden.37

Dem europäischen Mittelalter waren die Vandalen durch die Historia persecutionis

Africanae Provinciae des Victor von Vita und die verschiedenen theologischen

Schriften wie der - unter dem Autorennamen des Ferrandus überlieferten - Vita

des Fulgentius von Ruspe bekannt. Victor von Vita und Fulgentius von Ruspe

waren katholische Bischöfe im vandalischen Regnum und berichteten von der Auseinandersetzung des afrikanischen Katholizismus mit den arianischen

vandalischen Königen.

 

Victors Werk erfreute sich im Mittelalter und in der frühen Neuzeit wegen seines

hagiographischen Charakters großer Beliebtheit und stellt eine wertvolle

historische Quelle dar. Es enthält außerdem die ältesten überlieferten

Königsurkunden eines germanischen Regnums. Die Vita des Fulgentius wurde als

Quelle zur Geschichte des vandalischen Reichs bisher noch zu wenig gewürdigt.38

 

Gregor von Tours erzählte in seinen Historiarum Libri Decem einiges über die

Vandalen und ihre Frevel in Gallien und Spanien wie Afrika.39 Isidor von Sevilla

schrieb ein Buch Vandalengeschichte.40 In der Chronikliteratur finden die

Vandalen ihren Platz in der häufig überlieferten Eusebius/Hieronymuschronik,

bei Prosper Tiro und Victor von Tunnuna.

 

Auch die 1028 entstandene Weltchronik des Siegebert von Gembloux widmet der

vandalischen Geschichte Platz und zeigt, wieviel an Material auch im 11.

Jahrhundert greifbar war.41

 

Im wesentlichen kannte die europäische Diskussion zwei vandalische Identitäten,

die immer wieder miteinander verschwimmen konnten. Die eine war die der

37Schmidt, 1901/1942 #84]178ff; Courtois 1955, 345ff.

 

38Schwarcz 1994, 115-120; Moorhead 1992, 8ff; Eno 1997, 12ff; DNP 3, s.v. Fulgentius v. Ruspe, 67f.

 

39Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem II, 3.

 

40Isidor, Historia Gothorum Wandalorum Sueborum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2,

p. 241-304, Berlin 1894.

 

41Sigebert v. Gembloux, Chronica universalis, ed. L. C. Bethmann, MGH SS VI, p. 300-374.


20

historischen Vandalen. Mit mehr oder weniger wertenden Aussagen verbunden,

konnten sie als Vorbilder für den Vandalismusbegriff bis hin zu Vorfahren der

Größe des imperialistischen Deutschland instrumentalisiert werden.

 

Von italienischen und französischen Humanisten wurden die Goten und

Vandalen als Kulturzerstörer und Barbaren dargestellt. Diese 'romanische' Sicht

der Dinge schuf sicherlich die Basis für den Vandalismusbegriff des 18.

Jahrhunderts, der unten besprochen wird.

 

Als rechtsrheinische beziehungsweise transalpine Reaktion kam es zu einer

positiven Besetzung dieser germanischen Stämme im deutschen Humanismus. In

vielfältiger Weise versuchten deutsche Humanisten wie Beatus Rhenanus, Celtis,

Bebel, Wimpfeling und Krantz einen Bezug zu den alten Germanen in ihre

Geschichtsbilder einzubauen. Die Mittel, derer sie sich bedienten, um ihre

Konstruktionen die Vandalen betreffend zu beweisen, sind teilweise der Untersuchungsgegenstand des Kapitels III. dieser Arbeit.

 

Die Vandalen spielten allerdings im Vergleich zu den Franken oder Goten - außer

im Norden des deutschen Sprachraums etwa in Mecklenburg, Brandenburg,

Hamburg und anderen Territorialstaaten wie Hansestädten dieses Raums - eine

untergeordnete Rolle. Dort entwickelte man seit dem 15. Jahrhundert ein massives

Interesse an einer eventuellen Abstammung von den antiken Vandalen und schuf

diverse positive Projektionen der eigenen Identität auf die gewünschten

germanischen Vorfahren.

 

Außerhalb regionaler historiographischer Rezeption wie bei Krantz sind es im

frühneuzeitlichen Europa zuerst Gelehrte im Umfeld der Beschäftigung mit den

antiken Autoren, die sich mit den Vandalen auseinandersetzten. Bei der 1655

erschienenen Historia Gotthorum, Vandalorum et Langobardorum des Hugo Grotius

(1583 - 1645) handelt es sich um eine gelehrte Zusammenstellung von edierten

Quellen, wobei Prokop, Jordanes, Isidor von Sevilla, Agathias und Paulus

Diaconus berücksichtigt wurden. Grotius verfolgte die Geschichte der Goten,

Vandalen und Langobarden auf der Basis ihrer Gemeinsamkeiten. Seiner Ansicht

nach waren diese drei Völker von Skandinavien nach Süden aufgebrochen, und

leisteten so etwas wie eine Klammer für die europäische Identität der späteren

Zeiten. Grotius hatte ursprünglich vorgehabt, eine Geschichte des schwedischen

Königs Gustav Adolph zu schreiben. Die Sammlung des Materials zum

schwedischen Königshaus brachte Grotius aber auf die Idee, den schwedischen


21

Vorstoß im dreißigjährigen Krieg als Parallele zur Völkerwanderungszeit zu

interpretieren, und, statt über das 17. Jahrhundert zu arbeiten, die Geschichte der

genannten Völker aus den Quellen nachzuzeichnen.42

 

Im Kontext der Editionsprojekte der frühen Geschichtswissenschaft, die oft noch

im Rahmen der Kirche ausgeübt wurde, griff man zuerst auf die hagiographische

Literatur zurück. Victor von Vitas Verfolgungsgeschichte, die ein das ganze

Mittelalter über häufig abgeschriebener Text war, wurde in diesem

Zusammenhang 1699 in Paris unter dem Titel Historia Persecutionis Vandalicae

herausgegeben. Versehen war diese Ausgabe von Thierry Ruinart mit einem

umfangreichen Kommentar, der erstmals das afrikanische Vandalenreich

ausführlicher thematisierte.43

 

Der benediktinische Gelehrte Thierry Ruinart (1657 - 1709), Sproß einer Reimser

Patrizierfamilie, trat als Novize ins Benediktinerkloster Saint-Remi ein. Da er in

seiner philosophischen und theologischen Ausbildung, die unter anderem in

Saint-Pierre de Corbie stattfand, ein besonderes Interesse für die Patristen und

eine philologische Begabung zeigte, nahm ihn Jean Mabillon als Mitarbeiter an.

1689 erschienen die Acta primorum martyrum sincera et selecta.44 Nach dem Tod

Mabillons führte Ruinart die Arbeit an den großangelegten Acta Sanctorum

weiter.45

 

In der mehrbändigen römischen Geschichte des Louis Sébastien Lenain de

Tillemont (gestorben 1698), die erst in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts

erschienen war, überwiegt der kompilatorische Charakter. Tillemont war ein

Schüler der Jansenisten von Port Royal und selbst Kleriker. Seine "Histoire des

Empereurs" behandelte in sechs Bänden die Zeit von Augustus bis Anastasius.

42ADB 9, s.v. Grotius (Hugo de Groot), 768-784; Grotius, Historia Gotthorum, Vandalorum et

Langobardorum, 1655, p. 3ff.

 

43Ruinart, Historia Persecutionis Vandalicae, 1699, p. 193-287. Der Commentarius Historicus besteht

aus 12 Kapiteln.

Neben Victor von Vita wurden im selben Werk auch die Passio septem monachorum und die Notitia

ecclesiae africanae herausgegeben. Im Kommentar selbst werden eine Reihe kleinerer Quellen

teilweise ediert.

Vgl. zu Ruinart auch: Moorhead 1992, 23f.

 

44Erstmals Paris 1689, zweite Auflage Amsterdam 1713, Verona 1731, Augsburg 1802.

 

45Zur Biographie vgl.: LThK 7, 789f; Hoefer, Nouvelle biographie, 46, 1852, 380-399.


22

Nur an wenigen Stellen erscheinen Ansätze zur Deutung des Beschriebenen. Das

Bild der das römische Reich zerstörenden Barbaren ist peiorativ und sicher im

Zusammenhang mit den erwähnten protonationalen Debatten der Humanisten zu

deuten. Tillemont sah Frankreich als Nachfolgestaat des Römerreichs mit

imperialen Ansprüchen und tat sich schwer, den Germanen etwas anderes als

Zerstörung in ihre Geschichte zu schreiben.46

 

Bei Johann Jacob Mascov (1689 - 1761) findet sich bereits eine Problematisierung

der Quellen. Geiserichs Zug nach Rom wird mit einem aufklärerischen Konzept

erklärt. Die römischen Eliten haben den Fall selbst durch eine schlechte Regierung heraufbeschworen. Salvian mit seiner Idee einer göttlichen Sendung der Vandalen

als Strafe dient zur Stützung solcher Thesen.47

 

Charles de Montesquieu (gestorben 1755) bringt die Vorstellung von der durch

die römische Kultur angenommenen Schwäche der reichszerstörenden Barbaren

ein. Die Germanen waren in den Vorstellungen Montesquieus zuerst aufgrund

ihrer kärglichen und soliden Lebensweise stärker, als das in Dekadenz verfallene

Imperium, dessen Ende unausweichlich gewesen sei. Das Eindringen der

Vandalen ins Reich ist aber mehr als Flucht vor dem Hunger und der

Perspektivenlosigkeit in ihrer alten Heimat denn als Eroberung gezeichnet.

Schließlich verweichlichen die meisten Germanen als neue Herren des in viele

Teile zerfallenen Reich. Die Vandalen verfallen im üppigen Afrika völlig der

römischen Dekadenz. Dieses Motiv findet sich schon bei Prokop und erfährt seine

weitere Rezeption unter anderem bei Herder, wo die Vandalen ihre ursprüngliche

Reinheit und Stärke in der dekadenten Zivilisation verlieren und damit den

listigen Römern unterlegen sind.48

 

Edward Gibbon dagegen malte in seinem seit 1776 erschienenen monumentalen

Werk "The Decline and Fall of the Roman Empire" das Bild eines starken, dem

Gotenkönig Alarich ebenbürtigen, Geiserich, der mit seinen Eroberungen eine

welthistorische Sendung zu erfüllen hatte. Das römische Reich ging nach Gibbon

im Prinzip wegen der Dekadenz seiner Eliten zugrunde. Das Christentum im

46Tillemont, Histoire des Empereurs, Vol. VI, 1738.

 

47Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 45ff.

 

48Montesquieu, Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence,

1734, 156ff; Prokop BV II, 6; Herder 1985, Sämtliche Werke Band III, 325ff.


23

Inneren und die von außen anstürmenden Barbaren waren nur verstärkende

Faktoren für den vorprogrammierten fall des Reichs.49

 

Die germanischen Barbaren hatten in den Augen Gibbons durch die Aufteilung

des Imperiums in kleinere Staaten die Freiheit in Europa gestärkt. Ein Verfolgter

könne im Europa des 18. Jahrhunderts in ein benachbartes Land fliehen und dort

ein glückliches Leben führen. Rom hatte aber überall in der zivilisierten Welt der

Antike die Macht und entsprechend sei die Freiheit der Meinungsäußerung und

der politischen Betätigung dort geringer gewesen.50

 

Auch Gibbon bediente sich aber des Topos von der in die Dekadenz verfallenen

Vandalen als Grund für deren Untergang im Jahr 533. Die Berichte von der

besonders hemmungslosen Zerstörungswut der Vandalen bei Augustinus, Victor

von Vita und in einem Brief des Bischofs Capreolus, versuchte Gibbon dagegen in

den Kontext der Zeit zu stellen, und sie durch rationale Überlegungen und den

Hinweis auf die Natur des Krieges zu relativieren.

 

"On a sudden the seven fruitful provinces, from Tangier to Tripoli, were

overwhelmed by the invasion of the Vandals, whose destructive rage has perhaps

been exaggerated by popular animosity, religious zeal, and extravagant

declamation. War in its fairest form implies a perpetual violation of humanity and

justice; and the hostilities of barbarians are inflamed by the fierce and lawless

spirit which incessantly disturbs their peaceful and domestic society. The Vandals,

where they found resistance, seldom gave quarter; and the deaths of the valiant

countrymen were expiated by the ruin of the cities under whose walls they had

fallen. Careless of the distinction of age, or sex, or rank, they employed every

species of indignity and torture to force from captives a discovery of their hidden

wealth. The stern policy of Genseric justified his frequent examples of military

execution: he was not always the master of his own passions or of those of his

followers; and the calamities of war were aggravated by the licentiousness of the

Moors and the fanaticism of the Donatists. Yet I shall not easily be persuaded that

it was the common practice of the Vandals to extirpate the olives and other fruit

trees of a country where they intended to settle: nor can I believe that it was a

usual stratagem to slaughter great numbers of their prisoners before the walls of a

49Helbling 1954, 45f.

 

50Gibbon, The Decline an Fall of the Roman Empire, 1, 1776, p. 101f und 141ff; Demandt 1984, 134.


24

besieged city, for the sole purpose of infecting the air and producing a pestilence,

of which they themselves must have been the first victims."51

 

Im Kontext der französischen Okkupation Tunesiens wurde 1834 von der

"Académie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres" eine Kommission zur

Erforschung der Geschichte Nordafrikas eingesetzt, die ein umfangreiches Publikationsvorhaben teilweise verwirklichte und die Geschichte des

vandalischen Reichs in Afrika als Preisfrage ausschrieb.52

 

Prämiert wurde schließlich der Beitrag des Berliners Felix Papencordt.

Papencordts "Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika" erschien 1837 in

Berlin, und blieb lange Zeit das maßgebliche Werk zur afrikanischen Geschichte

der Vandalen. Im Vorwort verliert Papencordt einige Worte zum ursprünglichen

Zweck seiner Arbeit für die Pariser Akademie.

 

Die Zeit der vandalischen Herrschaft in Afrika sei das letzte Mal in der Geschichte

gewesen, daß diese Länder im abendländischen Kulturbereich integriert waren.

Jetzt sei das aufgrund der französischen Okkupation wieder der Fall. Deshalb

habe die Akademie auch die Aufgabe übernommen, mittels einer Kommission die

Zeiten der römischen, vandalischen und byzantinischen Herrschaft zu

untersuchen.53

 

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Vandalen in der deutschen

Forschung immer stärker in die Suche nach den Ursprüngen der eigenen Nation

51Gibbon, The Decline an Fall of the Roman Empire, 2, 1776, p. 542.

Als Quellen gibt Gibbon in seiner Anm. 24 an: "The original complaints of the desolation of Africa

are contained - 1. In a letter from Capreolus, bishop of Carthage, to excuse his absence from the

council of Ephesus (ap. Ruinart, p. 428). 2. In the Life of St. Augustin by his friend and colleague

Possidius (ap. Ruinart, p. 427). 3. In the History of the Vandalic Persecution, by Victor Vitensis (1. i.

c. 1, 2, 3, edit. Ruinart). The last picture, which was drawn sixty years after the event, is more

expressive of the author's passions than of the truth of facts."

Hingewiesen sei auf die Verwendung der Editionen Ruinarts.

 

52Académie Royale des Inscriptions et Belles-Lettres, Recherches sur l'histoire de la partie de l'

Afrique septentrionale connue sous le nom de Régence d'Alger et sur l'administration et la

colonisation de ce pays à l' époque de la Domination Romaine par une commission, Tome premier,

Paris 1835.

 

53Papencordt 1837, IV.


25

miteinbezogen. Felix Dahn schrieb im 19. Jahrhundert Lemmata zu den einzelnen

vandalischen Königen in der großangelegten Nationalbibliographie des deutschen

Reichs, der Allgemeinen Deutschen Biographie.54 Selbstverständlich betrachtete

man die Könige der Völkerwanderungszeit als ruhmreiche Vorfahren der eigenen

Nation und Staatlichkeit. Dahn zeichnete auch ein ideales Bild des Meerkönigs

Geiserich in seiner verfassungsgeschichtlich orientierten Arbeit zum vandalischen

Regnum.55

 

In Deutschland tragen heute immer noch diverse studentische Verbindungen den

Namen Vandalia, in Frankreich dagegen titelte eine Kunstzeitschrift, die die

Zerstörungen im Kriegsgebiet von 1915 auflistet, mit Les Vandales en France .56

 

Deutsche und Franzosen entdecken im 19. Jahrhundert die Vandalen also wieder.

Erstere sahen in ihnen eine Wurzel ihrer Nation und ordneten sie in eine

germanische Geschichte ein, letztere suchten in Nordafrika einen vorarabischen

Traditionsträger christlicher und damit quasi europäischer Staatlichkeit. In beiden

Fällen ist die Bezugnahme aber bei weitem nicht so stark wie etwa bei den

Franken. Die arabische Eroberung des siebten Jahrhunderts zog Nordafrika

sozusagen aus der Zugehörigkeit zu Europa und begründete andere Identitäten.

 

Die Bestrebungen im Kontext des Kolonialismus, auf den Vandalen aufzubauen,

konnten das negative Grundbild von den völkerwanderungszeitlichen

Kulturzerstörern, das seit der Renaissance in Frankreich bestand, nicht

relativieren. Diese Versuche blieben peripher und zeigten kaum Folgen. Die Instrumentalisierung der Vandalen im deutschen 19. Jahrhundert konnte dagegen

auf den positiven Bildern des deutschen Humanismus aufbauen. Geschichtsbilder

haben eine lange Dauer und erweisen sich als träge.

 

Was noch darzustellen ist, bevor die spezielleren Fragen nach der Gleichsetzung

von Vandalen und Slawen diskutiert werden, ist der Begriff Vandalismus.

 

Die große Dynamik der französischen Revolution bedingte die Suche nach neuen

Begrifflichkeiten. So wurden etwa aufbauend auf älteren Bildern die historischen

54ADB 8, 38, 49, 50, s. v. Gelimer/ Hunerich/ Thrasamund/ Gunthamund.

 

55Dahn 1861, 143ff.

 

56L'Art et les artistes, No. special, Les Vandales en France, 1915.


26

Vandalen 1789 zur Negativbesetzung der Aristokratie als Nachfahren der

germanischen Eroberer verwendet.57

 

Der politische Allgemeinbegriff vandalisme diente Henri-Baptiste Grégoire, dem

Bischof von Blois, erstmals 1794 zur Abgrenzung einer idealen bürgerlichen

Revolution von radikalen Elementen, denen zusätzlich die Steuerung aus dem

Exil unterstellt wurde. Er prangerte die Vernichtung von Kunstwerken an, welche

die politische Führung zu verhindern suchte. Zuerst also gegen Radikale in den

eigenen Reihen gerichtet bezeichnete vandalisme nach dem 9. Thermidor die

Terreur als ganzes. Ihre Proponenten wie etwa Robespierre seien die neuen

Vandalen, die wie die alten im fünften Jahrhundert die Kultur Frankreichs

zerstören wollten.58

 

Die drei Rapports sur le vandalisme, die Grégoire dem Konvent vorlegte, fixierten

nicht zuletzt wegen ihrer hohen Auflage den Begriff endgültig und bereiteten den

Boden für seine Übernahme in fast alle europäische Sprachen.59 Jedenfalls war die

Wahl der Vandalen als Paten des Begriffs vor allem durch die Topik von den

gewaltigen Zerstörungen beim Einfall in Gallien von 406 bedingt. Darauf wollte

sich die französische Debatte der Revolutionszeit in nationalem

Geschichtsbewusstsein bezogen wissen, weniger auf die Plünderung Roms von

455.60

So vielfältig wurden die Vandalen in den bisher 1500 Jahren seit dem Ende des

afrikanischen Regnums instrumentalisiert und diskutiert. Nur einer dieser

Aspekte der Rezeption vandalischer Identität wird im folgenden ausführlich

behandelt.

 

Im 2001 erschienenen Katalog des Museums Vandalorum in Värnamo/Schweden

findet sich eine Abbildung des Epitaphs der Königin Christina (1626 - 1689), die

bekanntlich in Rom gestorben ist. Das Original befindet sich also in den

 

 

57Michel 1988, 36.

 

58H. B. Grégoire, Mémoires I, 1837, p. 47.

 

59Demandt 1997, 13-39; Michel 1988, 38f; Sprigath 1980, 68f.

 

60Vgl. zum Vandalenbild in der europäischen Geschichte und dem Begriff des "Vandalismus" auch

das Lemma vom Verfasser dieser Dissertation "Vandalen- Rezeptions- und

Wissenschaftsgeschichte", DNP RWG 4, im Druck.


27

Kapitolinischen Museen. Die Inschrift auf dem Epitaph bringt den im 17.

Jahrhundert zu erwartenden Titel für eine schwedische Königin: "Christinae

Suecorum, Gothorum et Vandalorum Reginae (...)". Im Katalogtext spielt man

aber mit dem Gedanken, Teile der Vandalen könnten nach dem Ende des

afrikanischen Regnums 533 nach Schweden geflüchtet sein, und ihr Name im

Königstitel wäre ein Indiz dafür. Weiters wird eine von Albert Krantz und

Bernhard Latomus in ihren humanistischen Konstrukten erwähnte Gründung

Venedigs durch Vandalen/Wenden für bare Münze genommen. Die Autoren

verschiedener Katalogtexte nehmen die Geschichtsbilder, die vor allem im 16. und

17. Jahrhundert aus ganz bestimmten Gründen für Fürsten und Städte verfaßt

worden waren, als Reste uralter Erinnerung, die nun wiederentdeckt worden sei.

Grundgedanke ist dabei, die Wikinger wären Nachfahren von mit viel Wissen aus

dem Mittelmeer zurückgekehrten Vandalen.61

 

Die Aufgabe des Historikers ist es, den Quellen nachzuspüren und sie vor dem

Hintergrund ihrer Entstehungszeit zu deuten und zu erklären; auch wenn das so

erarbeitete Ergebnis nicht so unterhaltsam zu lesen ist, wie die Erzählungen von

geheimnisvollen und vertuschten Abstammungen und Wanderungen.

61Hultén 2001, 2, 12, 36ff, 112.


28

I. Die Ethnonyme "Wenden" und "Slawen"

 

I.1. Die Vorgeschichte der Bezeichnung 'Wenden'

 

I.1.1. Wenden

 

Einen sprachlichen Hinweis auf ein gewisses Distanzbewußtsein von Germanen

gegenüber ihren Nachbarn geben die Ethnonyme 'Wenden' und 'Welsche', die

teilweise bis heute in Gebrauch stehen. Angewandt wurden und werden sie auf

Slawen bzw. Romanen. In beiden Fällen lebten die Völker, auf die diese Namen

zurückgehen, in frühgeschichtlicher Zeit in germanischer Nachbarschaft und

haben nichts mit den spätestens seit dem Frühmittelalter so bezeichneten Ethnien

zu tun. Die Veneder waren ein Volk unbekannter Herkunft an der Ostseeküste.

Die Bezeichnung Walhoz/Welschen geht auf die Volcae zurück, die in den

vorchristlichen Jahrhunderten südlich der Germanen ansässig waren. Ihr Name

wurde zuerst auf Kelten und dann auf Romanen im allgemeinen übertragen.62

 

Das Ethnonym 'Wenden' ist seit dem 12. Jahrhundert gebräuchlich und ist die

mittelhochdeutsche Form der in althochdeutschen und lateinischen Quellen des

siebten bis neunten Jahrhunderts gebräuchlichen Begriffe winden/ winidi/ winades/

vionudi/ guinedes/ venti. Verwendet wurden sie - wie schon ausgeführt - als

unpräzise Sammelbegriffe für Slawen. Diese Bezeichnungen fanden sich dann bis

ins Spätmittelalter in lateinischen Quellen und wurden schließlich durch das

Ethnonym Slawen aus den meisten schriftlichen Quellen verdrängt. Eine

Untersuchung über die sprachlichen und historischen Eigenheiten der Bezeichung

bzw. die Veränderungen in ihrer Anwendung fehlt bisher in der Forschung.63

 

In den byzantinischen Quellen gibt es keine Belege für die Anwendung von auf

Venethi zurückgehenden Bezeichnungen für Slawen und Anten. Die Form Venethi

und der daraus entwickelte Name Wenedi/Winidi mit allen Varianten als Synonym

für das ansonsten gebrauchte Sclavi sind somit Besonderheiten der lateinischen

Überlieferung.64

 

 

62 Vgl.: Pohl 2000, 50; Dort auch weiterführende Literatur;

Wenskus 1961/1977, 210-234.

 

63HRG V, s.v. Wenden, 1259; Reisinger und Sowa 1990, 11.

 

64 Reisinger und Sowa 1990, 10.


29

Die Bezeichnung 'Wenden' wurde sowohl auf Bewohner von Gebieten östlich der

Elbe, als auch nördlich der Donau, in der Oberpfalz und in Oberfranken, wie auch

auf Slawen der Ostalpen angewandt. Die Bevölkerung der österreichischen

Bundesländer Steiermark und Kärnten bezeichnet ihre slowenischen und

kroatischen Nachbarn als Windische. In Brandenburg und Mecklenburg ist der

Name Wenden für polabische und sorbische Minderheiten in Gebrauch. In

Landschaftsnamen wie Wenedonia/ Winidonia (dem Hannoverschen Wendland)

und Ortsnamen wie Wendhausen oder Windsassen ist das Ethnonym enthalten.

Solche Ortsnamen finden sich auch weit von slawischem Siedlungsgebiet entfernt

und zeugen von der Ansiedlung slawischer Untertanen durch fränkische

Grundherren. Etwa in der Bezeichnung Windische Mark für Krain fand das

Ethnonym eine Anwendung auf slawisches Siedlungsgebiet.65

I.1.2. Das Ethnonym Veneder (Oçen¡dai/ Venedi/ Venethi)

bei Klaudios Ptolemaios, Plinius und Tacitus.

 

Der griechische Geograph Klaudios Ptolemaios erwähnt im 2. Jahrhundert die

Oçen¡dai.66 Gemeint ist damit das westlichste Volk an der Nordküste der

europäischen Sarmatia. Die europäische Sarmatia liegt in der Vorstellung des

Ptolemaios östlich der Weichsel. Der Unterlauf der Weichsel trennt die Oçen¡dai

von Großgermanien.

 

Die Schriften des Ptolemaios entstanden wahrscheinlich in Alexandria zur Zeit

der Kaiser Hadrian und Antoninus Pius bis in die Regierung des Marcus Aurelius.

In Ptolemaios' astronomischem Hauptwerk "Almagest" werden Beobachtungen

von März 127 bis Februar 141 erwähnt. Die "Geographika" ist dann keine

Beschreibung einzelner Länder, sondern eine Liste der Orte, die alle Teile der

oikumene umfaßt und sogar die Positionen der Orte in Längen und Breitengraden

angibt. Es wird theoretisch korrekt und klar ausgeführt, wie man die Erde in einer

Karte darstellen müßte. 26 Einzelkarten ergeben eine Weltkarte. Diese ist

zusammen mit einer theoretischen Anleitung und Listen der nötigen Koordinaten

zu verwenden.67

65 LMA VIII, s.v. Wenden, 2181f; HRG V, s.v. Wenden, 1259-1262.

 

66 Ptolemaios, Geographika III, 5, 7-9.

 

67Vgl.: DNP 10, s.v. Ptolemaios , 559ff; Polaschek 1965, .


30

Die Informationen des Ptolemaios reichen in die Zeit vor einer vandalischen

Besiedlung von Gebieten im Oder-Weichsel-Raum zurück. Ptolemaios

verwendete nachweisbar gerade für Gegenden in der Germania immer wieder

nicht zeitgenössische Nachrichten, sondern solche aus frühaugusteischer Zeit.68

Nicht der ganze Weichsellauf wurde von Ptolemaios ausführlich beschrieben,

sondern nur Quellgebiet und Unterlauf. Das Volk der Oçen¡dai wurde dabei an

der Küste des venedischen Meerbusens lokalisiert. Das Gebiet zwischen der Küste

bis zu den venedischen Bergen beschrieb Ptolemaios als ihr Land. Auf der

ptolemäischen Karte waren die aus jüngeren Quellen stammenden Angaben über

Goten an der Danziger Bucht damit nicht vereinbar, und so setzte er diese von der

Küste ins Binnenland. Die Oçen¡dai reichten in der Vorstellung des Ptolemaios in

der Weichselgegend an die Ostsee heran. Zur Zeit der älteren ptolemaischen

Quellen gab es schon germanische Stämme, unter anderen Rugier und Burgunder

westlich der unteren Weichsel, womit Wenskus den Zustand des 2. Jh. v. Chr.

erreicht glaubt, weil das seiner Ansicht nach vor der kimbrischen Wanderung

nicht möglich gewesen wäre.69

 

Plinius nannte in seiner Naturalis Historia den Volksstamm der Venedi.70 Diese

lokalisierte er an der Ostseeküste zwischen Aeningia, womit wahrscheinlich

Finnland gemeint war, und der Weichsel. Die Skiren und die von der modernen

Forschung nicht identifizierten Hirri lebten nach Plinius noch zwischen Weichsel

und den Venedi.71

 

Tacitus setzte seine Venethi noch weiter nach Osten, und zwar zwischen die Fenni

und die Peucini. Die Venethi sollen raubend Berge und Wälder durchziehen und

keinen Kontakt zum Meer haben. Außerdem seien sie eher den Germanen als den

Sarmaten zuzurechnen, da sie in festen Häusern lebten und zu Fuß gingen,

wogegen die Sarmaten auf Pferd und Wagen nomadisierten.72

68Der Hadrianswall in Britannien war zur Zeit der Abfassung der Geographika schon eine

Generation alt, wird aber in Geographika II, 3, 5ff nicht erwähnt. Vgl.: Polaschek 1965, 758. Zur

anachronistischen Darstellung des Ptolemaios siehe auch:Demougeot 1969/79, Band 1, 322; Sowie:

Wenskus 1961/1977, 229, Anm. 588.

 

69 Vgl. RE XV, s.v. Venedae, 698; Wenskus 1961/1977, 229ff.

 

70 Plinius, Naturalis Historia IV, 97.

 

71 Vgl. RE XV, s.v. Venedae, 698.

 

72Tacitus, Germania, 46.


31

Der Venedername ist nach den Informationen des Tacitus also aus dem Gebiet

zwischen Weichsel und Ostsee verschwunden und er berichtete von den gentes

der Aestii in dieser Gegend. Bei den taciteischen Aestii dürfte es sich um die

Vorfahren der späteren Letten, Litauer und Preußen handeln. Bis ins 11.

Jahrhundert ist das Ethnonym jedenfalls in diesem Sinn gebraucht worden. Die

später nachweisbaren Bezeichnungen Esten oder Eisti beziehen sich allerdings auf

die finno-ugrischen Esten. Es dürfte nach Much eine Einschränkung eines noch im

frühen Mittelalter weiter gefaßten Namens auf die nördlichen Nachbarn der alten

baltischen Aestii stattgefunden haben.73

 

Auch Wenskus vermutet, daß der seiner Ansicht nach skandinavische Name Aestii

als gotische Fremdbezeichnung für Bewohner der baltischen Küste den vielleicht

schon auf die Slawen angewandten südgermanischen Venedernamen zum Teil

ablöste. Ob letzterer von den Germanen erst in derselben Zeit übernommen

wurde wie der der Volcae, oder ihnen schon früher bekannt wurde, läßt sich nicht

sagen, da die an beiden Namen sichtbaren Lautveränderungen nur einen

terminus ante quem festlegen. Auch warum gerade dieses Ethnonym auf die

östlichen Nachbarn generell angewandt wurde, ist nicht zu klären. Die Zeit des

Vorgangs sieht Wenskus aber vor dem Einbruch nordostgermanischer Stämme

nach Ostdeutschland und Polen im zweiten Jahrhundert vor Christus.74

I.1.3. Die Anwendung des Venedernames auf die Slawen

seit dem sechsten Jahrhundert und die Identifizierung der

Veneder als "Urslawen"

 

"Erst in einem späteren Stadium, als der Horizont der Grenzstämme über ihren

eigenen Abschnitt hinausreichte, entstand das Bedürfnis, die in den verschiedenen

Grenzzonen entstandenen Sammelbezeichnungen für die fremdartigen Nachbarn

einem einheitlichen Begriff unterzuordnen. Bezeichnenderweise entstand - statt

einer weiteren Verallgemeinerung der bisher bestehenden Namen - bei den

73Tacitus, Germania, 45:

"Ergo iam dextro Suebici maris litore Aestiorum gentes adlubuntur, quibus ritus habitusque

Sueborum, lingua Britannicae propior."; Vgl.: Much 1967, 403.

 

74Wenskus 1961/1977, 234.


32

Germanen eine stabende Formel: Wende und Walch. Noch im Mittelhochdeutschen

ist diese Formel lebendig: Heinrich von der Türlin 4335; wendisch unde wal."75

 

Die Ostseefinnen verstehen unter venäjä die Russen. In den Ortsnamen Vindobona

und Venedig und den in pannonischen Inschriften bezeugten Eigennamen

Vindonis, Vindeni und Vindo ist dieselbe Wurzel enthalten.76 Daraus sind aber

keine weiteren Schlüsse abzuleiten.

 

Die Veneti in Oberitalien, wo in augusteischer Zeit die Regio X Venetia et Histria

errichtet wurde, die von Caesar erwähnten Veneti in der Bretagne und die bei

Herodot und Appian auftauchenden norbalkanischen bzw. paphlagonischen

ƒEnetoÛ stehen in keinem für die moderne Forschung nachvollziehbaren

Zusammenhang untereinander oder mit den von Plinius, Tacitus und Ptolemaios

genannten Venedern an der Weichselmündnung.77

 

Die ältere Forschung wurde von Fachvertretern der vergleichenden

Sprachwissenschaft (Indogermanistik) dominiert. Aus dieser heraus erfolgten

viele ethnische Zuordnungen der verschiedenen aus der antiken Überlieferung

bekannten Völkerschaften. So vertrat etwa der Indogermanist Hans Krahe in

seinem programmatischen Werk "Sprache und Vorzeit" die Auffassung, es handle

sich bei allen Völkern mit dem Namen Veneter/Veneder in den genannten

Variationen um Illyrer.78 Zuvor hatte Krahe die These aufgestellt, die in allen

diesen Völkernamen enthaltene Wurzel *wen- in der Bedeutung "lieb" sei eine

indogermanische Gruppenbezeichnung, die von verschiedenen

Sprechergemeinschaften unabhängig voneinander als Fremd- oder

Eigenbenennung verwendet worden sei.79 Krahe hat am Ende seines Lebens seine

Illyrerthesen allerdings wieder zurückgenommen. Die aus der vergleichenden Sprachwissenschaft abgeleiteten Interpretaionen von kulturellen, ethnischen und

75Wenskus 1961/1977, 234.

 

76Schelesniker 1973, 5.

 

77Oberitalienische Veneti: Plinius, Naturalis Historia III, 130; Ptolemaios, Geographika II, 1, 30;

Veneti in der Bretagne: Caesar, Bell. Gall., III, 7f; Strabon, IV, 194f; Ptolemaios, Geographika II, 8, 6;

Norbalkanische und paphlagonische ƒEnetoÛ Herodot, I, 196, 1; Appian, Mithr., 55; Nur die

 

oberitalienischen Veneti haben eigene Inschriften hinterlassen, die allerdings schwer zu deuten

sind. Zu den italischen Venetern siehe Pallotino 1989, 43ff, Untermann 1978, 43f.

 

78Krahe 1954, 116f.

 

79Krahe 1950, 42-89 und Krahe: Indogermanische Forschungen LVIII, 1941, 67ff.


33

archäologischen Fragen wurden in der jüngeren Forschung vermehrt in Zweifel

gezogen, und es ist heute kaum noch üblich, sich solcher Argumente zu

bedienen.80

 

Die als Veneder bezeichneten Gruppen lebten im Ostseeraum jedenfalls lange in

Nachbarschaft zu germanischen Stämmen. Wenskus nimmt an, daß der

Stammesname in zwei Lautstufen im Germanischen auftritt, was auf ein hohes

Alter der germanischen Bezeichnung für dieses Nachbarvolk hindeutet. So sei die

jüngere Lautstufe im althochdeutschen Winida und im angelsächsischen Winedas

mit 'd' vertreten. Im Vergleich dazu ist dann die bei Tacitus bezeugte Form Venethi

mit dem Reibelaut 'th' die ältere Lautstufe. Bei Ptolemaios und Plinius findet sich

dann schon die neuere Lautstufe bezeugt.81

 

Bei aller Vorsicht mit sprachwissenschaftlichen Deutungen bezüglich ethnischer

Identitäten soll festgehalten werden, daß das Ethnonym über einen langen

Zeitraum in Gebrauch war. Der Name galt nicht nur für eine bestimmte Gruppe,

sondern bezog sich auf die Gesamtheit der Fremden, die im

Wahrnehmungsbereich der eigenen Sprachgemeinschaft lagen. So wie man den

Namen Walhoz zuerst wohl für keltische Gruppen anwandte, um ihn dann auf die

Romanen zu übertragen, muß auch der Venetername später für slawische und

auch baltische Stämme gebraucht worden sein.

 

Der in der slawischen Überlieferung niemals vorkommende Venedername wurde

von Cassiodor-Jordanes dann im sechsten Jahrhundert auf die Slawen angewandt.

Die ältere Forschung sah in den Berichten des Plinius, Tacitus und Ptolemaios

über die Venedi/Venethi die ersten Nachrichten über Slawen, die östlich der

Weichsel siedelten. Diese Vorstellung läßt sich bis ins 16. Jahrhundert

zurückverfolgen und erhielt durch die "Slawischen Althertümer" des Pragers

Pavel Josef Schafarschik, der auf den Ideen Herders aufbauend eine slawische

Urgeschichte zu rekonstruieren versuchte, eine lange rezipierte wissenschaftliche

Begründung.82

80Vgl. etwa: Curta 2001, 6; Renfrew 1989, 78ff.

 

81Krahe 1954, 44; Wenskus 1961/1977, 228; Schönfeld 1911, 281.

 

82Schafarschik 1844, 40ff.

Noch in Schieders Handbuch der europäischen Geschichte wird der Sachverhalt als gegeben

dargestellt (Hellmann 1976, 363), ebenso im 15. Supplementband der RE von 1978 (Untermann

1978, 67). Vgl. auch Dolukhanov 1996, 21ff.


34

Festzuhalten bleibt, daß weder die nicht näher zuordenbaren Veneder im

Oststeeraum, noch die eisenzeitlichen italischen Veneter etwas mit den

mittelalterlichen Slawen zu tun haben. Erst durch die Gleichsetzung des Jordanes

im sechsten Jahrhundert wird diese Verbindung hergestellt und von der

Forschung des 19. Jahrhunderts als Basis weitreichender Deutungsmodelle

verwendet. Der Veneter- wie der Antenname (letzterer siehe unten) scheint auf

germanische bzw. awarische Fremdbezeichnungen zurückzugehen.83 Die

ethnographischen Angaben der antiken Autoren sind im Fall der Venedi/Venethi

jedenfalls höchst unpräzise.

 

Ein Vergleich soll noch angestellt werden. War es bei den nicht näher

identifizierbaren Venetern das Ethnonym Wenden, das noch eine lange

Geschichte als germanische Fremdbezeichnung für andere Nachbarn haben sollte,

so besteht eine in der modernen Forschung anerkannte Kontinuität zwischen dem

Namen der keltischen Boiern, dem schon bei Tacitus genannten Toponym

Boihaemum für Böhmen und der deutschen Bezeichnung 'Böhmen' für die

slawischen Bewohner dieses Landes.

 

Boihaemum ist einer der wenigen antiken Ländernamen, der bereits aus der

Germania des Tacitus bekannt und bis heute gebräuchlich geblieben ist. Boihaemum

sei - so Tacitus - der Name der ehemalige Heimat der gallischen Boii, auch wenn

die Bewohner zur Zeit der Abfassung der Germania bereits keine Gallier mehr

waren. Die gallischen Stämme der Helvetier wie der Boii seien nämlich schon sehr

früh über den Rhein gezogen und hätten dann in Germanien gelebt.84 Tacitus

weiß offensichtlich von einer keltischen Bevölkerung, die in der nicht allzufernen

Vergangenheit auch noch in den Gebieten um den Herkynischen Wald, womit

Tacitus die deutschen Mittelgebirge meinte, gelebt hatte.85 Im frühen Mittelalter

wurde der Landesname auf die nun slawische Bevölkerung im böhmischen Kessel

übertragen. Mittelhochdeutsch Beheim und neuhochdeutsch Böhmen in der

 

 

83 Brather 2001, 51; Schelesniker 1973, 5.

 

84Tacitus, Germania, 28.

"Igitur inter Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes Helvetii, ulteriora Boii, Gallica

utraque gens, tenuere. Manet adhuc Boihaemi nomen significatque loci veterem memoriam

quamvis mutatis cultoribus."

 

85Herkynischer Wald=deutsche Mittelgebirge: Much 1967, 234.

In das vom Herkynischen Wald umgebene Gebiet führte Marbod die Markomannen um das Jahr 8

v. Chr., um sie dem römischen Druck zu entziehen. Vgl.: RGA 3, s.v. Boihaemum, 205.


35

Bedeutung des germanischen Boihaemum als Heim der Boier sind dasselbe Wort.

Spekulationen zur Herleitung des Baiernnamens aus derselben Wurzel gab es

zuhauf in der älteren Forschung. Diese Ideen sind nach wie vor umstritten.86 Die

tschechische Geistlichkeit machte sich die Fremdbezeichnung in der Weise zu

eigen, daß nach Cosmas von Prag Boemus als eponymer Vorfahre der Tschechen

dem Land den Namen gab.87 Wenn Cosmas das Land als Teil der Germania

beschreibt,88 so meint er damit nicht eine Zugehörigkeit zu den Deutschen,

sondern er versteht wie Regino von Prüm und Paulus Diaconus die Germania als

Gebiet, das sich vom Don (Tanais) bis zum Sonnenuntergang, also dem äußersten

Westen, erstreckt.89

 

Ähnliche Vorgänge und historische wie eponyme Erklärungen lassen sich auch

für den Wendennamen finden. Nur ist in diesem Fall die Spur schwieriger zu

verfolgen, da 'Wenden' als Fremd- und Eigenname nicht auf eine so früh

konstituierte historische Identität wie die der Tschechen angewandt wurde.

 

Bevor die Spur aufgenommen wird, muß aber die 'andere Seite' verstanden

werden. Wie und warum die Bezeichnung Slawen entstand, welche Gruppen

damit gemeint waren und wie diese ihren Platz in der europäischen Geschichte

eingenommen haben, soll im nun folgenden Abschnitt geklärt werden.

I.2. Grundzüge der slawischen Geschichte

86Belege für die mittelalterliche Verwendung wären: Annales regni Francorum, ad a. 791 und ad a.

805: "In terra Sclavorum, qui vocantur Beheimi." 805 berichten die Reichsannalen vom Zug Karls

des Großen gegen die Behaimi. Zu den Versuchen den Baiernanmen aus Boihaemum herzuleiten:

Vgl.: RGA 2, s.v. Bajuwaren, I § 1, 601f.

 

87Cosmas von Prag, Chronica Boemorum, I, 2.

 

88Cosmas von Prag, Chronica Boemorum, I, 1.

 

89Regino von Prüm, ad a. 889; Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, I 1.

Vgl. dazu: RGA 3, s.v. Boihaemum, 207 und s.v. Boier, 205; Graus 1980, 162-169.


36

Die 'Herkunft' der Slawen ist eine vieldiskutierte und bis heute nicht eindeutig

beantwortete Frage. Nach der Entdeckung der Verwandschaft der

indoeuropäischen Sprachen am Anfang des 19. Jahrhunderts und auf Basis der

Vorstellungen Herders suchte man nach 'Urheimat-sprache und -volk' der Slawen.

Man stellte sich schon fertig ausgebildete slawische Völker vor, die durch

Wanderungen, Unterwerfungen und Eroberungen ihre 'Landnahmen' vollzogen

hätten und sich dann in der Geschichte behaupten konnten. Starke Völker

konnten überleben und nur solche kämen als Vorfahren der "großen Völker der

Gegenwart" in Europa in Frage. Denn wären die "jetzigen unvermischten und

selbstständigen Urvölker wie zum Beispiel das slawische und das deutsche" nicht

schon vor 3000 Jahren, sondern "erst später in der historisch bekannten Zeit aus

einer Vermischung anderer Stämme entstanden, so hätten sie dadurch aufgehört,

ein reines, selbstständiges Urvolk zu sein."90 Bis heute hat sich die Forschung nicht

gänzlich von diesen Vorstellungen gelöst.

 

Auch die Slawen sind das Ergebnis historischer Prozesse. Erst die Konfrontation

mit dem byzantinischen Staat, der die Gruppen an seiner Nordgrenze so

klassifizierte, machte die Slawen als benennbare Gruppierung faßbar. Statt der

Skythen hießen die meisten Barbaren im Norden nun eben Slawen. Auch die

Germanen wurden erst durch Cäsar als rechts des Rhein zu lokalisierendes

Großvolk 'erfunden'. Größere Gruppen werden von ihren Nachbarn erst

konstruiert. Ein Beispiel, das allerdings nur die Namengebung illustriert, nicht

aber die Neukonstruktion einer Gruppe, wäre das folgende. Die römischen

Autoren verwendeten die nordwestgriechischen Ethnonyme Graiko und Graa,

die nur kleine Gruppen in Euboia als Selbstbezeichnung verwendeten, als den

Namen aller Hellenen und leiteten das lateinische Graeci daraus ab.91

 

Aussagen über Raum und Zeit der slawischen Ethnogenese sind vorsichtig zu

formulieren. Lediglich gewisse Grundzüge dieser Ethnogenese sind durch die

archäologische, historische und philologische Diskussion geklärt. Überlieferte

Namen müssen nicht immer 'ethnisch' gemeint sein, sondern können auch soziale

oder einfach nur geographische Implikationen haben. Zuordnungen

archäologischer Kulturen im östlichen Europa zu slawischen Gruppen sind

90Schafarschik 1844, 40.

 

91RE VII, 2, s.v. Grai, Graeci, Graiko, 1694.


37

schwierig. Auch fehlt bei den Slawen der "Traditionskern", der germanischen

Ethnogenesen meist eigen ist.92

 

Die frühesten als slawisch gedeuteten materiellen Überlieferungen sind die der

zur Prag-KorËak-Gruppe zusammengefaßten Funde aus der Zeit um 500 n. Chr.

Die Prag-KorËak-Gruppe erstreckte sich im Gebiet zwischen Bug und mittlerem

Dnepr. Hauptkriterien für diese Fundgruppe sind die einfachen, schmucklosen

Gefäße, die halb in den Boden eingetieften Grubenhäuser und die

Brandbestattung. Alle ethnischen Deutungen älterer (also solcher des ersten bis

vierten Jahrhunderts nach Christus) Fundgruppen wurden inzwischen

fallengelassen. Ähnliche archäologische Befunde kommen aus den Karpaten wie

dem unteren Donauraum, der Slowakei, Mähren, dem südlichen Polen, Böhmen

und dem mittleren Elbegebiet. "Damit faßt die Archäologie aber nicht die

slawische Einwanderung selbst, sondern die Etablierung von

Siedlungsstrukturen."93

 

Wahrscheinlich formierten sich slawische Gruppen im Kontext der

Wanderungsbewegungen und Herrschaftsbildungen von Goten und Hunnen des

dritten bis fünften Jahrhunderts. Belegbar ist dies aber erst für das sechste

Jahrhundert. Zahlreiche Gruppen wurden nördlich des Schwarzen Meeres von

den Hunnen in Bewegung gebracht. Dabei wurden wohl diverse politische und

soziale Organisationen aufgegeben und neue gebildet, um den Umständen der

Zeit gerecht zu werden. Nach dem Abzug der Hunnen nach Osten und der Wanderungsbewegung germanischer Gruppen aus dem Elbe- und Oderraum ist

in Umrissen eine slawische Ausdehnungsbewegung im sechsten und siebten

Jahrhundert erkennbar. Wenige schriftliche Quellen fundieren dieses Bild.

Lediglich der Bericht Prokops über den Zug der Heruler nach Jütland 512 durch

das Land des ¶ynow Sklabhn«n, sowie weitere Erwähnungen Prokops von Slawen

an der Donau sind greifbar. Anfang des sechsten Jahrhunderts gab es diesen

Quellen nach zu schließen Slawen östlich und nördlich der Karpaten.94

92Pohl 2002, 13-30; Pohl 1988, 10ff.

 

93Brather 2001, 55f und Abb. 7.

 

94Herulerzug: Prokop BG, II 15.

Eine gute Zusammenstellung der Erwähnungen von Slawen an der Donau bei Prokop: Zeuss

1837/1925, 592ff. Die Quellenstellen zur "Raiding activity in the Balkans" der Slawen finden sich

tabellarisch aufgelistet bei: Curta 2001, 116f.


38

Zur Zeit Kaiser Justinians (527-565) wurden die Slawen von byzantinischen

Autoren erstmals wahrgenommen. Immer wieder versuchten slawische Gruppen,

den Donau-Limes zu durchbrechen und auf der Balkanhalbinsel zu plündern.

Kaiser Justinian ließ die Befestigungen an der Donau massiv verstärken, was

Prokop in seiner Schrift über Architektur besonders betont.95 Diese als Slawen

bezeichneten Gruppen kamen aus den Karpaten, dem Gebiet der untereren

Donau und vom Schwarzen Meer. Mit dem Erscheinen der Awaren in Europa ab

560/70 wurden die Slawen entweder in die awarische Herrschaftsbildung

einbezogen, oder drangen bis auf die Peloponnes und im Norden bis ins Elbe-

Saalegebiet vor. Die Ausdehnung des awarischen Machtbereichs ist von der

sogenannten slawischen 'Expansion' nicht zu trennen. Das Khaganat hatte großes

Interesse an abhängigen Gruppen, die seine Herrschaft sichern konnten. Die

Anten als Gruppe, die ihre Identität gerade durch die Abhängigkeit von den

Awaren definierte und deren Name wohl so etwas wie 'Schwurverband'

bedeutete, sind dafür das beste Beispiel.96

 

Einwanderung geschlossener Verbände auf 'slawischer' Seite und Auswanderung

ebensolcher auf 'germanischer' ist eine Vorstellung, die den Vorgängen des

sechsten und siebten Jahrhunderts im östlichen Europa nicht entspricht. Vor allem

änderten sich soziale Strukturen und die ethnischen Identitäten. Nach den uns

greifbaren schriftlichen Berichten von Zeitgenossen waren es nicht mehr

'germanische' Bewohner, die östlich der Elbe und nördlich der Mittelgebirge

siedelten, sondern eben 'slawische' Bevölkerungen. Zuwanderung und

Assimilation waren jene historischen Vorgänge, die zu dieser grundlegenden

Veränderung führten.97

 

Seit der Mitte des sechsten Jahrhunderts ist die slawische Ausdehnung im oben

ausgeführten Sinn in der Slovakei, Böhmen und Mähren angenommen worden.

Was allerdings 'slawisch' und was nicht 'slawisch' ist, bleibt in der Archäologie zu

klären. Die Gebiete um Elbe und Saale wurden nach Joachim Hermann, einem

Archäologen der DDR, etwa zu Beginn des siebten Jahrhunderts erreicht, die

mecklenburgische und pommersche Küste dann in der zweiten Jahrhunderthälfte,

Ostholstein als nordwestlichste Region möglicherweise erst nach 700. Hermann

datierte die als slawisch eingestuften archäologischen Befunde sehr früh, was in

 

 

95Prokop, De Aedificiis, IV 1,33. Vgl. auch: Curta 2001, 150f.

 

96Zum Namen der Anten: Schelesniker 1973, 5. Pohl 1988, 46ff und 160f.

 

97Curta 2001, 24ff; Pohl 1988, 119f.


39

der jüngeren Forschung zurückgenommen wurde.98 Der Zeitrahmen der

Slawisierung Ostmitteleuropas ist schwer zu bestimmen. Gräber und Siedlungen

liefern kaum Material für eine absolute Chronologie. Mit Vorsicht setzt Brather

diesen Rahmen. Die frühesten Jahrringdaten aus dem Raum westlich der Oder

stammen seiner Ansicht nach aus der Zeit um 700, was einen terminus ante quem

für eine slawische Ethnogenese und/oder Einwanderung ergebe. Der terminus

post quem sei durch das 'Abbrechen' germanischer Siedlung im frühen sechsten

Jahrhundert markiert. Letzteres stelle aber nur einen indirekten und durch wenige

Funde bestimmbaren Anhaltspunkt dar. Gleichzeitig wird betont, daß die

Gegenüberstellung von Germanen und Slawen idealtypischen Charakters sei.

Unterschiedliche kulturelle Traditionen treffen den Sachverhalt besser, als jede

Art von ethnischer Vorstellung.99

 

Die Besiedlung von Gebieten des heutigen Österreich und der Ostalpen ging wohl

von Süden, vom Eisernen Tor, wie von Norden, von den Karpaten und der Tatra

aus vor sich.100 Das Pustertal, in dem sich Kämpfe zwischen den Baiern und

Slawen abspielten, wurde von Paulus Diaconus als provincia Slavorum

bezeichnet.101 Genauere Datierungen eines Beginns der slawischen Siedlung sind

auch hier sehr schwierig.

 

Die Herausbildung der ostslawischen Kerngebiete bis um 800 ist in ihrer Genese

insgesamt also nur schwer nachvollziehbar. Ethnische oder politische

Großverbände sind erst seit dem siebten Jahrhundert greifbar. "Erste Ansätze zur herrschaftlichen Verdichtung territorial stabiler Siedlungsvorgänge"102 im siebten

Jahrhundert gipfeln in der Reichsbildung des wohl aus einer fränkisch-slawischen

 

 

98Hermann 1972, 14ff; Brather 2001, 22ff;

 

99Brather 2001, 59f.

 

100Brather 2001, 61; ODB 3, s.v. Slavs, 1916f; LMA VII, s.v. Slaven, 2001; Fritze 1945/1994, 9ff.

 

101Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, IV 7 und IV 10.

Vgl. auchPohl 1988, 149; Wolfram 1995, 56.

Im Jahr 592 unternahmen die Baiern unter Tassilo einen erfolgreichen Plünderungszug ins

Slawenland (provincia Slavorum ), drei Jahre später erlitten sie bei einer ähnlichen Aktion eine

Niederlage durch den awarischen Khagan, bei der sie angeblich 2000 Kämpfer verloren. Diese

Kämpfe fanden im Pustertal und bei Aguntum statt.

Die Slawen in Kärnten belegt bei: Paulus Diaconus, Historia Langobardorum, IV 38. Literatur bei:

Fritze 1945/1994, 13, Anm. 96.

 

102LMA VII, s.v. Slaven, 2001.


40

Mischkultur stammenden Samo (ca. 623/24 - ca. 658). Die Ausdehnung des

angeblich 35 Jahre währenden Reichs Samos ist umstritten. Das Zentrum dürfte in

Mähren und/oder Böhmen gelegen haben, für das südöstliche Mähren und die

Slowakei läßt sich aufgrund der Bodenfunde eine neuerliche awarische Dominanz

vermuten. War das neue Regnum zuerst ein politisches Gebilde, das als

Sezessionsbewegung von Slawen aus der awarischen Oberhoheit verstanden

werden kann und ohne "fränkische Geburtshilfe" wohl kaum möglich gewesen

wäre, kam es Anfang der dreißiger Jahre des siebten Jahrhunderts zu

militärischen Konflikten zwischen Wenden und Franken.103

 

Ausführlicher muß hier auf die in der Chronik Fredegars, der Hauptquelle für die

fränkischen Verhältnisse des siebten Jahrhunderts, geschilderten Sichtweisen der

slawischen Nachbarn eingegangen werden. König Dagobert sandte einen

Gesandten namens Sycharius, der Beschwerde bei Samo führen sollte. Fränkische

neguciantes waren im Wendenland ausgeplündert und ermordet worden. Fritze

deutet diese neguciantes als Waffenhändler, was das königliche Interesse besser

verständlich macht. Es ging also um die politisch-militärische Einflußname in

Ostmitteleuropa. Bodenfunde belegen, daß ein wesentlicher Teil der

merowingischen Exporte in diesen Raum aus Waffen bestand. Die Kaufleute

müssen unter königlichem Schutz gestanden haben, was das Auftreten des

Sycharius bestätigt. Wenn Fredegar für dasselbe Jahr, in dem Samo den wenig

willkommenen Besuch erhielt, von einem Bündnis Dagoberts mit dem

byzantinischen Kaiser Herakleios berichtet, wird das fränkische Interesse an den

neuen slawischen Gebieten deutlich. Man erwartete sich einen politisch und

militärisch kooperierenden Staat, um die Awaren in die Zange nehmen zu

können. Die sorbischen Slawen, die näher an der fränkischen Grenze lebten,

hatten mindestens seit Beginn der Regierungszeit Dagoberts die fränkische

Oberhoheit anerkannt.104 Zumindest ist die Bemerkung im Fredegar, daß diese

103Vgl. Brather 2001, 63; Pohl 1988, 256-261.

Hauptquelle für den Staat Samos ist Fredegar, IV, 48 und 68, sowie die etwas veränderte

Darstellung in den Gesta Dagoberti I, 22.

Auf diesen Quellen baut die kurze Erzählung in der Conversio Bagoariorum et Carantanorum c. 4

auf (Wolfram 1979, 41, Vgl. dort auch 16f).

Vgl. zu Samos Reich auch Fritze 1945/1994, 83-108.

 

104Fritze 1945/1994, 86ff.


41

Sorbi "iam olim ad regnum Francorum adspexerant", so zu deuten.105 Auch auf

weiter östlich beheimatete slawische Stämme, die sich im zweiten Viertel des

siebten Jahrhunderts der awarischen Oberhoheit entledigen wollten, hat die

fränkische Politik Einfluß zu nehmen versucht.106

 

Zuerst wollte nach dem Bericht Fredegars Samo den Gesandten gar nicht

empfangen. Dieser verkleidete sich aber als Slawe, erschien vor Samo und teilte

ihm die Forderungen Dagoberts mit. In "heidnischem Stolz" weigerte sich Samo

aber Entschädigung zu leisten und erklärte lediglich bereit, placeta, also Gerichtsverhandlungen, durchzuführen. Der zornige Sycharius erinnerte

daraufhin den Wendenkönig daran, daß er kein gleichrangiger Partner des

fränkischen Königs sei, sondern diesem servicium schulde. Das Regnum der

Wenden verstand sich selbst als durch eine Schwurfreundschaft auf Basis der

amicitia mit dem Frankenreich verbundener Staat. Das läßt sich aus der von

Fredegar gebotenen Antwort Samos ableiten. "Et terra quam habemus Dagoberto

est, et nos sui sumus, si tamen nobiscum disposuaerit amicicias conservare."107

Sycharius schmähte daraufhin den Wendenkönig und beschimpfte ihn als Hund,

mit dem Diener Gottes ohnehin kein Bündnis schließen könnten. Samo

antwortete, die Hunde könnten die Diener Gottes durchaus zerfleischen. Daß

Fredegar den Gesandten als stultus legatus bezeichnete, deutet daraufhin, daß

diese 'völkerrechtliche' Debatte nicht in der Kompetenz des Sycharius gelegen

hatte. Jedenfalls scheint der fränkische Gesandte Samo mißverstanden zu haben.

Der Wendenkönig stellte wohl nur den Anspruch auf Gleichrangigkeit, was in der

spätrömischen Begrifflichkeit der amicitia auch unter ungleichen Partnern möglich

und üblich war.108

 

Daß König Dagobert nur deshalb Krieg gegen Samo führen mußte, ist aber

unwahrscheinlich. Ein großes Heer unter langobardischer Beteiligung zog ins

Wendenland. Man nahm das Regnum Samos offenbar ernst, was sich auch in der

Bezeichnung rex für Samo widerspiegelt. Langobarden und Alamannen siegten

und führten viele Gefangene weg. Die Truppen Dagoberts wurden aber bei der

Belagerung der Wogastisburg geschlagen. Diese Niederlage schwächte die

 

 

105Fredegar IV, 68.

 

106Fritze 1945/1994, 90ff. Literatur zu Fredegar bei Pohl 1988, 260f und LMA III, s.v. Fredegar, 884.

 

107Fredegar IV, 68.

 

108Zur amicitia vgl. Epp 1999, 176ff und 186ff; Die Frage der amicitia in der fraglichen

Fredegarstelle: Pohl 1988, 258f.


42

fränkische Position an der Ostgrenze und auch Dervan, der dux der Sorben und

bis zu diesem Zeitpunkt fränkischer Vasall schloß sich Samo an. Thüringen und

andere fränkische Gebiete wurden in den folgenden Jahren immer wieder von den

Wenden Samos geplündert.109

 

"Entscheidend war, daß Samos Siege an der Westflanke des Awarenreichs den

Spielraum für eine Reihe slawischer Ethnogenesen schufen, die ihn und sein Reich

bei weitem überdauerten und die im Spannungsfeld zwischen awarischer und

fränkischer Großmacht eine mehr oder weniger eigenständige Entwicklung

nehmen konnten."110 Für etwa 100 Jahre fehlen nach Fredegars Berichten über das

Reich Samos in den fränkischen Quellen Nachrichten über die östlich des Reichs

siedelnden Slawen, ausgenommen den Karantanen. Ende des achten Jarhhunderts

erscheinen dann wieder Slawen in der fränkischen Annalistik und Chronistik im

Zusammenhang mit den diversen Heerzügen Karls des Großen an Elbe und

Donau.

 

Seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts formierten sich slawische

Fürstenherrschaften bei den Kroaten, in Mähren und in der Kiever Rus'. Im

neunten und zehnten Jahrhundert entstanden große politische Verbände mit einer

'europäischen' Zukunft bei den westlichen Slawen in Mähren, Böhmen, Polen und

bei den Abodriten. Alle diese Herrschaftsbildungen waren eng mit der

Christianisierung verbunden, die der Bulgaren ausgenommen.

 

Die Christianisierung der Oberschichten ermöglichte die Integration der neuen

Reiche in den west- und mitteleuropäischen Kulturraum. Eine großräumige

Herrschaft wurde allein durch die Schrift, die die christlichen Priester

mitbrachten, administrativ erfaßbar. Die westslawischen Herrschaftsbildungen

waren politisch, wirtschaftlich und kulturell mit den Nachbarräumen verflochten.

Im Westen und Südwesten bestanden Bindungen an das sich verfestigende ostfränkisch-deutsche Reich, die ja schon angesprochen wurden. Weiters waren

besonders die elbslawischen und polnischen Herrschaftsbildungen mit den

entstehenden skandinavischen Reichen im Norden und der Kiever Rus' im Osten

in stetem Austausch. Im siebten und achten Jahrhundert spielten die Awaren eine

109Fredegar IV, 68.

 

110Pohl 1988, 261.


43

große Rolle beim Aufbau politischer Identitäten, im zehnten Jahrhundert und

auch noch im hohen Mittelalter die Ungarn.111

 

An der unteren Elbe wurden in den Jahrzehnten vor 800 die Sachsen dem

fränkischen Reich einverleibt. Nach der Eroberung des sächsischen

Siedlungsgebiet war die fränkische Reichsgrenze bis an die untere und mittlere

Elbe vorgerückt. Abodriten und Wilzen waren nun Nachbarn der Franken und

wurden auch in wechselnde Bündnisse zwischen Franken, Sachsen und Dänen

hineingezogen. 789 zog Karl in das Gebiet der Wilzen und wurde von Sorben und

Abodriten begleitet. Der von Einhard genannte Grund war ein alter Streit

zwischen Wilzen und Abodriten, den Karl beilegen wollte. Der rex Dragovit

unterwarf sich Karl zusammen mit seinem Sohn, Kleinkönigen und Großen (reguli

ac primores).112

 

Die Reichsannalen vermerkten 822 die Anwesenheit verschiedener slawischer

Fürsten auf einer Reichsversammlung in Frankfurt. "(...) conventu omnium

orientalium Sclavorum, id est Abodritorum, Soraborum, Wilzorum, Beheimorum,

Marvanorum, Praedenecetorum, et in pannonia residentium Abarum

legationes."113 Zwischen 815 und 826 sind mehrmals solche Aufzählungen

slawischer Fürsten in den Reichsannalen enthalten. Die fränkischen Könige

tauschten mit den Slawenfürsten Geschenke aus, schlossen

Freundschaftsbündnisse, forderten manchmal auch die Stellung von Geiseln,

übernahmen Taufpatenschaften und schlichtete Streit zwischen den Fürsten. Die

zeitweise sehr engen Beziehungen beeinflußten die politische Entwicklung bei

den slawischen Stämmen. Slawische Bevölkerung fand sich aber nicht nur

außerhalb der Ostgrenze, auch im karolingischen Reich siedelten Slawen. Dies

beruhte einerseits auf selbstsändiger Einwanderung, andererseits aber auf

gezielter königlicher Ansiedlung. Solche slawischen Gebiete befanden sich

westlich der Saale in Thüringen, im Main-Regnitz-Gebiet und westlich der

mittleren Elbe. Auch im heutigen Ostösterreich beiderseits der Donau lebten

Slawen. Diese slawischen Gemeinden hatten in manchen Fällen ein eigenes Recht

und manche Gemeinden waren nicht christianisiert.114

111Herrmann 1986, 143ff; Fritze 1945/1994, 73ff und 172ff; Graus 1980, 38ff.

 

112Einhard, Vita Karoli, 12.

 

113Annales regni Francorum, ad a. 822.

 

114Wolfram 1995, 56ff.


44

Im Bewußtsein der Zeitgenossen gehörten die westlichen Slawen der

Jahrtausendwende zum Reich. Eindrucksvoll ist dies in der Huldigungsszene im

auf etwa 998/1000 datierten Evangeliar Ottos III. zum Ausdruck gebracht. Die

personalisierten Provinzen Roma, Gallia, Germania und eben Sclavinia verbeugen

sich vor dem Kaiser und bringen ihm Gaben dar. Das Widmungsbild des um 1000

entstandenen Aachener Liuthar-Evangeliars präsentiert wahrscheinlich die

Könige von Polen und Ungarn zu Füßen Kaiser Ottos III. .115

 

Entsprechend den Fragestellungen dieser Arbeit wird im folgenden die für die

folgenden Kapitel relevante slawische Herrschaftsbildungen in Böhmen kurz

besprochen. Im Rahmen der Besprechung der jeweiligen Quellen wird auch auf

Polen und die Abodriten eingegangen.

 

Die geographische Geschlossenheit Böhmens - ein Becken, das von Mittelgebirgen

umrahmt ist - bedingte die Kontinuität der p¯emyslidischen Herrschaftsbildung,

ganz im Gegensatz zu den Nachbarräumen der Mähren, Polen und Elbslawen. Im

Laufe des zehnten Jahrhunderts vollzog sich diese Herrschaftsbildung im Kontext

des Machtvakuums nach dem Zusammenbruch des Großmährischen Reichs

durch den Tod Svatopluks und den inneren Problemen des ostfränkischen Reichs

unter Ludwig dem Kind (900-911) und König Arnulf (911-918). Im neunten

Jahrhundert gab es noch mehrere kleinräumige Herrschaften im böhmischen

Becken. Die Söhne des ersten historisch greifbaren P¯emysliden Bo¯ivoj I., der 895

gestorben war, SpytihnÏv und Vratsilav leisteten im Todesjahr ihres Vaters Herzog

Arnulf von Kärnten die commendatio. Kurz darauf verlegten die P¯emysliden ihren

Sitz nach Prag. Nach kurzer Regierungszeit war Wenzel, der Sohn Vratsilavs, von

seinem Bruder Boleslav I. (929/935-967/972) ermordet worden und innerhalb

weniger Jahre heilig gesprochen worden. Seine Reliquien wurden in die Südapsis

des Veitsdoms gebracht und Ende des zehnten Jahrhunderts war Wenzel ein in

ganz Europa verehrter Heiliger, der im hohen Mittelalter zum Kern eines

böhmischen Landesbewußtseins werden konnte.116

 

Boleslav I. hatte sich gegenüber Kaiser Otto I. 950 verpflichtet und ließ schon 955

eigene Münzen schlagen. Den p¯emyslidischen Machtbereich konnte er bis

Schlesien und Kleinpolen erweitern, dynastische Heiraten mit polnischen und

115Evangeliar Ottos III.: Clm. 4453, fol. 23v; Aachener Liuthar-Evangeliar fol. 15v. Vgl.: Herrmann

1986, 261.

 

116LMA II, s.v. Böhmen, 336ff; Graus 1980, 53f.


45

sächsischen Frauen festigten die Stellung der neuen böhmischen Dynastie weiter.

Boleslav II. (967/972-999) erreichte 973/976 die Einrichtung des dem

Metropolitanverband Mainz unterstellten Erzbistums Prag, das mit der Erhöhung

Wenzels zum Landespatron im 11. Jahrhundert eine dominierende Stellung

erreichen konnte. Erste Klöster wurden kurz nach der Bistumsgründung

eingerichtet. In der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts kam es zu schweren Auseinandersetzungen mit den polnischen Piasten, vor allem mit Boleslaw

Chrobry, der 1003 sogar Böhmen und Mähren erobern konnte. Der Polenkönig

wurde von König Heinrich wieder aus Böhmen vertrieben.117

 

Die Einrichtung von Burgbezirken und Dienstsiedlungen beschleunigte die

Territorialisierung der p¯emyslidischen Herrschaft. Die Erneuerung des

mährischen Bistums Olmütz in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts und

zahlreiche Klostergründungen, die auch die Klosterreformbewegung der

Benediktiner und Zisterzienser nach Böhmen und Mähren brachten, etablierte

eine weitgehend von den P¯emysliden abhängige Kirchenorganisation. Nachdem

bereits Vratislav II. (1061-1092) im Jahr 1085 und Vladislav II. (1140-1173) im Jahr

1158 zu Königen erhoben worden waren, erlangten die P¯emysliden 1198 durch

König Philipp von Schwaben und nochmals 1212 durch Kaiser Friedrich II. die

erbliche Königswürde. Die seit dem 11. Jahrhundert in Lehensabhängigkeit zum

Reich stehenden P¯emysliden stiegen zu Reichsfürsten auf. Mit der Goldenen Bulle

von 1356 wurde der König von Böhmen dann auch Kurfürst.118

I.3. Die Ethnonyme "Slawen", "Anten" und

"Venethi" in den Quellen des sechsten

Jahrhunderts: Prokop, Jordanes, Theophylaktos

Simokates

Es sind drei Autoren, die das meiste, was wir über die Slawen des sechsten

Jahrhunderts wissen, geschrieben haben: Prokop von Caesarea (De bello Gothico),

117Graus 1980, 58f; Herrmann 1986, 167f; Wolfram 1995, 58ff.

 

118Graus 1980, 60.


46

Jordanes (De origine actibusque Getarum) und Theophylaktos Simokates

(OfkoumenikØ stora).

 

Diese Autoren berichten aus der Sicht des Mittelmeeraums und bieten nur wenige

Informationen zu Geschichte und Herkunft der Slawen. Prokop und

Theophylaktos Simokates sprechen von Sklabhno und ÖAntai, Jordanes erwähnt

eine dritte Untergruppe zur Gliederung der Slawen, nämlich den hier zu

betrachtenden Namen Venethi. Erst durch diesen gelehrten Sprachgebrauch bei Cassiodor-Jordanes wird Venethi zur Benennung der Slawen auch in der

schriftlichen Überlieferung greifbar. Das Ethnonym 'Slawen' ist also seit dem

sechsten Jahrhundert als Fremdbezeichnung belegt.

 

Zur zuerst gebrauchten griechischen Langform Sklabhno mit der lateinischen

Entsprechung Sclaveni trat etwas später die kürzere Form Sklãboi. Aus der

griechischen Kurzform wurde sowohl das arabische as-Saqaliba, als auch das

lateinische sclavi abgeleitet. Im romanischen wie im germanischen Sprachbereich

entstand zwischen dem neunten und dem 11. Jahrhundert der Begriff 'Sklave',

weil häufig slawische Kriegsgefangene auf den Sklavenmärkten verkauft

wurden.119

 

Die Etymologie und Herkunft des Namens 'Slawe' umstritten. In der slavistischen

Philologie wird der Slawenname Häufig mit dem Wort slovo (mit der Wurzel

*slovene ) in der Bedeutung 'Wort, Sprache' erklärt. Die Semantik dieser

Bezeichnung ist als Gegenüberstellung derer, die man versteht, mit denen, die

stumm sind, als Umschreibung des Sich-Nicht-Verständigen-Könnens, zu

beschreiben. Darunter fiele die im slawischen Sprachraum weit verbreitete

Bezeichnung der Deutschen als Stumme (NÏmec). 120

 

Solche Deutungen greifen aber viel zu kurz, um slawische Identität zu fassen.

Natürlich ist Sprache ein markantes Unterscheidungsmerkmal. Es wird den

Vorstellungen der fränkischen und byzantinischen Autoren des frühen

Mittelalters aber nicht gerecht, die Abgrenzung verschiedener Gruppen auf die

Benennung sprachlicher Verwandschaft oder von Sprachbarrieren und auf

119LMA VII, s.v. Slaven, 2000; RE XV, s.v. Venedae, 698; Schönfeld 1911, 281.

Es wird hier auf eine Diskussion der sprachwissenschaftlichen Deutungs- und

Zuordnungsversuche des Venedernamens in der älteren Forschung verzichtet.

 

120Vgl.: Graus 1980, 2; 6 und Anm. 59; LMA VII, s.v. Slaven, 2000; Schelesniker 1973, 70f.


47

Stereotypen zu reduzieren. Letztlich ist nicht die Sprache in den meisten Quellen

das primäre Unterscheidungsmerkmal zwischen Gruppen.

 

Bei den verschiedenen slawischen Stämmen taucht '-slaw' in Personen- und eben

auch Stammesnamen auf. In der Vita Methodii bedient sich Rotislav, der Fürst

von Altmähren, in einem Brief an den Kaiser von Byzanz der Bezeichnung "my

sloveni" (="wir Slawen"). Dieser Sprachgebrauch geht allerdings eindeutig auf

eine Fremdvorlage zurück und in Quellen wie Einhards Vita Karoli und den

Annales Regni Francorum ist nachvollziehbar, daß eben einzelne slawische

Gruppen keine Gemeinschaftsbezeichung kennen, sondern Stammesnamen

verwenden.121

 

Die Bezeichnung 'Slawen' wurde in vielen Fällen von den so Bezeichneten erst im

zehnten Jahrhundert als Selbstbezeichnung übernommen, was noch heute im

Namen der Slowenen, der Slowaken und der Slovenen am Ilmensee

nachvollziehbar ist.122 Zunächst ist der Slawenname aber wie ausgeführt eine Fremdbezeichnung und Ausdruck der Konstruktion eines

Gemeinschaftsbewußtseins von außen, das bei den Slawen selbst vielleicht im 19.

Jahrhundert vorhanden war, aber im frühen Mittelalter nicht nachweisbar ist.

 

Im neunten und zehnten Jahrhundert kam es zu Herrschaftsbildungen bei den

Westslawen. Einzelnamen wie Mährer, Böhmen und Polen werden in den

fränkischen Quellen nun häufiger als die allgemeine Bezeichnung 'Slawen'. So

wurden nunmehr Gruppen ohne christliche Oberhäupter am Rand der aus

fränkischer Sicht zentralen Welt benannt. Die Polen wurden ohnehin selten als

'Slawen' bezeichnet, da sie von solchen umgeben waren und eine solche

Bezeichnung wenig Unterscheidungskraft besessen hätte. In der zweiten Hälfte

des 12. Jahrhunderts verstand man unter Slawen dann nur noch Pommern und

Rügenslawen.123

 

Ein Sammelbegriff faßt verschiedene Gruppen zusammen. Dieser Vorgang ist

nicht nur für die Slawen nachweisbar. Die Völkerschaften, die eine ähnliche

Sprache sprechen, sind Slawen oder eben 'Wenden'. In gleicher Weise ist es

121Graus 1980, 28f und Anm. 75 und 76. Dort auch die Quellenbelege und Verweise zu den hier

angeführten Stellen.

 

122LMA VII, s.v. Slaven, 2000; Brather 2001, 52.

 

123Reisinger und Sowa 1990, 23; Graus 1980, 27.


48

bequem die 'Welschen' zu benennen, ohne lange die Unterschiede zwischen den

einzelnen Gruppen thematisieren zu müssen. Niemand würde aber aufgrund

dieser Fremdbezeichnung eine biologisch-genetische oder politische Einheit mit

einem alten Sonderbewußtsein postulieren.124

 

Die Anten (ÖAntai, ÖAntew, Anti, Antae) dürften ein Stammesverband nördlich

des Schwarzen Meeres gewesen sein. Die Verwendung dieses Ethnonyms läßt sich

zum letzten Mal bei Theophylaktos Simokates im siebten Jahrhundert

feststellen.125

 

Die Anten stellen einen Sonderfall der slawischen Ethnogenese dar. Ihr Name

bedeutet "Schwurverband" und ist sprachlich dem Ural-Altaischen zuzuweisen.

Die Anten werden somit als in awarischen Diensten stehende Gruppe faßbar, die

ihren awarischen Namen, der ursprünglich eine Fremdbezeichnung war,

übernommen hatten.126

 

Prokop wurde oft als Vertreter der senatorischen Opposition zu Justinians Politik

gesehen. Das Publikum Prokops hatte eine Beziehung zu Homer, Herodot und

Thukydides. Wenn Prokop etwa meint, er berichte von Bauten, die er selbst

gesehen habe oder sich von anderen beschreiben habe lassen, ist das eine

Anspielung auf den alten Meister der Historie, die an Deutlichkeit nichts zu

wünschen übrig läßt.127 Üblicherweise nennt Prokop aber seine Quellen nicht, was

die Nachprüfbarkeit teilweise sehr erschwert. Den Balkan und die

Siedlungsgebiete der Slawen kannte Prokop wohl nur von Karten, im Gegensatz

zu den Gebieten, die er im Rahmen seiner Teilnahme an Belisars Feldzügen selbst

gesehen hatte. Mit Slawen hatte Prokop in Italien Kontakt. So zum Beispiel nach

der ersten Belagerung von Rom; Prokop wurde 539/40 zuerst nach Neapel und

dann nach Auximum/Osimo geschickt, um Nachschub für die Armee Belisars zu

sichern. In Auximum wurden slawische Kaufleute von Belisar dazu benutzt,

Goten aus der belagerten Stadt zu locken und so zu fangen.128

124Vgl. dazu die sehr differenzierten Überlegungen von Frantisek Graus in: Graus 1980, 26-31.

 

125Theophylaktos Simokates VIII, 5.

 

126Pohl 1988, 45ff; Schelesniker 1973, 76f.

 

127 Prokop, De aedificiis, VI, 7, 18; Hofmann 1997, 664.

 

128 Prokop, BG, VI, 26, 16-22; Vgl. Curta 2001, 37, Anm. 3.


49

Die Sicht der Slawen bei Prokop ist in Zusammenhang mit dem Konzept der

oikumene zu verstehen. Die diplomatische Terminologie basierte auf der

Vorstellung von einem Reich, das von Verbündeten (®nspondoi) wie den

Langobarden, den Gepiden und den Goten umgeben war. Die Slawen gehörten

nicht zu dieser Gruppe, Prokop sah sie wohl als neues Volk an. Curta bemerkt,

daß in allen 41 Nennungen von Sklabhno und ÖAntai im Werk Prokops niemals

Wörter, die dieses Ethnikon als alt klassifizieren würden, auftauchen, dafür aber

alle Erwähnungen von Ansiedlungen der Slawen grammatikalisch in der

Gegenwart gehalten sind. Auch werden Slawen immer in Beziehung mit Anten,

Hunnen oder anderen Nomaden genannt.129 Daß die Slawen von großem

Interesse waren, beweist der ausführliche ethnographische Exkurs über sie, der

der längste solche Exkurs im gesamten Werk Prokops war. Er enthält eine

ergiebige Liste von Ausführungen zur politischen Organisationsform, Religion,

Kriegsführung, Sprache, äußeren Erscheinung und zum Territorium. Die Slawen

werden dabei nicht so negativ klassifiziert wie die meisten anderen Barbaren, im

speziellen die Heruler.130 Zusammenfassend gesagt: Prokop "imagined the Slavs

as newcomers and nomads".131

 

Die Sichtweise des Jordanes ist eine gänzlich andere. Bei der uns überlieferten

Schrift des Jordanes handelt es sich lediglich um einen Auszug der Gothorum

historia des Cassiodor. Dieser schrieb zwischen 519 und 533 eine Gotengeschichte

in zwölf Büchern. Die Geschichte der Goten sollte dabei ebenso groß und

glücklich gezeichnet werden, wie die der Römer. An Quellen verwendete

Cassiodor Priskos, Dio Cassius und Josephus Flavius.132

 

Im Winter 551, während Cassiodor noch lebte, brachte ein Byzantiner gotischer

Herkunft namens Jordanes in Konstantinopel einen Auszug des Cassiodorschen

Werks in einem Buch heraus. Der Titel lautete De origine actibusque Getarum, kurz

auch Getica betitelt. Angeblich stand Cassiodors Originalwerk Jordanes nur

wenige Tage zur Verfügung und er meinte selbst, nur einen flüchtigen Auszug

 

 

129 Curta 2001, 38.

 

130 Prokop BV II, 4: Pharas ist, wenn auch Heruler von Geburt (kaper ÖEroulow n g°now), ein

tüchtiger Truppenführer. Wenn ein Heruler nicht säuft und treulos ist, ist das eine Seltenheit und

verdient besonderes Lob.

 

131 Curta 2001, 39.

 

132Die Datierung der Gotengeschichte Cassiodors nach: Wolfram 2001, 15; Quellen:

Schanz/Hosius, et al. 1920, IV, 2, 1044ff; Manitius 1911, 36-52.


50

gemacht zu haben.133 Wie aus dem Text des Jordanes hervorgeht, hatte Cassiodor

sich bemüht, die Auswanderungssage der Goten nach alten Stammessagen, den

"Liedern der Alten", der "gentilen memoria", dem "Ursprung und Ende" von

Königen und Reichen zu erzählen. Tatsächlich sind die Informationen, die

Jordanes zur Verfügung standen, vor allem in Bezug auf die Königssippe der

Amaler sehr gut.134 Die große Insel im Norden, also Skandinavien, das in der

antiken Literatur Scandia genannt wurde, galt Jordanes als Urheimat der Goten

und wurde daher eingehend beschrieben. Die Auswanderung der Goten zeichnet

Jordanes als abenteuerliche Fahrt mit drei Schiffen unter der Führung von König

Berig über die Ostsee.135 Diese Vorstellung von der Herkunft der Goten war die

am Hof Theoderichs des Großen im sechsten Jahrhundert verbreitete. Ihre

Historizität ist trotz vieler Versuche in der Forschung nicht zu erweisen.136

 

Die Gotengeschichte Cassiodors versteht sich als origo gentis, also als

Herkunftsgeschichte eines Volkes von Barbaren. Die Cassiodorsche origo Gothica

war also Teil eines antiken Genus, innerhalb dessen seit Caesar zwei

Auffassungen parallel tradiert wurden: Die Tradition der griechischen

Ethnographie erklärte gentile bzw. ethnische Ursprünge mit Vorliebe anhand der

Heldentaten von Göttern und Heroen. Die römischen Ethnographen hingegen

versuchten seit Caesar autochthone Traditionen zu berücksichtigen und billigten

ihnen mehr Geltung zu, als traditionellen mythologischen Spekulationen.

Römische Ethnographie wurde immer als Teil der historia Romana verstanden und

betrieben. Mit der Einbindung der Gotengeschichte in die ökumenische historia

Romana gab Cassiodor das Beispiel für die mittelalterlichen Origines gentium,

deren Reihe Saxo Grammaticus mit seinen Gesta Danorum um 1200 beschlossen

hat. Die origo, die Vorgeschichte, einer germanischen, keltischen oder slawischen

gens wurde in den entsprechenden Werken nicht mehr nur in die universelle

historia Romana integriert, sondern auch heilsgeschichtlich gedeutet. Cassiodor

und Jordanes ließen ihre Gotengeschichte mit einer in diesem Sinn "glücklichen

133Vgl. zu Jordanes: RGA 12, s.v. Goten III. § 10, 427; Schanz, et al. 1920, IV, 2, 1044ff; Manitius

1911, 36-52; RE IX, s.v. Jordanes, 1908-1929; RAC II, 915-926; Courcelle 1964, 208f; Wolfram 2001,

14ff und 27; Svennung 1967 a, 1ff.

 

134Jordanes, Getica, 28 und 117. RGA 12, s.v. Goten I. § 2, 403.

 

135Jordanes, Getica, 4, 25.

 

136RGA 12, s.v. Goten III. § 11, 429; Dort auch umfangreiche Literaturangaben zur

Forschungsdiskussion. Vgl. auch: Svennung 1967 a, .


51

Niederlage" enden. Die Geschichte des amalischen Gotenreichs endete mit

Belisars Sieg über König Vitigis und die Enkelin Theoderichs, Matasuntha. Die

letzte Amalerin konnte jedoch den Kaiserneffen Germanus heiraten und so die

Tradition ihrer Familie mit der der Anicier verbinden. "So vollzieht sich der

legitime Übergang von der amalisch-balthischen Origo Gothica in die Historia

Romana."137 Das Alter der gotischen gens wie der Adel der Amaler wird zusätzlich

noch durch die Erzählung von der gotischen Abstammung des Kaisers

Maximinus Thrax und der Plünderung Trojas durch Goten in grauer Vorzeit

betont.138 Eine solche "gentile Entelechie" gilt als Legitimierung der Herrschaft.

Die origo wurde für ihre gens kodifiziert und nicht selten mit einer lex scripta

gemeinsam überliefert.139

 

Um die folgenden Ausführungen zu untermauern, wird hier die Stelle aus den

Getica zitiert, die die Abstammung der Slawen von den Venetern behauptet.

"Introrsus illis Dacia est, ad coronae speciem arduis Alpibus emunita, iuxta

quorum sinistrum latus, qui in aquilone vergit, ab ortu Vistulae fluminis per

immensa spatia Venetharum natio populosa consedit. Quorum nomina licet nunc

per varias familias et loca mutentur, principaliter tamen Sclaveni et Antes

nominantur. Sclaveni a civitate Novietunense et laco qui appellatur Mursiano

usque ad Danastrum et in boream Viscla tenus commorantur: hi paludes silvasque

pro civitatibus habent. Antes vero, qui sunt eorum fortissimi, qua Ponticum mare

curvatur, a Danastro extenduntur usque ad Danaprum, quae flumina multis

mansionibus ab invicem absunt."140

 

Beim Fluß Danaster handelt es sich um den Dnjestr, bei der Vistula um die

Weichsel. Umstritten sind die beiden anderen Lokalisierungen, die Jordanes

bringt. Es gab verschiedene Städte mit dem Namen Novietunense. Wahrscheinlich

meinte Jordanes aber die am Donaudelta. Die Sümpfe beim pannonischen

Mursa/Osijek könnten mit dem Lacus Mursiano gemeint sein. Die meisten Slawen

siedeln jedenfalls östlich der Gepiden und somit außerhalb des

Karpatenbeckens.141

137Wolfram 2001, 15f und 27.

 

138Jordanes, Getica, 20, 108.

 

139Wolfram 2001, 15f.

 

140 Jordanes, Getica, 5, 34.

 

141 Pohl 2002, 208f; Pohl 1988, 97.


52

Es könnte eine Auseinandersetzung zwischen Prokop und Jordanes in Bezug auf

die Haltung des Reichs gegenüber den Barbaren und im speziellen natürlich den

Goten gegeben haben. Jordanes gibt die Veneter als Wurzel an, Prokop die Spori,

Prokop sieht die Slawen und Anten als Nomaden, Jordanes denkt, sie hätten

"paludes silvasque pro civitatibus". Prokop sieht die Slawen nahe an der

Donaugrenze, Jordanes setzt sie an den weit im Norden gelegenen Fluß Vistula

(Weichsel). Nach Prokop hätten die Slawen und Anten keine Könige, sondern von

alters her eine Demokratie. Jordanes dagegen gibt den Anten den König Boz. Zu

Recht vermutet Curta eine Antwort des Jordanes auf Prokop, die Gleichzeitigkeit

der beiden Werke spricht auch für diese Annahme.142

 

Nach der umfangreicheren Überlieferung des sechsten Jahrhunderts, wo vor

allem Gregor von Tours, dessen Chronik bis 591 reicht, viel Licht bringt, stellt für

das siebte Jahrhundert die Chronik des sogenannten Fredegar die Hauptquelle

dar. Der Autorenname Fredegar ist erst im 16. Jahrhundert in einer

handschriftlichen Notiz greifbar. Für die anonyme Chronik hat sich die

Bezeichnung Fredegar-Chronik in der Forschung durchgesetzt.143 Das Werk bietet

einen Überblick über die Weltgeschichte seit der Schöpfung und will gleichzeitig

die Geschichte der gens Francorum darstellen. Die Quellen sind die Chroniken des

Hieronymus und des Hydatius, die Fasti des Hydatius und der Liber Generationis

des Hippolyt von Porto in dieser Reihenfolge.144

142 Jordanes, Getica, 5, 34; Prokop, BG, VII, 14, 22; Curta 2001, 39. Zur Auseinandersetzung

zwischen Prokop und Jordanes Vgl.: Goffart 1988, 93-95 und 101.

 

143Manitius 1911, ; LMA III, s.v. Fredegar, 884.

 

144Manitius 1911, .


53

II. Vandalen = Wenden. Ein frühmittelalterliches

Ethnonym mit langem Nachleben

 

II.1. Die Gleichung Wenden = Vandalen in

Quellen seit dem 8. Jahrhundert

II.1.1. Salomoglossar/ Glossae Salomonis (9. Jh.)

 

Das sogenannte Salomoglossar ist in verschiedenen Redaktionen mit einem

Überlieferungsschwerpunkt im 12. und 13. Jahrhundert auf uns gekommen. Das

Glossar bekam seinen Namen entweder vom Bischof Salomo II. von Konstanz

(reg. 875 - 890) oder von seinem Nachfolger Salomo III. (reg. 890 - 919). Die

Zuschreibung an einen der Konstanzer Bischöfe ist erst seit dem 12. Jahrhundert

nachzuweisen und historisch nicht haltbar. Der in mehreren Handschriften

genannte Bischof Salomo dürfte wohl eher Initiator als Autor einer dann häufig

verwendeten Redaktion gewesen sein.145

 

Bei den sogenannten Glossae Salomonis handelt es sich um ein das Alphabet

zweimal durchlaufendes lateinisch-lateinisches Wörterbuch, das im Süden des

deutschen Sprachraums seine stärkste Verbreitung gefunden hat. Einige der

Handschriften enthalten neben den lateinischen Worterklärungen noch

althochdeutsche Glossierungen.146

 

Einzelheiten zu Fragen der Entstehung, Überlieferung und der verwendeten

Quellen bedürfen noch der Klärung. Als Hauptquelle des Salomoglossars ist ein

älterer liber glossarum aus St. Emmeram in Regensburg angesehen worden, der im

Clm. 14429 aus dem neunten Jahrhundert enthalten ist.147 Datiert wird die

spanische Vorlage dieses liber glossarum in die Mitte des achten Jahrhunderts.148

Der von Manitius und Goetz vorgeschlagenen Abhängigkeit des Salomoglossars

von der verkürzten Fassung der spanischen Vorlage im Clm. 14429 wurde von

145Verfasserlexikon 8, s.v. 'Salomonisches Glossar', 542f.

 

146Steinmeyer und Sievers 1893ff, IV, 27-174, MCLXXV.

 

147Vgl. zum Clm. 14429 Bischoff 1974, 243.

 

148Vgl. Verfasserlexikon 8, s.v. 'Salomonisches Glossar', 542f;

Manitius 1911, 133f; Goetz 1893, 226.


54

McGeachy widersprochen. Letzterer wies auf eine Reihe von Übereinstimmungen

des Salomoglossars mit der ungekürzten Fassung des spanischen liber glossarum

hin.149

 

Goetz sieht die mögliche Vorlage des Regensburger liber glossarum wie gesagt in

einem Glossar, das in Spanien um 750 entstanden war. Dieses versteht er als

Enzyklopädie, in die antikes und christliches Wissen einfloß. Sein

Hauptbestandteil sind Exzerpte aus christlichen Schriftstellern, vor allem aus den

Etymologien Isidors und aus dessen De natura rerum, sowie aus den

Kirchenvätern Hilarius, Eucherius, Fulgentius, Orosius und Junilius. Aus der

antiken Literatur flossen Elemente der Synonyma Ciceros, des Physiologus, Teile

von Vergilglossen, Exzerpte aus Eutrop und Julian von Toledo ein.150

 

Der spanische liber glossarum diente mehreren Glossaren als Vorlage. Anhand der

einzelnen Lemmata, sowie der Kürzungen und Kompilationen dieses spanischen

liber glossarum sind die weiteren Verarbeitungen rekonstruierbar.

 

So schöpfte das Elementarium des Papias in der Rezension des Palatinus 1773, das

Glossar Abba pater und die griechisch-lateinischen Glossen Absida lucida, wie das arabisch-lateinische Glossar im Codex Leidensis Scal. orient. 231 aus dieser

Vorlage.151 Die Zusammenhänge der einzelnen Redaktionen der Glossae Salomonis

unter Berücksichtigung der Palatinusgruppe und der Prager Handschrift wären

noch zu klären.152

 

Der hier relevante Eintrag "UUandalus id est uuinid"153 ist nach

Steinmeyer/Sievers in elf Codices enthalten. Ob er darüberhinaus in anderen - vor

allem älteren - Handschriften, die das Glossar beinhalten, aufgenommen wurde,

müßte eigens überprüft werden. Steinmeyer/Sievers haben ausschließlich

deutsche und österreichische Handschriften aufgenommen, die einzige Ausnahme

149McGeachy 1938, 310ff.

 

150Über die Quellen im einzelnen: Goetz 1893, 256-282.

 

151Manitius 1911, 133f.

 

152Herrmann 1965, 119.

 

153Diese Schreibung nach Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f bezogen auf den

Admonter Codex und das Münchner Einzelblatt. Vgl. dazu die folgende Anm. .


55

stellt der Codex X A 11 aus dem 13. Jahrhundert154 der Bibliothek des Prager

Nationalmuseums dar.155

 

Auf der beschränkten Basis der Edition von Steinmeyer/Sievers kann nur die

Überlieferung seit dem 11. Jahrhundert beurteilt werden. Die beiden ältesten von Steinmeyer/Sievers verwendeten Belege sind das Münchner Einzelblatt cgm 187,

welches auf das 11 /12. Jahrhundert datiert wird, sowie der Codex 3 der

Admonter Stiftsbibliothek aus dem 11. Jahrhundert.

 

Der Überlieferungsschwerpunkt der Glossen liegt im 12. Jahrhundert, im liber

glossarum des Clm. 14429 ist die Gleichsetzung "UUandalus id est uuinid" nach

Hermann aber bereits enthalten.156 Auch der Codex 905 der Stiftsbibliothek St.

Gallen aus dem 10. Jahrhundert hat die Eintragung auf fol. 1026.157

 

Der Regensburger liber glossarum beinhaltet außerdem eine aus Isidors

Etymologiae IX, 2, 96 übernommene Erklärung für den Vandalennamen. Diese

findet sich auch im Prager Codex wieder.158 In der Prager Handschrift ist an

dieser Stelle Wandali mit zlowene glossiert.159

154Nach Herrmann 1965, 119 sei die Prager Handschrift ins 9. Jh. zu datieren.

 

155Die Handschriften finden sich aufgelistet im Verfasserlexikon 542f.

Das Glossar ist etwa im Codex Ms. Add. 18379 aus dem 13. Jahrhundert der British Library in

London auf fol. 2r bis 149v enthalten.

Weiters im Codex 905 der Stiftsbibliothek St. Gallen aus dem 10. Jahrhundert auf fol. 1r-1070r,

sowie in der Stiftsbibliothek Einsiedeln im Codex 293 aus dem 12. Jahrhundert auf fol. 1r-500v.

 

156Vgl. Herrmann 1965, 119.

 

157Herrmann 1965, 119, Anm. 135.

Hermann bezieht sich, was den Codex 905 aus St. Gallen betrifft auf eine Mitteilung von Duft.

Auf eine weitere Diskussion der in der Edition von Steinmeyer/Sievers gebotenen Varianten winid/

winit/ wind/ wint in den Codices seit dem 12. Jahrhunderts wird hier verzichtet. Sicher wäre aber an

den Handschriften zu untersuchen, wie vor dem üblichen Gebrauch des Buchstabens w, der in

aller Regel erst im 12. Jh. auftaucht, das Wort geschrieben worden ist.

 

158Clm. 14429 fol. 202; Codex X A 11 Knihovna Národního Muzea fol. 359. Vgl. Steinberger 1920,

122

 

159Nach: Schafarschik 1844, 420f und Anm. 1.

Die Anm. 1 auf Seite 421 wird im Wortlaut zitiert, da für diese Arbeit kein anderes Material zum

Prager Codex vorliegt. Der Text unterscheidet Fraktur und Lateinschrift, hat aber sonst keine

Anführungszeichen:


56

Berücksichtigt man die Belege aus Regensburg und St. Gallen, war die

Verwendung des Vandalennamens für Wenden/Slawen Sprachgebrauch im

neunten und zehnten Jahrhundert im südostdeutschen Raum. Im Codex X A 11

der Bibliothek des Prager Nationalmuseums wurde wint mit zlo uenin glossiert.160

Dieser Beleg wird unten mit der polnischen Historiographie des 13. Jahrhunderts

in Verbindung zu bringen sein.

II.1.2. Wessobrunner Glossen (9. Jh.)

 

Im Codex des Wessobrunner Gebets finden sich neben verschiedenen

theologischen Texten (z.B. De inquisitione vel inventione sanctae crucis, fol. 1r-20v)

und Bibelexzerpten auf fol. 77r - fol. 85r Worterklärungen, die nach Materien

geordnet sind und zumeist eine geistliche Ausdeutung bieten.161 Diese

Worterklärungen werden in der Forschung als Wessobrunner Glossen bezeichnet.

 

Bischoff betont gegenüber Annahmen, der Codex sei aus verschiedenen Teilen

kombiniert worden, die Einheitlichkeit der Schrift des gesamten Werks. Der

Schreiber erlebte noch das Jahr 814, die Entstehungszeit sei also auf das erste

Viertel des neunten Jahrhunderts zu setzen.162

 

Auf fol. 61v des Clm. 22053 findet sich der Eintrag:

 

"Pannonia sic nominatur illa terra meridie danobia. et uuandoli habent hoc;"

 

Auf fol. 62r setzen die Glossen dann fort mit:

"Arnoricus. peigirolant.

"Cod. Mus. Boh. p. 359. col. 3. Wandali juxta Wandiculum (so die Handschriften, in Hankas

Vocabul. S. 24 steht fälschlich wandalicum) amnem qui ab extremis gallie erumpit inhabitasse et

extraxisse nomen perhibentur. Unter dem Worte Wandali ist zwischen den Linien zlowene

geschrieben. Gleichermaßen fügte Wacerad S. 378. Col. 1 den Wörtern Vandalus Vint zlovenin bei."

 

160Nach: Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f.

 

161Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 575f, No. 458.

Dort allerdings sind Glossen aus den beiden Codices Clm. 22053 und Clm. 14689 vermengt, ohne

die verschiedene Herkunft im Detail anzuzeigen. Vgl. dazu: Herrmann 1965, 118. Zum Codex des

Wessobrunner Gebets: Bischoff 1974, , 18-21.

 

162Bischoff 1974, 20ff.


57

Istrie. paigira. Ister. danobia.

Sclauus et auarus. huni et uuinida.

Palestina. iudeonolant. hoc est

circa hierosolima. Uuandali huni.

et citta. auh uuandoli."163

 

Die Forschung interpretierte seit Wackernagel die dritte Zeile auf fol. 62r als

Chiasmus und somit als Übersetzung von Sclauus mit winida und auarus mit huni.

Dann folgt eine Übersetzung von huni mit Uuandali. Auch die citta, also die

Skythen, werden im Folgenden mit uuandoli übersetzt.164

 

Steinberger deutete die Übersetzung des Avarennamens mit Hunnen und der

Hunnen als Vandalen, die ihrerseits auf fol. 61v als Beherrscher Pannoniens

genannt werden, folgendermaßen.

 

Hunnen oder Vandalen habe es in der Entstehungszeit der Glossen in Pannonien

keine mehr gegeben, und unter den Avaren/Hunnen die Magyaren zu verstehen

gehe nicht an, da eine solche Gleichsetzung weder inner- noch außerhalb der

Glossen vorkomme. Das gebe nun einen zeitlichen Anhaltspunkt für die

Entstehung der Glossen eben vor der magyarischen Einwanderung in Ungarn.

 

Wenn die Glossen die Vandalen mit den Skythen gleichsetzten, sei dies wenig

hilfreich, da der Völkername der Skythen zu vieldeutig sei. Sicher aber sei, daß

der Wessobrunner Mönch Sclavus mit Winida und eben nicht Winida mit Wandalus

übersetzte. "Hätte er auch die zwei letzteren Begriffe als vertauschbar angesehen,

so müßte in Anbetracht der verhältnismäßigen Häufigkeit, mit der er die

Bezeichnung 'Wandalen' in den Mund nimmt, unbedingt gefordert werden, daß

er das ausdrücklich gesagt hätte. Die Wessobrunner Exzerptsammlung hat also

aus der Reihe der Belege für die Gleichung Vandalen-Wenden auszuscheiden."165

 

Steinberger denkt streng. Er argumentiert ausschließlich mit einer dem Schreiber

unterstellten Verwechslung. Die Quellenstelle ist sicher kein direkter Beleg für die

 

 

163Nach der Edition bei: Herrmann 1965, 117. Diese basiert auf Clm. 22053. Eine ältere

kommentierte Edition findet sich bei Wackernagel 1827, 74f. Letztere weicht von der hier

verwendeten in einigen Details ab, der verwendete Codex wird nicht genannt. Die Schreibweise

der Völkernamen ist ident.

 

164 Wackernagel 1827, 81; Steinberger 1920, 118; Herrmann 1965, 117-119.

 

165Steinberger 1920, 118f.


58

Analogie Wenden-Vandalen, sie gibt aber Einblick in den Entstehungsprozeß

dieser Vorstellung, was auch Herrmann anspricht:

 

"Wir sehen also den alten Volksnamen der Vandalen hier übertragen auf die

Awaren, und der Schritt zur Gleichsetzung mit den Slawen, also Vandale gleich

Wende, war dann nicht mehr weit. Die zitierten Wessobrunner Glossen geben also

Einblick in einen Vorgang, der längere Zeit unklar war."166

 

Wie der Vorgang weiter zu verstehen oder zu begründen sei, verschweigt

Herrmann dann aber. Jedenfalls zeigen die Glossen das Bemühen süddeutscher

Schreiber, die Identitäten Osteuropas in eine Terminologie einzupassen. In den

Glossen übernimmt man also den alten Vandalennamen und verwendet ihn für

die Awaren/Hunnen. Die Flexibilität beim Umgang mit Ethnonymen wird somit

trefflich illustriert. Die Gleichung Awaren = Hunnen = Skythen = Vandalen ist

hier dreifach wiederholt und völlig eindeutig. Was im neunten Jahrhundert

unklar bleibt, ist die Abgrenzung zwischen Hunnen und Slawen. Die Einheit

Awaren/Slawen überrascht nicht weiter. In verschiedenen Annalenhandschriften

läßt sich dieselbe Gleichsetzung finden.

II.1.3. Annales Alamannici/ Murbacenses, Annales

Sangallenses, Annales Petavienses, Annales Fuldenses

 

In den Einträgen zum letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts in den

alamannischen Annalen wird im Zusammenhang mit den Kriegszügen Karls des

Großen immer wieder der Vandalenname (Wandali, Wandalia ) verwendet.

 

Die Annales Petavienses, Fuldenses und Lauricenses dagegen verwenden für

dieselben Jahre und Kriegszüge entweder Awari, Awaria , oder Huni, Hunia .

 

Die auf den alamannischen Annalen fußenden Annalen von St. Gallen vermerken

zu 795, daß nach einem Feldzug Karls "Wandali conquisiti sunt". In den Fuldaer

Annalen liest man zu 791, daß der Kriegszug in Avaros geführt worden sei. In den

Annales Petavienses liest sich der Eintragung folgendermaßen: "Hoc anno

dominus rex Karolus commoto magno exercitu perrexit in Hunia, ibique habuit

166Herrmann 1965, 118.


59

conflictum magnum cum Hunis, et vastavit Hunia plaga magna usque flumen

Rofa, cum praeda magna, Deo protegente, victor revertit in Franciam."167

 

In einer Eintragung zu 790 in der Continuatio der alemannischen Annalen des

Klosters Murbach wird der Kriegszug Karls des Großen gegen die Awaren

erwähnt: "Karolus rex, commoto exercitu magno Francorum et Saxorum atque

Sclavorum, perrexit in regionem Wandalorum, terram devastavit, et cum praeda

reversus est in pace."168

 

795 berichten die Annalen, daß "Wandali conquisiti sunt" und daraufhin Rotanus,

der dux de Pannonia, nach Aachen zurückkehren konnte. Das ist wortgleich mit

den Annalen von St. Gallen, da letztere ja von den alamannischen abhängen.169

Desgleichen begegnet der Vandalenname in einem Eintrag zu 797: "(...) Ericus

victoriam in Wandalos; Pippinus super Sclavos."170

 

In der alamannischen Annalengruppe sowie in den Niederaltaicher Annalen

werden die Awaren im Kontext der Feldzüge Karls des Großen mit Wandali

benannt. Die Niederaltaicher Annalen sind Anfang des 11. Jahrhunderts

entstanden. Der Zeitraum von 708 bis 1032 wurde dabei unter Verwendung der

alamannischen, Hersfelder und Hildesheimer Annalen kompiliert. Die

reichsgeschichtlichen Aufzeichnungen der Niederaltaicher Annalen decken

insgesamt den Zeitraum von 708 bis 1073 ab und sind in einer vom bairischen

Humanisten Aventinus angefertigten Abschrift von 1517 erhalten.171

 

Andere bairische Annalen aus den Zentren Regensburg und Salzburg kennen die

Bezeichnung Wandali gar nicht. Sämtliche Codices der alamannischen

Annalengruppe gehen, was die Neunzigerjahre des achten Jahrhunderts betrifft,

auf die Annalen des Klosters Murbach im Elsaß zurück. Letztere selbst sind aber

verloren. Nach Lendi wurden 799 auf der Reichenau die alamannischen Annalen

167Annales Sangallenses Maiores ad. a. 795/ Annales Fuldenses/ Annales Petaviani ad. a. 791, ed.

Pertz, MGH SS 1, p. 75; 95; 17.

 

168Annales Alamannici, ed. Pertz, MGH SS 1, p. 47.

 

169Mit Rotanus ist Tudun gemeint, eine Ungenauigkeit des Murbacher Chronisten.

Vgl.: Pohl 1987, 48.

 

170 Annales Alamannici, ed. Pertz, MGH SS 1, p. 47f;

Vgl.: Reisinger und Sowa 1990, 53; Herrmann 1965, 70.

 

171LMA I, s.v. Annales Altahenses (Altaicher Annalen), 662.


60

aus den Murbacher Annalen hergestellt. Dem Kopisten war die Gleichsetzung von

Vandali und Avari im Eintrag zu 790 unklar, und er schrieb für 791 dasselbe

Ereignis nochmals als Hunnenzug nieder.172

 

An der Ähnlichkeit der Formulierungen allein ist die textliche Nähe der

verschiedenen Annalentraditionen ersichtlich. Wie schon an den Wessobrunner

Glossen gezeigt werden konnte, ist für einige Chronisten Hunne, Aware und

Vandale austauschbar. Der Vandalenname erscheint also ein weiteres Mal als

Ethnonym für neue oder junge Gruppen im Osten des eigenen Lebensraums und

wird nicht sehr präzise und vor allem nicht durchgängig verwendet.

II.1.4. Rupertsvita (791/93)

 

In einer Fassung des 15. Jahrhunderts, der in ihren älteren Fassungen im achten

Jahrhundert geschriebenen Gesta des heiligen Rupert, erscheint der

Vandalenname als Bezeichnung für die Slawen in der Tauernregion. Nach

Wolfram sind die Gesta Hrodberti nach 793 entstanden.173 Die hier zitierte Stelle

stammt aus dem Wiener Codex 9363 und erscheint nur in diesem. Aufgrund des

Textbezugs wird die Stelle trotzdem hier behandelt.174 Auf die schwierige Frage

der Datierung dieses Texts wird unten eingegangen. Zuerst sei die Stelle, die den Vandalennamen enthält, zitiert.

 

"Pertransiens [Hrodbertus] vero omnem Alpiarum regionem, tandem ad

Carentanorum regem pervenit, cuius rogatu regnum illud convertens, Christi

 

 

172Pohl 1987, 47f; Lendi 1971, 84.

 

173Wolfram 1995, 228.

 

174W. Levison, MGH SS rer. Merov. 6, 156.

"Quartam Vitam Hrodberti (...) Iohannes Gielemans canonicus Rubeaevallensis (+1487) Hagiologio

Brabantinorum inseruit, prologo ut solebat praemisso (...); quae extat in codice auctoris ipsius,

nunc Vindobonensi bibliothecae imperialis privatae n. 9363 vol. I, fol. 245v - 247. Vita duabus

partibus constat omnino diversis, e quibus prior ad verbum fere e Vita prima descripta est,

adhibitio codice generis 2; textum admodum depravatum esse in libro saeculo XV. exarato non

mirum est. Interpolationes intrusae sunt duae, et brevis de Theodone duce a Hrodberto baptizato,

id quod inde ab aevo Brevium Notitiarum pro certo acceptum erat, et prolixta de Carantanis et

Wandalis (i.e. Sclavis) a sancto conversis ecclesiisque et monasteriis multis apud eos constructis.

(...)"


61

baptismate purgavit, transcensoque monte altissimo Mons Durus appellato,

praedicavit Wandalis."175

 

Die Gesta Hrodberti und das erste Kapitel der Conversio Bagoariorum et

Carantanorum stellen die beiden ältesten Fassungen einer verlorenen Vita Ruperti

dar. Vom Editor der Gesta Wilhelm Levison stammt die Bezeichnung A für die

Gesta und B für das erste Kapitel der Conversio Bagoariorum et Carantanorum .176

 

Die ältere Fassung der Rupertsvita (A) ist zeitlich zwischen den beiden

Güterverzeichnissen Notitia Arnonis (788/90) und Breves Notitiae (nach 798)

einzuordnen. "Diese beiden Güterverzeichnisse sind unterschiedlich voneinander

abhängige Bearbeitungen derjenigen reichen Urkundenschätze Salzburgs, die mit

Ruperts Wirken beginnen und im großen und ganzen mit dem Sturz Tassilos III.

im Jahr 788 enden." Ihr Zweck war es, den Salzburger Besitz auch vor der

fränkischen Herrschaft zu sichern und zu rechtfertigen. Die Notitiae wurden zur

Grundlage für die Bestätigung der Schenkungen an Salzburg durch Karl den

Großen im Jahr 790 und sind somit relativ gut datierbar. Entstehungszeit und -

grund der Breves Notitiae sind nicht mit derselben Sicherheit anzugeben.

Wahrscheinlich steht diese Niederschrift aber in Zusammenhang mit der

Erhebung Salzburgs zum Erzbistum im Jahr 798.177

 

Als hagiographische Quelle sind die Gesta sancti Hrodberti confessoris reich an

Entlehnungen von Motiven aus ähnlicher Literatur, die die Beziehungen Baierns

zum Langobardenreich und zu Rom ohne eine fränkische Vermittlung betonen.

Bei den Gesta handelt es sich aber schon um eine erweiterte Fassung einer älteren

Rupertsvita. Obwohl der Autor es wohl besser wußte, nennt er den Ort des Todes

des heiligen Rupert nicht. Auch die Tatsache, daß der Gründerheilige nicht am

Ort des zur Zeit der Abfassung relevanten politischen Gebildes gestorben ist,

hätte die Salzburger Position schwächen können. 178 Festzuhalten bleibt der

wahrscheinliche Entstehungszeitraum vor 800 für diese Verwendung des

Vandalennamens.179

175Gesta sancti Hrodberti confessoris, ed. W. Levison, MGH SS rer. Merov. 6, 159.

 

176Losek 1997, 21f.

 

177Wolfram 1979, 25.

 

178Wolfram 1995, 243; Wolfram 1979, 25f; Losek 1997, 21ff.

 

179Wolfram 1995, 227ff.


62

II.1.5. Chronicon Vedastinum (10.Jh.)

 

Es handelt sich beim Chronicon Vedastinum um einen Teil einer weltgeschichtliche

Kompilation, die bis 899 reicht und in der verschiedene neuere Nachrichten

nachgetragen wurden. Gedient hat die Chronik als Unterbau für die Annales

Vedastinum des Klosters St. Vaast d'Arras am Pas-de-Calais. Entstanden dürfte die

Chronik am Ende des zehnten Jahrhunderts sein. Schramm entdeckte, daß der

Krönungsordo, der grundlegend für die französischen Krönungsordnungen war,

ebenfalls aus St. Vaast stammte und in die Zeit des Abtes Fulrad fällt. Dieser

Fulrad dürfte auch die Anlage des Chronicon Vedastinum angeordnet haben.

 

Die Chronik enthält unter anderem Informationen aus Sallust und Pomponius

Mela. Wichtig ist für die hier relevanten Fragen die Benutzung der Historia

Brittonum. Diese wurde als Hauptquelle für die Geschichte zwischen der

Erschaffung der Welt und der Zeit Julius Caesars verwendet.180

 

Im Rahmen der Schilderung von Ereignissen des fünften Jahrhunderts wird von

den Vandalen erzählt, die Rom eroberten und in Gallien einfielen. Etwas später

findet sich die Bemerkung über diese Vandalen, daß sie heutzutage Guénedos, also

Wenden, genannt würden. "(...) Vandalos, quos nunc appellant Guénedos."181

 

Bemerkenswert ist die textliche Nähe der Auszüge aus der Historia Brittonum. und

der selbstverständlichen Feststellung, daß die Vandanlen nunc Wenden hießen.

II.1.6. Adam von Bremen, Die Verwendung des

Vandalennamens in den "Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum" (11.Jh.)

 

Der Bremer Domkanoniker Adam schrieb eine Geschichte des Bremer

Bischofssitzes. Diese Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum widmete er

Erzbischof Liemar von Bremen. In dieser seit 1075 /76 entstandenen Schrift

werden die Völker mit ihrer Geschichte wie die Länder und Sprachen des

180Wattenbach-Holtzmann 1, 120 und Anm. 128; Repertorium Fontium III, 466.

 

181 Chronicon Vedastinum, ed. G. Waitz, MGH SS 13, p. 680.


63

nördlichen und östlichen Europa dargestellt. Die Perspektive ist als auf das

tatsächliche oder potentielle Bremer Missionsgebiet gerichtet zu verstehen.

 

Einige Handschriften der Gesta beinhalten Ergänzungen der ursprünglichen

Textfassung, sogenannte Scholien. Bei diesen Scholien handelt es sich um

Berichtigungen, Erläuterungen, Belege, Exkurse und Ergänzungen zum

ursprünglichen Werk. Sie werden, sofern sie allen Handschriften gemeinsam sind,

einer zweiten Redaktion Adams in den achtziger Jahren des 11. Jahrhunderts

zugeschrieben. Adam verwertete eine Vielzahl von Quellen. Verschiedene antike

Autoren und Kirchenväter wurden für die geographischen und ethnographischen

Angaben herangezogen. Das Werk enthält auch Material aus teilweise verlorenen

Viten und Annalen, Chroniken, Urkunden und Briefen. Mündliche Traditionen

und Berichte sind vor allem im dritten und vierten Buch herangezogen worden.182

 

Einige Vorstellungen Adams von Völkern und Sprachen sollen hier angerissen

werden, bevor die Nennung des Vandalennamens diskutiert wird. Die

Verwandschaft der slawischen Sprachen ist in den Gesta ebenso eine Kategorie

wie die Forderung nach Mission in der jeweiligen Landessprache. Genannt wird

etwa der Abodritenfürst Gottschalk, der die Predigten der Priester für sein Volk

ins Slawische übersetzt haben soll.183

 

Die Sachsen sollen in der Darstellung Adams wie bei Rudolf von Fulda aus

Britannien gekommen sein.184 Im Scholion 134 werden die Goten mit den Geten

gleichgesetzt: "Gothi a Romanis vocantur Getae." Eine Stelle aus Vergils Georgica

wird als Quelle dieser Gleichsetzung angeführt. Dort meinte Vergil aber die

Skythen. Die Gleichsetzung von Geten und Goten ist von Hieronymus bis Isidor

von Sevilla häufig vorgenommen worden.185

182LMA I, s.v. Adam v. Bremen, 107; Repertorium Fontium II, 116f; Wattenbach-Holtzmann 2, 566-

571; Trillmich, AusgQqMA 11, 142ff.

 

183Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, III, 72.

Die Geschichte von Gottschalk in III, 20.

 

184Die Sachsen wandern aus Britannien ein:

Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 4.

 

185Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, Scholion 134;

Vergil, Georgica III, 461ff;

Trillmich, AusgQqMA 11, 464f und Anm. P 1;

Wolfram 2001, 40.


64

Adam identifizierte aber auch die schwedischen Goten mit den Völkern Magog

aus Ezechiel 39, 6. Diese Identifikation Adams in den Gesta versteht sich als

Ausdeutung einer Passage in der Vita Anskarii aus dem neunten Jahrhundert.

 

Rimbert schrieb um 870 in seiner Vita des Ansgar/Anskarius, dem ersten

Missionar Schwedens, dieser habe in einer Vision den himmlischen Auftrag

erhalten, das Wort Gottes in die äußersten Winkel der Erde zu tragen. Die Vision

basiert auf einer Textstelle aus Jesaja 49, die den Aufruf beinhaltet: "Audite insulae

et attendite populi de longe! (...) Dedi te in lucem gentium, ut sis illis in salutem."

Aus der Interpretation dieser Bibelstelle zieht Ansgar den Schluß, seine

Bestimmung sei es, Schweden, das ja in der Vorstellung der Zeit vor allem aus

Inseln bestand, zu missionieren.186

 

Bei Adam findet sich die Ausdeutung der Vision Rimberts folgendermaßen: "Et

nisi fallit opinio, prophetia Ezechiel de Gog et Magog (...) hic implet videtur: Et

mittam (...) ignem in Magog et in his, qui habitant in insulis confidenter. Aliqui haec et

talia de Gothis, qui Romam ceperant, dicta arbitrantur. Nos vero, considerantes

Gothorum populos in Sueonia regnantes omnemque hanc regionem passim in

insulas dispertitam esse, prophetiam opinamur eis posse accomodari."187

 

Adam differenziert zwischen den historischen und den 'schwedischen' Goten. Daß

es sich dabei in seiner Vorstellung ursprünglich um dasselbe Volk handelt, scheint

für ihn gar nicht weiter erwähnenswert. Die Länder des Nordens wurden in der

Antike als Inseln betrachtet und im 9. bis 11. Jahrhundert auf dieser Basis von

Rimbert und Adam in Verbindung mit den zitierten Prophezeiungen des Alten

Testaments gebracht. Die Identifizierung der 'schwedischen' Goten mit den

Völkern Magog bei Adam steht nach Borst in einer Beziehung zu den

Vorstellungen Isidors von Sevilla, der zuerst die spanischen Goten damit gemeint

hatte.188

186Rimbert, Vita Anskarii, 25; Vgl. See 1999, , 67f; Svennung 1967 a, 69.

 

187Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 26.

Das Bibelzitat Ezechiel 39, 6 ist hier kursiv gesetzt.

 

188Borst 1957-1963, II/1, 614f.

Bei der Schilderung von Birka, eines oppidum Gothorum, zählt Adam verschiedene Völker auf, die

sich dort zum Handel zusammenfinden. Borst interpretiert die Stelle als Gleichsetzung der

Schweden mit den Skythen, was nicht nachvollziehbar ist.


65

In der 1075 /76 entstandenen Schrift des Adam von Bremen, erscheint der

Vandalenname nun als alter Name der Slawen, die jetzt Winuli genannt würden.

Am Beginn des Kapitels 21 des zweiten Buchs, das zur Erklärung der Geschichte

der Slawen dienen soll, begegnet erstmals diese Gleichsetzung.

 

"Sclavania igitur, amplissima Germaniae provintia, a Winulis incolitur, qui olim

dicti sunt Wandali."189

 

Es folgt eine Beschreibung der Sclavania und eine Aufzählung der slawischen

Stämme. Diese werden im folgenden konsequent als populi Sclavorum bezeichnet.

Eine Erklärung der verschiedenen Bezeichnungen hält Adam nicht für nötig.

 

Sclavinia/Sclavania ist ein ursprünglich aus dem griechischen Ethnonym Sklabhno

gebildetes substantiviertes Adjektiv. Es bezeichnete die autonomen und in

Stammesgruppen organisierten slawischen Gemeinschaften innerhalb und

außerhalb des ehemals römischen bzw. des byzantinischen Reichsgebiets, welche

von den byzantinischen Kaisern oder den westlichen Kaisern anerkannt oder

toleriert wurden. Weiters konnte der Begriff seit Konstantinos Porphyrogenetos

auch nur räumlich verwendet werden und einfach von Slawen bewohnte

Landschaften meinen. In der lateinischen Literatur findet sich die Bezeichnung

relativ früh in der Conversio Bagoariorum et Carantanorum.190

 

Im dritten Kapitel des ersten Buchs seines Geschichtswerks zählt Adam bei der

Darstellung der frühen Geschichte Sachsens die verschiedenen Völker auf, die

dort ihre Wohnsitze hatten. An der Elbe und in reliqua Germania leben die Swevi

und ihre Nachbarn sind Driade, Bardi, Sicambri, Huni, Wandali, Sarmatae,

Longobardi, Heruli, Dacae, Marcomanni, Gothi, Nordmanni et Sclavi.191

"Ad quam stationem, quia tutissima est in maritimis Suevoniae regionibus, solent omnes Danorum

vel Nortmannorum itemque Sclavorum ac Semborum naves aliique Scithiae populi pro diversis

commerciorum necessitatibus sollempniter convenire."

Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 60.

 

189Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 21.

 

190LMA VII, s.v. Sklavinien, 1988; ODB III, 1910f.

Conversio Bagoariorum et Carantanorum, 7.

 

191 Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 3.


66

In diesem Teil seines Werks hält Adam, Wandali und Sclavi auseinander und führt

sie als getrennte Gruppen an. Adam beruft sich auf Romani scriptores als Quellen

für diese Völkerreihe. Der Editor Trillmich bemerkt, daß die Anführung von

Druiden und Barden (Driade, Bardi) ein Irrtum sei, der aus Lukan stamme, die

Herkunft der folgenden Völkerreihe aber nicht zu klären sei.192

 

Adams Bezeichnung Winuli für die Slawen erklärt Trillmich als eine

Verwechslung des alten Langobardennamens Vinili und den Vandali aus Paulus

Diaconus mit Vinidi für Wenden/Slawen. Die Vandalen waren von den

Langobarden in dieser Erzählung besiegt worden.193

 

Warum sollte Adam eine solche Mixtur aber vornehmen? In der Erzählung des

Paulus Diaconus werden Winiler und Vandalen in keiner Weise vermengt. Es

bleibt zu untersuchen, welche Wege diese Stelle aus Paulus Diaconus und der in

ihr erwähnte Winilername genommen haben.

 

Nach dem auch von Helmold von Bosau fast hundert Jahre später

übernommenem Einleitungsatz "Sclavania igitur, amplissima Germaniae

provintia, a Winulis incolitur, qui olim dicti sunt Wandali", beschreibt Adam noch

die Ausmaße und Völker dieser Provinz der Germania. Sie sei zehnmal so groß wie

Sachsen und erstrecke sich von der Elbe bis ans Skythenmeer. Vom Hamburger

Episkopat an seiner Grenze reiche die Sclavania bis nach Baiern, Ungarn und ins

Reich der Byzantiner.194

 

Adam zählt Böhmen und Polen noch weiter unkommentiert zur Sclavinia und

trennt nicht zwischen den Slawen und den Wenden, wie Helmold das schon tun

wird.Aufgezählt und näher beschrieben werden aber dann doch nur die

elbslawischen Stämme.

 

Den Sachsen benachbart seien die Wagrier mit der civitas Aldinburg, also

Oldenburg. Dann folgen die Obodriten, die auch Rereger genannt werden mit

ihrem Hauptort, der civitas, Mecklenburg. Ihre Nachbarn seien die Polaben,

 

 

192 Trillmich, AusgQqMA 11, 1961, 249.

 

193 Paulus Diaconus, 1, 7-9.

Trillmich, AusgQqMA 11, 1961, 251, Anm. 70:

"Winiler=Langobarden (Paulus Diaconus). - Winiler und Wandalen sind mit Vinidi=Wenden

verwechselt."

 

194Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 21.


67

Linonen und Warnaben. Ihnen benachbart sollen nach Osten hin die Kessiner und

Circipanen leben, die durch die Peene von den Tholosanten und Redariern

getrennt seien. Hier nun sei die Grenze des Hamburger Kirchenbezirks (parrochia)

erreicht.195

 

Zwischen Elbe und Oder gebe es dann noch andere Slawenstämme wie die

Heveller, Dossaner, Lebuser, Wilinen, Stoderanen und andere. Die Redarier und

ihre civitas, die ein Hort der ydolatria sei, beschreibt Adam ausführlich. Das

Götzenbild des obersten Gottes Radegast sei aus purem Gold, gebettet auf

purpurne Polster. Die civitas habe neun Tore und sei von einem See umgeben.

Über einen Knüppeldamm (pons ligneus) könne man diese Kultstätte erreichen,

das sei aber nur jenen gestattet, die opfern wollen oder Weissagungen erbitten.

Hinter den Liutizen, die auch Wilzen genannt werden, liege die Oder, der größte

Fluß der Sclavinia. Dann findet sich die ausführliche Erzählung von Jumne, der

prächtigen Stadt an der Mündung der Oder. Helmold wird dasselbe vom

sagenhaften Vineta berichten.196 Adam gibt Entfernungen relativ ausführlich an.

Die Distanzen zwischen Hamburg und Jumne und von Jumne nach Novgorod

werden zum Beispiel genannt. Die Beschreibung des Laufs von Elbe und Oder

beschließen den kurzen Bericht Adams von den slawischen Ländern.197

 

Helmold von Bosau übernahm den Bericht Adams teilweise wörtlich. Nur ist

Helmolds Beschreibung im ganzen ausführlicher.

II.1.7. Helmold von Bosau, Chronica Slavorum (Mitte 12.

Jh.)

 

Helmold von Bosau (1120 - 1177) trat 1134 in das von Bischof Vizelin im Zuge der

Missionsbestrebungen Lothars III. gegründete Augustiner-Chorherrenstift

Segeberg ein, dessen Konvent nach dem Angriff des Abodritenfürsten Pribislaw

nach Neumünster zurückverlegt worden war. Seit 1156 war Helmold Pfarrer in

Bosau, einem Missionsstützpunkt Bischof Vizelins.

195Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 21.

 

196Trillmich, AusgQqMA 11, 1961, 253 und Anm. 85:

Jumne identifiziert Trillmich mit dem slawisch-wikingischen Handelsplatz Wollin.

 

197Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, I, 22.


68

Die nach 1163 geschriebene Chronik ist in ihrer Tendenz prosächsisch und

antibremisch. Mit der Zeit Karls des Großen setzt die Chronica Slavorum ein. Die

Widmung an die "patres Lubicenses ecclesiae" sollte das Lübecker Domkapitel in

die ottonisch-sächsische Tradition einbinden.

 

Im Mittelpunkt der Chronik stehen geographisch gesehen Ostholstein,

Mecklenburg, Brandenburg, Pommern und Skandinavien. Der Reichsgeschichte

wird dann breiterer Raum gewidmet, wenn sie in Beziehung zur Mission der

Slawen steht. Herrschaftsbildung, Siedlung und Mission sind die Angelpunkte,

um die sich die Darstellung dreht.

 

Nach der Eroberung von Rügen 1168, also einem dänischen und damit

christlichen Erfolg, fügte Helmold ein zweites Buch ein, das mit dem Ehevertrag

zwischen Dänen und Welfen eine Friedenszeit ankündigen will. Im ersten Buch

waren die heidnisch-slawischen Bewohner Rügens, die Ranii, als letzte und

stärkste heidnische Gruppe beschrieben worden. Mit ihrer Unterwerfung unter

eine christliche Herrschaft soll nun eine neue Epoche beginnen.

 

Als Quelle für den ersten Teil der Chronik bis 1066 ist vor allem Adam von

Bremen zu nennen. Die Viten der Missionare Ansgar und Willehald wurden von

Helmhold ebenfalls verwendet. Die norddeutsche Historiographie des späteren

Mittelalters hat Helmold rezipiert.198

 

Helmold übernimmt die folgende Passage über den alten Namen der Wenden -

wie die meisten anderen Informationen über die Slawen zwischen Saale, Oder

und Ostsee - direkt aus Adam von Bremen. Er will, "de Slavorum provinciis,

natura, moribus, hystorico prelibare compendio". Diese Abhandlung soll

vorgelegt werden, um zu zeigen, in welchen gefährlichen religiösen Irrtümern die

Slawen gelebt hatten und teilweise auch noch in der Zeit der Abfassung der

Chronik leben.199

 

Die Wenden bestehen aus "multi populi", erklärt Helmold weiter. Diese populi

wohnen entlang der Ostsee, und, wie Adam von Bremen, zählt auch Helmold die

Ungarn zu den Slawen. Außer den Pruzo/Preußen sind alle Christen. Nach

198LMA IV, s.v. Helmold v. Bosau, 2124f; Repertorium Fontium V, 460ff; Verfasserlexikon III, 976ff;

Wattenbach-Schmale I, 427ff; H. Stoob, AusgQqMA 16, p. 2-22.

 

199Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 1: ed. H. Stoob, AusgQqMA 16, p. 34.


69

diesem kurzen Überblick über Russen, Böhmen, Ungarn, Charinthi und zuletzt

Polen folgt die Erwähnung der Vandalen.200

 

"Ubi igitur Polonia finem facit, pervenitur ad amplissimam Slavorum provinciam,

eorum qui antiquitus Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur."201

 

Dort wo Polen endet leben die Winithi oder Winuli, also die Wenden, die früher

Vandalen geheißen haben. Der Wendenname ist also auf die elbslawischen

Stämme beschränkt.

 

Helmold beginnt seine Aufzählung der Winuli/Winithi dann mit den Pommern,

deren Gebiet sich bis zur Oder erstrecke. Dieser große Strom entspringe im Gebiet

der Mährer, wo auch die Elbe ihren Ausgang nehme. Letztere fließe dann nach

Westen und bewässere die Gebiete der Böhmen und Sorben. Der Mittellauf der

Elbe trenne Sachsen und Slawen.202

 

Die Oder dagegen fließe nordwärts "per medios Winulorum populos" und scheide

die Pommern von den Wilzen. An der Mündung der Oder ins balthische Meer

habe die "barbaris et Grecis" wohlbekannte, sagenhafte Stadt Vineta gelegen. Mit

Greci sind Byzantiner gemeint. Vineta soll von Slawen, Griechen und Barbaren

bewohnt gewesen sein, Sachsen haben dort aber Handel getrieben. Adam erzählte

von Jumne dasselbe wie Helmold von Vineta.203

 

Zwischen Oder und Elbe wohnen dann noch andere Slawenstämme. Die Heruli vel

Heveldi, die Leubuzi und die Wilini wie die Stoderani. Hinter dem ruhigen Lauf der

Oder liegt dann nach den verschiedenen Völkern der Pommern vom Westufer an

das Gebiet der Winuli, die Tollenser oder Redarier genannt werden. "Post Odorae

igitur lenem meatum et varios Pomeranorum populos ad occidentalem plagam

occurit Winulorum provincia, eorum qui Tholenzi sive Redarii dicuntur."204

 

Die Tempelburg dieser Völker wird ausführlicher beschrieben. Die Teilstämme

des Liutizenbundes seien Kessiner und Zirzipanen dieseits der Peene und

Tollenser und Redarier jenseits dieses Flußes. Auf diese folgen die Linguonen und

200Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 1, p. 34.

 

201Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38.

 

202Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 39.

 

203Adam, Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, II, 22.

 

204Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38.


70

Warnaven, denen die Obotriten mit der civitas Mecklenburg benachbart seien. Die

Polaben mit der civitas Ratzeburg leben weiter östlich.

 

Slawische Inselbewohner seien die Rani, oder Rugii, ein tapferer Slawenstamm,

der als einziger einen König (rex) habe. "Hi igitur sunt Winulorum populi diffusi

per regiones et provincias et insulas maris." Dieses ganze genus hominum ist dem

Götzendienst verfallen.205

 

Die Perspektive Helmolds ist die der Mission. Es geht vor allem um eine

Benennung der noch nicht christianisierten slawischen Bevölkerung. Daß die Ziele

dieser Mission politisch sehr relevant waren, muß nicht eigens betont werden.

 

Adam von Bremen und Helmold von Bosau bieten dieselbe Formel: Die Wenden

haben früher Vandalen geheißen. Die Allgemeinbezeichnung Slawen trat in den

Quellen des 12. Jahrhunderts meist hinter die spezifischeren Benennungen wie

Polen oder Böhmen zurück. Diese Namen wurden aber nur für die Bewohner von

christlichen Königreichen verwendet. Die Autoren der Annalen und Chroniken

hatten ein streng gefügtes Modell, wie ein Staat auszusehen habe. Katholische

Religion und ein damit verbundenes monarchisches Modell mit Adel und König,

Klöstern, Bischöfen und so fort waren die Elemente dieses Systems. War das

Modell nicht mit den weiter westlich gelegenen christlichen politischen Gebilden

analog, handelte es sich in den Augen der über den slawischen Osten

Schreibenden eben um keinen Staat.

 

Die Bezeichnungen Slavi und Sclavinia wurden nun meist nur noch für die Slawen

zwischen Elbe und Ostsee verwendet. Auch die deutsche Fremdbezeichnung

Wenden wurde auf die Bewohner dieses Raums eingeschränkt.

 

"Eine unpolitische Bezeichnung der Völkerschaften hat sich in diesem Gebiet nicht

durchgesetzt, und schon die Namengebung reflektiert somit den tatsächlichen

Verlauf der Geschehnisse. Bei der nur unvollständigen Territorialisierung der Herrschaftsbeziehungen haben sich gentilizisch geprägte Beziehungen

weitgehend erhalten und die Vorstellungen wohl auch weiterhin beherrscht."206

 

Helmolds Wortgebrauch ist also in die allgemeine Entwicklung des 12.

Jahrhunderts gut einordenbar. Der alte Wendenname erfährt eine Beschränkung

205Helmold von Bosau, Chronica Slavorum, 2, p. 38.

 

206Graus 1980, 74.


71

auf die Slawen zwischen Saale, Oder und Ostsee. Die Verbindung dieses

Wendennamens mit dem der Vandalen wird sozusagen mitgenommen. Den

Autoren dürfte der Prozeß dieser Reduzierung kaum bewußt gewesen sein.

II.1.8. Vita sanctorum Marini et Anniani (Anfang 12. Jh.)

 

Die Vita sanctorum Marini et Anniani stammt aus dem oberbairischen

Benediktinerkloster Rott am Inn und ist in zwei Münchner Codices überliefert.207

Der ältere Codex aus dem 12. Jahrhundert wurde zwar in Tegernsee geschrieben,

die Vita wird von Holder-Egger aber an den Anfang des 12. Jahrhunderts datiert

und klar dem Kloster Rott zugewiesen. Die Zuweisung ist aufgrund der

Stifternachrichten möglich. Pfalzgraf Kuno und sein Vater Poppo, die das Kloster

Rott 1081 stifteten, werden in der Vita erwähnt. Aufgrund dieser Erwähnung und

einiger Details in der Papierhandschrift aus Rott, sowie dem Vergleich mit der

Tegernseer Handschrift, kann Holder-Egger überzeugend eine ältere Rotter

Vorlage um 1100 rekonstruieren.208

 

Das hier zitierte Stück ist nur in der Rotter Papierhandschrift des 15. Jahrhunderts

enthalten. Die Vandalen erscheinen auch in der Variante der Tegernseer

Handschrift. Unter Voraussetzung der Richtigkeit der Überlegungen Holder-

Eggers wird es als Beleg des beginnenden 12. Jahrhunderts behandelt. Holder-

Egger bezeichnete die Nennung der UUandali als "lächerlichen Anachronismus",

der für die Erzählfreude des Verfassers spreche.209 Mit den hier angewandten

Fragen könnte die Gleichung Vandalen = Wenden aber Holder-Eggers

Überlegungen sogar verifizieren.

 

Die Vita erzählt vom Priester Marinus und dem Diakon Annianus, die zur Zeit

Pippins und Karlmanns als Einsiedler in den bairischen Alpen lebten. Dann

finden sich zwei Varianten. Die Tegernseer Handschrift bringt folgendes.

Heidnische Vandalen drangen in ihr Tal ein und verbrannten den Marinus, den

 

 

207Hss.: Clm. 18625, fol. 68r-71v aus Tegernsee 12. Jh.;

Clm. 15608, fol. 4r-8v Papierhs. aus Rott 15. Jh.

Wesentliche Teile ed. und die Handschriften beschrieben bei Holder-Egger 1889, 22-28.

 

208Holder-Egger 1889, 23; Vgl. auch Wattenbach-Schmale I, 261 und Steinberger 1913, 117f; Sepp

1913, 733; Steinberger 1914, 113.

 

209Holder-Egger 1889, 25.


72

sie beim Gottesdienst in seiner Zelle finden, nach vielen Martern. Die Rotter

Papierhandschrift des 15. Jahrhunderts kennt die im folgenden zitierte Variante:

"Tempore Leoncii imperatoris contigit, quod gens nefandissima UUandalorum de

Italia fugientes et nescientes viam, et venerunt per viam per cisalpinos montes, et

illum virum sanctum, cum errando per montes ibant, invenerunt, precipientes ei,

ut illis dux itineris esset."210 Weil sich Marinus weigert, den wilden Vandalen den

Weg zu zeigen, wird er gemartert.

 

Die beiden Handschriften enthalten noch weitere Vandalennennungen. So wird

etwa die "crudelissima gens uuandalorum" genannt. In der Rotter

Papierhandschrift findet sich nach Sepp eine Glosse mit dem Inhalt "uulgariter

winden" nach dieser Stelle. Und noch zwei weitere Male erscheint der

Vandalenname in der Vita. "Quod et factum est, nam cum wandali terram

nostram vastaturi eo tempore intrarent (...)./"Tortoribus ergo vandalicis sine mora

per fugam amotis ex eorum relatione (...)."211

 

Erstens bezeugt der Vandalenname in diesem Text die Verbreitung und

Verwendung des Ethnonyms für Slawen im 12. Jahrhundert. Daß das in einem

Text der Fall ist, der einen Bezug zur Karolingerzeit hat, ist festzuhalten. In

diesem Fall könnte es sich um eine Tradition handeln, die von

Auseinandersetzungen mit slawischen Plünderern im bairischen Gebiet

berichtete. Die Erzählung wäre stimmig. Das Motiv von verirrten slawischen

Kriegern in den Alpen in karolingischer Zeit könnte durchaus im 12. Jahrhundert

den Hintergrund für eine Märtyrerlegende abgegeben haben. Die von Sepp

erwähnte Glosse ist ebenfalls ein guter Beleg für die hier zu entwickelnde These.

Der Glossator fühlte sich bemüßigt, die Identität dieser Vandalen noch einmal zu

erklären. Im 15. Jahrhundert war die Gleichung Wenden = Vandalen also nicht

mehr selbstverständlich, aber durchaus erklärbar und nicht weiter kompliziert.

II.1.9. Gottfried von Viterbo (12. Jh.)

210Nach: Holder-Egger 1889, 22 und Reisinger und Sowa 1990, 170.

Bei Reisinger und Sowa 1990, 170 werden die Handschriften nicht auseinandergehalten.

Vita SS. Marini et Anniani, ed. B. Sepp 1892, 6.

 

211Vita SS. Marini et Anniani, ed. B. Sepp 1892, p. 12; 20f; 27.


73

Gottfried (ca. 1125 - zwischen 1192 und 1200) war kaiserlicher Notar und

Hofkapellan. Bereits unter Konrad III. ist er nach eigenen Angaben Mitglied der

Hofkapelle und wird unter Friedrich I. Notar. Auch für Heinrich VI. ist er noch

tätig. Einige seiner historiographischen Werke erreichen in ihrer Darstellung die

Regierungszeit Heinrichs. Die diplomatische Forschung konnte Gottfried von

Viterbo in den Barbarossadiplomen als Arnold IIC klassifizieren.212

 

Sein Pantheon stellt den Anspruch einer Weltgeschichte und reicht von der

Schöpfung bis Kaiser Heinrich VI. Die Memoria seculorum (in zweiter

Überarbeitung Liber universalis betitelt) liegt in verschiedenen

Überarbeitungsstufen vor. Die Memoria setzt sich aus einem poetischen und einem

Prosateil zusammen. Der poetische Teil umfaßt in 14 particulae die Heils- und

Profangeschichte bis Friedrich I. Der Prosateil ergänzt diesen ersten poetischen

mit 13 isagogae.213

 

Für Gottfried war die Gleichsetzung von Vandalen und Slawen gänzlich geläufig.

Nur verwendete der Romane Gottfried die Schreibung Guandali. Allerdings

machte er sich die Mühe, die Gleichsetzung zu explizieren, was in anderen

Quellen selten der Fall war.

 

Unter der Überschrift De regibus Gothorum werden in den Memoria seculorum

historische gotische Könige aufgezählt und mit einigem Material aus Jordanes

kommentiert. Bei Theoderich finden auch die Vandalen Erwähnung, und

Gottfried erläutert diese in Afrika sitzenden Gegner des Gotenkönigs mit

folgenden Worten. "Guandali dicuntur Sclavi in Latino, in lingua vero Theotonica

vocantur Guinidi."214 Eine ganz ähnliche Stelle läßt sich auch im Pantheon finden.

"Sclavi, qui in lingua Teutonica vocantur Guinidi, in Latina autem Guandali."215

Der Notar Barbarossas verwendete also Sclavi, Guandali und Guinidi als

Synonyme. Dabei ist ihm die Identität der historischen Vandalen, die er immer

wieder in seiner historischen Darstellung erwähnt, völlig klar. Die

Kategorisierung der Vandalen als Germanen kennt Gottfried offensichtlich nicht.

Aus seiner Worterklärung und der Positionierung derselben unmittelbar nach der

212LMA IV, s.v. Gottfried 27 von Viterbo, 1606.

 

213LMA IV, s.v. Gottfried 27 von Viterbo, 1607f; Wattenbach-Schmale I, 77-92.

Pantheon ed. Waitz in MGH SS 22, Berlin 1872, p. 107 - 307 und Memoria seculorum ebd., p. 94-106.

 

214Gottfried von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102.

 

215Gottfried von Viterbo, Pantheon, MGH SS 22, p. 185.


74

Erzählung spätantiker Geschichte ist aber abzuleiten, daß er die alten und die in

seiner Zeit lebenden Vandalen für ein und dasselbe Volk hält. Der Olmützer

Bischof Johannes Dubravius wird im frühen 16. Jahrhundert in seiner böhmischen

Geschichte die Auffassung vertreten, daß die historischen Vandalen in Gallien,

Spanien und Afrika eigentlich Slawen gewesen wären.216

II.1.10. Heinrich von Huntingdon, Historia Anglorum, Buch

V und VI (Mitte 12. Jh.)

 

Heinrich von Huntingdon (Henricus Huntendunensis) lebte zwischen 1080/90

und 1155. Heinrich war Archidiakon an der Bischofskirche von Huntingdon und

schrieb seine Historia Anglorum in zwölf Büchern im Auftrag des Bischofs

Adalbert. Diese erfuhr mehrere Redaktionen seit 1130, reicht von 55 nach Christus

bis 1154, und enthält neben einer Geschichte der Völker in Britannien von den

Römern bis zu den Normannen zwei Zusätze. Es handelt sich dabei um die

Schriften De summitatibus und De miraculis. Als Quellen sind Beda, die

angelsächsische Chronik und Geoffrey von Monmouth nachweisbar. Bei

Heinrichs Darstellung geht es vor allem um die strafende Hand Gottes über den

Bewohnern Britanniens und eine moralisierende, bewertende Erzählung der Taten

diverser Akteure der englischen Geschichte.217

 

Offenbar im Zusammenhang mit der dänisch-englischen Personalunion unter

Knud dem Großen (1018 - 1035) steht die Erwähnung der Teilnahme englischer

Truppen an einer militärischen Aktion gegen Vandalen-Wenden im Ostseeraum

bei Heinrich von Huntingdon. Der Vandalenname wird in der Historia Anglorum

noch ein zweites mal verwendet. Erzählt wird im fünften Buch von verschiedenen

Völkern, die vor der Eroberung Britanniens durch den Normannen Wilhelm

England heimgesucht haben sollen.

 

"Immisit (...) Dominus omnipotens velut examina apium gentes crudelissimas,

quae nec aetati nec sexui parcerent, scilicet Dacos cum Gothis, Norwagenses cum

Suathedis, Wandalos cum Fresis; qui ab exordio regni Edelvulfi regis usque ad

216Dubravius, Historia Boiemica, 1575, I und II.

 

217Repertorium Fontium V, 427f; LMA IV, s.v. Heinrich v. Huntingdon, 2094.


75

adventum Normannorum, Willelmi regis ductu, ducentis triginta annis terram

hanc desolaverunt."218

 

Heinrich reiht seine Wandali in die Aufzählung mehrerer skandinavischer Völker

ein, die in England plünderten. Fraglich ist, ob in diesem Fall Wandali nicht

einfach eine topische Bezeichnung für Germanen aufgrund vager Kenntnisse der vökerwanderungszeitlichen Geschichte ist. Heinrich erwähnt zwar in seiner

Geschichte die historischen Vandalen nicht, bezieht sich in seiner Darstellung aber

wie gesagt nur auf Britannien. Berücksichtigt man Heinrichs moralisierendes

Geschichtsbild und seinen Bildungshintergrund, liegt es durchaus im Bereich des

Möglichen, daß die aus der hagiographischen Literatur zumindest dem Namen

nach bekannten Christenverfolger des fünften Jahrhunderts einfach in eine Reihe

schlimmer Feinde der rechtgläubigen Briten aufgenommen worden waren. Daß

derselbe Völkername zweimal für verschiedene Völker angewandt wurde, war

wohl wenig störend.219

 

Im sechsten Buch berichtet Heinrich von einem dänischen Kriegszug unter

Beteiligung eines englischen Kontingents gegen - in diesem Fall wohl sicher -

Slawen unter König Knud dem Großen. Knud war König in England und von

Dänemark, da sein Vater Svend Gabelbart die dänische Herrschaft in England

wieder etabliert hatte.220

 

Neben Zügen ins Frankenreich griffen dänische Schiffe um die Mitte des neunten

Jahrhunderts auch England immer wieder an. Die politische Lage auf der Insel, es

bestanden mehrere angelsächsische Teilreiche ohne besondere Schlagkraft, kam

der Errichtung einer dänischen Herrschaft im letzten Drittel des neunten

Jahrhunderts sehr entgegen.221

 

Die Regionen Englands, deren Rechtsgewohnheiten durch die dänischen

Eroberungen des späten neunten und frühen zehnten Jahrhunderts beeinflußt

worden waren, nannte man seit dem frühen elften Jahrhundert 'Danelag' (wörtlich

'Dänenrecht', englisch 'Danelaw'). Die Ausdehnung dieses Gebiets wird erst in

Texten des 12. Jahrhunderts genauer eingegrenzt. Ein Vertrag zwischen Alfred

218Heinrich von Huntingdon V, ed. F. Liebermann, MGH SS 13, p. 149.

 

219Diese Ansicht vertreten im wesentlichen auch Reisinger und Sowa 1990, 8.

 

220LMA III, s.v. Danelaw, 494f; RGA 5, s.v. Danelag, 227ff.

 

221Bohn 2001, 10f; RGA 5, s.v. Danelag, 228f.


76

dem Großen und dem dänischen König Guthrum in den achtziger Jahren des

neunten Jahrhunderts dürfte diese Teilung Englands fixiert haben. In einem

Gesetz des Dänenkönigs Knud des Großen aus der ersten Hälfte des elften

Jahrhunderts wird England als in die angelsächsischen Reiche East Anglia,

Wessex und Mercia wie eben den 'Danelag' geteilt beschrieben. Der 'Danelag'

erstreckte sich östlich einer Linie London-Chester von der Themse bis zum

Hadrianswall. York wurde im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts der Sitz

des dänischen Wikingerkönigs Halfdan und die Stadt selbst ein blühendes

Handelszentrum. Die keltischen und angelsächsischen Kleinkönigreiche an den

Rändern des 'Danelag' genannten Gebiets wurden nach und nach tributpflichtig.

Nach rund siebzig Jahren brach die dänische Herrschaft in England zusammen,

und es gelang angelsächsischen Königen Anfang des zehnten Jahrhunderts, den

'Danelag' wieder zu beherrschen.222

 

Das war durch die innenpolitische Schwäche Dänemarks bedingt, das zusätzlich

in Machtkämpfe mit den römisch-deutschen Kaisern verwickelt war. Svend

Gabelbart, der bis 1014 die dänische Krone trug, sicherte am Anfang seiner

Herrschaft seine Stellung in Dänemark wie in Norwegen. Durch mehrere

Feldzüge zwang er den angelsächsischen König Ethelred, die dänische Herrschaft

in Britannien erneut anzuerkennen. Hohe englische Abgaben flossen nach

Dänemark, und der Sohn Svends, Knud der Große, konnte das dänische

Nordseereich weiter festigen. In der Zeit der Herrschaft Knuds bestanden enge

Kontakte zur englischen Kirche, und es waren eben auch englische Vasallen bei

den Feldzügen des Dänenkönigs mit dabei.223 Vor diesem Hintergrund ist der

Bericht Heinrichs von Huntingdon zu verstehen.

 

König Knud führt also im fünften Buch der englischen Geschichte Heinrichs ein

Heer von Dänen und Engländern gegen die Wandali, erobert eine Burg ("in castris

invenit") und fügt den Wandali eine schwere Niederlage zu.

 

"Cnut tertio anno regni sui ivit in Daciam, ducens exercitum Anglorum et

Dacorum in Wandalos." Ein gewisser Godwin ist bei diesem Feldzug der "consul

Anglorum" und erweist sich als außergewöhnlich tapfer. Die Angli kehren

ruhmbeladen und geehrt nach dem erfolgreichen Feldzug nach Britannien heim.

222LMA III, s.v. Danelaw, 494f; Coupland 1995, 193f.

 

223Vgl: LMA III, s.v. Danelaw, 494f; RGA 5, s.v. Danelag, 227-236 (Hier auch umfangreiche

Literaturverweise); Coupland 1995, 190ff; Bohn 2001, 10f.


77

Erwähnt wird noch, daß die Engländer mindestens ebenso tapfer wie die Dänen

gekämpft hatten.224

 

Das genaue Ziel dieses Heerzugs ist nicht sicher zu lokalisieren. Lübke vermutet,

er könnte im Zusammenhang mit den Ereignissen des Jahres 1018 gestanden

haben. Das Ziel der Aktion wäre dann das Gebiet des Liutizerbunds gewesen und

die Wandali die heidnischen Liutizen.225

 

Am 30. Jänner 1018 schlossen die Emissäre Kaiser Heinrichs II. mit dem

Polenkönig Boleslaw Chrobry den Frieden von Bautzen. Die Bedingungen des

Friedens sind nicht überliefert, waren aber wohl eher ungünstig für das Reich.

Boleslaw Chrobry behielt jedenfalls nicht nur Mähren, sondern auch die Marken

östlich der mittleren Elbe, und das ohne eine Lehensabhängigkeit vom Reich.

Trotzdem stellte dieser Frieden die Grundlage für ein entspannteres Verhältnis

Polens zum Westen dar.226

 

Die slawisch-heidnischen Liutizen im Westen des späteren Mecklenburg hingegen

sahen den Frieden als Bedrohung an. Als Reaktion griffen sie den christlich-

slawischen Fürsten der Abodriten an, der mit der neuen Koaliton Polens mit dem

Reich sympathisierte. Die abodritische Nakonidendynastie wurde in der Folge

gestürzt, und im Abodritenland setzte sich eine nichtmonarchische (und damit

nicht christliche) Stammesverfassung ähnlich der der Liutizen durch. Die Liutizen

standen in einem Bündnisverhältnis zu Heinrich II. Seine 'moralische' Pflicht als

christlicher Herrscher wäre es aber gewesen, die Christianisierungserfolge der

unmittelbaren Vergangenheit zu schützen. Als der Kaiser nicht in diesen Konflikt

von Gegnern und unsicheren Verbündeten eingreifen wollte, trat Knud der Große

von Dänemark auf den Plan, der der Neffe Boleslaw Chrobrys war. Ob der Kaiser

diese Intervention der Dänen nur wohlwollend duldete, weil es zu diesem

Zeitpunkt seinen Interessen entsprach, oder ein regelrechtes Bündnis zwischen

Heinrich II. und Knud bestand, ist unklar.227

224Heinrich von Huntingdon VI, ed. F. Liebermann, MGH SS 13, p. 150;

Vgl. Lübke 1987, 99, Nr. 547.

 

225Lübke 1987, 99, Nr. 547.

 

226Übernächste Anm. .

 

227Nächste Anm. .


78

Einen offiziellen Frieden mit dem Dänenkönig schloß jedenfalls erst Heinrichs

Nachfolger Konrad II. im Jahr 1025 unter der Vermittlung des Erzbischofs Unwan.

Schon 1018 hatte dieser Unwan, der Erzbischof von Hamburg-Bremen und somit

Metropolit des vom Aufstand der Liutizen betroffenen Suffraganbistums

Oldenburg war, die Gelegenheit genutzt, um die mit den Abodritenfürsten

verbündeten sächsischen Billunger, die Gegner Heinrichs II. gewesen waren, mit

diesem zu versöhnen. Die Folge des dänischen Eingreifens war die

Wiedereinsetzung der abodritischen Dynastie, die gute Beziehungen zu den

Dänen, den Billungern und den Piasten pflegte.228

 

Weil geographisch und zeitlich passend, soll die Verwendung des

Vandalennamens in den Annales Augustani des 12. Jahrhunderts hier Erwähnung

finden. Die vernichtende Niederlage eines sächsischen Heeres gegen die Liutizen

bei der Burg (castrum) Prizlava an der Mündung der Havel in die Elbe am 10.

September 1056 wird in verschiedenen Annalen und Chroniken teilweise sehr

ausführlich geschildert. Bei diesem Kampf wurden Markgraf Wilhelm, die Grafen

Dietrich und Bernhard wie viele andere von den Slawen getötet. Die Liutizen

werden in den verschiedenen Quellen Liutizi, Wandali, pagani, oder Sclavi genannt.

Enthalten ist die Erzählung in den Annales Altahenses maiores, den beiden unten

erwähnten Annalen, den Annales Hildenheimensis, der sächsischen Weltchronik

und anderen Chroniken.229

 

Wandali wird im kurzen Vermerk der Annales Augustani zum Jahr 1056 verwendet.

"Exercitus Saxonum a Wandalis trucidatur."230 Annalista Saxo verwendet in

seinem sehr ausführlichen Eintrag die Wendung, die Sachsen seien a barbaris, qui

Liutici dicuntur getötet worden. Weiters erzählt er von Verstümmelungen der

Leichen und anderen Abscheulichkeiten.231

228Vgl.: Wolfram 2000, 229f und 231; Fried 1993, 52f;

Lübke 1987, 89, Nr. 537f; 95, Nr. 548ff;

LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47f.

 

229Lübke 1987, 287f, Nr. 736.

Dort eine ausführliche Erfassung der Überlieferung.

Wandali kennen nur die Annales Augustani.

 

230Annales Augustani ad a. 1056, ed. G. Pertz, MGH SS 3, p. 127.

 

231Annalist


79

II.1.11. Gervasius von Tilbury (frühes 13. Jh.)

 

Der englische Kleriker Gervasius von Tilbury (um 1152 - nach 1220) schrieb ein in

drei decisiones gegliedertes Geschichtswerk mit dem Titel Otia imperialia.

Gewidmet waren diese Otia imperialia dem Welfen Otto IV., der kurze Zeit als

Gönner des Gervasius aufgetreten war. Gervasius wurde auf Betreiben Ottos

Marschall von Arles. Zuerst in den Diensten des Normannenkönigs Wilhelm II.

auf Sizilien tätig, wandte sich Gervasius später ins Arelat, wo er für den Bischof

von Arles arbeitete. Dort kam er in Kontakt mit dem Kaiser. Da die Otia 1209 -

1214 entstanden sind, waren sie wohl als Zeitvertreib für den abgesetzten Otto IV.

gedacht.

 

Die erste decisio des Werks umfaßt die Weltgeschichte von der Schöpfung bis zur

Sintflut. In diesem Abschnitt wurden auch Teile der Historia Brittonum

eingearbeitet. Die zweite decisio widmet sich der Geo- und Topographie der

bekannten Welt und enthält einen Abschnit mit dem Titel "De Europa a parte

septemtrionis".232 In diesem Abschnitt befindet sich auch die unten behandelte

Stelle, in der der Ausdruck Wandalorum gens ferocissima als Bezeichnung für die

slawische Bevölkerung dieser Gegend verwendet wird. Die dritte decisio

wiederum handelt von mittelalterlichem Volks- und Wunderglauben. In ihr

finden sich ausführliche Kommentare zur Vergilsage und ihrer fränkischen

Tradition wie zum Artuskomplex.

 

Es handelt sich bei den Otia imperialia um eine bunte Mischung aus Welt- und

Reichsgeschichte, in der Lesefrüchte aus antiken und mittelalterlichen Autoren,

Elemente mittelalterlicher Erzählliteratur aus England und dem sizilischen

Königreich, dem Arelat wie Katalonien kompiliert wurden. Diverse Rezeptionen

der Otia imperialia wurden bei Martin von Troppau, Paulinus Minorita, Boccaccio,

Petrarca und in anderen Werken nachgewiesen.233

 

Gervasius interessierte sich auch für polnische Geschichte und könnte das etwa

gleichzeitig verfaßte Werk von Vincentius Kadlubek gekannt haben. Wie das

intertextuelle Verhältnis im Detail aussieht, müßte noch geklärt werden.234

232Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, ed. MGH SS 27, p. 102.

 

233DHGE XX, 1087-1089; Repertorium Fontium IV, 715f; LMA IV, s.v. Gervasius von Tilbury, 1362;

 

234Eine kurze Bemerkung dazu bei Reisinger und Sowa 1990, 8.


80

Im Kapitel "De Europa a parte septemtrionis" werden Slawen als Wandalorum gens

ferocissima beschrieben, die zwischen Germanien und den Mäotidischen Sümpfen

lebten. Gervasius bezeichnete nur die nördlichen Slawen als Vandalen, und damit

liegt hier ein Beleg für die Einengung der Gleichung Wenden = Vandalen auf

nicht in einem monarchischen und christlichen Staat organisierte Slawen vor. Daß

diese Terminologie nicht sehr präzise und möglicherweise im 12. Jahrhundert

schon veraltet war, weist darauf hin, daß Wahrnehmungsfilter bestanden haben,

die Gesellschaftsformen außerhalb der abendländischen Norm pauschalisierten.

 

"Inter Germaniam et Meotides paludes ab oriente Wandalorum gens ferocissima

habitat, inter quam et paludes Meotides Sarmate habitant, a quibus mare

Sarmaticum dicitur, quod a fluvio Sarmatico et Wandalo, flumine Wandalorum, et

Danubio versus orientem impletur."235

 

Die zweite Verwendung des Vandalennamens bezieht sich auf die Polen, und hier

scheint eine Kenntnis der Chronik Vincentius Kadlubeks zugrunde zu liegen.

Gervasius bezieht sich auf die Stelle in der Schilderung der 'Urgeschichte' Polens,

wo von den Untertanen der Königin Vanda die Rede ist, die alle Vandali genannt

würden.236

 

"Porro inter Alpes Huniae et Oceanum est Polonia, sic dicta in eorum idiomate,

quasi campania, quae a Vandalo flumine suo terra dicitur, ut ab ipsis indigenis

accepi, Vandalorum."237

II.1.12. Dänemark und die Slawen im 12. Jahrhundert;

Saxo Grammaticus - Gesta Danorum; Der dänische

Königstitel rex Danorum Sclavorumque

 

II.3.12.1. Saxos Chronik und die Slawentopik in dänischen Quellen

 

Nach der Zerstörung der slawischen Tempelburg Arkona und der damit

vollzogenen Eroberung der Insel Rügen am 15. Juni 1169 änderte sich die Stellung

des dänischen Königreichs im Ostseeraum. Nach der Anerkennung des dänischen

Königs als obersten Lehensherren durch die wendischen Fürstentümer

 

 

235Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, ed. MGH SS 27, p. 102.

 

236Vincentius, Chronicon Poloniae, I 7.

 

237Gervasius von Tilbury, Otia imperialia, ed. in SS rer. Brunsv. 2, 1710, p. 764.


81

Mecklenburg und Pommern, nahm der dänische König Knud VI. (1162/63 - 1202)

den Titel rex Danorum Sclavorumque an. Der zweite Teil dieses Titels wurde in

volkssprachigen Urkunden, die seit dem 14. Jahrhundert überliefert sind, als

Vendernes konung ins Dänische übersetzt.238

 

König Gustav I. Wasa von Schweden übernahm im 16. Jahrhundert den letzten

Teil des dänischen Titels und nannte sich rex Suecorum Gothorum Vandalorumque.

Dabei wurde der letzte Teil des Titels wahrscheinlich erstmals nach Jordanes als

rex Vandalorum latinisiert. Dies blieb der offizielle schwedische Königstitel, der im

schwedischen Reichswappen mit drei Schilden symbolisiert wurde.239

 

Im folgenden soll die historische Situation im Dänemark des 12. Jahrhunderts mit

dem Geschichtswerk Saxos, dem dänischen und päpstlichen Bild von den Slawen

und dem dänischen Königstitel in Bezug gesetzt werden.

 

Die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts war in Dänemark von einem fast 30 Jahre

andauernden Kleinkrieg in der Königsdynastie geprägt. Erst 1157 konnte sich

Waldemar I. (1131 - 1182) in diesem Konflikt durchsetzen. Waldemar war der

Kandidat der Kirche, die während der dreißigjährigen Thronwirren Dänemark zusammengehalten hatte. Der mächtige Bischof von Roskilde und spätere

Erzbischof von Lund Absalon (1128 - 1201) nahm neben dem König eine starke

Position ein. Die wichtigste Voraussetzung für die Entwicklung einer dänischen Geschichtsschreibung war die Konsolidierung der staatlichen und kirchlichen

Macht.240

 

Absalon hatte erkannt, daß ein eigenständiges dänisches Königtum, das nicht

ständig von Ansprüchen des Kaisers in Frage gestellt werden wollte, nicht nur

politisch und kirchlich, sondern auch historisch legitimiert werden müßte. Diese

historische Legitimierung sollte nach dem Vorbild anderer christlicher

Königreiche Europas gestaltet werden. Im Auftrag des Erzbischofs von Lund

entstand aus diesen Gründen die "Dänische Chronik" des Saxo Grammaticus, die

238Bohn 2001, 24; Hildebrand 1884, 59.

 

239Svennung 1967 a, 71 und Anm. 291; Hildebrand 1884, 59f. Siehe zur Frage dieser Titel Kapitel

IV.2. dieser Arbeit.

 

240LMA I, s.v. Absalon, 59; LMA VII, s.v. Waldemar I., 789.


82

die bedeutendste mittelalterliche historiographische Schrift Dänemarks werden

sollte.241

 

Schon im Vorwort seines Geschichtswerks unterrichtet Saxo über seine Absicht,

Dänemark zu einer eigenen Geschichtsschreibung zu verhelfen, die sich mit der

anderer Länder messen können sollte. Dänemark besaß in den Vorstellungen

Saxos eine ebenso alte und strahlende Vorzeit wie andere bedeutende Reiche des

christlichen Abendlands. Saxos Dänengeschichte entstand um 1200 und spannte

den Bogen vom sagenhaften König Dan und der mythischen Urzeit bis zum

Frühling 1185, als Knud VI. den pommerschen Herzog Bogislaw endgültig

besiegen konnte.

 

Das Werk ist ab origine gentis angelegt und stellt sich damit selbst in die Tradition

der Origines gentium, wie sie seit der Spätantike geschrieben wurden. Stil und

innerer Aufbau der Gesta sind an Valerius Maximus und Justin orientiert. Als

Quellen schöpfte Saxo unter anderem aus Beda und Paulus Diaconus. Die aus

diesen Autoren übernommene 'Exemplum'-Technik beherrscht Saxo meisterhaft.

Jedes der 16 Bücher ist um eine oder mehrere der Kardinaltugenden (prudentia,

fortitudo, temperantia, iustitia) komponiert, die weiters mit anderen zentralen

mittelalterlichen Lehrbegriffen innerhalb dialektisch geordneter Muster verwoben

sind und am Ende der Gesta in abschließenden Exempla gipfeln. Sein kunstvolles

Latein bescherte Saxo den ehrenden Beinamen Grammaticus.242

 

Die ersten vier Bücher Saxos behandeln die vor Christus regierenden Könige.

Buch fünf bis acht handelt von der Zeit nach Christi Geburt bis zum ersten

Kontakt der Dänen mit dem Christentum. Die Bücher 9 - 12 schildern dann die

Durchsetzung des Christentums und die Entstehung des dänischen Königreichs,

wie die Zeitgenossen Saxos es kannten. Die restlichen Bücher erzählen die

Geschichte des 12. Jahrhunderts. Die Bücher 15 und 16 beinhalten die Zeit des

Erzbischofs Absalon.243

241Feldbaek 1991/92, I, 56ff; Lauring 1964, 89ff.

Zur Illustration eine Intitulatio des Bischofs Absalon:

Absalon dei gratia Lundensis archiepiscopus, apostolicae sedis legatus, Suethiae primas,

Dipl. Dan. 1 r. III., No. 164 von 1190.

 

242TRE VIII, s.v. Dänemark I, 302ff; Bohn 2001, 23f; LMA II, s.v. Chronik 1993f; Hansen 2001, 67f.

 

243Riis 1977, 14-31; LMA II, s.v. Chronik 1993f.


83

König Waldemar und Bischof Absalon versuchten die dänische Machtposition im

Ostseeraum zu erweitern. Die hehren Ziele der Christianisierung und Befriedung

der slawischen Stämme, welche südlich der dänischen Inseln lebten und immer

wieder die Inseln zwischen Jütland und Schonen angegriffen hatten, dienten als

Rechtfertigung. Jahr für Jahr erfolgten militärische Expeditionen ins

'Wendenland'. Dabei trat Bischof Absalon von Roskilde neben den König, der

jedes Jahr von neuem das sleding aufbot, um Kriegszüge mit vielen Häuptlingen

zu leiten. Absalon wird in der Knytlinga saga, einer romanartigen Darstellung der

Geschichte der dänischen Könige von Harald Blauzahn bis Knud VI., als großer

Kriegsmann geschildert. Mitten im Kampf soll er den Dänen vorangestürmt

sein.244 Man fühlt sich an den heiligen Bischof Udalrich von Augsburg erinnert,

der auf dem Lechfeld den Ungarn entgegenritt, um seine Ritter zu ermutigen. Der

Bischof blieb in der Schilderung Gerhards von Augsburg im Hagel der

ungarischen Steine und Pfeile völlig unverletzt, obwohl er keine Schutzwaffen

getragen haben soll.245 Um die kirchliche Macht neben der königlichen zu

etablieren, waren solche Bilder bischöflicher 'Propaganda' unumgänglich.

 

Die schon von Saxo Grammaticus als bedrohliche slawische Angriffe auf

Dänemark geschilderten gelegentlichen Raubzüge der Rügen und anderer

Ostseeslawen legitimieren die weiteren dänischen Vorstöße in den elbslawischen

Raum. Schon im fünften Buch der Gesta, das noch die Vorzeit schildert, sind

solche slawischen Angriffe eingebaut, die dann von den Dänen vergolten werden.

Slawenzüge unternahmen die dänischen Könige Erich I. Ejegod, Knut Lavard und

Erich II. Emune von 1100 bis 1140, ebenso in der zweiten Hälfte des 12.

Jahrhunderts Waldemar der Große und Knud VI. Slawische Angriffe auf

Dänemark fanden aber erst um 1150 im Zusammenhang mit dem dänischen

Bürgerkrieg und den Thronwirren verstärkt statt und waren teilweise wohl als

Vergeltung für die dänischen Angriffe gedacht.246 Den Elbslawen fehlt aber die

Stimme der Historiographie, um ihre Sicht der Dinge mitzuteilen.

244Knytlinga saga, ed. Baetke 1924, 369. Vgl. LMA IV, s.v. Knytlinga saga, 1241f.

 

245Neumeister 2001, 45 und Anm. 68.

"Hora vero belli episcopus super cavallum suum sedens stola indutus non clippeo aut lorica aut

galea munitus iaculis et lapidibus undique circa eum discurrentibus intactus et inlesus

subsistebat."

Gerhard v. Augsburg, Vita Sancti Udalrici, I, 12, ed. Berschin/Häse, 1993, p. 12.

 

246Saxo Gramm., XV und XVI und Hansen 2001, 182; Feldbaek 1991/92, 44ff; Lauring 1964, 123ff.


84

Nach Überwindung der Thronwirren und mit Hilfe einer von Bremen

unabhängigen Kirchenpolitik stellte sich Dänemark als neue Macht und

gleichwertiger Partner Heinrichs des Löwen an der südlichen Ostseeküste dar.

Zwei Kinder Heinrichs des Löwen heirateten ins dänische Königshaus ein.

Dänische Fürstensöhne wurden an deutschen Höfen erzogen, dänische Geistliche

im Reich ausgebildet. Als Motor der dänischen Expansion im 12. Jahrhundert

stellte sich die Integration slawischer Bevölkerung und slawischer

Herrschaftsstrukturen dar. Das führte die Dänen mit den Pommern, Polen und

den nach der Ostsee strebenden Askaniern in Brandenburg zusammen. Wie weit

der dänische Einfluß oderabwärts nach Süden ausgedehnt werden konnte, ist

allerdings eine ungelöste Frage. Das Papsttum war am Dänenreich interessiert,

weil es in den Augen Roms eine wichtige stabilisierende Funktion im Norden

hatte. Auch im Zusammenhang mit den um 1200 einsetzenden

Kreuzzugsbewegungen in den baltischen Ländern Estland, Lettland und Livland

blickte man hoffnungsvoll von Rom nach Kopenhagen. Das führte zu einer

Legitimierung der dänischen Züge ins Wendeland, also Mecklenburg, Holstein

und Rügen, als Kreuzzüge mit dem besonderen Segen des Papstes. Nicht zuletzt

sind die Wurzeln hanseatischen Handelns nicht ohne dänische Unterstützung

denkbar.247

 

Aus der Antwort Papst Alexanders III. vom 4. November 1169 an Bischof Absalon

läßt sich das Slawenbild der Dänen ebenfalls erschließen. Papst Alexander III.

antwortete auf die Bitte Absalons nach der Eroberung Rügens, die Insel dem

Bistum Roskilde zu unterstellen. Die päpstliche Kanzlei referierte die Briefe ("ex

litteris siquidem"), die König Waldemar und andere Personen zuvor an den Papst

geschickt hatten.248

 

Im Schreiben des Papstes findet sich also eine Wiedergabe, der aus Dänemark

nach Rom gesandten Sichtweise. Auf der Insel namens Rügen in der Nähe des

Königreichs herrsche von jeher nicht der rechte Glaube, sondern Götzendienst

und Irrlehre. Außerdem hätten die Bewohner dieser Insel ständig alle Nachbarn

angegriffen. Der Dänenkönig wird von der Papstkanzlei als strahlender Sieger im Glaubenskampf beschrieben. "Mit den Waffen Christi versehen, mit dem Schild

des Glaubens bewaffnet, hat er die Grausamkeit der Männer auf dieser Insel

247Neumeister 2001, 46ff; LMA VI, s.v. Ostseeraum, 567ff.

 

248Dipl. Dan. 1 r. II., No 189, p. 345.


85

bezähmt (...), daß er die Insel nun der Herrschaft Christi zuführen konnte."249

Diese Argumentation ist der, die 30 Jahre später bei Saxo zu finden sein wird, sehr

ähnlich. Die Wildheit und Rauheit der Slawen habe seit jeher Probleme in

Dänemark gemacht, meint Saxo. In der Korrespondenz des Papstes und

wahrscheinlich auch in den Briefen König Waldemars nach Rom, wurde ein

Vokabular verwendet, das typisch für die Kreuzfahrer war.250

 

Hatten die Dänen und ihre Verbündeten die Angriffe auf slawische Länder bisher

eher als Plünderungszüge gesehen, veränderte sich diese Sichtweise durch die

vollständige Eroberung Rügens im Jahr 1168. Saxo schließt seine Gesta mit der

Unterwerfung der Pommern unter Herzog Bogislaw, die Knud VI. als ihren

Herren anerkennen. Himmlische Zeichen haben nach Saxo den Dänen

angekündigt, daß die Wendenmacht zu Ende ging.251

 

Durch die Gesta zieht sich die Sichtweise, daß die Slawen zwar im Einzelfall

tapfere Krieger, tüchtige Redner und zuverlässige Verbündete sein können, ihr

Volk aber im allgemeinen primitiv, grausam und unzuverlässig sei. Im ganzen ein

Bild der Verachtung für minderwertige Barbaren, die immer wieder wie eine

Naturgewalt geschildert werden.252 Der Dänenkönig Jarmerik läßt im achten Buch

der Chronik Saxos vierzig slawische Gefangene hängen mit je einem Wolf an ihrer

Seite, um zu zeigen, wie raubgierig sie gewesen waren. Diese Erzählung wird

noch in die Zeit vor der Christianisierung Dänemarks gelegt.253

 

Für die Slawen verwendete Saxo nun unterschiedliche Bezeichnungen. Eine

Durchsicht der Gesta Danorum ergibt diesbezüglich das folgende Ergebnis. Die am

häufigsten verwendete Bezeichnung ist - wenig überraschend - Sclavi.254 Einige

249"Quod idem rex, celesti flamine inspiratus et armis Christi munitus, scuto fidei armatus

considerans, divino munere protectus, cum brachio forti et extento duriciam hominum illius insule

expugnavit et exprobacionem immanitatis illorum ad fidem et legem Christi tam potenter ac valide

magnanimiterque revocavit, ut sue quoque subiecerit dominationi."

ed.: Dipl. Dan. 1 r. II., No 189, p. 345.

 

250Hansen 2001, 184.

 

251Saxo, Gesta, XVI; Dahlmann 1840-1843, I, 330.

 

252nach Hansen 2001, 180: Saxo, Gesta 73; 155, 6; 426, 36-40; 500.

 

253nach: Hansen 2001, 181: Saxo, Gesta 230-232.

 

254So zum Beispiel: Sclavorum equites, in XV, 4; Sclavorum expeditio ad orientales Sialandiae partes, XV,

1.


86

wenige Male finden sich spezifischere Bezeichnungen wie Rugi.255 Wandali

verwendete Saxo lediglich zweimal und zwar als Substantiv und als Adjektiv.

 

"Igitur Wandali, solam sibi in armis libertatem restare credentes, fugae eius

perinde ac victores insultare coeperunt."256

 

"Iisdem temporibus, effusis piraticae habenis, a Wandalicis finibus Eidoram usque

omnes per Orientem vici incolis viduri ruraque culturae expertia iacuere."257

 

Beide Male sind einfach Slawen gemeint und zwar Gruppen, die kurz vorher im

Text noch als Sclavi bezeichnet wurden. Im Sprachgebrauch Saxos ist der

Vandalenname also ein selten verwendetes Synonym für die Slawen. In seinem

Fall spricht er nur von Slawen an der Ostseeküste und auf Rügen, die in

nichtmonarchischen, heidnischen Stammesgesellschaften lebten. Die Poloni

werden an keiner Stelle der Gesta als Slawen bezeichnet.

II.3.12.2. Der dänische Königstitel im Hochmittelalter

 

Zwischen 1187 und Anfang 1193 muß der dänische Königstitel geändert worden

sein. Wie schon ausgeführt, war die Annahme des neuen Titels durch die

Anerkennung Knuds VI. als obersten Lehensherren durch die wendischen

Fürstentümer Mecklenburg und Pommern im Jahr 1185 bedingt. Zwischen den

beiden Jahren 1187 und 1193 liegen keine Diplome des Königs vor.258

 

In einem Diplom Knuds VI. (1187 November 20) übergibt der König in Grimstrup

dem Bischof Waldemar von Schleswig Güter und königliche Gerichtsrechte. Die

Intitulatio lautet: Kanutus dei gracia rex Danorum259.

255Saxo, Gesta, XIV, 8.

 

256Saxo, Gesta, XIV, 6.

 

257Saxo, Gesta, XV, 5.

 

258Dahlmann 1840-1843, I, 330 zitiert ein Diplom Knuds VI. im Dipl. AM. I, p. 58 als Beleg für diese

Aussage.

Das erste Diplom mit der Intitulatio Ego Kanutus Dei gratia Danorum Slavorumque rex im Dipl. AM. I

ist aber No. 53, p. 67, 1194 Oktober 22.

Regest: König Knud befreit die Kolonene seiner Brüder von allen königlichen Frondiensten.

 

259Dipl. Dan. 1 r. III., No 143.


87

Im Dänischen Urkundenbuch findet sich als nächste Nummer ein Brief des Abtes

Stefan von St. Geneviève in Paris an Knud VI. von 1188 (keine genauere

Datierung).

 

"Illustrissimo et christianissimo regi Danorum. Kanuto frater. (...) Gloriosam ac

felicem regni Danorum potenciam et virtutem. qua antiqui parentes vestri. pagano

adhuc errore detenti. in fortidudine brachii sunt. et in robore virium suarum

Gallias invaserunt. et annales historiarum continent. et communis fama recitat

(...)."260 Der Abt bittet den weit im Norden regierenden König interessanterweise

um Zuwendungen mit dem Argument, die dänischen Vorfahren Knuds hätten

auch in seinem Kloster geplündert.

 

In einem Diplom Knuds VI., das nach 1192 datiert ist, findet sich dann zum ersten

Mal der erweiterte Titel. Kanutus dei gracia Danorum Slavorumque rex (...) Der König

erkennt mit diesem Diplom die ihm vorgelegte Hausregel des Klosters Aebelholt

an.261 Von diesem Diplom an erscheint der erweiterte Titel mit zunehmender

Häufigkeit. Er wird aber bis ins 15. Jahrhundert nicht in dieser Form standartisiert

gebraucht. Nach dem Anfang des 15. Jahrhunderts liegen keine

Urkundeneditionen dänischer Königsdiplome in der notwendigen Dichte mehr

vor. Erst die komplizierten Verflechtungen der norwegischen, dänischen und

schwedischen Monarchie seit der Mitte des 14. Jahrhunderts könnten einen

regelmäßigeren Gebrauch des erweiterten Titels bedingt haben, um

Herrschaftsansprüche möglichst häufig zu artikulieren. Hinzuweisen bleibt auf

die Lücke in der Forschungsliteratur, diese Fragen betreffend. Die Fragen konnten

hier nur angedeutet, nicht aber beantwortet werden.

 

Der um Slavorum erweiterte Titel wird im 12. und 13. Jahrhundert wie schon

gesagt häufig, aber nicht regelmäßig, gebraucht. Zum Beispiel erscheint er in

einem Diplom Knuds VI. von 1193, in dem der König die Privilegien seines Vaters

Waldemar I. für das Kloster St. Odense bestätigt. Der Titel lautet: Canutus

Danorum et Slavorum rex262

260Dipl. Dan. 1 r. III., No 144. Die Interpunktion im Dänischen Urkundenbuch sic!

 

261Dipl. Dan. 1 r. III., No 179.

 

262Dipl. Dan. 1 r. III., No. 189; Dipl. AM. I, p. 285, 1193 Januar 22.


88

Die Titulatur kann im 12. Jahrhundert auch lauten: Ego Kanutus regis Waldemari

filius. per Dei graciam et disposicionem regni Danorum monarchiam tenens263

 

Im beginnenden 15. Jahrhundert findet sich der Titel aufgrund der politischen

Veränderungen zwar erweitert, aber in den diskutierten Teilen konstant.

 

Ericus dei gracia regnorum Dacie Suecie Norwegie Sclavorum Gothorumque rex et dux

Pomaranorum264

 

Die Latininisierung als rex Vandalorum kennt man seit dem 16. Jahrhundert.

Allerdings konnte sie vom Verfasser nur in schwedischen Druckwerken geprüft

werden. In IV.2. wird an diesem Punkt wieder angesetzt werden.

II.1.13. Chronicon Balduini Ninoviensis (2. H. 13. Jh.)

 

Die Chronik reicht in ihrer Anlage von Christi Geburt bis 1294. Einige später

zugefügte Fortsetzungen enthalten Schilderungen bis 1304. Die Lebenszeit

Balduins und die Art und Zeit der Kompilation der Chronik sind teilweise sehr

unsicher. In Ninove, einem Prämonstratenserkloster in der Grafschaft

Alostwurde, wurde die Klostertradition um 1254 mit verschiedenen Exzerpten

verbunden, und diese wiederum zur Grundlage einer bis 1294 geführten

Kompilation benutzt.265

 

Die Einträge zu den Jahren 632/33 enthalten eine Nennung der Vandalen. König

Dagoberts Krieg gegen die Slawen Samos wird beschrieben und in diesem

Zusammenhang bediente sich der Schreiber des Vandalennamens.

 

"Dagobertus Sclavos bello domans, etiam Wascones sub jugum mittit.

 

Dagobertus, Saxonibus sibi fideliter contra Wandelicos auxiliantibus, annuum

quingentarum vaccarum tributum indulget."266

263Dipl. Svec. I, No. 97, p. 121. Nur auf 1186 datiert.

 

264Dipl. Dan. 4r VII, No. 345. 1400 Februar 3.

 

265Repertorium Fontium II, 440.

 

266Ed. J.-J. de Smet, Corpus chronicorum Flandriae, Band 2, ad. a. 632/33, p. 642; ed. Holder-Egger,

MGH SS 25, 1880, p. 523, ad. a. 632/33.

Zur Chronik Balduins: Repertorium Fontium II, 440.


89

In Fredegars Chronik findet dieser Sachverhalt auch Erwähnung: Die Sachsen

schickten Gesandte zu Dagobert, der mit einem Heer den Rhein überschreiten

wollte, um Krieg gegen die 'Wenden' (Winiti) zu führen, die ihrerseits in

Thüringen eingefallen waren. Die Gesandten baten, den Tribut zu erlassen. Dafür

würden die Sachsen die 'Wenden' bekämpfen und die Grenze der Franken

bewachen. Die 500 Kühe Tribut werden den Sachsen daraufhin für immer

erlassen.267

 

Es liegt also ein weiteres Beispiel für die Verwendung der Gleichung

Slawen/Wenden = Vandalen in einer Quelle vor, die sich auf ein Ereignis in

karolingischer Zeit bezieht.

II.1.14. Bartholomaeus Anglicus: Der Vandalenname im

Buch "De provinciis" der "De proprietatibus rerum"

 

Der englische Minorit Bartholomaeus Anglicus starb 1250. Er hatte in Paris gelehrt

und ist seit 1231 in Magdburg als Lektor greifbar. Sein größtes Werk war die 1235

vollendete Enzyklopädie "De proprietatibus rerum". Dieses enzyklopädische

Werk war handschriftlich sehr verbreitet, wurde in mehrere Volkssprachen

übersetzt und erlebte auch noch einige Druckauflagen. Als Quellen konnte die

Forschung eine Vielzahl von patristischen und mittelalterlichen Schriften

identifizieren, daneben etliche arabische und antike. Plinius spielt dabei eine

wichtige Rolle. Bartholomaeus Anglicus nannte in vielen Lemmata seine Quellen,

und am Ende einiger Handschriften finden sich Verzeichnisse der benutzten

Literatur.

 

Das Werk umfaßt 19 Bücher in unterschiedlicher Länge. Prolog und Epilog

rechtfertigen das Werk als notwendiges Hilfsmittel, um Gottes Schöpfung

ordentlich zu würdigen. Die Bücher 1 und 2 beschreiben die himmlischen

Hierarchien. Die Bücher 3 bis 7 sind dem Mikrokosmos oder den res non naturales

gewidmet. Das bedeutet die unlogisch erscheinende Kategorisierung in die

Fragen vom Menschen mit seiner Seele und seinen Sinnen, den menschlichen

Körperteilen, den Lebensaltern, den Ständen der menschlichen Gesellschaft und

zum Schluß den Krankheiten. Die beiden folgenden Bücher beschreiben die

supralunare Welt, in der mittelalterlichen Vorstellung den Makrokosmos. Sie

 

 

267Fredegar IV, 74.


90

behandeln die Himmelskörper und die mit ihnen verbundenen Fragen von der

Zeit und der Zeitrechnung. Die Bücher 10 bis 18 handeln von den Elementen und

den ihnen zugehörenden Tieren. So sind die Fische etwa im Buch 13, das dem

Wasser gewidmet ist, beschrieben. Ab Buch 14 ist die Erde das Generalthema.

Buch 15 mit dem Titel De provinciis handelt von den Ländern der bekannten Welt,

und ist der von der modernen Forschung am meisten behandelte Teil der

Enzyklopädie. Die folgenden Bücher enthalten Beschreibungen der Steine,

Metalle, Pflanzen und Landtiere. Buch 19 schließt dann mit elementarer

Mathematik, Farben, Gerüchen, Tönen und tierischen Produkten ab.

 

Zahlreiche Handschriften der Enzyklopädie sind mit Marginalien versehen, die

dem Zweck gedient haben könnten, Möglichkeiten des Gebrauchs der

abgehandelten Sachverhalte in Predigten zu konkretisieren. Verkürzte und

erweiterte Bearbeitungen der Enzyklopädie, sowie Exzerpte aus dieser waren in

großer Zahl verbreitet. Auf diesen Sonderversionen basierte ein Großteil der Wirkungsgeschichte bis ins 16. Jahrhundert.268

 

Der Eintrag zur Sclavia, das Capitulum 140 des 15. Buchs, enthält zweimal den

Vandalennamen. Beide Male ist er auf die Elbslawen bezogen. Wie oben

ausgeführt, hatte sich im Laufe des 12. Jahrhunderts der Gebrauch des

Wendennamens in westlichen Quellen auf die Slawen zwischen Saale, Oder und

Ostsee eingeschränkt.

 

Bei Bartholomaeus Anglicus ist zu beobachten, daß er die Form Wandali allein und

weiter unkommentiert gebraucht. In der Enzyklopädie findet sich keine

Überlegung zu Völkergenealogien. Es ist aber anzunehmen, daß Bartholomaeus

Wandali einfach als die ihm bekannte gelehrte Bezeichnung für die Wenden

gebrauchte.

 

Betrachtet man die Erklärung bei Gottfried von Viterbo, ist anzunehmen, daß es

im 13. Jahrhundert auch außerhalb des norddeutschen Bereichs nachzulesen war,

daß es den Wendennamen gab, und seine lateinische Form eben Wandali sei.

"Guandali dicuntur Sclavi in Latino, in lingua vero Theotonica vocantur

Guinidi."269

268LMA I, s.v. B. Anglicus, 1492f; LThK II, 9; Repertorium Fontium II, 451-453; Schönbach 1906,

54ff.

 

269Gottfried von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102.


91

Der Eintrag zur Sclavia ist gleich ausführlich gestaltet, wie die Lemmata zu den

anderen Ländern. Polonia und Bohemia haben eigene Capitula, sind also bereits

nicht mehr im Begriff Sclavia enthalten. Über Böhmen und Polen wird in den

entsprechenden Teilen nicht gesagt, daß sie Slawen seien, dafür holt

Bartholomaeus das im folgenden Textstück nach.

 

"De Sclavia. Slavia est pars Mesiae, multas continens regiones. Nam Sclavi sunt

Bohemi, Poloni, Metani, Vandali, Rutheni, Dalmatae, et Charinti, qui omnes

mutuo se intelligunt, et in multis sunt similes quoad linguam, et quoad mores.

Dispares tamen quoad ritum. Nam quidam adhuc cultum Paganorum tenent,

quidam vero retinent ritum Graecorum: quidam autem Latinorum."270

 

Heiden, Katholiken und Orthodoxe konnte Bartholomaeus also

auseinanderhalten. Die meisten Slawen sind am Kopf rasiert, nur nicht die

Ruthenen und die, die mit Deutschen und Lateinern gemischt sind. Weiters wird

die Sclavia in eine Sclavia maior und eine Sclavia minor eingeteilt.

 

Die Sclavia maior soll auch Sclavinia heißen und umfaßt Dalmatien, Serbien,

Kärnten und viele andere Gebiete. Vor allem die Slawen, die nahe am Meer leben,

sind weniger fromm und berüchtigte Piraten. Die Sclavia minor reicht in der

Einteilung der Enzyklopädie von den Grenzen Sachsens zu den Preußen und den

Böhmen. Die dort lebenden Wandali sprechen viele verschiedene Sprachen ("...

lingue sue plures habens conterminos ..."). Böhmen ist durch verschiedene Flüsse

von Prutenia getrennt. Von den Goten und Dänen ist das Gebiet der Sclavia minor

durch das baltische Meer getrennt. Gothi war eine häufige Bezeichnung für die

Einwohner Gotlands.271

 

Die Sclavia ist fruchtbar, Honig und Milch gibt es dort im Überfluß. Die

Bevölkerung ist von kräftiger Statur und der Landwirtschaft wie dem Fischfang

zugetan, außerdem sehr fromm und friedlich, ganz im Gegensatz zu den Slawen

in der Sclavia magna. Der Grund für diese paradiesischen Zustände ist auch schnell

angegeben: "et hoc est propter mixtionem et societatem, quam quotidie

contrahunt cum Germanis."272

270Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, 15, 140, ed. Schönbach 1906, 77.

 

271Svennung 1967 a, 56f.

 

272Bartholomaeus Anglicus, De proprietatibus rerum, 15, 140, ed. Schönbach 1906, 77.


92

Die Bedeutung der Begriffe Sclavia/Sclavinia war bereits zur Entstehungszeit der

Enzyklopädie im Wandel begriffen. Woher der Topos der Befriedung durch das Zusammenleben mit den Deutschen kommt, wäre zu klären. Möglicherweise

handelt es sich um einen Reflex der antislawischen Propaganda etwa im Kontext

des Wendenkreuzzugs. Daß Herodot am Schluß des Lemmas zitiert wird ("ut dicit

Herodotus") erklärt den Gebrauch der Bezeichnung Mesiae. Was Herodot über die

Slawen zu berichten wußte, wird wohl nur Bartholomaeus Anglicus gelesen

haben. Es könnte sich aber auch um einen späteren, fehlerhaften Zusatz handeln.

Die Texttradition der De proprietatibus rerum wäre noch genauer zu untersuchen.

II.1.15 Die polnischen Vandalentraditionen. Vincentius

Kadlubek, Mierszwa und Baszko Boguphal (13. Jh.)

 

In der polnischen Chronistik des 13. und 14. Jahrhunderts finden sich Modelle der

polnischen 'Urgeschichte' und Einordnungen der Polen in biblische Genealogien.

Meistens gehen diese von Japhet aus. Den Quellen dieser Modelle im einzelnen

nachzugehen, oder zu klären, wo Übernahmen bzw. Neuschöpfungen vorliegen,

ist hier nur teilweise möglich.

 

In polnischen Chroniken vor dem 13. Jahrhundert sind noch keine biblischen

Genealogien oder Erwähnungen der Vandalen als Stammväter der Polen

eingebaut worden. Nach 1206 versuchte der Krakauer Bischof Vincentius

Kadlubek die Geschichte der Polen an die Vandalen anzuknüpfen. Was Cosmas

von Prag für die böhmische Geschichte leistete, tat Vincentius für die polnische. Er

schuf die maßgebenden Geschichtsbilder, die bis weit in die Neuzeit rezipiert

wurden.273 Den Vandalennamen konstruierte Vincentius nach der sagenhaften

Polenkönigin Vanda, deren Untertanen Vandali geheißen haben. Es könnte sich

beim Namen Vanda um ein vom Ethnonym Wenden abgeleitets Wort handeln.

 

Vandas Vater Graccus figuriert als erster König Polens. Die Gründung Krakaus

wird ihm zugeschrieben. Die alten Polen waren in der polnischen 'Urgeschichte'

Kadlubeks unter Graccus Herrscher über Geten und Parther. Sie kämpften schon

gegen die Gallier, Alexander den Großen und Caesar. Kadlubek erzählt weiter,

die Polen seien mit den Dakern verwandt.

 

 

273Vincentius Kadlubek war Bischof von Krakau (um 1150-1223/Seligsprechung 1764).

LMA VII, s.v. Vincentius Kadlubek, 1700f; Graus 1980, 71f.


93

Die Tochter Vanda wählte man aus Liebe zu Graccus zur Königin. Sie entzückte

mit ihrem Geist und ihrer Schönheit alle. Der tyrannus der Lemannen (später im

Text nur noch rex) wollte die weibliche Erbfolge allerdings anfechten und zog mit

seinem Heer gegen die neue Königin. Als die Männer aber die Königin Vanda

sahen, legten sie wie von einem Strahl der Sonne getroffen den Willen zum Kampf

ab, den sie plötzlich als Frevel und nicht mehr als notwendige

Auseinandersetzung sahen.

 

Der rex, von Liebe oder Zorn oder beiden Gefühlen ergriffen, rief daraufhin:

"Vanda möge über das Meer, Vanda über die Erde, Vanda über die Luft gebieten!

Den Unsterblichen möge sie für die Ihrigen opfern; ich aber, ihr Häuptlinge,

weihe mich den Unterirdischen, auf daß eure und die Nachkommenschaft eurer

Nachkommen unter Weiberherrschaft ergraue!"274

 

Mit diesen Worten stürzte sich der König in sein Schwert. Von Vanda soll der Fluß

Vandalus, also die Weichsel, den Namen haben, da er mitten durch ihr Reich floß.

Alle Untertanen der Vanda wurden Vandali genannt ("hinc omnes sunt Vandali

dicti, qui eius suffuere imperiis"). Sie verschmähte jede Ehe, der sie die

Jungfräulichkeit vorzog und starb daher ohne Nachkommen. Lange noch nach ihr

hatte das Reich keinen König.275

 

Borst erklärt die Rückführung der Polen auf die Vandalen mit dem Wissen

Kadlubeks um eine vandalische Präsenz in Schlesien in grauer Vorzeit. Polen

wurde durch die Konzeption Kadlubeks an das westlich-römische Europa und

seine Geschichte gebunden. Antike Namen und historische Elemente waren dazu

am besten geeignet. Der germanisch-antiken Herkunftssage die biblische

hinzuzufügen, fühlte man sich erst nach dem Mongolensturm bemüßigt, meint

Borst, weil man sich nach einem neuen, festeren Halt in der abendländischen

Christianitas umsehen habe müssen.276

274"Vanda mari, Vanda terrae, aeri Vanda imperet! Diis immortalibus Vanda pro suis victimet; et

ego pro vobis, o mei proceres, solennem inferis hostiam devoveo, ut tam vestra, quam vestrarum

successionum perpetuitas sub femineo consenescat imperio!"

Vincentius, Chronicon Poloniae, I 7, ed. Bielowski MPH II, p. 258.

 

275Vincentius, Chronicon Poloniae, I 7 und 8, ed. Bielowski MPH II, p. 258ff.

 

276Borst 1957-1963, II/2, 766.


94

Die Chronik Mierszwas folgt in weiten Teilen fast wörtlich der Arbeit Kadlubeks.

Die Zusätze, die Mierszwa zu seinen Auszügen aus Kadlubek geschrieben hat,

beziehen sich meist auf die Chronologie oder versuchen, unklare Passagen und

Wörter bei Vincentius Kadlubek zu erläutern. Mierszwa dürfte in den achtziger

Jahren des 13. Jahrhunderts gearbeitet haben. In diesem Sinn ist auch die

Einleitung der Chronik zu verstehen, die die Polen durch ihren Anherren

Vandalus auf den Stamm Japhet zurückführt.277

 

Diese Verbindung der polnischen mit der biblischen Geschichte wurde von

Mierszwa auf Grundlage der "fränkischen Völkertafel" in der Fassung der Historia

Brittonum verfaßt. Der Stammvater der Polen und Vandalen hieß nun Wandalus

und war ein Sohn des Neguo (Inguo) und ein Enkel des Alanus. Auch die

trojanische Ahnenreihe bis zu Javan, den die Polen Iwan nennen, und bis zu Japhet

wurde übernommen. Als Quelle dieser Geschichten gab Mierszwa römische

Chroniken an. "Sicut etiam reperitur in cronicis Romanorum."278

 

Mierszwa schloß sein Modell, wie ausgeführt, direkt an das Kadlubeks an. Seiner

Vorgeschichte folgt eine Paraphrase der Vandaerzählung Kadlubeks. "Ipsa

denique Wanda a Wandalo, Wandalorum id est Polonorum sive Lechitarum

progenitore, de quo supra diximus nomen accepit; vel potest dici Vanda a

Wandalo scilicet flumine Wisla eo, quod eius regni centrum extiterit; hinc omnes

sunt Wandalitae dicti, qui eius subfuere imperiiis. Quae quia omnium sprevit

connubia, immo quia huius connubio praetulerat coelibatum, sine successore

decessit, diuque post ipsam claudicavit imperium sine rege."279

 

Die um 1253 geschriebene Chronik, die wahrscheinlich der Kustos Baszko für den

Posener Bischof Boguphal II. verfaßt hatte, stellte wieder neue Genealogien vor

die von Kadlubek und Mierszwa. Die Pannonii, die ihren Namen von ihrem Herrn

Pan haben, stehen am Ursprung der slawischen Völker. Sie stammten von Janus

nepos Japhet ab. Ihr erster Herrscher war der Tyrann Nimrod, der die Knechtschaft

auf der Erde einführte. Er soll der Sohn eines Slavo sein und dieser sei der Ahne

aller Slawen geworden, wie man ja an der Verwandtschaft der slawischen

277Zeissberg 1873, 76.

 

278Miersuae, Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 163f-190; Zeissberg 1873, 76.

 

279Miersuae, Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 170.


95

Sprachen ersehen könne. "Sunt autem Slavorum multimoda genera linguarum se

mutuo intelligentia."280

 

Pans Kinder wiederum hießen Lech, Rus und Czech und wurden die Stammväter

der lechithischen Polen, der Russen und der Tschechen. Wie Slavo und Nimrod mit

Pan und dessen Kindern verwandt sind wird nicht weiter erläutert. Sicher ist nur,

daß alle Japhetiten sind. Dies wird noch durch eine alternative Erzählung

untermauert. Die beiden Japhetenkel Janus und Russz hätten die Slawen und die

Deutschen gezeugt. Noch die Namengeber beider Völker Ducz und Slavus seien

Brüder gewesen. Ihr Vater wird nicht genannt.281

 

Alle diese Ahnenreihen wurden also vor Kadlubeks Urgeschichte von Graccus

und Vanda gesetzt. Ihr Ausgangspunkt ist immer Japhet. Der mit einem

eponymen Gründervater und dann mit einer Völkerreihe begründete ethnische

Universalismus, der die Panonnii also die Ungarn an den Anfang setzte und zu

Slawen und damit auch zu Vandalen machte, bot eine gemeinsame Identität für

den ganzen osteuropäischen Raum an. Dieses universale Modell bezog die Russen

und die Deutschen, deren Siedler und Stadtrechte sich gerade überall verbreiteten,

ein. "Auf diese Weise erhielt man die umfangreichste biblisch-genealogische

Koalition, die jemals in Ostmitteleuropa ausgedacht worden ist, und es hält

schwer, nicht den Mongolensturm als Veranlassung für übervölkisches

Empfinden und Sehnsucht nach größerem Zusammenschluß namhaft zu

machen."282

 

Im frühen 14. Jahrhundert erscheint der polnische Urkönig Graccus nochmals in

einer Konzeption der Vorgeschichte, die diesmal Polen und Tschechen eine

gemeinsame Herkunft geben will. Ein anonymer schlesischer Zisterzienser

konstruierte eine Herkunft von dem Brüderpaar Czech und Lech. Nach dem

Turmbau von Babel sollen diese beiden die Polen und Tschechen begründet

haben. Der Zweck dieser Konzeption ist vor dem Hintergrund der nach Krakau

orientierten schlesischen Städte zu sehen. Tschechisch sprechende Bürger hatten

280Boguphal, Chronicon Poloniae, 1, ed. Bielowski MPH II, p. 468ff; Borst 1957-1963, II/2, 768;

Zeissberg 1873, 99ff.

Die Autorenschaft Baszkos ist nicht gänzlich geklärt. Darum erscheint die Chronik oft unter dem

Namen des Bischofs Boguphal, dem sie jedenfalls gewidmet war.

 

281Boguphal, Chronicon Poloniae, 1, ed. Bielowski MPH II, p. 470f.

 

282Borst 1957-1963, II/2, 768.


96

ein Interesse an einer alten, gemeinsamen Wurzel mit dem polnischen

Zentralraum. Schlesien war 1335 von Polen an Böhmen abgetreten worden.283

II.1.16. "Vandali, qui nunc Poloni dicuntur". Jan Dlugosz

(15. Jh.)

 

Jan Dlugosz (1415 - 1480) war polnischer Chronist und Universalhistoriker und

stammte aus einer adligen Familie. Er begann das Studium der artes liberales in

Krakau und trat noch während des Studiums ihn die Dienste des Bischofs von

Krakau Zbigniew Olésnicki. 1440 erschien er als Sekretär des Bischofs und war in verschiedenen diplomatischen Missionen tätig. Seit 1455 war Dlugosz im

Hofdienst und als Prinzenerzieher beschäftigt und erzog die Söhne Kasimirs IV.

Er führte Verhandlungen mit dem deutschen Orden und wurde 1480 zum

Erzbischof von Lemberg ernannt, starb aber noch vor der Ordination.284

 

Bei seinen Annales Regni Poloniae handelt sich um eine polnische Geschichte in

zwölf Büchern von der Urzeit bis 1480. Eine erste Redaktion wurde in den Jahren

1458 - 61 vorgenommen. Die Annales enthalten eine frei gestaltete Bearbeitung

älterer polnischer Chroniken, Annalen und Urkunden und verwerten dabei viel

nicht mehr identifizierbares Material. Durch die Einbeziehung lateinischer und

russischer Geschichtsquellen entstand eine Chronik, die die ganze Geschichte von

Mittel- und Osteuropa im ausgehenden Mittelalter beschrieb. Dlugosz zeichnete

in seiner Urgeschichte eine glücklich lebende Menschheit. Alle sprachen

Hebräisch und dienten Gott. Als der Tyrann und Frevler Nimrod seinen Turm

baute, fühlte sich Gott gelästert und schickte als Strafe die 72 Sprachen, die die

Menschheit von da an sprechen sollte. Damit begann alle diversitas varietasque.

Selbst die Slawen, die doch das nobile linguagium Slavonicum haben, lieben sich

gegenseitig nicht.285

 

Die europäischen Zusammenhänge sind in den Völkergenealogien von Dlugosz

genau so ausführlich enthalten wie die slawischen. Von Gomers Kindern stammen

nach Dlugosz die Stämme Süd- und Mittelitaliens ab. Magog begründete die

Skythen, Geten, Goten und Deutschen. Tubal erscheint als Stammvater der

 

 

283Chronicon Polono-Silesiacum, MGH SS 19, p. 556; Borst 1957-1963, III/1, 1043.

 

284LMA IV, s.v. Dlugosz, Jan, 1139f; Zeissberg 1873, 197-260.

 

285Borst 1957-1963, III/1, 1043; Zeissberg 1873, 293ff.


97

spanischen Cetubales, der Keltiberer. Deutsche und Engländer bekommen eine

trojanische Abkunft, die Franzosen nicht. Die polnischen Ahnen waren Japhetiten,

und diese Stammtafel wurde aus dem Zusatz Mierszwas zu Kadlubeks Chronik

entwickelt. Somit arbeitete Dlugosz im 15. Jahrhundert wiederum den auf der

fränkischen Völkertafel beruhenden Stammbaum ein. Er verlor zwar kein Wort

über eine Verwandschaft von Germanen und Slawen, diese ist aber in der

Genealogie implizit. Die Vandalen erscheinen in diesem Modell als Menschen, qui

nunc Poloni dicuntur. Die slawischen Genealogien aus der Chronik

Baszkos/Boguphals sind ebenfalls enthalten. Der polnische Lech und der

tschechische Czech sind Brüder und Söhne des Japhetenkels Janus. Auch Rusz ist

erwähnt, allerdings äußert Dlugosz Vorbehalte gegen die ihm vorliegenden

Quellen.286

 

Diese Vorbehalte und die Voranstellung der westlichen Genealogien haben

Gründe. Dlugosz betonte die japhetitische Herkunft der Polen, um sie in einen

europäischen Kontext zu stellen und von den Bewohnern Asiens, also auch den

Russen, abzuheben. Dlugosz klagte an der Stelle, wo er die trojanische Herkunft

der Deutschen und Engländer beschrieb, die Polen seien als Nachkommen Chams

bezeichnet worden. In diesem Zusammenhang wird die Benutzung der Modelle

von Mierszwa und Kadlubek noch klarer. Die 'germanische' Stammtafel der

Historia Brittonum garantierte eine polnische Sonderstellung unter den Slawen.

Polen war katholisch und nach Westen orientiert. Außerdem konkurrierte es in

der Lebenszeit des Jan Dlugosz mit Böhmen und vor allem Rußland um die

Vormachtstellung im primär slawischen Osteuropa.287

 

Nach dem Ende der Kriege der Polenkönige mit dem Deutschen Orden konnte

die polnische Monarchie sich für ein Jahrhundert zu einem Großreich zwischen

der Ostsee und dem Schwarzen Meer entwickeln. Seit 1386 bestand eine

Personalunion mit Litauen. Die jagiellonische Dynastie begann auf dieser Basis

mit einer Reichsbildung. In der Regierungszeit Kasimirs IV. (1447 - 1492) war

Polen die wichtigste politische Größe in Osteuropa. Die polnische Expansion

konnte sich aber im ausgehenden 15. Jahrhundert nicht gegen die Habsburger, das

aufstrebende Moskau und die Osmanen durchsetzen.288 Es ging also um einiges,

286Dlugosz, Annales Regni Poloniae, ed. Pauli, p. 2-8 und 28f.

 

287Borst 1957-1963, III/1, 1043f.

 

288Donnert 1972, 56ff.


98

wenn Dlugosz den Polen eine westlich-europäische Identität mittels der ihm

greifbaren Geschichtsmodelle geben wollte.

II.2. Pawel Josef Schafarschiks Thesen von 1837

Lediglich zweimal wurde in der Forschung bisher versucht, die Gleichsetzung

Vandalen = Wenden zu erklären. Der erste Versuch stammt vom Autor der

"Slawischen Althertümer" Pawel Josef Schafarschik.289

 

"Die Wurzelverwandschaft der Namen Wandalen und Weneden, sodann die

Ansässigkeit der Wandalen im Lande der Winiden und ihre Vermischung mit

denselben, gaben den Schriftstellern des Mittelalters Veranlassung den Namen

Wandalen auf die Weneden zu übertragen. Jedenfalls geschah dies schon sehr

früh."290

 

Schafarschik führt als möglichen frühesten Beleg eine Stelle aus der Prosperchronik

an, in der Prosper von dem Sieg der Langobarden über die Vandalen spricht.291

Diese Stelle ist aber eine Interpolation des 15. Jahrhunderts.292 Auch wenn die

Stelle keine spätmittelalterliche Interpolation wäre, ist ein Bezug auf die

Wenden/Slawen nicht plausibel. Die Geschichte vom Kampf der Langobarden,

die noch Vinuli genannt wurden, gegen die Vandalen stammt aus Paulus

Diaconus und war von diesem auch auf die historischen Vandalen bezogen. Wie

 

 

289Vgl. zu Schafarschik Kapitel IV.4.2. dieser Dissertation.

 

290Schafarschik 1844, 419.

 

291Prosper, ad a. 379, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. IX, CM 1, p. 498.

"Longobardi ab extremis Germaniae finibus Oceanique protinus litore Scandiaque insula magna

multitudine ingressi et novarum sedium avidi Iborea et Aione ducibus Vandalos primum

vicerunt." Eingefügt wurde die von Mommsen als Interpolation klassifizierte Stelle unter "Ausonio

et Olybrio co(n)su(les)". Die Stelle ist eine Paraphrase aus Paulus Diaconus, Historia

Langobardorum, I und II, 7, sowie Jordanes, Getica, 3, 16.

 

292Mit der späten Interpolation argumentierend kritisiert Steinberger 1920, 116f Schafarschik.


99

eine Vermischung der Ethnonyme Vinuli, Vandali und Wenden, wie sie Adam von

Bremen und Helmold von Bosau vorgenommen haben, zu verstehen wäre, bleibt

zu klären.

 

Weiter meint der Prager Gelehrte, im siebten und achten Jahrhundert sei der

Name Vandalen in Bezug auf die Slawen namentlich im süddeutschen Raum

gebräuchlich gewesen. Als Belege führt Schafarschik die Wesobrunner Glossen, die

Gesta Hrodberti, die Vita SS. Marini et Aniani und das Salomoglossar an. Seine zusammenfassende Interpretation soll im folgenden wiedergegeben werden, da

sie die bisher einzige Äußerung in der Forschung zum hier untersuchten Problem

darstellt. "Die Verwechslung der Awaren und Slawen, die sich durch das

gemeinschaftliche Einrücken beider Völker in die Länder jenseits der Donau

erklären läßt, verführte die Annalisten zur Übertragung des Namens Vandalen

auf die Awaren, die vermeintlichen Slawen. Recht klare Belege für den Mißbrauch

gewährt uns die Vergleichung der alamannischen und sanktgaller Annalen mit

den Annalen von Petau, Lorch und Fulda u.a.: wo jene nämlich den Namen

Wandali, Wandalia haben, da setzen diese Awari, Awaria (ebenso auch Huni, Hunia

nach einem anderen Mißbrauche).293 Demzufolge dürfte vielleicht zu bezweifeln

sein, ob das, was die Legenden vom Rupert und Marinus über die Vandalen

berichten und was die Ausleger in der Regel auf die Slawen beziehen, nicht

vielmehr auf die Awaren zu beziehen sein dürfte? (...) Es geht daraus hervor

(gemeint ist die Glossierung von Wandali in den Glossae Salomonis der Handschrift

der Prager Nationalbibliothek durch Slowené, d. V.), wie diese Verwechslung von

Vandalen und Weneden schon sehr früh begonnen und nicht nur durch die

Gleichheit der Namen, sondern auch die Gemeinschaftlichkeit der Sitze und die

ehemalige Vermischung beider Völker veranlaßt worden ist."294

 

Mit der "ehemaligen Vermischung" ist Schafarschiks Konzept von der Identität der

Vandalen gemeint. Er ging davon aus, daß die germanischen Völker zwischen

Oder und Weichsel, also Rugier, Burgunder, Silingen, Marsigner, Omaner,

Diduner, Wisburger, Burgionen, Avarinen und andere unter insgesamt drei

verschiedenen Namen in der antiken Literatur genannt worden seien.

293Schafarschiks Anm. 6 von S. 420: "Pertz Monumenta Germanica historica I. 47-48. 75. ad a. 790. 795.

796. 798 etc."

 

294Schafarschik 1844, 420f.


100

Ursprünglich seien alle germanische Sueben gewesen, wie der Wissensstand des

Tacitus bezeuge. Durch die Vermischung mit den "Wenedern", den 'Urslawen'

also, wurden diese germanischen Völker aber zu Windilern/ Wandilern/

Wandalen. Durch diese Vermischung sei der "Spott"- oder "üble Beiname"

Vandalen entstanden, der so viel wie die "Verwindeten" bedeutet habe. Unter

geographischen Gesichtspunkten sei der dritte Name zu erklären, den die

germanische Bevölkerung dieses Raums von den benachbarten 'Urslawen' als Fremdbezeichung bekommen habe. Lygii, Lugii, Lugiones hießen diese Germanen,

weil sie in das slawische Land Luhy eingewandert seien.295

 

Schafarschik versuchte zu beweisen, daß die Slawen viel früher als angenommen

"ihre Sitze" auch westlich der Weichsel "eingenommen haben".296 Daher müsse

schon lange ein Völkegemisch in diesem Raum bestanden haben.

 

"Schenken wir dieser Ansicht Beifall, so werden wir nun erst dem Namengemisch

der Sueven, Windiler und Lygier, welches wir bei den alten Griechen und Römern

bemerken, vollkommenes Verständnis abgewinnen. Völker nämlich, welche

Plinius Windiler nennt, nennen Strabon und Tacitus Sueven und Lygier. Andere,

zumal spätere, wieder umgekehrt. Die Sache verhält sich demnach also so: Die

deutschen an der Scheide von Oder und Weichsel angesessenen Völker, die

Rugier, Burgunder, Silingen, Marsigner, Omaner, Diduner, Wisburger, Burgionen,

Avarinen u.s.w. führen ihrer Abkunft nach den Namen Sueven, wegen ihrer

Vermischung mit den Winden den üblen Beinamen Windiler, Wandiler,

Wandalen, in geographischer Beziehung wegen ihrer Besitzergreifung des

slawischen Luhy den Namen Lygii, Lugii, Lugiones. Daraus wird ersichtlich, daß

sich eine Scheidelinie zwischen den germanischen und slawischen Völkern an der

Oder und Weichsel zu keiner Zeit genau ziehen läßt. Die Geschichte findet hier

ein Gemisch von Germanen, Kelten und Völkern slawischen Stammes."297

 

Das Bild der Forschung über die ethnische Landschaft der Germania in der

Kaiserzeit beruhte auf der Ethnographie des Tacitus und der Topographie des

Ptolemaios, die in manchen Punkten zusammenpassen, in anderen aber sich

widersprechen und des öfteren eine Mischung aus veraltetenen oder topischen

mit tatsächlich verläßlichen Nachrichten darstellen.

295Schafarschik 1844, 408-419.

 

296Schafarschik 1844, 406.

 

297Schafarschik 1844, 408.


101

Tacitus erwähnte nördlich der Karpaten an Oder und Weichsel zahlreiche

Stämme. Manche dieser Namen erscheinen in der Völkerwanderungszeit in den

Quellen in teilweise veränderter Form. Tacitus' Vandiliernamen kennen wir als völkerwanderungszeitliche Vandalen, die Gutonen als Goten und die

Burgundionen als Burgunder.298 Die ethnischen Prozesse, die hinter diesen

Namen liegen mögen, sind mangels Quellen kaum rekonstruierbar. Die ältere

Forschung hatte hier ein breites Feld, um Identitäten des 'nationalen' 19.

Jahrhunderts nachzuweisen, wie Schafarschik exemplarisch vorgeführt hat.

 

Andere antike Autoren bringen ähnliche Namen, unter denen aber oft Verbände

und nicht einzelne Völker zu verstehen sind, was die ethnische Deutung

zusätzlich verkompliziert. Plinius meint mit den Vandili die wichtigsten Völker

der östlichen Germania, die Burgundionen, Varinner, Chariner und Gutonen.299

Bei Tacitus dagegen fungieren die Lugier als wichtige Völkergemeinschaft in

diesem Raum. Zu den taciteischen Lugiern zählen unter anderen die Harier und

die Naharnavalen. Die Gutonen wiederum sind eine eigene taciteische Gruppe, zu

der auch die Rugier und Lemovier gehören, wobei die Burgundionen gar nicht

genannt werden.300 Bei Ptolemaios sind die lugischen Völker dann neu gemischt,

die Vandalen fehlen und die Burgunder sind wieder vorhanden.301

 

Die meisten der genannten Völkerschaften lebten im heutigen Südpolen, was

dazu führte, daß Schafarschik und andere Forscher den Lugiernamen für eine

vorgermanische oder eben explizit slawische Fremdbezeichnung jener Völker

hielten, die sich selbst Vandalen nannten. Das einzig mit Sicherheit Feststellbare

ist, daß der Lugiername im dritten Jahrhundert verschwand, als vandalische

Gruppen in Richtung Reichsgrenze zu ziehen begannen.302

 

Schafarschik hat bemerkenswert gründlich gearbeitet und den Großteil der heute

greifbaren Belege für die Gleichsetzung von Wenden und Vandalen vor dem 10.

Jahrhundert erwähnt. Die meisten seiner Datierungs- und Zuordnungsfehler

beruhen auf dem Stand der Editionen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Seinen

298Tacitus, Germania, 43 und 44

 

299Plinius, Naturalis Historia IV, 14 und 99.

 

300Tacitus, Germania, 2, 43 und 44.

 

301Ptolemaios, Geographika II, 11.

 

302Vgl. zu den Völkern an Oder und Weichsel: Pohl 2000, 23; Wolfram 2001, 47ff; Wolfram 1998, 54

und 83f; Krüger 1976, 1, 49ff.


102

Aussagen bezüglich der Gleichsetzung von Awaren und Slawen in einigen der

genannten Quellen ist nichts hinzuzufügen. Daß die mittelalterlichen Autoren

einem Irrtum aufgesessen seien, ist auch heute noch die vorherrschende Meinung

in der Mediävistik.

II.3. Ein (eigener) Erklärungsversuch

 

 

Wie ist diese Gleichsetzung von Slawen/Wenden und Vandalen in den

behandelten Quellen nun zu verstehen? Einen Irrtum basierend auf einer relativen Namensähnlichkeit anzunehmen, wäre eine wenig befriedigende Erklärung.

Außerdem sollte man die Autoren der genannten Quellen nicht für so kurzsichtig

halten, daß sie ohne weiteres Völkernamen vermischen würden, ohne eine

Überlegung anzustellen. Im folgenden soll versucht werden, eine mögliche

Erklärung zu entwickeln.

 

Einige Überlegungen von Reinhard Wenskus sollen die Basis für diese Erklärung

bilden. "Die Autorität der antiken Schriftsteller verhalf den in ihren Werken

genannten Völkern des Altertums bei den Gelehrten der frühmittelalterlichen

gentes zu hohem Ansehen. Ganz notwendig erwuchs für die Historiker dieser

gentes daraus die Aufgabe, ihre eigenen Stämme diesen berühmten Völkern

zuzuordnen." "Auch im Mittelalter und der Neuzeit blieben analoge Tendenzen

wirksam."303

 

"Der sich ständig vollziehende ethnische Prozeß steht nun wiederum im

Widerspruch zum ethnischen Bewußtsein der Einzelgruppe, die dazu neigt, ihre

Existenz bis in graue Vorzeit zurückzuverlegen. Die Frage nach dem Alter eines

Ethnos stand schon für Herodot an erster Stelle. Das Alter ist für die

Rangordnung entscheidend; es hat legitimierende Kraft. Diese Denkweise ist auch

im modernen Nationalismus noch wirksam. Wenn früher die Germanen als 'Alte

Deutsche' bezeichnet wurden oder wenn der nordische Kulturkreis der Bronzezeit

als 'germanisch' angesehen wird, so wird dieses Bestreben deutlich spürbar. Was

 

 

303Wenskus 1961/1977, 78f.


103

den Nationalismus aber in dieser Hinsicht vom ethnischen Bewußtsein

unterscheidet, ist sein in die Zukunft gerichtetes Sendungsbewußtsein, das zu

Aggresivität und Imperialismus führen kann. Während Stolz auf mythische

Ahnen und alten Ruhm nur das Bewußtsein der Vorzugsstellung des eigenen

Ethnos begründen soll, zieht der Nationalismus daraus Folgerungen für das

Handeln des einzelnen, die dem ursprünglichen ethnischen Denken fremd waren.

Das Sendungsbewußtsein des Nationalismus ist ohne universalistische

Strömungen, die aus Christentum und antiker Philosophie in das ethnische

Denken hineinwirkten, nicht zu verstehen. Ohne die Konzeption einer

allgemeinen 'Menschheit', die Objekt dieses Sendungsbewußtseins ist und die

dem ethnischen Bewußtsein fehlt, ist der Nationalismus undenkbar. Das ethnische

Bewußtsein an sich hat keine missionarische Tendenz, es sucht nur die eigene

Vorzugsstellung zu erhalten und zu legitimieren. Es wacht eifersüchtig darüber,

daß die richtigen Riten nicht über seine Grenzen hinaus bekannt werden und so

einem potentiellen Gegner (...) zu größerer Macht zu verhelfen. Umgekehrt

suchen sich schwächere Gruppen in den Besitz des Geheimnisses der

erfolgreichen zu setzen und gehen zu deren Kult über. Noch die Christianisierung

mancher germanischer Stämme ist auf diese Weise mitverursacht worden."304

 

Was Wenskus formuliert, beinhaltet die Erklärung für eine Reihe von Versuchen,

Verbindungen zwischen der Mythologie und Geschichte der antiken

Mittelmeerwelt und dem frühen Mittelalter herzustellen. Die Franken werden in

diesem Zusammenhang wie die Römer zu Nachfahren der Trojaner. Die Sachsen

lassen sich zu Abkömmlingen der Makedonier Alexanders des Großen machen.

Ein sehr früher Beleg für solche Versuche, sich als gens einen Stammbaum in der Kulturtradition der mittelmeerischen Schriftkulturen zu schaffen, ist die bei

Ammianus Marcellinus erwähnte Vorstellung der Burgunder, sie seien eigentlich

Nachkommen der Römer.305

 

Das Verhältnis Römer-Burgunder war aber ein besonderes. 278 fielen Burgunder

in Raetien ein und wurden von Kaiser Probus besiegt. Die Beziehungen zwischen

dem Imperium und den Burgundern verbesserten sich allerdings in den

folgenden hundert Jahren. Als Feinde der Alamannen schienen die Burgunder als

Verbündete in Frage zu kommen, und die Römer erklärten sich den

 

 

304Wenskus 1961/1977, 81f.

 

305Wenskus 1961/1977, 79; Die Eigendefinition der Burgunder als Römer bei: Ammianus

Marcellinus, 28, 5; Besprochen bei: Wolfram 1998, 84f.


104

Burgundernamen schließlich damit, daß diese die Besatzungen der burgi gestellt

hätten.306

 

Im zweiten Buch der Chronik des sogenannten Fredegar werden zwei biblische

Genealogien entwickelt, die auf Hieronymus aufbauten. Von Abraham und der

Magd Agar stammen die Sarazenen ab, von Jakob die Juden. Die Franken selbst

haben eine eigene Genealogie und leiten sich wie schon kurz erwähnt von Aeneas

und den Trojanern ab. Sie sind also mit den Römern verwandt.307 Wenige Jahre

vorher schrieb Isidor von Sevilla von den Söhnen Agars und von der griechischen

Herkunft der Galicier, die bis in die Zeit des trojanischen Kriegs reiche.308

 

Die hier zu untersuchende Verbindung der taciteischen Genealogie der

germanischen Stämme mit der biblischen Vorstellung von der Abstammung der

Völker hat aber eine komplexere Vorgeschichte. Der alexandrinische Jude

Eupolemos verband nach 145 v. Chr. in griechischer Sprache den homerischen

Sagenkreis von der Erschaffung der Welt mit den jüdischen Vorstellungen der

Genesis. Moses war in diesem Modell der erste Schrifterfinder, von ihm haben

zuerst die Phönizier und dann die Juden die Schrift übernommen. Hier wird

erstmals der Versuch greifbar, die jüdische Urgeschichte der antiken

voranzustellen. Das ist die Wurzel, aus der 350 Jahre später die christliche

Chronographie erwuchs.309

 

133 v. Chr wurde die Hellenisierung der jüdischen Urgeschichte im

Hasmonäerstaat fortgeführt. In den älteren Teilen der sogenannten jüdischen

Sibylle läßt sich diese Kombination greifen. Eine metaphernreiche Auslegung der

Geschichte vom babylonischen Turm wird mit der Sintflutsage verkoppelt.

Wichtig ist, daß dieser Text in griechischer Sprache verfaßt wurde. Die Söhne

Noahs, die die Welt zugeteilt bekamen und Völker und Reiche gründeten, hießen

in dieser jüdischen SibylleKronos, Titan und Japetos. Nicht Noah persönlich

entschied aber über die Aufteilung der Welt, sondern das Los. Später stritten sich

die Söhne Noahs, und es soll zu den Kämpfen, von denen Hesiod in seiner

Theogonie berichtete, gekommen sein. Die Entstehung der Weltreiche Ägypten,

Assyrien, Babylon, Makedonien, Persien, Medien, Äthiopien und Rom, die im

306Wolfram 1998, 85; Zöllner 1970, 22.

 

307Fredegar II, 1.

 

308Isidor, Etymologiae IX, 2, 26.

 

309DNP 2, s.v. Eupolemos, 678f; Borst 1957-1963, I, 145.


105

Buch Daniel nur angedeutet waren, werden in der Sibylle gründlich ausgearbeitet

und in diese Konzeption integriert. In der spätantiken Literatur hielt man die

sibyllinischen Bücher, die auch unter den Namen chaldäische oder hebräische

Sibylle bekannt waren, oft für eine Bearbeitung eines babylonischen Werks, das

auf Berossos beruhe. Tatsächlich handelte es sich aber um eine Kombination der

Genesis mit der griechischen Tradition, die weitreichende Folgen für die

Geschichtsbilder im späteren Europa haben sollte.310

 

Der Spanier Isidor, der einen immer noch nicht in seiner ganzen Tragweite

erfaßten Einfluß auf die Vorstellungswelt des mittelalterlichen Europa ausübte,

tradierte die Idee, Identitäten als Völkergenealogien zu beschreiben. Ihr

Ursprünge werden unten noch angesprochen. Auf Basis der biblischen Berichte

versuchte Isidor in seinen Etymologiae die ethnische Landschaft der Welt, die er

wahrnahm, zu erfassen.

 

Von Noah wurden in diesem biblisch fundierten Geschichtsbild nach der Sintflut

seine Kinder ausgeschickt, um die Welt zu besiedeln. Sem, Japhet und Cham

sollen die Urväter der späteren Völker in Afrika, Asien und Europa gewesen sein.

Gallier, Skythen, Goten, Meder, Griechen, Spanier, Italier, Kappadokier, Thraker

und alle anderen wurden davon hergeleitet.311

 

Herwig Wolfram hat bereits 1979 in seiner Neubearbeitung der Conversio

bemerkt, daß Ingo als karantanischer Fürst, die "großartigsten, um nicht zu sagen,

die wildesten Kombinationen" erlaubte.312 Wolfram führte den Nachweis, daß

Ingo aus der Reihe der Karantanenfürsten zu streichen und ein Salzburger

Spitzenmissionar der Zeit Bischof Arns gewesen sei. Seitdem Ingo im

Geschichtswerk Johann von Viktrings (gestorben 1345/47) erstmals als Herzog

von Kärnten bezeichnet worden war, war eine Tradition entstanden, die auch in

die moderne Forschung Eingang gefunden hatte. Die Identifizierung als karantanisch-slawischer Herzog beruhte aber auf einem Übersetzungsfehler. Ingo

presbyter ist vermutlich mit dem so bezeichneten Priester im Verbrüderungsbuch

von St. Peter identisch, und die Schilderung von Ingos Gastmahl in der Conversio

310RE II A, 2, s.v. Sibyllen (die einzelnen), 2097-2102; Borst 1957-1963, I, 146ff; Kurfess 1951, 45ff;

Oracula Sibyllina III, GCS 8, 52ff.

 

311Isidor, Etymologiae IX, 2, 26-31.

 

312Wolfram 1979, 101f.


106

wäre als christliche Parabel nach den Kompositionsprinzipien der biblischen

Gleichnisse besser verständlich.313

 

Die Kombinationen, die wünschenswert wären, sind dann nicht mehr möglich.

Wolfram deutet trotzdem an, was er meint. Ingo ist in der taciteischen Ethnogonie

der Stammvater der Ingaevones. Die taciteische Ethnogonie lebte in den

Redaktionen der "fränkischen Völkertafel" fort. In einer Version dieser

"fränkischen Völkertafel" der Zeit um 800 ist Ingo der Stammvater der Sachsen,

Thüringer, Bayern und Vandalen. "Diese Zusammenstellung ist damals geschaffen

worden und läßt im Hinblick auf die Vandalen die Annahme zu, in ihnen die

Slawen-Awaren der Zeit zu sehen. Für derartige pseudologische Gleichsetzungen,

wie sie im Hoch- und Spätmittelalter gang und gäbe sind, kennt man die ersten

Belege aus dem letzten Jahrzehnt des achten Jahrhunderts. Die Überarbeitungen

der 'fränkischen Völkertafel' haben seit jeher die Veränderungen im

Gemeinschaftsgefüge des Frankenreichs widergespiegelt." Wenn die Bayern und Vandalen-Slawen, so Wolfram weiter in seinen Überlegungen, denselben

Stammvater Ingo haben, sind sie eben Brüder.314

 

Die "großartigsten, um nicht zu sagen, die wildesten Kombinationen" scheinen

über einen anderen Weg möglich, der aus humanistischen Schriften des 16.

Jahrhunderts ins Polen des 13. und weiter ins Kloster St. Varras am Pas-de-Calais

des 10. Jahrhunderts führt. Auf diesem weiten Weg findet man zur "fränkischen

Völkertafel" und der Vorstellung von der Abstammung der Slawen von

Ingo/Negue.

 

Nun stellt sich zuerst die Frage, wie die Vorstellungen der Humanisten über die

Abstammung der Slawen zu werten sind. Ordnen sie kreativ und unter

Heranziehung neuer Quellen die Vorstellungen bzw. erschaffen solche gemäß der

politischen Interessen, die sie umgeben, neu, oder verwerten sie auch älteres

Material? Im Fall von Albert Krantz und Martin Cromer, die im nächsten

Abschnitt ausführlich behandelt werden, liegt auch eine Auswertung älterer

Traditionen vor. Krantz bringt dabei die Vorstellung von einem Stammvater

Vandalus, dessen Söhne zwei verschiedene Identitäten annahmen. Der in den

Norden Gewanderte wird ein Deutscher, der in den Süden Gezogene ein Slawe.

313Wolfram 1979, 1979ff; Wolfram 1995, 287ff.

 

314Wolfram 1979, 101f und Anm. 27.


107

Als antikes Fundament dieser Thesen bedient sich Krantz des Ende des 15.

Jahrhunderts ins Spiel gebrachten Pseudo-Berossos.315

 

Ebenso ist der Eintrag im "Thesaurus" des Basilius Faber aus dem letzten Drittel

des 16. Jahrhunderts einzuordnen. Sub voce "Vandalus, Tuisconum rex fuit, a quo

Vandali, populosissima natio; & Vandalia, quam nunc tenent Poloni, Pomerani,

Cassubii, Bohemi & gentes apud Vistulam fluvium, qui priscis Vandalus dicebatur,

Altham. Vide Sclavi."316

 

Tatsächlich sind diese Vorstellungen aber älter und stehen in einer für die

Humanisten nicht mehr nachvollziehbaren, komplizierten sowie indirekten

Beziehung zu Tacitus. Cromer, der sich von solchen Vorstellungen zwar

distanzierte und auch Krantz zu widerlegen versuchte, referierte diverse Thesen

zur Herkunft der Slawen. Dabei kommt er auch auf verschiedene alte Chroniken

der Polen und Böhmen zu sprechen, in denen von der Nachkommenschaft Japhets

die Rede ist. Über Japhets Sohn Philaros geht die Reihe über Alames, Anchises und

Aenaes zu den Trojanern weiter. Aeneas Ururenkel Alanus wandte sich mit seinen

vier Söhnen nach Europa. Der älteste Sohn des Alanus war Vandalus, der der

Weichsel seinen Namen gab und damit auch dem polnischen Land. Seine

Eroberungen verteilte er an seine Söhne, die die verschiedenen slawischen Staaten

stifteten.317 Hier beginnt die Spur, die den Kreis zu schließen ermöglicht.

 

Genau diese von Cromer beschriebene und kritisierte Genealogie findet sich

nämlich in der Chronik Mierszwas aus dem 13. Jahrhundert. Hier ist es der

Japhetnachfahre Alanus, der "primus Europam intravit" und Negno zeugte. Dieser

Negno wiederum zeugte vier Söhne. Der Erstgeborene war Wandalus, von dem die

Wandalitae, "qui Poloni nunc dicuntur", abstammen.318

 

Dieses Modell bezog Mierszwa wiederum aus der Völkergenealogie, die in der

sogenannten "fränkischen Völkertafel" entwickelt wird. In der Fassung, die die

Historia Brittonum enthält, sind die beiden Namensformen Alanus und Negue

vorhanden. "Primus homo venit ad Europam de genere Iafeth: Alanus cum tribus

315Zu Berossos Vgl. Kapitel III.1. dieser Arbeit.

 

316Faber, Thesaurus, 1587/1692, s.v. Vandalus, p. 2720.

 

317Cromerus, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 2.

 

318Miersuae, Chronicon, 1 und 2, ed. Bielowski MPH II, p. 163f.


108

filiis suis quorum nomina sunt Hessitio, Armeno, Negue."319 Mierszwa hat also

lediglich Negue zu Negno verändert und die Genealogie ausschnittsweise

nacherzählt, man könnte auch sagen, auf die polnischen Bedürfnisse des 13.

Jahrhunderts zugeschnitten. Sicher ist die Quelle zuerst als Programm dieses

polnischen 13. Jahrhunderts zu lesen, aber die Vorstellung, die ihr zugrunde liegt

und hier expliziert wird, ist nicht nur polnisch-slawische Eigensicht und älter.

 

Ein Rückgriff auf eine nicht eben kanonische Quelle im Polen des 13. Jahrhunderts

ist nicht zufällig. Die Kernfrage ist nun, ob die hochmittelalterlichen Polen eine

Gegebenheit erklärten, die Realität ihrer Zeit war, oder ob man in diesen Quellen

die Spur einer europäischen Tradition aufnehmen kann, die 400 Jahre älter ist und

letztlich auf die Einordnung der als neue ethnische Gruppe wahrgenommen

Slawen zurückgeht. Der hier postulierte Vorgang muß jedenfalls zeitlich nach der

Chronik Fredegars vorgenommen worden sein, da in diesem Text noch keine

andere Benennung als Sclavi oder Wenedi zu finden ist.

 

Ein textlicher Bezug von Historia Brittonum und der Gleichsetzung von Vandalen

und Slawen/Wenden ist im Chronicon Vedastinum aus dem zehnten Jahrhundert

gegeben. Nicht weit im Text entfernt von der Schilderung der vorrömischen

Geschichte, die wohlgemerkt auf der Historia Brittonum basiert, fügte der

Schreiber beiläufig folgende Erläuterung ein: "(...) Vandalos, quos nunc appellant

Guénedos."320 Dies klingt gleich selbstverständlich wie der Eintrag in den Glossae

Salomonis "UUandalus id est uuinid".321 Auch Gottfried von Viterbo erklärte

seinen Lesern, wer die Vandalen, die er in seiner Erzählung von den gotischen

Königen des fünften und sechsten Jahrhunderts erwähnte, denn seien. "Guandali

dicuntur Sclavi in Latino, in lingua vero Theotonica vocantur Guinidi."322

 

Nimmt man diese beiden Quellen, also Mierszwas Chronik und das Chronicon

Vedastinum, in denen eine unmittelbare Nähe von der Völkergenealogie der

Historia Brittonum bzw. der der "fränkischen Völkertafel" zur Gleichsetzung

Wenden = Vandalen gegeben ist, als Belege für einen Platz, der den Slawen in den Geschichtsvorstellungen des frühen Mittelalters zugewiesen wurde, läßt sich auch

319Ed. Goffart 1983, 110f.

 

320Chronicon Vedastinum, ed. G. Waitz, MGH SS 13, p. 680.

 

321Diese Schreibung nach Steinmeyer and Sievers 1893ff, IV, 110 f, Z. 55f bezogen auf den

Admonter Codex und das Münchner Einzelblatt.

 

322Gottfried von Viterbo, Memoria seculorum, MGH SS 22, p. 102.


109

ein Entwicklungsprozeß dieser Vorstellung und dieses Namensgebrauchs

rekonstruieren.

 

Fredegar sieht die Slawen nicht als Neuzuwanderer, und der nächste Schritt ist sie

einfach in die vorhandenen Geschichtsvorstellungen hereinzunehmen und ihnen

einen Platz im Stammbaum zuzuweisen. Adam und Helmold sind in diese Linie

einzuordnen; wenn sie meinen, die Slawen hätten früher eben Wandali geheißen,

ist das nicht mehr und nicht weniger als ein hochmittelalterliches Zitat der

Ingogenealogie.

 

Natürlich ist immer mitzudenken, daß Vandalen in der historischen Realität

einmal tatsächlich im Gebiet zwischen Oder und Weichsel gelebt haben. Wie zäh

die Erinnerung an eine solche alte Bevölkerungsgeschichte sein kann, ist in den

vieldiskutierten Toponymen wie Schlesien und Andalusien zu sehen. Wie genau

solche Benennungen zustande gekommen sein mögen, und ob sie von

irgendwelchen ethnischen Strukturen Zeugnis ablegen könnten, ist müßig zu

diskutieren. Der Schwedenplatz in Wien zeugt auch nicht unbedingt von einer

schwedischen Urbevölkerung, von der Reste verblieben waren, die den Namen

weitertragen konnten.

 

Zuerst muß geklärt werden, wie die Verbreitung der Völkertafel war und ob sie

als Spur der Grundlagen der postulierten Vorstellung in Frage kommt. Die

sogenannte "fränkische Völkertafel" ist in zumindest sieben Handschriften und

der Historia Brittonum aus dem neunten Jahrhundert überliefert.

 

Acht unterschiedliche Fassungen dieser Vökertafel nennen 13 bzw. 12 Völker,

neben verschiedenen germanischen Völkern die Romani und die Britones. Die

Völker sind in drei Gruppen geordnet, von denen jede einen Stammvater hat. Die

Namen der Stammväter sind den bei Tacitus genannten Ingväonen, Hermionen

und Istväonen zumindest ähnlich. In einigen Fassungen ist das Verzeichnis mit

einer vorangestellten Übersicht über römische Könige begonnen worden. Text

und Datierung der frühesten Fassung sind ebenso umstritten wie der

Entstehungsort. Die früheste Datierung wurde für 520 vorgeschlagen, die späteste

für den Anfang des achten Jahrhunderts. Italien, Byzanz, Deutschland und

Spanien zog man als mögliche Entstehungsräume in Betracht. Ob die


110

Vorstellungen der Völkertafel zeitgenössische sind, oder ältere Literatur

verarbeitet wurde, ist ebenfalls unklar.323

 

"Nur kurz nach der ehrgeizigen Nachahmung Isidors und seiner biblischen

Genealogie durch die fränkische Trojanersage im ersten Buch Fredegars bewies

der Autor der Historia Brittonum ein feineres Gespür für die Beteiligung der

europäischen Nachbarvölker an der eigenen Rang- und Alterserhöhung. Hier sind

die drei Germanenahnen Erminus, Ingu und Istio statt dem taciteischen Mannus

einem Vater namens Alanus zugeschrieben."324 In einigen anderen Handschriften

ist Alanus ein vier Generationen älter als die drei Stammväter der genannten

Völker datierter Römerkönig.

 

So machen sich germanische Stämme zu Nachfahren der Römer. Wichtiger sind

die Nachkommen der drei germanischen Brüder. Dem ersten waren Gothi,

Walagotus, Wandalus, Gepedes und Saxones zugewiesen. Zu den Ingväonen

zählten Burgundiones, Toringus/Loringus, Langobardus, Baiarus. Die Kinder

Istios waren dagegen Romani, Britones, Francus und Alamannus. Die Aufstellung

berichtet eindringlich vom Sieg des gentilen Denkens und der Annäherung von

Franken und Römern und nicht zuletzt von einem Gefühl der inneren

Zusammengehörigkeit der Völkerfamilie West- und Mitteleuropas. Zwar blieben

die meisten Romanen und alle Slawen unberücksichtigt, nur die germanischen

Völker sind aufgezählt. Diese kühne Nachahmung der mosaischen Völkertafel

war doch wie eine Antwort auf den Partikularismus der Trojanerfabel.325

 

In der Historia Brittonum wird noch eine biblische Genealogie vorgeblendet, die

Alanus zu einem Sohn Japhets macht. Bei Isidor findet man die Alanen einmal an

der Spitze einer ganzen Reihe von Völkernamen Briten, Schotten, Pikten,

Armenier, Albaner, Alemannen, Germanen und Goten. Die fränkische Völkertafel

nennt 15 Namen, genau so viele Japhetiten zählt Isidor, und da er ja schließlich

Europa als Japhets Erbteil angibt, war die Verbindung zu Japhet leicht zu ziehen.

323Goffart 1983, 98ff; LMA, s.v. Völkertafel, frk., 1821f; Borst datiert bzw. lokalisiert die Völkertafel

im alemannnischen Raum Ende des siebten/Anfang des achten Jahrhunderts und setzt die

Kenntnis des Tacitus voraus. Borst 1957-1963, II/1, 461f. Ältere Forschungsmeinung in: Krusch

1928, 31-76.

Generatio regum MGH SS 8, p. 314 und MGH SS rer. Merov. 7, 851.

 

324Borst 1957-1963, II/1, 461.

 

325Borst 1957-1963, II/1, 461.


111

Der Stammbaum des Alanus wird dann noch mit hebräischen und irischen

Namen aufgefüllt. Da nun aber der Stammbaum zu viele unbekannte Namen

enthielt, konstruierte man wieder eine neue Brücke zu den Trojanern über Rhea

Silvia, Aeneas, Anchises, Trous, Dardanus, Flisa (biblischer Elisa) und wieder über

Javan zurück zu Japhet. Alle Kinder Japhets traten in der aus Isidor bekannten Art

auf, als Gallier, Skythen, Goten, Meder, Griechen, Spanier, Italier, Kappadokier

und Thraker.

 

Im zweiten Kapitel der Germania berichtet Tacitus, daß die Germanen in ihren

carminibus antiquis ein erdentsprungenes und zweigeschlechtliches Zwitterwesen

namens Tuisto als Schöpfergott verehren. Dessen Sohn Mannus sei der Urvater der

Germanen, und dieser habe drei Söhne gezeugt. Die Nachkommen des ersten

Sohns lebten dem Ozean am nächsten. Sie wurden Ingvaeones genannt. Die

Nachkommen des zweiten Sohns, die in der Mitte des Landes saßen, nannte man

Herminones. Die Kinder des dritten Sohns erhielten den Namen Istvaeones. Ohne

sich auf eine Variante festzulegen, führte Tacitus eine parallele Tradition an, nach

der Mannus noch andere Söhne gezeugt habe. Es gebe bei den Germanen nämlich

noch weitere Namen nach Geschlecht und Stamm, zum Beispiel Marser,

Gambrivier, Sueben, Vandilier. Auch diese seien echte, alte Namen der

Germanen.326 So weit der Bericht des Tacitus.

 

Eine andere Unterteilung der germanischen Stämme findet sich bei Plinius: Er

nannte die Ingvaeones, zu denen die Kimbern, Teutonen und Chauken gehören,

die Istvaeones, die dem Rhein am nächsten wohnen, und die Herminones im

Inneren des Landes. Zu den Herminones zählte Plinius die Sueben, Hermunduren,

Chatten und Cherusker. Als vierte Gruppe fungieren bei Plinius die Vandilii.

Teilstämme der Vandilier sind die Burgundionen, Varinnen, Charini und die

Gutonen. Fünftens gebe es noch die Peukiner.327

 

Aber zurück zur Mannusgenealogie im Tacitus: Die zwei Varianten des Tacitus, es

habe als erste Variante drei Gruppen von Stämmen abstammend von den drei

Mannussöhnen gegeben und als zweite Variante, es habe noch andere Söhne des

Mannus als Stammesgründer gegeben, sind widersprüchlich.

326Tacitus, Germania, 2,2.

 

327Plinius, Nat. hist. 4,99f; davon abhängig Solinus 20,1.

Vgl. dazu RGA 19, s.v. Mannusstämme, 234-237.


112

Timpe schlägt vor, den möglichen Entstehungszeitraum für diese Genealogien auf

das 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. einzugrenzen, und die Überlieferung für die griechisch-römische Welt mit Poseidonios beginnen zu lassen. Der

Germanenbegriff des Poseidonios sei durch die Abgrenzung der Germanen von

ihren Nachbarn entstanden. Die Germanen wurden von Poseidonios als sowohl

von den Kelten, als auch von den Kimbern unterschiedene Gruppe im Raum

zwischen Rheinmündungsgebiet, Mittelgebirgsschwelle und Weser-Leine-Linie

definiert.328

 

In der Mannusgenealogie seien autochthone Traditionen mit griechischen

Interpretationsschemata verknüpft worden. Von den Römern wurde die

Einteilung in Herminonen, Ingvaeonen und Istvaeonen dann vor allem als

räumliches Orientierungsschema verwendet und literarisch weiterentwickelt. Die

bei Tacitus überlieferte Variante des Anspruchs der Marser, Gambrivier, Sueben

und Vandilier, echte, alte Stämme zu sein, ziehe gleichsam einen Halbkreis um

den Kern der von der Nordsee gesehenen poseidonischen Germania, und

dokumentiere somit in der Verbindung des Mannuschemas mit neuen

historischen Erfahrungen die Ausweitung des Germanenbegriffs. Da das Schema

mit der vorgefundenen Realität nicht übereinstimmte, wurde die

Mannusgenealogie dann etwa bei Caesar und Strabon auch als literarischer Topos

aufgegeben. Demgegenüber wurden bei Pomponius Mela und Plinius neben den

neuen, bekannten Stammesnamen veraltete Quellen referiert, und Tacitus führte

sie in seinem Werk, das ganz eigene Zwecke verfolgte, ja explizit als altes Material

an.329 Timpe gibt der Mannustradition so eine zeitliche und räumliche

Einordnung.

 

Diese taciteische Mannusgenealogie der germanischen Stämme wurde in der

antiken Ethnographie kaum rezipiert. Demgegenüber steht das große Interesse an

diesem Modell in der neuzeitlichen Diskussion seit dem Humanismus. Der Text

des Tacitus war dem Mittelalter kaum bekannt. Überlieferungsgeschichtlich

nimmt der Codex Hersfeldensis, der zwischen 830 und 850 geschrieben worden

sein dürfte, eine zentrale Rolle ein. Diese Handschrift war 1455 nach Rom

gebracht worden, und von ihr aus begann die Wiederentdeckung und massive

328Timpe 1991, 69-124; auch publiziert in: Timpe 1995, 1-61; RGA 19, s.v. Mannusstämme, 234-237.

 

329Timpe 1991, 69-124; auch publiziert in: Timpe 1995, 1-61.


113

Rezeption der Germania des Tacitus. 1470 erschien der Text in Venedig zum ersten

Mal im Druck.330

 

Sehr schnell fand Tacitus Eingang in die humanistischen Vorstellungen von der

germanischen Frühzeit. Er wurde dabei als so grundlegend empfunden, daß man

es für nötig erachtete, die Erzählung auch noch mit biblischen Informationen zu

verifizieren. Die Fälschung des Pseudo-Berossos, die das Modell des Tacitus mit

der biblischen Geschichte verband, erschien 1499 in Rom im Druck. Der

babylonische Weise Berossos erweiterte die bisher nur aus den biblischen Texten

ableitbaren Vorstellungen von Ursprung und Herkunft der Völker. Es schien

bewiesen, daß die Germanen, deren frühe Geschichte man aus Tacitus kannte,

direkt mit den biblischen Menschen verwandt seien, was wiederum den

deutschen humanistischen Patriotismus des 16. Jahrhunderts förderte. Im Kapitel

III.1. dieser Arbeit wird der Pseudo-Berossos noch ausführlich besprochen.

 

Die Erklärung der Gleichung Wenden = Vandalen scheint somit möglich unter

der Voraussetzung, daß die Vorstellungen der "Fränkischen Völkertafel"

einigermaßen verbreitet waren.

 

Die Gleichung Wenden = Vandalen zeugt von den Schwierigkeiten, die ethnische

Landschaft Osteuropas im Frühmittelalter zu klassifizieren. Sie wurde vor der

Zeit gebildet, als die Ethnogenesen der Slawen im Osten ein Stadium erreicht

hatten, das sie als Gruppen mit einer spezifischen Identität erkennen ließ.

 

Wir greifen sozusagen die longue durée der Unsicherheit der frühmittelalterlichen

Ethnographie. Das Nachleben dieser Unsicherheit zieht sich bis ins 19.

Jahrhundert, und was die Venedervorstellungen betrifft, bis heute. Die Polen

geben sich erst im hohen Mittelalter mit der Ableitung von Japhet einen Platz in

der europäischen Geschichte, den andere Gruppen schon früher eingenommen

haben. Auch die angeblichen Kämpfe mit Alexander dem Großen in der

polnischen Frühzeit dienen demselben Zweck.

 

Auf Basis des schon vorhandenen Platzes in der Literatur wird dann die

vandalische Tradition der Glossare und Annalen des achten Jahrhunderts

weitergeführt. Die süddeutschen Schreiber hatten einem Volk von "newcomers

and nomads" (Curta) einen Stammbaum gegeben und sich dabei eines der Völker

bedient, mit dem man sonst nur wenig anfangen konnte, weil es eben an keinem

 

 

330Heubner 1989, 16ff.


114

anderen Ursprung stand. Dabei war vielleicht aber gleichzeitig impliziert, daß die

Slawen zur großen Familie gehörten. Aber wohl eher im Sinne einer biblischen

Vorstellungen vom allgemeinen Menschengeschlecht. Das impliziert allerdings,

daß die "Fränkische Völkertafel" nicht als Darstellung der ethnischen Landschaft

des fränkischen Reichs konzipiert war. Diese Liste von Völkern, der ein

erklärender und ordnender Abstammungsgedanke implizit ist, war als

Stammbaum der Völker des ganzen Erdteils gedacht. Spätestens seit dem

Humanismus verengte man diesen Erklärungshorizont auf eine germanische

Identität und begründete darauf auch Herrschaftsansprüche über die im

Frühmittelalter hereingenommenen Slawen.


115

III. Die Gleichsetzung Wenden = Vandalen im

deutschen und deren Zurückweisung im

polnischen Humanismus

III.1. Der Pseudo-Berossos und die Verbindung

der biblischen Geschichte mit Tacitus in der

humanistischen Historiographie

 

Als wichtiges Element in den Vorstellungen von der biblischen Herkunft der

Germanen im Spannungsfeld zwischen Völkertafel, Tacitus und Isidor erscheint

im 15. Jahrhundert der Text des sogenannten (Pseudo-) Berossos in den

Überlegungen der humanistischen Autoren.

 

Der historische Berossos war Priester des Gottes Marduk im Seleukidenreich des

dritten Jahrhunderts vor Christus. Gewidmet ist seine babylonische oder

chaldäische Geschichte in drei Büchern dem Seleukiden Antiochos I. Soter (281 -

262/1). Möglicherweise trug dieses Geschichtswerk den Titel Babyloniaka. Im

zweiten Buch wurde von den vorsintflutlichen Königen berichtet. Der Flutbericht

selbst entspricht der aus Uruk überlieferten babylonischen Tradition. Das Werk ist

ein Produkt des Kulturkontakts zwischen griechischer und baylonischer Tradition

und diente der ideologischen Unterstützung der seleukidischen Dynastie.

Christen und Juden interessierten sich für Berossos wegen der scheinbaren

Bestätigung einiger Berichte des Alten Testaments.331

 

Die nur sekundäre Überlieferung des Berossos geht vor allem auf den

Grammatiker Alexander Polyhistor aus Milet zurück. Alexander Polyhistor, der

unter Sulla als Sklave nach Rom gekommen war, benutzte um 40 v. Chr. das Alte

Testament, die Bücher der sogenannten jüdischen Sibylle und eben Berossos, um

ein mythisch-historisches Bild von der Sprachentrennung zu gestalten. Offenbar

war dieser Mythos in das antike Denken integrierbar, da es einfach keine

331DNP 1, s.v. Berossos, 579f; RE III,1, s.v. Berossos, 1345ff; Die von der Philologie auf die

Babyloniaka zurückgeführten Fragmente sind ediert in: FGH 680.


116

griechische Mythologie gab, die die Tatsache sprachlicher Vielfalt erklärt hätte.

Seine jüdische Geschichte Per Ioudavn wurde von Eusebios einige Male zitiert.332

 

Der griechische Historiker Abydenos benutzte für seine wohl im zweiten

Jahrhundert nach Christus entstandene chaldäische Geschichte Berossos

wiederum indirekt über das Werk des Alexander Polyhistor.333 Die

Chaldäergeschichte des Abydenos und die Berossosauszüge des Alexander

Polyhistor wurden in der armenischen Fassung der Kirchengeschichte des

Eusebios integriert.334 Der mauretanische König Iuba, der bei Tatian überliefert ist,

benutzte nach eigenen Angaben für seine zwei Bücher assyrische Geschichte die

babylonische Geschichte des Berossos.335 Außerdem wurden Stellen aus Berossos

in den Antiquitates Judaicae des Josephos Flavius eingebaut.336

 

Von diesen Werken zu trennen ist die Überlieferung bei Vitruv, Seneca und

Plinius dem Älteren. Diese Autoren berichten von einer astronomischen und

astrologischen Schule des Berossos auf der Insel Kos. Außerdem überliefern sie

die Erzählung von einer babylonischen und ägyptischen Sibylle, deren Vater der

chaldäische Priester Berossos gewesen sei. Aufgenommen wurden diese

Geschichten im Pseudo-Iustin und im 10. Jahrhundert von den Kompilatoren der

Suda.337 Seinen Namen enthält auch die Hieronymuschronik.338 Berossos war im

europäischen Mittelalter also zumindest peripher bekannt. Die Aura des

orientalischen Weisen hatte sich um ihn gelegt.

 

Für den Humanismus bekam Berossos im ausgehenden 15. Jahrhundert große

Bedeutung. Die vermeintliche Entdeckung der vollständigen babylonischen

Geschichte des Berossos kam einer Szene von Humanisten, die sich in die nächste

Nähe des Kaisers drängte und protopatriotische Ideen vertrat, gerade recht. Man

wollte der Bibel nicht mehr die alleinige Deutungsgewalt zugestehen. Aus den

antiken Quellen sollte der Ruhm der deutschen Vorzeit erwiesen werden. Der

332 DNP 1, s.v. Alexander Polyhistor, 478f; Borst 1957-1963, I, 146f; ed. FGH 273.

 

333DNP 1, s.v. Abydenos, 46; ed. FGH 680.

 

334Eusebios, Chron. I, p. 11.

 

335DNP 5, s.v. Iuba (2), 345; Fragmente der assyrischen Geschichte des Iuba ed. in: FGH 275;

enthalten in: Tatian PrÚw ÜEllhnaw, 36.

 

336FGH 685.

 

337DNP 1, s.v. Berossos, 579f.

 

338Hieronymus: Translatio Chronicorum Eusebii Pamphilii, ed. J. P. Migne PL 27, p. 67f.


117

Franke Conrad Celtis (1459 - 1508) trug in Wien nach 1497 Weltgeschichte an der

Universität vor und vertrat die Ansicht, daß nach dem Zeugnis des Tacitus die

Deutschen ein uraltes Volk seien, dem germanischen identisch und auf den

Urvater Tuisco zurückzuführen. Die deutsche Kultur kam nach den Vorstellungen

Celtis allerdings von den keltischen Druiden. Die Druiden verwendeten in Gallien

die griechische Sprache. Zur Zeit des Kaisers Tiberius kamen die Druiden dann

nach Deutschland und brachten ihre Lehren mit. So erklärte sich für Celtis die

angebliche enge Verwandschaft des Deutschen mit dem Griechischen.339

 

Welche Quelle hatte nun die größere Autorität? Die Bibel, die alle Völker aus dem

Orient kommen ließ, oder die Germania, die von autochthonen Germanen

berichtete?

 

Der bei mehreren Päpsten tätige Dominikaner, Kuriale und Humanist Giovanni

Nanni (ca. 1432 - 1502) aus Viterbo, genannt Annius, hatte 1498 einen

Genesiskommentar geschrieben und 1480 die Apokalypse so ausgelegt, daß sie

den Christen einen Sieg über die Türken versprach. Diese Arbeiten hatten Annius

bekannt gemacht. Angeblich besuchten Annius 1471 zwei armenische Mönche, die

ihm die verloren geglaubte babylonische Urgeschichte des Berossos gebracht

haben sollen. Ob dieser Pseudo-Berossos in Armenien kompiliert worden war

oder ob Annius selbst der Fälscher war, ist nicht feststellbar. Annius gab nun

diesen gefälschten Text 1499 in Rom heraus und kommentierte ihn ausführlich.340

 

Durch den Pseudo-Berossos schien der Nachweis erbracht, daß die Bibel mit ihrer

Auffassung von der menschlichen Urgeschichte zwar prinzipiell recht hatte, aber

einige wesentliche Informationen über den Ursprung europäischer und speziell

germanischer Völker nicht enthielt. Es ließen sich eine ganze Menge Sagen mit

dem Text verifizieren und die Berichte des Tacitus waren nun mit denen der

biblischen Schöpfungsgeschichte kompatibel. Der falsche Berossos berichtete

unter anderem, ein Sohn Noahs habe Tuyscon geheißen. Somit war für Annius der

Schluß möglich, daß "Tuyscon tam Beroso quam Cornelio Tacito testibus fuit

author Germaniae".341 Hinter Tuyscon waren noch achtzehn neu erfundene Söhne

Noahs in die neue Genealogie der Völker aufgenommen. Die von Tuyscon

339Borst 1957-1963, III/1, 1053f; Kirchner 1938, 23 und Anm. 2; Stemmermann 1934, 10, 24 und

Anm. 1.

 

340Borst 1957-1963, III, 1, 975ff; Kirchner 1938, 23 und Anm. 2; Gotthelf 1900, 5ff.

 

341Nanni, Berosi sacerdotis libri, 1499/1612, p. 10.


118

abgeleiteten Germanen zählten ganz Osteuropa vom Balkan bis nach Rußland

einschließlich Preußens zu ihrem Territorium.342

 

Der Heide Berossos erweiterte also die bisher nur aus den biblischen Texten

ableitbaren Vorstellungen von Ursprung und Herkunft der Völker. Das in der

Bibel enthaltene Wissen um die germanischen Völker schien bewiesen, was

wiederum den deutschen humanistischen Patriotismus des 16. Jahrhunderts

förderte.

 

So erklärte etwa der Tübinger Professor der Rhetorik Heinrich Bebel (1472 - 1518)

1501 in einer Rede vor Kaiser Maximilian I., Berossos und Tacitus seien Zeugen

dafür, daß die Germanen von Tuisco, einem Sohn Noahs, abstammten, den andere

Völker Janus nennen würden. Die politische Lage der Zeit schlägt sich in einer

Spitze gegen die mit den Habsburgern verfeindeten Valois nieder. Gallien sei ja

von Germanien aus überhaupt erst gegründet worden. In seinem Schwankbuch

berichtete Bebel weiters von einem Fürsten, der mit seinem trojanisch-römischen

Blut geprahlt habe. Ein Doktor aber erzählte, er sei aus Nürnberg und die

Nürnberger kenne man ja wohl. Die Trojaner dagegen seien völlig unbekannt und

Aeneas, sofern man es beurteilen könne, ein Verräter und Romulus ein Räuber.

Der pseudobiblische und nach Berossos konstruierte Tuisco war für Bebel nur eine

Hilfe. Ernsthaft wollte und konnte man die fernen Urzeiten ja nicht erforschen.

Wichtig war das Alter der Deutschen, die seit der klassischen Zeit, was für die

Humanisten gleichbedeutend mit 'seit immer' war, im Lande saßen.343

 

Zweihundert Jahre wurde dieser Pseudo-Berossos rezipiert und als

selbstverständliche Autorität für die frühe Geschichte der Germanen zitiert.

"Annius leitete eine neue Epoche der Sprachen- und Völkertheologie ein."344 Im

achtzehnten Jahrhundert hielt der Text der philologischen Kritik nicht mehr

stand. In der Literatur nach 1750 wurde nicht mehr auf dem Text des Pseudo-

Berossos aufgebaut. Gebhardi spricht im Zusammenhang mit einer Kritik an der

Wandalia des Albert Krantz vom "untergeschobenen Berossos", dem Krantz und

andere aufgesessen wären.345

342Nanni, Berosi sacerdotis libri, 1499/1612, p. 10f.

 

343Borst 1957-1963, III/1, 1053f.

 

344Borst 1957-1963, III/1, 977.

 

345Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. 16.


119

III.1.1. Exkurs: Alexander der Große und Julius Caesar in

der politischen Traditionsbildung des Mittelalters

 

Neben der Ergänzung des Tacitus durch den Pseudo-Berossos im 15. Jahrhundert

ist noch eine hochmittelalterliche Vorstellung zu erwähnen. Die Gleichsetzung

von Germanen und Deutschen war eine erstmals im 11. Jahrhundert greifbare,

wenig bekannte Folge des Investiturstreits. Vorgenommen wurde sie von den

Anhängern des Kaisers, um die eigene Position zu stärken und auf Angriffe der

Kirche mit einer zusätzlichen Legitimation des Kaisertums zu entgegnen. Es

handelt sich um eine durch pseudohistorische Erzählungen abgesicherte Variante

der translatio - Idee, in der durch die Behauptung eines Bündnisses Caesars mit

den deutschen Stämmen eine Legitimation der Reichsidee und der kaiserlichen

Macht gestützt werden sollte.346

 

Wolfram deutet diese im Umfeld schwerer politischer Auseinandersetzungen

vorgenommenen Projektionen in die antike Geschichte als schweres Erbe, das

"dem Germanismus bis zum Ende geblieben ist".347 Gegenüber dem

altehrwürdigen Papsttum mit seiner sorgsam ausgearbeiteten geschichtlichen

Legitimation war man im Norden in der Defensive. Dieser Charakter eines

'historischen Minderwertigkeitskomplexes' haftete auch den im folgenden zu

besprechenden Texten des deutschen Humanismus an. Auch die neuzeitlichen

Konzepte konnten sich dann bis in die Kriege des vergangenen Jahrhunderts nicht

mehr von den Grundkonstellationen von Mittelalter und Humanismus lösen.

 

Im bald nach 1080 entstandenen mittelhochdeutschen Annolied ging der Dichter

von der Annahme aus, die Römer und die Franken seien von Haus aus verwandt,

da ja beide von den Trojanern abstammten. Julius Caesar besiegte zuerst die vier

deutschen Stämme, denen im Annolied besonderes Interesse gilt und deren

origines teilweise in diesem Text erzählt werden. Im Laufe des römischen

Bürgerkriegs wandte sich der große Römer dann an deren Fürsten um Hilfe. Die

ehemaligen Gegner kämpften im Annolied an der Seite Julius Caesars und

wurden Mitbegründer seiner Macht und Größe im Römerreich. Diese

346Wolfram 1998, 35f; Graus 1975, 220ff.

 

347Wolfram 1998, 37.


120

Konstruktion stützt in der Geschichtskonzeption des Annolieds die Theorie der

translatio imperii ad Francos.348

 

In der Kaiserchronik aus der Mitte des 12. Jahrhunderts wurde diese

Gleichsetzung von Germanen und zeitgenössischen Deutschen aus dem Annolied

übernommen. Caesar erschien in der Kaiserchronik als milder und gerechter

Herrscher über die von ihm zuerst besiegten Schwaben, Baiern, Sachsen und

Franken. Als nach seinen Siegen in Germanien der römische Feldherr von seinen

Gegnern verraten wurde, triumphierte er mit der Hilfe der deutschen Ritter über

seine Feinde. Zentrale Gestalten für den Verlauf der römischen Geschichte in der

Kaiserchronik sind deutscher Herkunft. Die Geschichte der 'Deutschen' wurde mit

dem römischen Weltreich verklammert.349

 

In anderen Caesarfabeln, wie dem in der Mitte des 12. Jahrhunderts entstandenen

Chronicon Ebersheimense, gründete der römische Imperator Caesar Städte am Rhein

und im Elsaß und ordnete die inneren Verhältnisse in Germanien. So wurde dem

alten Römer etwa die Regelung der Stellung der Ministerialen zugeschrieben.350

 

Aus dem Bellum Gallicum glaubte man zu wissen, daß Caesar mit den Germanen

die Gallier besiegt hatte. Die Analogie Germanen-Deutsche gegen Franzosen-

Gallier stellte im Chronicon die Bezugsebene zur Zeitgeschichte her. In Rom habe

Caesar dann den ersten deutschen Reichstag einberufen und die "geringeren

Ritter den Fürsten unter der Auflage, daß die Fürsten jene nicht als Unfreie und

Knechte gebrauchten, sondern sie wie Herren und Beschützer in Dienst nähmen,"

übergeben. "Von daher kommt es, daß die deutschen Ritter - zum Unterschied

von den anderen Völkern - Diener des Reiches und Ministerialen der Fürsten

heißen."351

 

Diese mittelalterlichen Vorstellungen von Julius Caesar als unbestreitbare

kaiserliche Autorität sind als Voraussetzung für seine Rolle im unter Rudolf IV.

von Österreich gefälschten Privilegium maius zu sehen. Eine der sieben Urkunden

mit den 'uralten', aber erfundenen Privilegien wurde angeblich von Caesar

ausgestellt. In Österreich begründete das Fälschungswerk eine historiographische

348Annolied III, 2ff; LMA I, s.v. Annolied, 668; Thomas 1977, 24ff.

 

349LMA V, s.v. Kaiserchronik, 856f; Nellmann 1963, 82ff; Crossley 1939, 45f und 67.

 

350Graus 1975, 221 und Anm. 68.

 

351Wolfram 1998, 37f.


121

Tradition, die das Privilegium lange verteidigte. Sonst erhielten sich nur lokale

Traditionen, die Caesar eine Rolle in der Geschichte der späteren deutschen

Länder zubilligten. Im ganzen wurde die Integration Caesars in die

Reichsgeschichte von der mittelalterlichen Historiographie nicht rezipiert.352

 

Ein wenig bekanntes Pendant zur Fälschung des Privilegium maius ist das in

Böhmen im 15. Jahrhundert entstandene "Slawenprivileg". Es sollte angeblich von

Alexander dem Großen ausgestellt worden sein. Für die treuen Dienste am

großen griechischen Feldherrn habe dieser der illustri prosapiae Sclavorum "den

ganzen Erdraum vom Norden bis zu den Grenzen Italiens im Süden" als ewigen

Besitz übergeben. Dieses Privileg spielte allerdings keine weitere Rolle in den Traditionsbildungen Böhmens;353 einerseits weil die enthaltenen Ansprüche zu

weit von der politischen Realität entfernt lagen, andererseits weil das Bild

Alexanders des Großen in der mittelalterlichen Literatur zu ausgeprägt war, um

solchen Spekulationen Raum zu lassen. Als Beispiel für auf antike politische

Figuren bezogene Versuche der Traditionsbildung ist es jedoch erwähnenswert.

III.2. Humanistische Ideen zum Verhältnis von

Wenden und Vandalen. Zwischen vornationaler Identität und höfischer Geschichtsschreibung

III.2.1. Die Gleichsetzung zeitgenössischer mit antiken

ethnischen Identitäten in der humanistischen

Historiographie

 

Die im folgenden zu besprechenden humanistischen Werke von Albert Krantz,

Martin Cromer, Dubravius, Schurtzfleisch, Marschalk, Latomus, Simonius, David

Chyträus und Leuthinger sind in die im 'transalpinen' Humanismus des 15. und

352Graus 1975, 221f; Lhotsky 1957, 18.

 

353Graus 1975, 217 und Anm. 52.


122

16. Jahrhunderts vielerorts feststellbaren Bemühungen einzuordnen, auch den

quasi neuentdeckten eigenen Vorfahren einen Platz in der Geschichte zu geben

und dadurch die eigene Identität zu definieren. Muhlack spricht vom "dringenden

nationalen Bedürfnis" des deutschen Humanismus, die "germanisch-deutsche

Vorzeit als eine dem klassischen Altertum grundsätzlich ebenbürtige, wenn nicht

überlegene Epoche zu verherrlichen".354

 

Unter Berufung auf Tacitus wollten die Humanisten den "Idealtypus des

deutschen Menschen mit der Bedeutung eines ethischen Postulats für die

Gegenwart"355 bilden. Von italienischen und französischen Humanisten wurden

die Goten und Vandalen als sprichwörtliche Kulturzerstörer stilisiert. Noch im

heutigen Italienisch und Französisch wird die Völkerwanderung als "barbarische

Invasion" bezeichnet. Prägnanter könnte man die Unterschiede in der

Forschungsgeschichte des deutschen Sprachraums und der romanischen Länder

nicht zusammenfassen.

 

Felix Dahn schrieb im 19. Jahrhundert Lemmata zu den einzelnen vandalischen

Königen in der großangelegten Nationalbibliographie des deutschen Reichs, der

Allgemeinen Deutschen Biographie.356 Selbstverständlich betrachtete man die

Könige der Völkerwanderungszeit als ruhmreiche Vorfahren der eigenen Nation

und Staatlichkeit. Diese Sichtweise hat eine Geschichte, die bis in die Renaissance -

und wie oben ausgeführt teilweise bis in den hochmittelalterlichen Investiturstreit

- reicht.

 

Manche Wurzeln dieser Sichtweise werden verständlich, wenn man die

Instrumentalisierung germanischer Geschichte und den Aufbau protonationaler

Konstrukte durch deutschsprachige und lateinischschreibende Humanisten

betrachtet. Als Reaktion auf die italienische und französische humanistische Sicht

der Germanen kam es zu einer Verklärung dieser germanischen Stämme im

deutschen Humanismus. Auch die von Goten und Vandalen überlieferten

Gewalttaten und Zerstörungen versuchte man zu rechtfertigen.

 

Eines der vielen Beispiele für die Verherrlichung der germanischen Taten ist

folgende Formulierung aus den Briefen des Beatus Rhenanus. "Nostri ... sunt

354Muhlack 1991, 206.

 

355Joachimsen 1910, 2, 350.

 

356ADB 8, 38, 49, 50, s. v. Gelimer/ Hunerich/ Thrasamund/ Gunthamund.


123

Gothorum Vandalorum Francorumque triumphi."357 Der Humanist Irenicus

begnügte sich nicht mit der vorhandenen Überlieferung und behauptete, die

Goten hätten die Stadt Rom dem Erdboden gleichgemacht. Jedes zerstörte

Bauwerk war ihm ein Beweisstück mehr für die unüberwindliche Tapferkeit der

germanischen Ahnen.358

 

Die Grundidee der deutschen Humanisten war dabei, daß die moralische und

militärische Tüchtigkeit der alten Deutschen das morbide und dekadente

Imperium überwunden hätte. Der elsässische Humanist Jakob Wimpfeling ließ in

seiner Epitome rerum Germanicarum usque ad tempora nostra von 1505 die deutsche

Geschichte mit Kimbern und Teutonen beginnen, sah Ariovist als den ersten

König der Germanen und das Lob Piccolominis für das zeitgenössische

Deutschland nur als Anbahnung weiterer finanzieller Ansprüche durch die

Kurie.359

 

Die Epitome Germanorum war der erste humanistische Versuch einer

zusammenfassenden deutschen Geschichte. Dieser entsprang nationalen und

pädagogischen Zielen und verteidigte mit den Mitteln der Historiographie

Wimpfelings Ansichten von deutschen kirchlichen und politischen Zielen gegen

historisch wie rechtlich seiner Ansicht nach ungerechtfertigten französischen

Ansprüchen. So vertrat und förderte Wimpfeling die Bestrebungen der religiösen

Parteikämpfe am Oberrhein mit ihren spezifischen Problemen.360

 

Auch Wimpfeling fand große Worte für die germanischen Vorfahren. "Vera

nobilitas/ vera libertas et in militari disciplina fides/ robur/ fortitudo/ constantia

apud Germanos sunt."361 Die Germania ad rem publicam Argentinensem von 1501,

mit dem prägnanteren deutschen Titel in der Übersetzung von Moscherosch aus

dem Jahr 1648 Tutschland zu Ere der Statt Straßburg und des Rinstroms, sollte

widerlegen, daß jemals das linke Rheinufer gallisch oder französisch gewesen

sei.362

357Horawitz und Hartfelder 1886, 402; Messmer 1960, 49.

 

358Messmer 1960, 50f.

 

359Muhlack 1991, 207; Wolf 1915, I, 322f.

 

360Wolf 1915, I, 323f.

 

361Zitiert nach: Messmer 1960, 50, Anm. 239.

 

362Wolf 1915, I, 323.


124

Die deutschen Humanisten entwickelten, aufbauend auf antiker Rhetorik - vor

allem der der kaiserzeitlichen römischen Staatsideologie - sowie dem neuen

italienischen Nationalismus, neue Dimensionen der Begriffe 'deutsch',

'germanisch' und 'Nation'. Ihr germanisch-deutsches Nationalgefühl und ihre

Deutschtümelei wurden die Grundlage solcher Denkweise in den folgenden

Jahrhunderten. Es handelte sich bei diesen Auseinandersetzungen um quasi

protonationale Debatten, bei denen historische Identitäten als gelehrte Aufhänger

dienten. Konnten die Italiener, Spanier und Franzosen im Prozeß der

Bewußtmachung eines überregionalen Nationalbewußtseins auf die römischen

Großprovinzen Italia, Hispania und Gallia zurückgreifen, war es für deutsche

Humanisten schwierig, die von den antiken Autoren eigentlich nur geographisch

gemeinte Germania zu einem Begriff mit politischen Implikationen zu machen.

Der Gleichung Germania = Deutschland fehlte das historische Fundament einer

römischen Reichsprovinz und die historische wie gegenwärtige politische Einheit.

In dem aus den patriae der Territorien bestehenden Heiligen Römischen Reich,

konnten diese Ideen keiner konkreten politischen Integration dienen. Sie wurden

aber die Grundlage für Träume und Idelalbilder von einer solchen, wirkten also

sekundär und mythologisierend.363

 

Die Versuche der humanistischen Geschichtsschreiber im Reich, die germanische

Vorzeit zu fassen, fußten also auf formlosen und verschwommenen Vorstellungen

von der eigenen 'nationalen' Identität. Wesentlich klarer ausgeprägt war dagegen

ein lokaler Patriotismus. Den aufkommenden Territorialstaaten sollte zu einer

angemessenen Geschichte verholfen werden.364

 

Die deutschen Humanisten wollten den italienischen nicht in der Erforschung

einer glorreichen Vorzeit nachstehen. Den italienischen Städten und Staaten

wurden von ihren Humanisten römische Ursprünge bewiesen. Im Süden

gestaltete es sich um einiges leichter, ein hohes Alter, also eine Rolle in der alten

Geschichte und in der antiken Literatur, nachzuweisen und abzusichern. Zweck

dieser italienisch-humanistischen Historiographie war es meist, die Existenz der

autonomen Renaissancestaaten zu rechtfertigen. Dieses Bedürfnis nach einer

Fundierung der territorialen oder sogar überregionalen Geschichte in antiken

Völkern ist das wesentlichste Moment zum Verständnis der hier behandelten

363Geschichtliche Grundbegriffe VII, s.v. "Volk, Nation", 234-245; Böhme 1986, 178ff.

 

364Messmer 1960, 51.


125

Texte, die meistens die älteste Geschichte der jeweiligen Territorien zum Inhalt

haben.

 

Trotzdem war die progermanische Haltung von Wimpfeling oder Beatus

Rhenanus kein ausschließlich deutsches Phänomen. In Italien sind einschlägige

Äußerungen bei Aeneas Silvius überliefert, in Schweden bei Olaus Magnus (1554),

in Frankreich bei Hotman (1573) und in England bei Verstegan (1605).365

Allerdings ist die Instrumentalisierung der verschiedenen Germanen bei den

Genannten mehr literarischer Topos als politisches Programm. In der Mehrzahl

der Fälle tendierten Autoren, die für kleinere Territorien oder Dynastien tätig

waren, verstärkt zur Geschichtsklitterung. Quellenkritik mußte man sich leisten

können, den Magen füllte Panegyrik mit historischen Exkursen besser.

 

Krantz hatte durch die Verwendung mittelalterlicher Überlieferungen in

Kombination mit dem Pseudo-Berossos und einiger Kunstgriffe einen bei den

antiken Historikern genannten Völkernamen mit einem zeitgenössischen

gleichgesetzt und auf dieser Basis eine antike Vorgeschichte geschaffen. Aventin

arbeitete ähnlich und identifizierte die Bayern mit den Illyrern. So konnte er sogar

eine Verbindung der alten Bayern zu Alexander dem Großen herstellen.366

 

Eine wesentliche Voraussetzung für die deutschen Humanisten war das Werk des

Flavius Blondus (Flavio Biondo, 1388 - 1463). Blondus war als Sekretär an der

Kurie tätig und verfolgte zuerst antiquarische Interessen. Einige seiner Arbeiten

waren als Lexika konzipiert und behandelten die antike Topographie und die

römischen Altertümer (Roma triumphans). Spätere Arbeiten hatten dann gelehrten

wie kritischen Charakter und hinterfragten die verwendeten Quellen. Seine Italia

illustrata in acht Büchern war 1453 in Rom erschienen. Die Dreiteilung der

historiographischen Literatur nach Altertum, Mittelalter und Neuzeit

präformierte direkt die Einführung dieser Periodisierung in die allgemeine

Geschichte. Material aus den Historiarum ab inclinatione Romanorum imperii decades

wurde in vielen humanistischen Arbeiten verwendet.367

 

Fueters Urteil über Blondus bringt das Wesentliche zum Verständnis der hier

besprochenen humanistischen Arbeiten auf den Punkt: "Freilich war auch der

365Bieder 1921-1924, 78ff.

 

366Muhlack 1991, 46f; Fueter 1936, 192f.

 

367Muhlack 1991, 166f; Fueter 1936, 106ff; Joachimsen 1910, 257f.


126

Stoff so gewählt, daß eine amtliche Belohnung nicht zu erwarten war. Der

heimatlose Blondus war wohl durch seinen Aufenthalt an der Kurie dazu geführt

worden, nicht die Geschichte seiner Stadt, sondern die der ganzen Christenheit,

mit vorzüglicher Berücksichtigung Italiens zu beschreiben. Aber die Päpste

wünschten, wenn sie Geschichte unterstützen sollten, erstens einen besseren

Stilisten als Blondus und dann vor allem ein Werk, das die Entwicklung des

Papsttums und des Kirchenstaats in den Mittelpunkt der Darstellung stellte."368

 

Blondus wurde zwar posthum zum Vorbild der humanistischen Historiographie

und ihrer Methodik, blieb aber in Rom während seiner Lebenszeit eine periphere

Figur. Es steht zu bezweifeln, daß Blondus durch seine Heimatlosigkeit zu seinen Fragestellungen kam. Andererseits klingt in dieser Bemerkung Fueters ein

Grundverständnis von Geschichtswissenschaft an, das immer noch Bedeutung

hat. Der Historiker hat zuerst und vor allem die Geschichte seiner wie auch immer

definierten Heimat zu schreiben. Dieser ist er emotional verbunden und trägt zu

ihrem Ruhm durch die Schilderung ihrer Vergangenheit bei. Ein Prinzip, das

immer ein Teil der Historiographie war und hier besonders zu betonen ist.

 

Sicher hat die Institutionalisierung der Historie im 19. Jahrhundert eine größere

Freiheit der Themenwahl gebracht. Bei den unten besprochenen gelehrten Werken

des 16. bis 18. Jahrhunderts wird aber gezeigt werden, wie sehr Erkenntnis und

Interesse am jeweiligen Geld- oder Auftraggeber der Autoren orientiert waren.

 

Daß die meisten der Verfasser der einschlägigen Texte nicht nur Gelehrte, sondern

auch Diplomaten und Politiker waren, rundet die Interpretation der Texte ab.

Krantz etwa vertrat Hamburg mehrmals als Gesandter und war in das politische

Geschehen seiner Zeit aktiv eingebunden. Viele andere Geschichtsschreiber hatten

zumindest engste Kontakte zu Höfen und Herrschern. Kaum ein Geschichtswerk

vor dem 18. Jahrhundert ist rein der Gelehrsamkeit gewidmet. Der Zweck der

Werke ist in aller Regel die Stärkung einer territorialen Herrschaft oder einer

größeren politischen Struktur. Die kaiserliche Herrschaft oder die habsburgische

Monarchie waren solche Suprastrukturen.

 

Ein Versuch im letztgenannten Kontext ist die De gentium aliquot migrationibus des

Hofgeschichtsschreibers Kaiser Ferdinands I. Wolfgang Lazius. Seine ausgedehnte

Darstellung der Völkerwanderung verfolgt letztlich keinen anderen Zweck, als

368Fueter 1936, 109.


127

das habsburgisch-spanische Reich zu einem Nationalstaat mit uralten historischen

Wurzeln in der Völkerwanderungszeit zu stilisieren. Auf ihren ausgedehnten

Zügen, die durch Zeiten der Seßhaftigkeit unterbrochen wurden, hätten die

Germanen die durchwanderten Länder vom Schwarzen Meer bis Cádiz zu einer

Art Nationalstaat gemacht. Diese Länder seien nun unter der habsburgischen

Herrschaft wieder vereint.369

 

Die Wandalia von Albert Krantz und die Werke der mecklenburgischen

Hofgeschichtsschreiber, die im folgenden besprochen werden, sind in eben

diesem Kontext zu verstehen. Dem eigenen Territorium, seien es die Hansestädte

oder das Herzogtum Mecklenburg, soll eine altehrwürdige Geschichte mit einem

Konnex zu den antiken Vandalen gegeben werden. Dabei wurden entweder die

slawischen Untertanen und Nachbarn zu Germanen gemacht, oder wie in den

Werken von Marschalk, David Chyträus und Latomus einer ursprünglich slawisch-abodritischen Dynastie eine germanische Abstammung

herbeigeschrieben.

III.2.2. Albert Krantz. Die "Wandalia" und die

Germanisierung der Slawen

 

Albert Krantz (1448 - 1517) war der Sohn eines Hamburger Schloßhauptmanns.

Sein Studium der Theologie und des kanonischen Rechts absolvierte er in Rostock.

Krantz wurde an dieser Universität Dekan und Rektor und machte anschließend

eine Karriere als Diplomat verschiedener Hansestädte. Unter anderem vermittelte

er im Streit Rigas mit dem deutschen Orden und im Auftrag der Hanse selbst in

Antwerpen zwischen den Hansestädten und den Gesandten des englischen

Königs. Ab 1492 wirkte Krantz als Lector primarius am Hamburger Dom. Seit

1508 war Krantz Domdekan und visitierte den nordelbischen Kirchensprengel.

Neben seinen bedeutenden historischen Schriften verfaßte er theologische,

politische und philosophische Arbeiten. Erst aus seinem Nachlaß wurden vier

umfangreiche historische Arbeiten herausgegeben und erschienen dann in

mehreren Auflagen bis ins 17. Jahrhundert. Es handelt sich um die unten näher zu

erläuternde Wandalia, die Saxonia, die erstmals 1520 erschien, und die Chronica

369Wolfram 2001, 13 und 16; Messmer 1960, 51 und Anm. 248.


128

regnorum aquilonarium. Auch eine Hamburger Kirchengeschichte, die sogenannte

Metropolis, wurde erst posthum gedruckt.370

 

In seiner Chronica regnorum aquilonarium, die die Geschichte der nordischen

Länder behandelt, kommt Krantz erstmals auf seine Vorstellungen vom

Verhältnis der Slawen und Vandalen zu sprechen. Die Chronica hat drei

Abschnitte: Dania, Suecia und Norwagia. Den größten Teil nimmt aber die

Schilderung der dänischen Geschichte ein, da Norwegen und Schweden zur

Entstehungszeit des Werks von Dänemark abhängige Nebenländer waren.

Möglicherweise handelt es sich um das erste Geschichtswerk von Albert Krantz.

Da alle historischen Arbeiten, wie erwähnt, posthum erschienen sind, ist die Frage

der Abfassungszeit nicht gänzlich zu klären. Die Chronica regnorum aquilonarium

erschien erst 1545 in einer deutschen Übersetzung in Straßburg und im Jahr

darauf im lateinischen Original.371

 

Der dreifache Slawenname aus der bekannten Stelle in der Getica des Jordanes (5,

34) wird von Krantz in diesem Werk folgendermaßen interpretiert. Die genannten

drei slawischen Gruppen Veneter, Slawen und Anten seien nichts anderes als die

Vandalen. Diese trügen einfach verschiedene Namen wegen ihrer großen Zahl

und den vielen verschiedenen Orten an denen sie lebten. Der Slawenname sei der

häufigste, der Vandalenname aber der älteste, wie Tacitus bezeuge.

 

Als Beweis führt Krantz die Bezeichnung Wenden an, die noch von der Abkunft

der Slawen von den Vandalen zeuge. "Quod vocabulum usque adeo apud multos

habetur abolitum, ut nisi vernacula Saxonum lingua conservaret (quae Sclavonos

Wenden apellat) hodie qui Wandali et ubi essent ac olim fuissent, ignoraremus."372

Diese Vorstellung der Herkunft der Slawen von den Vandalen ist dann auch der

Ausgangspunkt des Konzepts der Wandalia.

 

Die Verherrlichung der Vergangenheit der Hanse ist primäres Ziel der 1519

erstmals erschienen Wandalia. Hamburg war aber im Geschichtsbild von Krantz

auch eine sächsische Stadt und so finden Land und Stamm eine historische

Würdigung auch in der Saxonia.

370Nordmann 1934, 13-14; DBE 6, s.v. Krantz, Albert, 71; ADB 8, s.v. Krantz, Albert, 43f; Wegele

1885, 285ff; Krabbe 1878, 224ff; Wilckens, Leben des Albert Krantz, 1722.

 

371Nordmann 1934, 28f.

 

372Krantz, Chronica regnorum aquilonarium, 1546/1575, p. 241.


129

Die Hansestadt Hamburg hatte als Partner Lübeck, Rostock, Stralsund,

Greifswald, Riga, Elbingen, Königsberg, Wißmar und Lüneburg, die Wandalicae

urbes. Die Hansestädte waren in Gruppen mit landschaftlicher Gliederung,

sogenannte Quartiere, unterteilt. Die Statuten des Kontors von Brügge nannten

1347 erstmals ein wendisch-sächsisches, ein westfälisch-preußisches und ein gotländisch-livländisches Quartier. Die Gesamthanse nahm zuerst nur selten

Bezug auf diese Organisation. Erst die Wehrbündnisse der Hansestädte im 15.

Jahrhundert, die sogenannten Tohopesaten, gingen von einer Einteilung in Viertel

aus. Grundlegend sind jedoch die regionalen Zusammenschlüsse und Tagungen

der Städte geworden, wobei sich neben dem lübisch-wendischen ein niederrheinisch-westfälisches Quartier unter Köln als Hauptort entwickeln

konnte. Ende des 15. Jahrhunderts begann sich auch die Gruppierung der

sächsischen Städte unter Braunschweig und die der preußischen unter Danzig zu

festigen. Eine Viertelgliederung aller hanseatischen Städte erfolgte jedoch erst im

16. Jahrhundert.373

 

Diese Quartiere hatten wie erwähnt einen Vorort. Das Quartier mit dem Vorort

Lübeck, das die aufgezählten Städte umfaßte, wurde also als wendisches Quartier

bezeichnet. Die Bezeichnung wendische Städte ist nach wie vor gebräuchlich.374

Die gelehrte Latinisierung erst beinhaltete eine historische Dimension, die von der humanistischen Geschichtsschreibung zu Spekulationen verwendet werden

konnte. Die Wurzeln der Bezeichnung reichen weit ins frühe Mittelalter.

 

Vierhundert Jahre vor der Abfassung der Wandalia war das Land um diese

vandalicae urbes von den slawischen Wenden bewohnt. Diese Wenden teilten in

den Augen des Albert Krantz ihre Geschichte mit den Sachsen. Letztere haben

zwar das Christentum und die sächsische Sprache, Gesetze und Sitten unter den

Wenden verbreitet, insbesondere aber die Kämpfe mit den Dänen verbinden die

beiden Gruppen. In diesem Zusammenhang wird die Geschichte der wendischen

Fürstentümer behandelt. Mecklenburg, Pommern, Holstein und die Mark

Brandenburg finden ihren Platz. Als ehemaliger Rostocker Professor stand Krantz

dem Haus Mecklenburg besonders nahe. Das Ende der Wandalia beinhaltet dann

auch einen Panegyrikus auf Herzog Magnus von Mecklenburg.375

 

 

373LMA VII, s.v. Quartiere (Hansequartiere), 357.

 

374Vgl. Sprandel 1982, 273f; Meister 1922, 557.

 

375Da hier nicht der gesamte Inhalt des sehr umfangreichen Werks geschildert werden kann, sei

auf die ausführliche Inhaltsangabe bei Nordmann 1934, 49-74 verwiesen.


130

Die Darstellung beschränkt sich aber nicht nur auf nostri Wandali, also die Wenden

der ostelbischen Gebiete, sondern versucht wenigstens teilweise die Geschichte

aller slawischen - nach der taciteisch/berossischen Definition und dem

Wortgebrauch von Krantz aber eben vandalischen - Völker und Reiche

anzuführen. Tschechische, polnische, russische und bulgarische Geschichte finden

sich in der Wandalia angeschnitten. Krantz kommt zu diesen Kapiteln, weil er den

Ursprung der Wenden und ihrer Verwandten untersuchen will. Im Vorwort und

in den ersten sechs Abschnitten der Wandalia gibt er eine Übersicht über sämtliche

mit den ostelbischen Wenden verwandten Völker. Die gemeinsame slawische

Sprache ist dabei die Klammer. Eine slawische Geschichte ist die Wandalia also

sicherlich nicht. Die Historie der meisten slawischen Staaten wird nur

fragmentarisch beschrieben. Das sagt Krantz auch selbst. "Harum omnium

gentium res gestas perscribere, et ad aetatem nostram perducere, infinitum est, et

his viribus non ferendum. Habet Polonia, habet Bohemia, habet et Dalmatia cum

Histria suos scriptores. (...) Et Russi aetate nostra ad maiorem civilitatem perducti,

invenient, qui illorum praeclara facinora commemoratam antiquitatem, et

designatam latitudinem, illa solum prosequi quae nostris Wandalis - hoc est ad

litus Germanici maris olim habitantibus - sint propria. (...) Huius autem maritimi

tractus Wandalorum res gestas perscribere in animo est. De ceteris autem eius

gentis hominibus, si quid ad nos fama pertulerit - nam annales non tenemus - suis

temporibus inseremus."376

 

Der von den Humanisten postulierte gemeinsame Ursprung von Slawen und

Deutschen ist die wichtigste Voraussetzung zum Verständnis der Konzeption der

Wandalia. Die Urgeschichte der Slawen konstruierte Krantz nach der vermeintlich

echten babylonischen Geschichte des Berossos und nach Tacitus. Noahs ältester

Sohn Tuisto zeugte neben verschiedenen anderen einen Sohn Vandalus. Die

Nachkommenschaft dieses Vandalus hat im Norden den Namen der Deutschen

und im Süden den Namen der Slawen angenommen.377

 

Germania und Teutonia sind bei Krantz keine identischen Begriffe. Teutonia bezieht

sich auf die Gebiete, in denen auch tatsächlich deutsch gesprochen wird. Germania

dagegen ist der Name des Gebiets zwischen Don und Rhein, wo verschiedene und

eben auch slawische Sprachen gesprochen werden. Die Herrschaft und

376Krantz, Wandalia, 1519, I, 6.

 

377Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio.


131

Lehenshoheit des römisch-deutschen Reichs über die Slawen wird aufgrund

dieser historischen Konstruktion dann auch eigens betont.

 

Flavius Blondus, eine der wesentlichen Quellen und mit seiner Historiarum ab

inclinatione Romanorum decades III ein Vorbild für die Konzeption von Krantz,

sprach von den Wanderungen der Burgunder, die er wohl nach Plinius als pars

Vandalorum bezeichnete, und ging dann zu den übrigen Vandali über. Ein Teil von

ihnen zog laut Blondus unter Stilicho nach Rom und der im Norden verbliebene

Teil der Vandalen soll den Namen Sclavi beziehungsweise Wenden angenommen

haben. Ein Teil dieser Wenden soll nach Blondus um die Zeit des Kaisers

Mauricius nach Illyrien und Dalmatien gezogen sein. Von den Verbliebenen sollen

die späteren Tschechen und Polen abstammen.378

 

Krantz zitierte diese Passage aus Blondus zweimal in seiner Wandalia.379 Wandali

zog er als Benennung auch deshalb vor, weil sie die ältere sei und Sclavi erst in

einem Brief Gregors des Großen an die dalmatinischen Bischöfe erscheine.380 Der

Wendenname ist für Krantz an sich ein Beleg für diese Vorstellung, da er sich von

Vandali ableiten lasse. "Hodie tamen, quae fuerit olim gens Wandalorum in

 

 

378Blondus sagt über die Burgunder und ihre Zugehörigkeit zu den Vandalen:

"Sed Suevos Octavius Augustus, teste Suetonio, ex Germania in citeriores Rheni ripas transtulit,

eiusdemque Augusti temporibus, ea pars Vandalorum, quibus Burgundionibus postea fuit nomen,

ad octoginta armatorum milia, ulteriores Rheni ripas insederant, quos Drusus et Tiberius Caesares,

sicut Cornelius refert, post subactam inferiorem Germaniam, in sedes proprias repulerunt, et extra

urbes munitaque loca dissiparunt, a quibus habitandi vicatim modis, quos patrio gentis vocabulo

Burgos appellabant, eos Burgundiones fuisse appellatos asserit Orosius. Facta autem est

postmodum alia in dictis gentibus mutatio: siquidem Vandali a fluvio regionis sic dicti, paulo

postquam illi, quos Stilicho concitavit, patria erant profecti, se Sclavos dixere a nomine gentis, quae

a Bosphoro Cimmerio in Tanaim fluvium habitare solita, se contulit in sedes Vandalorum

Burgundionumque patria profectorum. Nec tamen diu tenuere hi populi eam Sclavorum

nominationem sed cum eorum pars Mauricii imperatoris temporibus, in Dalmatiam Illyricumque

emigrasset, qui manserunt domi, paulo post mutarunt nomina, et partim se Polonos, partim

Bohemos nominavere."

Blondus, Historiarum ab inclinatione Romanorum decades III, 1531, Dec. I, VIII, p. 11f.

Die Dekaden haben in der Basler Gesamtausgabe der Werke Biondos eine gesonderte

Seitenzählung!

 

379Krantz, Wandalia, 1519, I, 22 und II, 6.

 

380Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio.


132

universum ignoraremus, nisi vernacula Saxonum lingua hoc vocabulum

conservasset, ut inter eos, qui olim Wandali, fracto ut fit vocabulo nunc Wenden

vocitentur."381 In der gesamten Wandalia wird deshalb folgerichtig die

Bezeichnung Sclavi vermieden und durch Wandali ersetzt, selbst wenn Sclavi in

den genannten Quellen verwendet worden war. So ist der Titel und die

Gesamtkonzeption zu verstehen.382 Die Slawen seien keine asiatischen Skythen,

sondern Europäer im Sinn von Tacitus und Berossos. "Unde liquido apparet, non

modo Wandalos, sed et Hunos, non esse Scythas, sed Europaeos homines."383

 

Die Schilderung der Länder und der Geschichte der einzelnen slawischen Völker

beginnt bei den ostelbischen Wenden. Als zweites wurden die Russi, die Strabon

noch Roxani oder Roxi genannt hatte, beschrieben. Diese Russi stellte Krantz als

Völkertrias dar. Russen, Polen und Lithauer waren gemeint. Die russischen

Großfürsten, die orthodoxe Religion und die Städte Moskau, Novgorod und

Pskow erfahren dann eine ausführlichere Besprechung. Polen, Krakau und die

Bemerkung, daß in Polen alle Städte aus Holz gebaut seien, folgen.384

 

Die Darstellung setzt mit Böhmen und seiner Geographie fort. Die Gruppe der

Slawen, die aus Sarmatien über Pannonien nach Westen gewandert war,

identifizierte Krantz aufgrund von Tacitus, Siegebert von Gembloux und Blondus

als Vandalen und Burgunder. Stilicho und seine Kämpfe gegen die Goten werden

besonders erwähnt, weil Stilicho der erste historisch bedeutende Vandale gewesen

sei.

 

Es folgt eine Schilderung der antiken vandalischen Geschichte. Diese ist im

Verhältnis zum Gesamtumfang der Wandalia marginal. Die Wanderungen durch

Gallien, die Regierung König Gunderichs, die Reichsgründung in Spanien und die

Ereignisse in Afrika 429 wie auch der Rest der Erzählung zum nordafrikanischen

Vandalenreich wurden von Krantz aus Blondus und Siegebert von Gembloux

entnommen.385 Die von den Vandalen eroberten Provinzen bezeichnete Krantz als

381Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio.

 

382Nordmann 1934, 55f.

 

383Krantz, Wandalia, 1519, I, 8.

 

384Krantz, Wandalia, 1519, I, 2.

 

385Krantz, Wandalia, 1519, I, 22-41.

Eine genaue Identifizierung der von Krantz verwendeten Quellen für diesen Abschnitt findet sich

bei: Nordmann 1934, 109ff.


133

von der römischen Herrschaft befreit. "Itaque Hispanias, iam pene Romano

imperio liberas, inter se sortiri coeperunt."386

 

Die Siege der Vandalen über das römische Reich verglich er mit denen des

Perserkönigs Kyros über das neubabylonische, Alexanders des Großen über das

persische und denen der Römer über die hellenistischen Staaten. "Si est gloria Cyri

oppressisse Chaldaeorum, si Alexandri Magni subvertisse Persarum et Medorum,

si Romanorum decus et extinxisse monarchiam Graecorum: cur non laudi

ducimus Wandalorum Romanis insolentiis finem dedisse?"387

 

Dieses Lob, das Krantz für die vandalischen Siege einforderte, ist neben die oben

erwähnten Beispiele humanistischer Begeisterung für die alten Germanen zu

stellen.

 

Erwähnt sei, daß nach Krantz Venedig von den Wenden/Vandalen gegründet

worden sei. Der Name der eisenzeitlichen italischen Veneter, der auch im

Toponym Venedig enthalten ist, war Ausgangspunkt dieser Anekdote. Im

"Genealochronicon Megapolitanum" des Bernhard Latomus von 1610, das unten

besprochen werden wird, war Venedig ebenfalls eine Gründung der Vandalen.

Auch Odoaker wurde zu einem Vandalen gemacht. Diese beiden Motive finden

sich in den sonst benutzten Vorlagen nicht und scheinen eine Idee von Krantz

selbst zu sein.388

 

Im 2001 erschienen Katalog des schwedischen Museum Vandalorum in Värnamo

wird die Gründung Venedigs durch die Vandalen als sehr wahrscheinlich

dargestellt. Nach 533 seien die "dark ages" beziehungsweise die "diaspora period"

für die Vandalen angebrochen. Um ihre weitere Geschichte rekonstruieren zu

können, müsse man bedenken, daß die Vandalen Seefahrer gewesen seien. Pontus

Hultén, der Gründer des Museums, meint dann weiter: "Did they found Venice in

the sixth century? It is very probable. And the present Venetians are blond and

have blue eyes, 1.500 years later."389 Es handelt sich bei diesen Ausführungen um

eine direkte Rezeption der Wandalia, ohne die historischen Hintergründe des

Texts zu berücksichtigen.

386Krantz, Wandalia, 1519, I, 27.

 

387Krantz, Wandalia, 1519, I, 36.

 

388Krantz, Wandalia, 1519, I, 32 (Venedig), I, 35 (Odoaker).

 

389Hultén 2001, 7.


134

Im zweiten Buch zog Krantz den Bogen von den nach Blondus mit den Vandalen

verwandten Burgundern und ihrer völkerwanderungszeitlichen Geschichte zur

Schilderung des mittelalterlichen Herzogtums bis in seine eigene Zeit zu den

Nachfolgern der alten Burgunderkönige Karl dem Kühnen und Kaiser Maximilian

I.

 

Anschließend springt die Schilderung in den Osten und ins frühe Mittelalter

zurück. Nach Helmold von Bosau und Siegebert von Gembloux wird wendische

Geschichte erzählt: Der Krieg des Frankenkönigs Dagobert gegen die Wenden

und die verschiedenen Ereignisse, die mit Karl dem Großen und Ludwig dem

Frommen verbunden sind. Die verschiedenen Christianisierungsversuche bei den

elbslawischen Stämmen, die Gründung des Klosters Corvey, die Vita des heiligen

Veit und die Kämpfe Kaiser Arnulfs gegen den Mährerfürsten Swatopluk wie

dessen Bekehrung zum Christentum werden ebenso geschildert wie die Kriege

Kaiser Heinrichs I. und anschließend die Christianisierung Böhmens und Polens.

 

Um einen Eindruck von der Menge des bei Krantz gebotenen Materials zu geben,

seien noch die Erzählungen von der Christianisierung der Wenden unter Otto

dem Großen, die Gründung des Erzbistums Magdeburg und seiner

Suffraganbistümer und daran anschließend die polnische Geschichte des 11. und

12. Jahrhunderts erwähnt. Aus Saxo Grammaticus entnahm Krantz umfangreiches

Material zur dänischen Geschichte. Die in dieser Arbeit ja angesprochene

Entstehung Brandenburgs und Mecklenburgs gehört ebenfalls in diesen Abschnitt

der Wandalia.390

 

Im fünften Buch wird der Betrachtungsraum wiederum erweitert und die

Geschichte anderer Zeiten und Räume geboten. Von den Bulgaren, deren

Geschichte nur angerissen wird, zieht sich der Bogen zu den Ungarn, dem

Baltikum, den Preußen und Lithauern. Die ursprünglich lithauische

Jagellonendynastie gibt Anlaß zu einer Aufzählung ihrer verschiedenen

Verbindungen zu deutschen Fürstenhäusern. Am Anfang des sechsten Buchs

setzte Krantz mit der Geschichte des 12. Jahrhunderts im Ostseeraum fort. Die

Politik Barbarossas, Waldemars I. von Dänemark und des Bischofs Absalon finden

ihren Platz.

390Krantz, Wandalia, 1519, II-V. Vgl. kurzgefaßt: Nordmann 1934, 62ff.


135

Der zweite Teil der Wandalia, also Buch sieben bis vierzehn, wurde anders

aufgebaut. Ab dem siebten Buch durchbrach Krantz die thematische Gliederung

vollends und ging zu einer chronologischen Schilderung über. Diese Bücher

beinhalten die eingangs erwähnte Geschichte der Hansestädte und des

Ostseeraums, immer aber in Bezug zu den europäischen Ereignissen. Fallweise

sind Erzählungen der dänischen, böhmischen, polnischen und russischen

Geschichte eingearbeitet. Umfangreichere Schilderungen der zeitgenössischen

Politik sind von Krantz' eigenen Urteilen und Einschätzungen geprägt.

Abgeschlossen wird das Werk, wie oben angedeutet, mit der Erzählung über den

Tod und die prunkvolle Bestattung des mecklenburgischen Herzogs Magnus samt

einem Panegyrikus auf diesen.

 

Krantz verstand die Wanderungen der Vandalen nicht als bloßen Durchzug,

sondern als Expansion oder etappenweise Verschiebung unter Zurücklassung von

Teilen des Stammes in den verschiedenen Gegenden. In dieser Vorstellung ist er

mit Lazius vergleichbar.391

 

Wenn auch das Krantzsche Konzept nicht so geschlossen an eine bestehendes

politisches Gebilde geknüpft ist wie das des Lazius ans Reich der Habsburger,

blieb die Wandalia doch ein fruchtbarer Boden für in den folgenden Jahrhunderten

geschriebene Erklärungen der nordischen Geschichte. Die Konzepte der Wandalia

sicherten der, wie oben gezeigt werden konnte ja schon sehr alten, Gleichsetzung

von Vandalen und Wenden noch ein langes Nachleben. Das Werk wurde von

Krantz nicht gänzlich vollendet und vor allem nicht veröffentlicht.

 

Krantz verfolgte mit seiner historischen Konstruktion mindestens zwei Ziele.

Erstens ging es um die Legitimation der Herrschaft hanseatischer Städte und

deutscher Reichsfürsten in Gebieten mit slawischer Bevölkerung. Den

mecklenburgischen Herzögen wird bereits durch Krantz ein indirekter

germanisch-deutscher Stammbaum garantiert. Dies wiederum konnte dazu

beitragen, die Position als Reichsfürsten zu festigen.

 

Um zum Klub der deutschen Reichsfürsten auch in der historischen

Tiefendimension zu gehören, war es für die Nakoniden in Mecklenburg

offensichtlich wichtig, sich über den Umweg des Tacitus in Kombination mit dem Pseudo-Berossos einen germanischen Ursprung geben zu lassen. Wenn Slawen

391Messmer 1960, 52; Krantz, Wandalia, 1519, Praefatio; Lazius, Praefatio.


136

und Germanen von denselben Urvätern abstammen sind sie in gleicher Weise

berechtigt, Territorialfürsten im heiligen römischen Reich "teutscher Nation" zu

sein.

 

Zweitens ist Krantz Hanseate. Unter diesem Aspekt gesehen, kann man seine

Wandalia unter einem weiteren Gesichtspunkt deuten. Die Perspektive des

hanseatischen Handels reichte im Osten über die Ostsee weit nach Rußland und in

die anderen slawischen Länder, deren Geschichte Krantz kurz anreißt. Im 15. und

16. Jahrhundert war die große Zeit des Städtebunds im Ostseeraum aber bereits

zu Ende.

 

Das hatte verschiedene Ursachen. Die wachsende Bedeutung der nordischen

Nationalstaaten und die Bildung eines starken Staates in Rußland erschwerten die

ökonomische und politische Einflußnahme der Hanse. Seit der Union von Kalmar

1397, die Dänemark, Norwegen und Schweden zeitweise unter einer Monarchie zusammengeschlossen hatte, entwickelten sich die skandinavischen Staaten zu

neuen Machtfaktoren im Ostseeraum. Vorher hatte nur Dänemark eine solche

Rolle spielen können.392

 

Noch 1392 waren alte Verträge zwischen der Hanse und Novgorod erneuert

worden. Im 15. Jahrhundert gelang es aber den livländischen Städten zusehends,

die hanseatischen Städte aus dem Geschäft mit Rußland zu verdrängen. 1480

wurde die Republik Novgorod, die der wichtigste Partner der Hansestädte im

Ostgeschäft gewesen war, durch Zar Iwan III. erobert.393

 

Im Zuge der Entwicklungen in Rußland bekam die Lage in Osteuropa eine völlig

neue Dynamik. Im 16. Jahrhundert gab es nur noch zwei wichtige slawische

Staaten im östlichen Europa: das griechisch-orthodoxe Zartum Moskau und das römisch-katholische Polen. Moskau hatte sich nach für die Russen katastrophalen

Kriegen gegen die Mongolen Ende des 14. Jahrhunderts konsolidieren können.

Gegen die von Süden über das Schwarze Meer vordringenden Türken und gegen

die Angriffe des polnisch-litauischen Staates aus dem Westen konnte es sich

ebenfalls behaupten. Der Eroberer von Novgorod Iwan III. bildete das

392Dollinger 1981, 34ff; HRG 1, s.v. Hanse, 1990ff.

 

393LMA IV, s.v. Hanse, 1924; Dollinger 1981, 78ff.


137

solchermaßen erfolgreiche Moskowiter Reich in einen nationalen Einheitsstaat

unter autokratischer Führung des Zaren um.394

 

Der Zar ließ sich nicht nur den Kreml von italienischen Architekten ausbauen. In

seinem Umkreis bildete man den Mythos von Moskau als dem "dritten Rom" und

schuf die Grundlagen des neuzeitlichen russischen Nationalbewußtseins.

Byzantinischen Ursprungs waren die Elemente der Repräsentation dieses

politischen Programms wie das Hofzeremoniell und der Doppeladler. Die

Moskauer Eliten definierten sich als Nachfolger des byzantinischen Reichs und

verstanden sich als Bewahrer der orthodoxen Rechtsgläubigkeit.395

 

Das Sendungsbewußtsein der Kreise rund um den Zaren, den man als

Stellvertreter Gottes auf Erden ansah, hatte natürlich nicht rein religiöse

Hintergründe. Auf Basis dieser Ideologie war es möglich, einen Abschluß nach

außen zu vollziehen und selbst die gewinnbringenden Handelsbeziehungen zu

übernehmen. In diesem Prozeß schaltete man die Hansestädte als unliebsame

Konkurrenten aus.

 

Die Verlagerung der Handelswege aus dem Mittelmeer und der Ostsee in den

Atlantik durch die Entdeckung Amerikas tat ein übriges.396 Die Hanse war in den

Jahrhunderten zuvor jedenfalls auch als militärische und politische Größe

aufgetreten und kommt insofern genauso wie die oben angesprochenen

Territorialfürsten als Adressatin einer Geschichtskonzeption in Frage.

 

Krantz war dem mecklenburgischen Fürtsenhaus mindestens genau so

verpflichtet wie den hanseatischen Städten. Sein Werk ist also als doppelter

historisierender Panegyrikus zu lesen. Die Legitimation der Herrschaft über die

Wenden in den oben genannten Territorien ist eine Sache.

 

Der Versuch, dem großen Handelsraum der Hanse eine Klammer in Form einer

angedeuteten gemeinsamen historischen Wurzel zu geben, ist der zweite Zweck

des Werks. Die 'Brüder der Slawen' aus den hanseatischen Städten sind die, die

das älteste und würdigste Recht auf Handelsmonopole in den slawischen Ländern

haben. Gerade in einer Zeit der Krise, in der die hanseatische Vormachtsstellung

 

 

394Donnert 1972, 56ff; Torke 1985, s.v. Iwan III., 98.

 

395Vgl. Torke 1985, s.v. Iwan III.; s.v. Moskau; s.v. Novgorod, 98, 189, 256; LMA V, s.v. Iwan III.,

789f; Donnert 1972, 56ff.

 

396LMA IV, s.v. Hanse, 1921-1926; Braudel/Duby, et al. 1985, 45ff; Sprandel 1982, 2f.


138

im Handel mit diesen Ländern eigentlich schon der Vergangenheit angehörte, und

es schwierig geworden war, sich gegen verschiedenste Konkurrenten zu

behaupten, kommen solche Konzeptionen gelegen.

III.2.3. Martin Cromer. Die Slawen als "sarmatisches" Volk

 

Martin Cromer (1512 - 1589) studierte in Krakau, Padua und Bologna und zeigte

schon früh humanistische Interessen. Seit 1533 ist Cromer als Mitarbeiter der

polnischen Reichskanzlei nachweisbar, wo er eine Karriere begann, die ihn

schließlich zum Sekretär des polnischen Königs machte. Mitte des 16.

Jahrhunderts wurde Cromer ein Domkanonikeramt in Frauenburg gegeben, er

selbst wirkte aber weiter am Hof des polnischen Königs. 1558 bis 1564 hielt er sich

als Gesandter am Wiener Hof Kaiser Ferdinands I. auf. Bei den

Friedensverhandlungen zwischen Schweden, Dänemark und Lübeck 1572 in

Stettin war Cromer wiederum als Beauftragter des Königs von Polen tätig. Auch

nahm er mit dem Kardinal Stanislaw Hosius am Trientiner Konzil teil. Nach dem

Tod des Kardinals folgte ihm Cromer 1579 als Bischof von Ermland. Als Bischof

zeigte sich Cromer als eifriger Verfechter der Gegenreformation, Förderer des

Jesuitenordens in den polnischen Ländern und als theologisch-politischer

Autor.397

 

Mit seiner hier besprochenen, 1555 entstandenen, polnischen Geschichte in 30

Büchern (De origine et rebus gestis Polonorum), versuchte Cromer, den historischen Darstellungen deutscher Humanisten eine polnische und slawische Sichtweise entgegenzustellen. Den Auftrag zur Abfassung einer polnischen Geschichte hatte

Cromer von König Sigismund August erhalten. Der Humanist stützte sich auf die

Klassiker der polnischen Historiographie des Mittelalters, auf Kadlubek, Martinus

Gallus und Dlugosz. Außerdem hatte er Zugang zum Reichsarchiv und der

königlichen Bibliothek in Wilna.398

 

Krantz hatte den bei den antiken Historikern genannten Vandalennamen mit dem

zeitgenössischen Wendennamen gleichgesetzt und auf dieser Basis eine antike

Vorgeschichte geschaffen. In der De origine et rebus gestis Polonorum wird mit

 

 

397NDB 3, s.v. Cromer, Martin, 422; Wetzer & Welte's 1, s.v. Cromer, Martin, 1195-1199;

Ersch/Gruber I/20, s.v. Cromer, Martin, 170f.

 

398Ersch/Gruber I/20, s.v. Cromer, Martin, 170f.


139

derselben Methode versucht, eine eigene slawische Vorgeschichte zu

konstruieren. Dazu war es nötig, die Konstrukte der deutschsprachigen

Humanisten entsprechend zu widerlegen, um eine bessere Deutung der antiken

beziehungsweise in diesem Fall biblischen Schriften zu bieten.

 

Cromer beginnt seine Darstellung schon mit der Feststellung, daß "Primum

omnium constat, Polonos Slavicam gentem esse. (...)". Dann referiert er

verschiedene, seiner Ansicht nach falsche, Thesen über den Ursprung der Slawen.

Das Kapitel schließt eben mit der Feststellung "superiores opiniones falsas".399

 

Die erste dieser von Cromer widerlegten Thesen baute auf der Kombination der

biblischen Genealogie um Japhet mit Elementen der Trojanersage auf. Weiters

beinhaltete sie Argumente aus dem Pseudo-Berossos. Von einem Sohn Japhets

namens Philaros stamme Alames ab, dessen Sohn wiederum Anchises war, der

Vater des Aenaes. Dessen Ururenkel Alanus wandte sich mit seinen vier Söhnen

nach Europa. Der älteste Sohn des Alanus war Vandalus, der der Weichsel seinen

Namen gab und damit auch dem polnischen Land. Seine Eroberungen verteilte er

an seine Söhne, die die verschiedenen wendischen Staaten stifteten. Diese Staaten

waren Polen, Rußland, Cassubien, Böhmen, Mähren, Dalmatien, Bosnien,

Kroatien, Bulgarien und Pannonien. Cromer spricht nur unspezifisch von den

Chroniken der Polen und Böhmen als Quellen dieser Sichtweise. Es handelt sich

aber um ein Referat der Chroniken von Kadlubek, Dlugosz und Mierszwa.400

 

Cromer widerlegt dann ausführlich die genannten und auch noch weitere

Vorstellungen vom Ursprung der Slawen. Die folgenden Kapitelüberschriften

seien kurz genannt: "Slavos non esse Dalmatas neque Illyrios (Cap. 4); Quod Slavi

Vandali non sint (Cap. 5); An Venedi seu Veneti et Vinidae (Cap. 6); Quod Slavi

Germani non sint (Cap. 7)".

 

Der Wandalia des Albert Krantz widmete Cromer im Kapitel 5 "Quod Slavi

Vandali non sint" seine besondere Aufmerksamkeit. Krantz wirft der polnische Geschichtsschreiber vor, er habe die Polen und alle Slawen zu Germanen gemacht.

Einer der Hauptbelege für diese in den Augen Cromers völlig unhaltbare

Behauptung wäre bei Krantz der Wendenname. Krantz meine, der Wendenname

sei von den antiken Vandalen abzuleiten. Und das wie die auf Tacitus und

399Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 1.

 

400Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 3.


140

Berossos gestützte Argumentation reiche dem Hamburger Konkurrenten aus, um

gleich alle Slawen zu Germanen zu machen. Tuisco der mythische

Germanenkönig, der in der von Krantz beschriebenen Germania regiert haben

soll, kann nach Cromer unmöglich alle sarmatischen Völker begründet haben.

"Iam ne ex illo quidem Berossi testimonio, quo is Tuisconem Germanorum

omnium conditorem a Tanai ad Rhenum usque regnasse et ab eo Sarmatos

maximos populos conditos esse afferit, satis recte comprobatur, Slavos Germanos

esse."401

 

Den Wendennamen entlarvte Cromer im folgenden als späte Frembezeichnung

der Germanen für die Slawen. Die Slawen haben früher verschiedene Namen wie

Polen, Boemi, Moravi, Cassubii und so weiter getragen. Einen gemeinsamen Namen

der Slawen gebe es in den Quellen nicht. Als Beleg führte Cromer die sächsische

Geschichte Widukinds von Korvey aus dem 10. Jahrhundert an.402

 

"Itemque accolae sinus Vendici et Oceani Germanici, Sala et Albi tenus: quorum

reliquiae hodieque a Germanis Vindae seu Vendi vocantur, olim variis distincti

nominibus ac populis, ut est videre apud Vitichindum Saxonem."403

 

In Wahrheit seien die Slawen ein sarmatisches Volk, schloß Cromer. Ihre

Abstammung ginge nicht von Japhet, sondern von Sem aus. Der Sohn Sems hieß

Jactam, dessen Sohn Asarmat wiederum ist der Stammvater der Sarmaten. Späte

Nachkommen der Sarmaten waren die Wenden. Diese hatten ihren Namen selbst

angenommen und man könne aber nichts sicheres über seine Bedeutung sagen.

Ein Zweig der Wenden zog schließlich in Wandaliam und legte die Sitten und

Gebräuche der sarmatischen Wenden ab. Schließlich tauschten sie noch ihren alten Wendennamen gegen den neuen Namen der Slawen.404

 

Schon Cromer hatte also die Vorstellung von einer slawischen Einwanderung in

das vormals vandalische Gebiet. Griff Krantz auf die Vandalen zurück, um

Deutsches im Sinne der Humanisten, Sächsisches und Hanseatisches mit antiken

Wurzeln zu legitimieren, wollte Cromer eine eigene in den Osten weisende

slawische Geschichte entwickeln. Daß er dabei auf eine Nähe zu in antiker

401Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 5.

 

402Zu Widukind von Korvey: Manitius 1911, 714ff.

 

403Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 5.

 

404Cromer, De origine et rebus gestis Polonorum, 1550, I, 9.


141

Literatur genannten Ereignissen, Völker und Personen verzichtete und statt

dessen eine biblisch fundierte Genealogie anbot, mag durch den von Krantz schon

besetzten Platz bedingt gewesen sein. Eine protonationale Konzeption im Auftrag

des polnischen Königs mit einer Verwurzelung in der antiken Ethnographie, die

sich gegen die Vereinnahmung durch die historischen Konzepte der deutschen

Humanisten verwehrt, liegt uns vor.

III.2.4. Die Slawisierung der Vandalen. Dubravius und

Schurtzfleisch

 

Der Olmützer Bischof Johannes Dubravius (gestorben 1513) überspitzte die

Polemik gegen die Germanisierung der Slawen in der humanistischen Literatur

mit der Vorstellung, die historischen Vandalen seien in Wirklichkeit Slawen

gewesen. Die Slawen wurden nämlich erst nach der Besiedlung des von den

ursprünglichen Vandalen verlassenen nördlichen Deutschlands mächtig. Sie

nahmen dann einfach den Namen der besiegten Wenden oder Vandalen an und

zeigten sich unter diesem Namen als Sieger in Afrika und Spanien.405

 

Konrad Samuel Schurtzfleisch (1641 - 1708) war Professor für Historie in Leipzig

und Wittenberg. Unter seinen umfangreichen Publikationen findet sich in einer

Sammlung von kleineren Abhandlungen auch eine über Fragen der slawischen

Geschichte und Ursprünge.406 Schurtzfleisch erzählte in De rebus slavicis im 17.

Jahrhundert eine andere Variante der vandalischen Geschichte, die sich wie eine

Mixtur aus Cromer und Dubravius liest. Die Vandalen seien aus Asien an die

Ostsee gewandert, haben sich dort aber den stärkeren Wenden unterwerfen

müssen. Die Wenden und die von ihnen besiegten Vandalen seien aber dann

wieder von den Sarmaten besiegt worden. Diese drei Nationen zusammen

nannten sich dann wieder Vandalen und führten die in den antiken Autoren

nachzulesenden Unternehmungen in Afrika und Spanien aus. Nach der

Niederlage durch Belisar legten sie den Vandalennamen ab und nannten sich von

nun an "die Berühmten", also "Slawen".407

405Dubravius, Historia Boiemica, 1575, I und II.

 

406Zedler 35, s.v. Schurtzfleisch Conrad Samuel, 1684-1689.

 

407Schurtzfleisch, De rebus slavicis, 1667, p.466f.


142

III.2.5. Die neutrale Position des Aenaes Silvius

Piccolomini

 

Als Beispiel für eine humanistische Geschichtskonzeption, die etwas andere Wege

bei der Urgeschichte der Slawen beschritt, soll hier noch die böhmische Geschichte

des Aenaes Silvius Piccolomini (1405 - 1464) erwähnt werden. Die De Bohemorum

origine ac gestis historia, kurz Historia Bohemica genannt, wurde von Aeneas Silvius

1458 abgeschlossen und erschien 1475 zum ersten Mal im Druck. Die böhmische

Geschichte war das am weitesten verbreitete Werk Piccolominis und wurde bis

ins 17. Jahrhundert in mehreren Auflagen herausgegeben. Gewidmet ist das Werk

an Alfons von Aragon/Neapel und enthält neben der allgemeinen historisch-

geographischen Landesbeschreibung eine ausführliche Schilderung der

hussitischen Bewegung. Auch die Geschichte des jungen Königs Ladislaus, den

Piccolomini in Wien kennegelernt hatte, findet breiten Raum.408 Obwohl das Werk

Alfons von Aragon gewidmet war ist zu vermuten, daß bei der hier zu

besprechenden Schilderung der böhmischen und slawischen Urgeschichte,

Piccolomini habsburgische Interessen einfließen ließ.

 

Der Wendenname wird vom italienischen Humanisten in seiner böhmischen

Geschichte überhaupt nicht erwähnt. Piccolomini erzählte, es gebe bei den

Böhmen sogar Geschichten, die sie auf Noahs Arche und auf das Paradies

zurückführen, aber wahrer Adel sei nicht durch solche Phantasien sondern nur

durch edle Taten zu erreichen. Die fabulösen Genealogien der böhmischen

Herzöge lehnte Piccolomini als Quellen ab. Erst seit der Zeit Ottokars II. seien

sichere Aussagen möglich.409

 

Der spätere Papst spielte damit auf Material an, das ins Umfeld der hier

diskutierten Konzeptionen gehört. Piccolomini befand sich in einer anderen

Position als die oben behandelten Autoren. Er konnte als ehemaliger Höfling der

Habsburger in einer kirchlichen Position in Italien arbeiten. Am Wiener Hof hatte

man an der slawisch-germanischen Verwandschaft offenbar weniger Interesse als

im Norden. Geschichtskonzeptionen sind keine zufälligen Schlampereien,

sondern sehr bewußt und gezielt eingesetzte Mittel der politischen Legitimation

durch konstruierte historische Dimensionen. Die Habsburger hatten ihre eigenen Geschichtsgebäude, wie das später entstandene Werk des Wolfgang Lazius zeigt.

 

 

408Verfasserlexikon VII, 656ff; Fueter 1936, 116.

 

409Aenaes Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p. 4.


143

Piccolomini stellte seine Vorstellungen von der ältesten Geschichte der Böhmen

beziehungsweise der Slawen weiter vor: Nach der babylonischen

Sprachverwirrung bekamen die Slawen den Namen Sclavoni in der Bedeutung

von Wortreiche ("verbosos"). Sie wanderten daraufhin durch Kleinasien und

Byzanz nach Bulgarien und stifteten die illyrischen Staaten. "Ex Asia in Europam

profectos, eos agros occupasse, quos nunc Bulgari, Servii, Dalmatae, Croaci, et

Bosnenses incolunt." Im Anschluß daran gründeten andere wandernde Slawen

"Rusuniam, Pomeraniam, Casubiam", Böhmen und Polen.410

 

Unter der Kapitelüberschrift De origine gentis Bohemorum führte Aeneas Silvius

dann aus, auch Böhmen sei olim theutonica gewesen. In der mittelalterlichen

tschechischen Literatur wurde die eigentlich mittelhochdeutsche Bezeichnung

'Böhmen' nach Cosmas von Prag mit einem eponymen Vorfahren der Tschechen

Boemus erklärt. Wenn Cosmas das Land als Teil der Germania beschrieb, so meinte

er damit nicht eine Zugehörigkeit zu den Deutschen, sondern er verstand wie

Regino von Prüm und Paulus Diaconus die Germania als vom Don (Tanais) bis

zum Sonnenuntergang sich erstreckendes Gebiet.411 Auf diese Quellen bezog sich

Piccolomini und lieferte natürlich eine Basis für einen habsburgischen Anspruch

auf Böhmen.

 

Im Caput IIII De Croco, secundo Bohemorum duce beschrieb Piccolomini den

gerechten und uneigennützigen König Crocus. Dieser habe eine Burg bei Stemna,

die nach ihm Crocavia benannt worden sei, errichtet. Drei Töchter des Crocus

werden genannt: Brela, die die Burg Brelum gebaut habe, Therba/Therbiza und

drittens Libussa. Libussa sei die bedeutendste, obwohl jüngste gewesen.412

 

Crocus wurde auch von Gregor von Tours erwähnt. Dieser Crocus war allerdings

ein Alammanenkönig zur Zeit der Kaiser Valerian und Gallienus (253 - 260) und

habe auf Anregung seiner Mutter Gallien geplündert. Der König Crocus soll das

alte Merkurheiligtum der Arverner zerstört und viele christliche Märtyrer ums

Leben gebracht haben. Bald darauf sei er aber bei Arelate gefangen und daraufhin

hingerichtet worden. Diese Ereignisse wurden im Fredegar ins Jahr 411 verlegt

410Aenaes Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p. 5f.

 

411Cosmas von Prag, Chronica Boemorum, I, 1 und 2.Regino von Prüm, ad a. 889; Paulus

Diaconus, Historia Langobardorum, I 1.

Vgl.: RGA 3, s.v. Boihaemum, 207 und s.v. Boier, 205; Graus 1980, 162-169.

 

412Aenaes Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1475/1575, p. 8.


144

und aus dem Alammanenkönig wurde ein Vandale. Auch in der Chronik des

Hydatius erscheint der Vandalenkönig Crocus.413 Wie der Zusammenhang des bei

Piccolomini vorkommenden Crocus mit dem bei Gregor von Tours, Fredegar und

Hydatius erwähnten König ist, bleibt zu klären.

III.2.6. Nicolaus Leuthingers Brandenburgische Geschichte

 

Nicolaus Leuthinger (1554 - 1612) war Sohn eines Predigers in der

brandenburgischen Provinz. Er besuchte die Fürstenschule in Meißen und die

Universitäten von Wittenberg und Frankfurt an der Oder. Leuthinger hatte

verschiedene Schulämter inne. Eine angestrebte Karriere an der Universität oder

am fürstlich brandenburgischen Hof erreichte er nicht. Seine brandenburgische

Geschichte hatte er dem regierenden Fürsten gewidmet. Nach dem Tod seines

Vaters wurde ihm dessen Pfarrstelle übertragen.414

 

Nach kurzer Zeit verließ er diese Stelle und begab sich auf Reisen durch

Deutschland, Schweden, England, Dänemark und Polen. In der Sprache der

erzählfreudigen Biographien des 18. Jahrhunderts war Leuthinger "ein gekrönter

Dichter und gelehrter Vagabund. Wohl konnte er sich mit Odysseus vergleichen,

aber ihn erwartete kein Ithaka;"415 eine offenbar zeitlose - durch die Grundtendenz

der europäischen Hochschulpolitik des 21. Jahrhunderts wieder umso

zutreffendere - Charakterisierung des Gelehrtenlebens. Leuthingers Schriften

wurden Anfang des 18. Jahrhunderts neu aufgelegt.

 

Wie Cromer erklärte Leuthinger die Anwendung des Vandalennamens auf die

Wenden aus der späteren Einwanderung von Slawen in die ehemaligen

vandalischen Gebiete. "Fuerunt autem Vandali contra multorum opinionem non

Slavi, sed ex Gottorum et Germanorum gente omnium molissimi atque

 

 

413Gregor von Tours, Historiarum Libri Decem, I, 32-34; Fredegar, III, 1; Hydatius, Cont. Chron.,

AD 411.

Vgl.: Courcelle 1964, 67; RE IV, s.v. Crocus, 1725.

 

414ADB 7, s.v. Leuthinger N., 56f; Wegele 1885, 439.

 

415Ersch/Gruber 43, 272; Wegele 1885, 439 und 715; Küster, Commentarius de vita et scriptis N.L.,

in: Nicolai Leuthingerii opera omnia, II, 1729, 12ff.

Das Jahr der ersten Drucklegung von Leuthingers brandenburgischer Geschichte konnte nicht

ermittelt werden.


145

delicatissimi, ut Procop annotat." Vom "palude Maeotide" zogen die Vandalen

wegen der bei Prokop erwähnten Hungersnot weg und hielten sich Richtung

Westen, wo sie bessere Wohnsitze vermuteten. Die von ihnen verlassenen Gebiete

wurden dann von Slawen besiedelt. "(...) Slaworum gens has terras occupavit

(...)".416

 

Weil die Vandalen zuerst in den Gebieten zwischen der Weichsel und dem

Baltischen Meer gelebt hatten, blieb den Städten in dieser Gegend der Name

civitates vandalicae. Und auch noch in der Gegenwart des Nicolaus Leuthinger

(hodie) nannten sich die Könige von Dänemark Dominos Danorum, Gothorum atque

Vandalorum. Dieser Titel wurde als Relikt der ehemals in der Gegend ansässigen

Völker gedeutet, die ihre eigenen Reiche in Spanien und Afrika gegründet hatten.

Die Weichsel habe ihren lateinischen Namen "Vistula" von den Vandalen, die, wie

nochmals betont wird, gleicher Sprache und gleichen Geschlechts (linguae atque

gentis) mit den Goten gewesen seien.417

 

An anderer Stelle wieder erklärte Leuthinger, ein Teil der Vandalen sei nicht nach

Afrika, sondern nach Schweden und Dänemark gewandert und habe dort

Königreiche gegründet. Auch die Herzöge von Pommern könnten ihren Titel, der

wie der schwedische und dänische Königstitel die Goten und Vandalen nenne,

mit gutem Recht auf diese Germanen zurückführen.418

 

Die Erklärungen Leuthingers entsprachen wohl der verbreitetsten Ansicht in den

deutschen und skandinavischen Ländern, in denen es eine Tradition der

Herleitung der slawischen Wenden von den antiken Vandalen gab. Eine scheinbar

uralte Namenstradition legitimierte Städte wie Fürstenhäuser. Ein hohes Alter

bedeutete Würde und die mögliche Legitimation von Herrschaftsansprüchen.

Eine Verbindung zu in antiken Quellen genannten germanischen Völkern kam in

diesem Zusammenhang eben höchst gelegen. Auf der einen Seite wurde der

mittelalterliche Namensgebrauch verworfen, weil er keine ethnische

Differenzierung in Germanen und Slawen ermöglichte. Gleichzeitig konstruierte

man aber immer wieder auf Basis eben dieses mittelalterlichen Namensgebrauchs

eine quasi antike Legitimation der eigenen politischen Gebilde. Auch aus

416Leuthinger, Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p. 329.

 

417Leuthinger, Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p. 1129. Fast wörtlich

gleiche Ausführungen finden sich nochmals auf p. 1123.

 

418Leuthinger, Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 1729, p. 990.


146

Kadlubeks polnischer Chronik wurden einzelne Motive übernommen; im Falle

Leuthingers die Erklärung für den lateinischen Namen der Weichsel.

III.2.7. Mecklenburg - Das slawische Abodritenland wird im

12. Jahrhundert das Land Mecklenburg. Die

Vandalen/Wenden in der höfischen Geschichtsschreibung

Mecklenburgs im 16. und frühen 17. Jahrhundert

 

III.2.7.1. Abriß der mecklenburgischen Geschichte und Nicolaus

Marschalks "Annales Herulorum ac Vandalorum" von 1507

 

Nicolaus Marschalk (1456 - 1525) stammte aus Erfurt und führte in

humanistischen Kreisen aufgrund seiner thüringischen Herkunft den Beinamen

Thurius. Studiert hat er in seiner Heimatstadt, wo er auch als Universitätslehrer in

Erscheinung getreten war. Marschalk ging dann nach Mecklenburg und trat in die

Dienste des Herzogs Heinrich. Seit 1510 war er als Lehrer an der Universität in

Rostock tätig, ohne seine Beziehungen zum Hof aufzugeben. An der Spitze seiner

Karriere bekleidete Marschalk das Amt eines mecklenburgischen Kanzlers.419

 

Seine historischen Arbeiten entstanden in Rostock und sind im Kontext von

Marschalks Verbindung mit dem mecklenburgischen Herrscherhaus zu sehen.

Sein Hauptwerk, die "Annalium Herulorum ac Vandalorum libri septem" erschien

1521. Eine mecklenburgische Reimchronik in deutscher Sprache wurde erst 1737

im fünften Teil der Amoenitates historicae des Pistorius gedruckt. Diese

419Wegele 1885, 89f; Krabbe 1878, 273ff; Schöttgens, Commentatio de vita N. Marscalci Thurii,

1752.


147

Reimchronik entspricht, was die hier relevanten Teile betrifft, inhaltlich im

wesentlichen den Annales.420

 

In Marschalks "Annales Herulorum ac Vandalorum" findet sich das Kapitel "Wer

die Vandalen, Sclaven und Sclavonen seyn".421 Benannt wurden die Slawen, wie

Marschalk aus Pseudo-Berossos zitiert, nach Vandalus, der nach Tuyscon König

war. Es folgen abenteuerliche Geschichten, die bis in Marschalks Gegenwart

führen.

 

Marschalk erfand einen Anthyrius mit einem Heruler als Vater und einer

Amazone als Mutter. Sein Vaterland sei die Gegend zwischen Krim und Don

gewesen. Anthyrius soll dann die Elbe hinaufgefahren sein, die Wenden, Vindilos

oder Vandalen besiegt haben und daraufhin den wendisch-deutschen Staat

Mecklenburg errichtet haben.422

 

Marschalk besprach auch schriftlose Monumente, nämlich Hügel-, Megalith- und

Urnengräber. Er bemühte sich um eine Zuweisung an verschiedene Stämme und

ebenso um eine soziale Klassifizierung der materiellen Hinterlassenschaften.

 

Diese Überlegungen sind natürlich aus der Sicht der heutigen Archäologie nicht

weiter zu diskutieren, für das frühe 16. Jahrhundert waren sie aber insofern eine

Innovation, als andere humanistische Geschichtsschreiber nur römische

Inschriften und Münzen in ihre Betrachtungen einbezogen hatten.

 

Erst 120 Jahre später mit den Arbeiten des Schweden Ole Worm kam es zu einer

breiteren Beschäftigung mit materiellen Hinterlassenschaften des Ostseeraums.

Worm kannte und verwendete für seine 'archäologischen' Arbeiten jedenfalls die

"Annales Herulorum ac Vandalorum" Marschalks.423

 

Marschalk widmete sein 1521 entstandenes Werk an Heinrich, den "illustrem

Megapolensem ducem, Vandalorum principem etc.". Neben dem schwedischen

und dem dänischen Königsttitel erscheint der Vandalenname also auch im

420Wegele 1885, 90 und Anm. 2.

 

421Marschalk, in: Westphalen, Monumenta inedita T. I, 1739, p. 198ff. Erstmals erschienen 1521.

 

422Marschalk, Annales, p. 217ff.

 

423Kirchner 1938, 12f.


148

mecklenburgischen Herzogstitel. Bezogen war er auf das bis 1436 von einer

Seitenlinie regierte Fürstentum Wenden.424

 

Die Titelfolge in der Intitulatio der Diplome der mecklenburgischen Herzöge vor

1418 blieb allerdings ohne den Wenden/Vandalennamen. Sie lautete etwa Ende

des 14. Jahrhunderts: "(...) Wi Albrecht van der gnade godes herteghe to

Mekelenborg, greue to Zwerin, to Stargarde unde to Rosteke here (...)".425

 

Das Interesse Marschalks an einer 'historischen' Erklärung des

Wenden/Vandalennamens basierte auf der Entwicklung des mecklenburgischen

Herzogtums, das wie die 'wendischen' Städte in altem slawischem Gebiet, also im

'Wendenland', lag.

 

Die seit Beginn des siebten Jahrhunderts im Gebiet des späteren Mecklenburg

lebenden slawischen Gruppen der Abodriten im Westen und der Liutizen im

Osten konnten immer nur für einen kurzen Zeitraum in den Reichsverband

integriert werden. Politisch erscheinen die Abodriten zuerst im Bündnis mit dem

Frankenreich. Im Laufe der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts gerieten sie

aber mehr und mehr in den dänischen Einflußbereich.426

 

Unter den Ottonen war die Abhängigkeit vom Reich wieder stärker. Der jüdisch-

arabische Reisende Ibrahim ibn Jakub aus Tortosa im spanischen Kalifat bereiste

im Jahr 965 Europa und hatte Kaiser Otto I. in seiner Magdeburger Residenz

aufgesucht. Kurz darauf kam Ibrahim an den Hof des Abodritenherrschers Nakon

auf der Mecklenburg. Ibrahim schrieb, dieser slawische Fürst sei neben dem

Bulgarenzar und den Herrschern von Böhmen und Polen der mächtigste

slawische Fürst.427

 

Im Zusammenhang mit der Eroberungs- und Missionspolitik Ottos I. gegenüber

den Slawen östlich von Elbe und Saale entstand 967 das abodritische

Missionsbistum Oldenburg in Holstein, das dem Erzstuhl Hamburg-Bremen

unterstellt wurde. Die Dynastie der Nakoniden nahm im 10. Jahrhundert das

Christentum an. Ein um 995 auf der Mecklenburg (Michelenburg)428 bei Wismar

 

 

424Köbler 1999, s.v. Mecklenburg, 331.

 

425Diplom von 1385 nach Juni 15, Wismar, MUB XX, No. 11600, p. 276.

 

426Köbler 1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47ff.

 

427Herrmann 1986, 276.

 

428Michelenburg erscheint in einem Diplom Ottos III. von 995.


149

erstmals erwähntes Bistum wurde 1066 im Kontext eines Aufstands des

nichtchristlichen abodritischen Adels wieder zerstört. Die Michelenburg war

Hauptfürstensitz der abodritischen Dynastie und gab Mecklenburg nach 1256 den

Namen.429

 

1147 hatte Bernhard von Clairvaux im Zusammenhang mit dem zweiten

abendländischen Kreuzzug zu einem "Wendenkreuzzug" gegen die nördlichen

Elbslawen aufgerufen. Der Sachsenherzog Heinrich der Löwe konnte sich so dem

Jerusalemzug entziehen und griff die Abodriten und ihren Hauptsitz Dobin am

Schweriner See an. Albrecht der Bär machte sich von dem bis kurz zuvor

slawischen Brandenburg aus gegen Demmin und Stettin auf. Auch die Dänen und

die Polen beteiligten sich an diesem Nebenunternehmen des zweiten

Kreuzzugs.430

 

Die sächsische Expansion vor und nach dem Wendenkreuzzug zeitigte Erfolge.

Die westlichen Teile des Gebiets der Abodriten fielen an sächsische

Territorialfürsten. Der östliche Teil unter dem Nakoniden Niklot konnte sich

vorerst behaupten. 1154 wurde das Bistum Ratzeburg, nach 1160 das Bistum

Schwerin gegründet. Heinrich der Löwe besiegte 1160 den im Osten

Mecklenburgs herrschenden Fürsten Niklot aus dem Haus der Nakoniden

endgültig. Die Nakoniden hatten die Abodriten im Laufe des 11. und 12.

Jahrhunderts in einer Herrschaft zusammmengefaßt. 1167 gab Heinrich das

Gebiet mit Ausnahme der neugeschaffenen Grafschaft Schwerin Niklots Sohn

Pribislaw, der seinerseits die bis 1918 regierende mecklenburgische Dynastie

begründete, als sächsisches Lehen.431 Diese mecklenburgische Dynastie war also

eine in den Reichsverband integrierte slawisch-abodritische Herrscherfamilie, was

die hier besprochenen dynastischen Konzepte verständlich macht.

 

Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen kam das Gebiet bis 1227 unter dänische

Oberhoheit. 1229 bis 1238 teilten sich dann die vier Urenkel Pribislaws das Land

Mecklenburg in die Teilgebiete Mecklenburg(-Schwerin), Werle, Rostock und

Parchim. Bis 1436 fielen die letzten drei Territorien wieder an die Linie von Mecklenburg(-Schwerin) zurück. 1256 wurde Wismar Fürstensitz, doch wurde

429Köbler 1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47ff; Hermann 1972,

37ff.

 

430LMA VII, s.v. Wendenkreuzzug, 2183.

 

431Kahl 1962, 78ff; Hermann 1972, 45-67; LMA I, s.v. Abodriten, Obodriten, 47ff.


150

der Name der Michelenburg Landesname. 1347/48 wurde Mecklenburg unter

Karl IV. nach Ablösung der Lehenshoheit von Sachsen-Lauenburg zum

reichsunmittelbaren Herzogtum.432

 

Seit 1418 nannten sich die Herren von Werle Fürsten von Wenden (der lateinische

Titel lautete: "princeps Vandalorum/Venedorum") und bereiteten durch einen

Erbvertrag die Vereinigung der Güter vor. 1426 fielen die werlischen Güter an

Werle-Güstrow und 1436 beim Aussterben dieser Linie an Mecklenburg Schwerin

und Mecklenburg Stargard. Brandenburg wurde 1442 durch Geldleistungen,

Pfandrückgabe und Einräumung eines Eventualerbrechts in Mecklenburg

abgefunden. Am Ende des 18. Jahrhunderts gehörte Mecklenburg zum

niedersächsischen Reichskreis.433

III.2.7.2. David Chyträus. Die Fortsetzung der Arbeiten von Albert Krantz

 

David Chyträus (1530 - 1600) wurde in Ingelfingen bei Schwäbisch-Hall geboren

und studierte in Tübingen und Wittenberg. Er war ein Schüler Melanchthons.

1561 folgte Chyträus einem Ruf an die Universität Rostock und wurde dort

Professor für evangelische Theologie. Chyträus arbeitete intensiv am Aufbau einer protestantischen Kirchenorganisation in Mecklenburg mit und genoß das

Vertrauen und die Unterstützung des mecklenburgischen Hofes. Er unterhielt ein

ausgebautes Netz an Briefpartnern oder besser gesagt gelehrten

Korrespondenten.434

 

Seine biographischen Arbeiten zu zeitgenössischen Persönlichkeiten hat Chyträus

nach dem Vorbild Melanchthons in Form von Reden verfaßt. Unter anderem

schrieb er Reden für die Habsburgerkaiser Karl V., Ferdinand I. und Maximilian

II.435 Seine Arbeiten zur norddeutschen Geschichte schließen sich als deklarierte

Fortsetzungen an die Werke von Albert Krantz an.

 

In der Continuatio Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500 von 1585 versuchte

Chyträus eine zeitgeschichtliche Fortsetzung der Wandalia. Unter Vandalia im

 

 

432Hamann 1968, 23-78; LMA VI, s.v. Mecklenburg, 438-442.

 

433Köbler 1999, s.v. Mecklenburg, 331ff; s.v. Wenden, 604; s.v. Werle, 606; Zedler 47, s.v. Wenden,

2002f.

 

434Wegele 1885, 426ff; Krabbe 1870, 12-67.

 

435Wegele 1885, 427 und Anm. 1.


151

geographischen Sinn verstand er dasselbe wie Krantz, also die norddeutschen

Gebiete am balthischen Meerbusen inklusive Pommern und alle slawischen

Länder. Entsprechend finden sich auch Nachrichten aus Russland, Polen und

Böhmen. Mit der Entfernung von Rostock nimmt die Zahl dieser Nachrichten

allerdings ab. Die Ereignisse der Reformation und der Aufbau einer reformierten

Kirche, Prozesse an denen Chyträus intensiv beteiligt war, stehen dabei im

Zentrum der Darstellung.436

 

Chyträus setzte auch die Hamburger Kirchengeschichte, die Metropolis von Albert

Krantz, für die Jahre 1500 bis 1586 fort. Die acht Bistümer, die Krantz ausgelassen

hatte, weil sie nicht zu Niedersachsen gehörten, bezog Chyträus in seine

Fortsetzung mit ein. Der Titel Praemium metropolis seu succesionum episcoporum in

ecclesiis Saxoniae et Vandaliae ist eine Anspielung auf Krantz. Gemeint ist mit

Vandaliae et Saxoniae der Bereich der alten hamburgischen Kirche, nur erweitert

um die erwähnten acht Bistümer. Sicher muß man aber berücksichtigen, daß im

Zuge der reformatorischen Neuorganisation der kirchlichen Struktur, auch ein

anderer Anspruch ausgedrückt werden sollte.437

 

Im Auftrag Herzogs Ulrich von Mecklenburg verfaßte Chyträus einen

Stammbaum des mecklenburgischen Hauses. Dieser konnte für die vorliegende

Studie nicht eingesehen werden. Der Herzog hat an diesem genealogischen Werk

selbst mitgearbeitet. Der Stammbaum enthält nur wenige Informationen zu

Vorstellungen von der Frühzeit. Die Abstammung der Nabodriten von Anthyrius

wurde aus Marschalks Annalen übernommen.438

III.2.7.3. Johannes Simonius: Die "Vandalia" von 1598

 

Simonius (1565 - 1627) begann seine Karriere als Hofmeister des Herzogs Wilhelm

in Kurland. Er wurde dann zum Professor für Poesie und Eloquenz in Rostock

ernannt, lehrte also an der Universität, der hundert Jahre zuvor Albert Krantz

vorgestanden hatte. Gleichzeitig bekleidete Simonius das Amt eines Protonotarius

436Chyträus, Continuatio Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500, 1585, I und II.

 

437Chyträus, Praemium metropolis seu succesionum episcoporum in ecclesiis Saxoniae et

Vandaliae, 1586.

 

438Vgl. Krabbe 1870, 354ff.


152

am Landgericht des Herzogtums Mecklenburg. Schließlich wurde er auf ein

Professorenamt in Uppsala berufen.439

 

Johannes Simonius entwickelte in seiner 1598 geschriebenen "Vandalia" ebenfalls

ein Konzept, das eine 'deutsche' Wurzel in der frühen Geschichte Mecklenburgs

zu erweisen suchte. Die mecklenburgischen Wenden waren in der Erzählung des

Simonius erst im Jahr 500 aus den Slawen und den antiken Vandalen entstanden.

Simonius teilte die Wenden auf Basis der Völkernamen, die Helmold von Bosau in

seiner Chronica Slavorum genannt hatte, in vier Gruppen ein. Diese sind nach den Himmelsrichtungen untergliedert.

 

Der von Simonius verwendete Überbegriff für die westliche slawische Gruppe aus

der die Mecklenburger und damit auch die nabodritische Herrscherdynastie

entstanden, ist gemäß seiner Vorstellung von der 'Ethnogenese' der

mecklenburgischen Wenden Slavo-Vandalica.440 Die nördliche Gruppe der Slawen

besteht aus den Rügern, Femern und Wismern, die östliche aus den Pommern,

Kissin, Lebres und Tolenz, die westliche aus den Obotriten, Liutizen und anderen,

die südliche aus den Hevellern und Beizanern.441

III.2.7.4. Bernhard Latomus und sein "Genealochronicon

Megapolitanum"442

 

1610 entwarf Bernhard Latomus in seinem "Genealochronicon Megapolitanum"

ein Konzept, das an der wahren historischen Größe des Hauses Mecklenburg

keinen Zweifel mehr aufkommen lassen konnte.

 

Zur Zeit der Zerstörung Troias seien die Vandalen nach Paphlagonien gewandert,

nannten sich darauf Henetoi und sandten nicht nur eine Kolonie unter einem

gewissen Antenor nach Venedig, sondern auch einige Vandalen nach

Griechenland. Diese griechisch gewordenen Vandalen flohen vor den Persern

unter Xerxes nach Thrakien und siedelten sich dort bei Abdera an. Deshalb

 

 

439Zedler 37, s.v. Simonius (Johann), 1492.

 

440Simonius, Vandalia, in: Westphalen, Monumenta inedita T. I, 1739, p. 1542ff. Erstmals

erschienen 1598.

 

441Simonius, Vandalia, p. 1543.

 

442Zedler 16, s.v. Latomus, 911. Das Lemma enthält lediglich eine kurze Erwähnung der Schriften

des Bernhard Latomus. Ansonsten war kein biographisches Material zu finden.


153

nannten sie sich bald Abderiten, was den slawischen Abodriten eine antike und

germanische Geschichte gab. Damit war der Zweck des Werks, nämlich der mecklenburgischen Herzogsdynastie eine würdige Wurzel herbeizuschreiben,

erfüllt.443

 

Latomus sagt kurz später explizit, es handle sich bei den Abderiten in Wahrheit um

die Vorfahren der slawischen Abodriten/Obotriten. Anthyrius einer der Könige

der Abderiten war ein Freund Alexanders des Großen und des schwedischen

Kronprinzen Barvan, den er am Hofe Alexanders kennengelernt hatte.

 

Nach Alexanders Tod wurden die Abderiten von Cassander aus Abdera vertrieben

und schifften sich nach Schweden zu Barvan ein. Auf ihrer Wanderung durch

Europa durchzogen die Vandalen-Abderiten die Provinz Wallis. Sie hinterließen

dort den Namen Venedotia. Mitgeführt haben diese Abderiten eine Flagge mit dem

Kopf von Alexanders Bucephalus, welcher später zum Wappen Mecklenburgs

wurde. Andere von Cassander vertriebene Vandalen zogen über Land durch

Sarmatien und Thule bis sie zu Anthyrius stießen.444

 

Anthyrius heiratete, am Ziel angekommen, die Schwester seines Freundes Barvan,

des schwedischen Kronprinzen. Barvan schenkte den Vandalen-Abderiten einige

wüste Inseln als eigenes Land. Anthyrius nahm aber Mecklenburg in Besitz und

baute dort Städte nach griechischem Vorbild, wie Megalopolis (Mecklenburg) und

Bucephalea (Buckow).

 

Er eroberte oder stiftete weiters für seine Söhne 13 Königreiche und 24

Fürstentümer und erbte dann noch Schweden, Finnland und Sarmatien. Den

Venetianern, seinen Stammvettern, sandte er dann noch die Kimbern gegen

Marius zu Hilfe. Seine Nachfolger ließen die Heruler, Vandalen und Burgunder

nach Italien ziehen. Dadurch wurde ihr Land entvölkert und es kamen

sarmatische Wenden nach Mecklenburg. Dies ließ die Slawen erst entstehen.445

 

In der mecklenburgischen Hofhistoriographie des 16. und 17. Jahrhunderts wurde

auf Basis der Identifikation der Wenden mit den antiken Vandalen und den

443Latomus, Genealochronicon Megapolitanum, in: Westphalen, Monumenta inedita T. IV, 1745, p.

9ff. Erstmals erschienen 1610.

 

444Latomus, Genealochronicon Megapolitanum, p. 23ff.

 

445Latomus, Genealochronicon Megapolitanum, p. 22ff.


154

Mitteln der literarischen Fiktion das ehrwürdige Alter des mecklenburgischen

Hauses hervorgehoben.

 

Zum einen ist dies aus der deutschen humanistischen Rezeption des Pseudo-

Berossos und seiner Verwendung bei Krantz zu verstehen. Slawen und Germanen

waren eigentlich gleicher Abstammung und bis in die ersten Zeiten seien

Nachrichten über diese Vorfahren zu greifen. Alle behandelten Texte erfüllten

also den Wunsch nach einem Platz der eigenen Vorfahren in der alten Geschichte.

Besonders zu betonen ist der, im Verhältnis zu einer recht unklaren Vorstellung

von einer überregionalen aktuell-politischen wie historisch-antiken Identität,

klarer ausgeprägte lokale Patriotismus.

 

Zweitens basiert dieses Konstrukt auf der mittelalterlichen Gleichsetzung von

Wenden und Vandalen und war auch für einen gelehrten Leser kein krasser

Widerspruch. Ein solcher gebildeter Leser wird eher den intellektuellen Reflex

gehabt haben, endlich zu verstehen, was in den Autoren des Mittelalters nur

angedeutet worden war.

 

Zuletzt sei eine österreichische Kuriosität erwähnt, die das "Genealochronicon

Megapolitanum" von Bernhard Latomus rezipierte. Der österreichische

Sprachforscher Johann Sigmund Valentin Popowitsch (1705 - 1774) nahm auf die

angebliche Beziehung zwischen den vandalischen Königen im Norden und den

Venetern in Oberitalien bei Latomus bezug, um zu zeigen, daß die Heruler und

Rugier zu den slawischen Werlern und Rugen geworden seien.

 

Popowitsch hatte verschiedene, meist ungedruckte, Untersuchungen zu

südslawischen Sprachen geschrieben. Er wollte erweisen, daß die

"österreichischen Wenden" alte, quasi slawisierte, Germanen seien. Diese

"österreichischen Wenden" würden, so Popowitsch, viele in der Wurzel

plattdeutsche Wörter verwenden. Verstehbar sei dies nur, wenn man die

Geschichte der Heruler als aus dem Norden nach Italien geschicktes Volk, wie sie

bei Latomus dargestellt worden war, berücksichtige. Als historischen

Hintergrund seiner Überlegungen bediente sich Popowitsch also der Modelle des mecklenburgischen Hofhistoriographen und der Grundidee von der eigentlich

germanischen Abkunft der Wenden-Vandalen.446

446Popowitsch, Erstes Probestück vermischter Untersuchungen, 1749, p. 49.

Wurzbach 23, p. 108-111.


155

Immer wieder scheint die mitunter schwer rekonstruierbare Geschichte der

völkerwanderungszeitlichen gentes dazu herauszufordern, Identitäten aus dem

Blickwinkel der eigenen Zeit neu zu definieren. Das Festlegen der Ahnen spielt

dabei eine wichtige Rolle. Derselbe Reflex läßt sich in der mecklenburgischen Hofhistoriographie wie in Publikationen der Gegenwart beobachten.

Die vom Verfasser nicht eingesehenen Manuskripte von Popowitsch zu den slawischen Sprachen

sind im Wurzbach genannt: "In grammaticam Vindicam edendam, id est: Vinidarum seu

Vindorum australium cogitata et praeparata" und "Specimen vocabularii Vindo-Carniolici".


156

IV. Die Historisierung des Vandalennamens

IV.1. Die Entwicklung von der Gleichsetzung

Vandalen=Wenden zur historischen Darstellung

in Wörterbüchern und anderen Texten des 16. -

18. Jahrhunderts

 

Anhand von Lexika und Wörterbüchern kann die Entwicklung der Vorstellungen

hinter dem Vandalennamen nach dem 16. Jahrhundert am prägnantesten

demonstriert werden. Im wesentlichen handelt es sich um einen Prozeß der

'Historisierung'. Die Gleichsetzung von Vandalen und Wenden verschwindet und

weicht einer ausführlicheren, problemorientierten Darstellung der antiken und frühmittelalterlichen vandalischen Geschichte.

 

Im ältesten eingesehenen deutsch-lateinischen Wörterbuch, der von Josua Maaler

1561 herausgegeben "Teutschen spraach", findet sich sub voce "Wenden (die)

Sorabi" die lateinische Wiedergabe mit "Vandali".447

 

Der "Wende" in der Bedeutung Slawe wird im folgenden Lemma mit "Vandalus"

oder "Venedus" übersetzt.448

 

Auch das Herzogtum Wenden wird in der "Teutschen spraach" mit dem

folgenden Eintrag latinisiert. "Wenden/ ein Herzogtum in Pommern/ Ducatus

Vandaliae s(eu) Venedorum".449

 

Das Adjektiv "Wendisch" ist mit "venedicus, vandalicus" wiedergegeben und

"Windisch" ebenfalls mit "venedicus".450 Worin der Unterschied zwischen den

beiden Bezeichnungen bestehen soll ist nicht ersichtlich.

 

Der Wortgebrauch in der verbreiteten "Teutschen spraach" zeugt von der

Selbstverständlichkeit der Gleichsetzung Wende/Vandale noch im 16.

447Maaler, Teutsche spraach, 1561, s.v. Wenden, p. 456.

 

448Maaler, Teutsche spraach, 1561, s.v. Wende, p. 456.

 

449Maaler, Teutsche spraach, 1561, s.v. Wenden (ein Herzogtum in Pommern), p. 456.

 

450Maaler, Teutsche spraach, 1561, s.v. Wendisch/Windisch, p. 456.


157

Jahrhundert. Offenbar galt Vandalus als selbstverständliche Latinisierung des

Ethnonyms Wende.

 

Ein weiteres Zeugnis für die Selbstverständlichkeit der Gleichsetzung slawisch-

vandalisch stammt aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Im Rahmen einer

Sprachenliste bei Johann Heinrich Alstedius wird die lingua Vandalica erwähnt.

Gemeint sind in diesem Fall die slawischen Sprachen im Elbe- und Ostseegebiet.

 

Eingeleitet ist die Liste verschiedener europäischer Sprachen mit den Worten:

"Linguas LXXII hoc modo enumeramus, iuxta seriem alphabeti".451

 

In die Besprechung der Wörterbücher und Lexika eingereiht sei noch ein Beispiel

für die gängige Latinisierung des Adjektivs wendisch/slawisch als vandalicus.

 

Der Titel einer Gesetzeskompilation in lateinischer Sprache für die Insel Rügen

von 1724 lautet: "De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani eiusque

compositione oratio quam sub ipsis rectoratus academici auspiciis".

 

In der Einleitung beschreibt der Jurist Joachim Andreas Helwig einen

spätmittelalterlichen Rechtscodex, der Bestimmungen von dreierlei Provenienz

enthalten habe, die auf Rügen der juristischen Praxis zugrunde lagen. Der

compilator dieses von Helwig nicht näher datierten Codex "nobis referat, ius

trifariam in Rugia administrandum esse". Dieses "ius trifariam" sei nun aus dem

vandalischen, dänischen und schwedischen Recht zusammengesetzt, also "ex iure

scilicet Vandalico, Danico & Sverinensi".452

 

Der Codex selbst hatte auch einen deutschen Titel, den Helwig einige Seiten

später auch nennt. "Codex autem ipse antiquum Vandalico-Rugianum ius

Provinciale inscribebatur, dass Olde Wendische Rugianische Landtrecht."453 Anfang

des 18. Jahrhunderts war es für einen gelehrten Juristen der Universität

Greifswald als weiter nicht verwunderlich, im Zusammenhang mit slawischen Rechtsgewohnheiten im Ostseeraum wendisch mit vandalisch zu übersetzen.

 

König Friedrich der Große schrieb Mitte des 18. Jahrhunderts eine

brandenburgische Geschichte, die der richtigen Erziehung der Eliten dienen sollte.

451Johann Heinrich Alstedius, Thesaurus chronologiae, 1650, p. 265f; Borst 1957-1963, II/2, 952.

 

452Joachim Andreas Helwig, De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani, 1724, p. 15.

 

453Joachim Andreas Helwig, De Codice iuris provincialis vandalico-rugiani, 1724, p. 23.


158

Geschichte, so meint der König in seiner Einleitung, sei die Schule der Prinzen

und Edlen. "L'histoire peint à leur mémoire les règnes des souverains qui ont été

les pères de la patrie, et des tyrans, qui l'ont disolée."454

 

In den Ausführungen zur mittelalterlichen Geschichte der Markgrafen von

Brandenburg verwendete der König durchgehend "Vandales" für die

elbslawischen Gegner der Grafen. Die Kämpfe zwischen Sachsen und Slawen im

10. und 11. Jahrhundert erscheinen bei Friedrich dem Großen durchgehend als

Kämpfe gegen die Vandalen. Die Markgrafen seien ständig in Scharmützel "contre

les vandales et d'autres peuples barbares" verwickelt gewesen. Der Nakonide

Primislaw wird als "prince des Vandales" bezeichnet.455 Noch 1750 ist die

Gleichsetzung Vandalen-Wenden also der Normalfall, zumindest beim Versuch,

Völkernamen des Ostseegebiets lateinisch oder französisch wiederzugeben.

 

In Frankreich selbst ist die Bezeichnung Pays des Vandales für Preußen in der

ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts zu greifen. Zumindest bei der hier

zitierten Nennung aus einem Brief Voltaires ist keine peiorative Bedeutung mit

dieser Wortverwendung beabsichtigt. Auch im Spanischen erscheint die

Bezeichnung 'vandalisch' für die Preußen in einer europäischen Geschichte von

Federico Vidal. "Raubaire de nacien, Prussian, raço vandalo (...)"456 Es handelt sich

bei diesen Beispielen um ein Fortleben der mittelalterlichen Bedeutung vandalisch-wendisch-slawisch auch in den romanischen Sprachen.

 

Im Thesaurus des Basilius Faber in der Ausgabe von 1692 findet sich die aus

Pseudo-Berossos beziehungsweise Tacitus abgeleitete Vorstellung von der

Herkunft der Vandalen von König Tuisco und seinem Sohn Vandalus. Die

Vorstellung von der späteren Einwanderung der Poloni, Pomerani, Cassubii und

Bohemi in die ehemals vandalischen Gebiete, die Vandalia also, liegt dem Lemma

zugrunde. Nur der alte Name der Weichsel, Vandalus, ist aus Kadlubek oder einer

späteren Verarbeitung seiner polnischen Geschichte in den Thesaursus

eingegangen. Im Lemma Sclavi wird Philipp Clüvers Germaniae antiquae libri tres

(vgl. unten IV.3.) zitiert. Die hier verwendete Ausgabe des Thesaurus wurde 1692

454Friedrich der Große, Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandenbourg, 1749, p. 2.

 

455Friedrich der Große, Mémoires pour servir à l'histoire de la maison de Brandenbourg, 1749, p.

19ff.

 

456Die beiden Zitate nach Messmer 1960, 53, Anm. 256.


159

gedruckt und überarbeitet. Da im Thesaurus nicht zitiert wurde, lassen sich die

verwendeten Quellen nicht mit Sicherheit feststellen.

 

Sub voce "Vandalus" findet sich folgendes Lemma. "Tuisconum rex fuit, a quo

Vandali, populosissima natio & Vandalia, quam nunc tenent Poloni, Pomerani,

Cassubii, Bohemi & gentes apud Vistulam fluvium, qui priscis Vandalus dicebatur,

Altham. Vide Sclavi."457

 

Das Lemma "Sclavi" im Thesaurus des Basilius Faber läßt die Slawen von den

Venetern abstammen, bietet aber noch die alternative Erklärung, die Slawen

wären ein sarmatischer Stamm und beruft sich dabei auf Clüver. Der

Wendenname erscheint explizit als germanische Fremdbezeichnung. Die Deutung

des Slawennamens als "Verbosi" in Kombination mit der Erwähnung der

babylonischen Sprachverwirrung findet sich in analoger Form in der böhmischen

Geschichte des Aeneas Silvius Piccolomini von 1575.458

 

"Sclavi, seu Slavi, Gens a Venetis oriunda, quos inter Magnae Germaniae gentes

declarat Tacitus. Alii Sarmatici generis faciunt & verius, ut Cluverius judicat, lib.

III Ant. Germ. cap. XLIV. Vagi & mercenariam militiam facientes late fuderunt

nomen non per Sarmatiam tantum, sed et Germaniam ipsam; in Illyricum usque

ad Histriam, ubi et sedes fixere, penetrantes, unde progressi Bohemiam

occuparunt. Hinc Poloni, Bohemi, Dalmatae et nostri per germaniam Wendi,

unam linguam utuntur, quae Sclavonica dicitur, nec nisi dialectis diversa. (...)

Referunt enim originem generis ad ipsam confusionis linguarum turrim. Ubi

auctores et conditores Sclavones, id est Verbosos, se appelarint: Deinde ex Asia in

Europam transgressi, occuparunt agros, ubi nunc Bulgari, Servii, Dalmatae,

Croatae et Bosnenses colunt. (...)"459

 

Das weit verbreitete Lexikon von Calepino, das erstmals 1726 erschien, bietet drei

Varianten zur vandalischen Geschichte an. Die erste ist ein aus den antiken

Quellen gezogener Abriß des historischen Verlaufs. Die ursprünglichen

vandalischen Wohnsitze werden im Herzogtum Mecklenburg lokalisiert. Die

Gleichsetzung mit Fenni und Venedi ist eine eigenwillige Interpretation des

Tacitustexts. Bei der zweiten Variante handelt es sich um eine geraffte Wiedergabe

457Faber, Thesaurus, 1587/1692, s.v. Vandalus, p. 2720.

 

458Aenaes Silvius, De Bohemorum origine ac Gestis historia, 1575, p. 4.

 

459Faber, Thesaurus, 1587/1692, s.v. Sclavi, p. 2543.


160

der polnischen Traditionen des 13. Jahrhunderts. Die Königin Vanda und der von

ihrem Namen abgeleitete Vandalenname ihrer Untertanen stammt zuerst aus

Kadlubeks Chronik. Die dritte Variante bezieht sich auf die humanistischen

Schriftsteller und erwähnt die Vorstellung der vandalischen Herkunft nach

Berossos. Auf diese Traditon wird aber praktisch nicht mehr eingegangen.

 

"Vandali, Venedi, Fenni, Sclavi, populus Septentrionales, qui olim tenere

Germaniam ad oram maris Baltici, ubi Ducatus Megalopolitanus est, Vandalia

olim dictus, deinde per Pomeraniam, Poloniam, Slesiam, Bohemiam, Russiam,

Dalmatiam effusi sunt, postea progressi sunt in Galliam, inde in Hispaniam,

ibique sedes in Baetica locarunt, quae propterea Vandalia, seu Vandalitia magna

ex parte nominata est, nunc Andaluzia, inde in Africam trajicientes, illam

occuparunt, diuque tenerunt, sicuti et Sardiniam, sub Geinserico Rege. Alii

Vandalos a Vanda Regina dictos tradunt et primo in Polonia circa Vistulam

fluvium habitasse. Alii ex Beroso dictos malunt a Vandalo filio Tuisconis, nepote

Manni Vandalorum."460

 

Im Steinbachschen Wörterbuch von 1734 wird als lateinische Entsprechung der

"Windischen Mark", also Krains, "Venedorum marchia" angegeben. Die

Gleichsetzung vandalisch-wendisch/windisch kam außer Gebrauch und die

Vorstellung von den bei Tacitus und Plinius erwähnten Venetern als Vorfahren

der Slawen fand auch in die Latinisierungen Eingang. Zu "Wende" und

"Windisch" bringt Steinbach nur noch "Sclavus/Slavus" als lateinische Formen.461

 

In Zedlers "Grossem Universallexikon" von 1745 finden sich sehr umfangreiche

Einträge zu den Vandalen im allgemeinen und den "Vandalischen Städten" im

besonderen. Im Vergleich zu Calepinos Lexikon oder Fabers Thesaurus fällt auf,

daß den Spekulationen des 16. Jahrhunderts nicht einmal mehr eine Erwähnung

zuteil wird. In den genannten Werken war zwar die Gleichsetzung von Vandalen

und Wenden auch nicht mehr enthalten, man fühlte sich aber offenbar bemüßigt,

die verbreiteten Spekulationen zu erwähnen.

 

Die Betonung des gemeinsamen Ursprungs war, wie oben gezeigt werden konnte,

nur in spezifischen Kontexten vorgenommen worden und erfüllte einen klar

benennbaren politisch-ideologischen Zweck. Im Zedler ist die Frage der

460Calepino 1726, s.v. Vandali, p. 521.

 

461Steinbach, Wörterbuch 1734, s.v. Wende, p. 972/s.v. Windisch, p. 996.


161

vandalischen Identität historisiert. Auf die häufige Verwechslung mit den

Wenden wird explizit hingewiesen, ohne jedoch die Gründe und

Argumentationen zu schildern.

 

"Um dieselbe Zeit, als die Macht der Vandalen in Africa zerfiel, ward auch ihr

altes Vaterland an der Ost-See in Deutschland, welches weyland die Grenze aller

Vandalischen und Gothischen Völker gewesen, nun aber von Einwohnern gantz

erschöpffet war, von den Venedis oder Wenden, einem Sarmatischen Volcke,

überschwemmet und eingenommen. Daher ist der Irrthum gekommen, daß man

die Vandalen und Wenden, bevorab da ihre Nahmen fast gleiches Lauts waren,

mit einander vermenget hat, welche doch von einander wohl zu unterscheiden

sind."462

 

Als Quellen sind im Zedlerschen Lexikon verschiedene antike und byzantinische

Autoren genannt. Es handelt sich um Dio Cassius, Zosimus, Dexippus, Petrus

Patricius, Eutrop, Prosper Tiro, Gregor von Tours, Hydatius, Jordanes und Paulus

Diaconus. Als hochmittelalterliche Quelle wurde für den Artikel Helmold von

Bosau herangezogen. Seine Slawenchronik diente allerdings lediglich als Beispiel

für die falsche Verwendung des Vandalennamens. Die "Deutsche Geschichte" von

Johann Jacob Mascov ist das einzige zitierte zeitgenössische Werk. Die im

Zedlerschen Lexikon ausgeführten Standpunkte sind dieser "Deutschen

Geschichte" entnommen, was bis in die Formulierungen nachweisbar ist.

 

Das Lemma "Vandalische Städte, Urbes Vandalicae" beinhaltet auch

Ausführungen zur vandalischen Geschichte. Der Text versucht die Benennung der

Städte zu problematisieren, kann sie aber nicht erklären. Der einzige Grund für

die Bezeichnung, den der Autor angeben kann ist, daß verschiedene Schriftsteller

Vandalen und Wenden verwechselt haben. Der im Titel der dänischen und

schwedischen Könige enthaltene Vandalenname wird auf denselben Irrtum

zurückgeführt. Ob der Autor des Lemmas nun annimmt, daß die Königstitel

einen Bezug zu den wendischen Städten haben, oder nur andeuten will, daß der

Irrtum auch in diesem Fall vorhanden war, bleibt unklar.

 

"Es machen zwar viele noch darüber Scrupel, warum sie also genennet würden,

indem doch die Vandaler, Völcker Deutschlands im vierdten Jahrhundert

gewesen zu welcher Zeit aber noch keine Städte in Deutschland gewesen wären.

462Zedler 46, s.v. Vandalen, 507.


162

Und es ist auch dieser Scrupel nicht unerheblich, weil darin ein großer error

popularis beruhen soll. Denn es sind zweyerley Völcker von diesen in Deutschland

bekannt gewesen, die zwar fast einen Nahmen gehabt, aber sonst weit

voneinander unterschieden gewesen, nehmlich die Vandalen und Vinidi zu

deutsch die Wenden und Wandalen. Diese werden von vielen Scriptoribus

wiewohl mit Unrecht untereinander vermischet, welches auch dahin gediehen,

daß man die Städte, die Wendischen oder Vinidischen Städte heissen sollte, und

an der Ora maris Balthici liegen, nunmehro unrecht die Vandalischen heisset. [Die grammatikalische Konstruktion sic!] Denn es waren die Vandalen ein zusammen

gelauffener Schwarm deutscher Völcker, und die ihren Namen von dem

rumwandern bekommen. Diese haben in dem eilfften Jahrhundert [sic!] sich

aufgemachet, und sind durch Franckreich und Spanien gerücket, haben sich auch

hinüber in Africa begeben, und allda ein eigen Reich aufgerichtet, welches aber im

sechsten Jahrhundert von Bellisario zerstöhret worden. Im sechsten Jahrhundert

aber nach Christi Geburt seynd die Vinidi deutsch Wenden auch die Slavi genannt

eine Sarmatische Nation aus Ungarn und Pohlen in Deutschland kommen, und

haben solches weit und breit, sonderlich was zwischen der Saale, Elbe und dem

Balthischen Meere lag, in ihre Gewalt gebracht. Und weil sie sich nun auch an

dem Ufer dieses Meeres starck niederliessen, und allda führnehmlich diese Städte

aufbaueten, als : Danzig, Stralsund, Elbingen, Wißmar, Königsberg und Riga, etc.

auch viele Deutsche sich mit ihnen vermischeten, sind sie per errorem die

Vandalischen Städte genennet worden. Wiewohl nicht zu leugnen, daß die

Vandalen vorhero auch diese Gegenden bewohnet haben, und die Wenden an

jener Stelle kommen seyn, siehe den Artickel: Vandalen. Wie denn aus dieser

Ursache die Könige von Schweden und Dännemarck den Titel Vandaliae unter

andern führen."463

 

Bei der Datierung "in dem eilfften Jahrhundert" muß es sich um einen Fehler des

Autors handeln. Ansonsten datiert er ja korrekt mit Jahrhunderten nach Christi

Geburt.

 

Zusammenfassend gesagt, ist in den Lexikoneinträgen des 18. Jahrhunderts eine

Historisierung des Problems zu beobachten. Historisierung bedeutet in diesem

Fall eine Beschränkung des Erklärungshorizonts auf die antiken Quellen und ein

Ausklammern des mittelalterlichen Wortgebrauchs. Das hatte zur Folge, daß die

verbreitete Gleichsetzung von Wenden und Vandalen samt ihrer

 

 

463Zedler 46, s.v. Vandalische Städte, 508f.


163

Instrumentalisierung für die Legitimation frühneuzeitlicher politischer Territorien

aus der gelehrten Literatur verschwand.

 

In den wendischen Städten und dem dänischen wie schwedischen Königstitel

lebte die Gleichsetzung fort. In der Wissenschaft ging man nicht mehr auf die

Sache ein, weil man sie auf einen schlichten Irrtum des Mittelalters reduziert

hatte. Das blieb auch in der Forschungsliteratur seit dem 19. Jahrhundert der

Stand der Dinge. So liegt keine Arbeit vor, die den schwedischen Königstitel

erklärt. Außer in Schafarschiks Überlegungen von 1837 wurden keine Versuche

unternommen, die synonyme Verwendung von Vandalen und Wenden in den

mittelalterlichen Texten zu deuten.

IV.2. Der schwedische Königstitel rex Suecorum,

Gotorum Vandalorumque

Die hier gebotenen Erklärungen beruhen lediglich auf Fußnoten in der

Sekundärliteratur. Aus welchen Gründen auch immer hatte die schwedische

Forschung bisher wenig Interesse an den Ursachen für den Vandalennamen im

Königstitel seit Gustav I. Wahrscheinlich hielt man den Titel für eine willkürliche

Kreation des Dynastiegründers, was ja nicht ganz unrichtig ist. Es wäre aber eine

lohnende Aufgabe, das intellektuelle Umfeld des Königs zu untersuchen. Es ist

anzunehmen, daß im Rahmen humanistischer Überlegungen die Annahme des

Titels gerechtfertigt wurde. Im 17. Jahrhundert geschah dies jedenfalls im Rahmen


164

der unten genannten Dissertationes. Letztere konnten für diese Arbeit nicht

eingesehen werden, da sie außerhalb Schwedens nicht auffindbar waren.

 

Wie schon in II.3.12. ausgeführt nahm der dänische König Knud VI. (1162/63 -

1202) nach seiner Anerkennung als oberster Lehnsherr durch die slawischen

Fürstentümer Mecklenburg und Pommern den Titel rex Danorum Sclavorumque an.

Der zweite Teil dieses Titels wurde in volkssprachigen Urkunden, die seit dem 14.

Jahrhundert überliefert sind, als Vendernes konung ins Dänische übersetzt.464 Der

dänische König Waldemar IV. Atterdag überfiel 1361 die Insel Gotland vor der

schwedischen Küste und gliederte sie seinem Reich ein. Interessant war die Insel

nicht zuletzt wegen des bedeutenden Handelshafens Witby. Nach dieser

Eroberung führte Waldemar neben den bisherigen auch den neuen Titel rex

Gothorum. Ins Dänische wurde die Titulatur als de Gothers Konge übersetzt.465

 

Der schwedische König Gustav I. Wasa (1496 - 1560) nahm vor dem Hintergrund

der Auseinandersetzungen Schwedens und Dänemarks um die Vorherrschaft in

der Ostsee den Titel Venders konung an. Latinisiert wurde dieser Titel als rex

Vandalorum. Gustav I. Wasa erweiterte den Titel der schwedischen Könige ohne

territorialen oder historischen Hintergrund. Dem ersten protestantischen

Erzbischof von Schweden, Olaus Petri (1493 - 1522), warf der König vor, die

schwedische Geschichte verstümmelt zu haben. Petri hatte die historischen

Vandalen und die Wenden auseinandergehalten und Kritik an der Erweiterung

des Königstitels durch Gustav Wasa geübt. Olaus meinte, es gehe nicht an, diesen

Titel zu beanspruchen, ohne wendische Besitzungen zu haben. Daß die

historischen Vandalen etwas mit den Schweden zu tun haben könnten schloß er

aus. Die Brüder Johannes und Olaus Magnus hatten dem König offenbar

brauchbarere Konzepte geliefert.466 Letztere verfaßten Texte mit

Geschichtskonzeptionen, die die Schweden auf die Goten zurückführten. Dabei

gingen sie ähnlich vor, wie Krantz und andere Humanisten, die zeitgenössische

Ethnien auf antike zurückführten. Olaus Petri dagegen arbeitete quellenkritischer

und entgegnete den Brüdern Magnus diverse Male. Auch im schwedischen

 

 

464Bohn 2001, 24; Hildebrand 1884, 59f. Für die freundliche Hilfe bei der Übersetzung aus dem

Schwedischen danke ich Stefan Donecker!

 

465Svennung 1967 a, 71 und Anm. 291.

 

466Hildebrand 1884, 59 und Anm. 1. Die von Hildebrand nicht genau zitierten Schriften von Petri

und den Brüdern Magnus konnten weder genau identifiziert noch eingesehen werden. Bei Olaus

Petri handelt es sich wahrscheinlich um sein Hauptwerk "En Swensk Crönicka".


165

Humanismus lassen sich also ähnliche Muster und Debatten wie im deutschen

feststellen.467

 

Schweden hatte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keine Besitzungen im

slawischen Siedlungsgebiet an der Ostsee. Goten und Vandalen sollten lediglich

Alter und Würde der schwedischen Könige garantieren. Die schwedische

Monarchie hatte sich erst seit Beginn des 16. Jahrhunderts als eigenständige

durchsetzen können. Zuvor bestand durch die Kalmarer Union von 1397 eine

Personalunion mit Dänemark. 1521 bis 1523 konnte Gustav Wasa mit Hilfe der

Hanse die dänischen Statthalter vertreiben und schwedischer König werden. Ein Dynastiegründer war also auf der Suche nach brauchbaren Legitimationen.

 

1632 schrieb Johann Ludwig Gottfried ein Werk mit dem Titel "Inventarium

Sueciae. Das ist gründliche und warhaffte Beschreibung des Königreichs

Schweden und dessen incorporierten Provinzen", das in Frankfurt am Main

erschien. Im Kontext des dreißigjährigen Kriegs wurde auch in Deutschland

Panegyrik für die Könige aus dem Norden verfaßt. Das erste Kapitel handelt von

den seit Beginn der christlichen Zeitrechnung in Schweden herrschenden

gotischen Königen und ihren Verwandten, die Skandinavien verlassen hatten, um

in Spanien und Italien Reiche zu begründen. Es sei an die Vorstellung der

'doppelten Goten' bei Adam von Bremen erinnert. "Erster Teil: schwedische und

gothische Könige, die von Christis Geburt hero so wol ausser als inner Lands

regieret bis zu Gustav Adolph König der Schweden, Gothen und Wenden."

Kapitel zwei beschränkt sich auf Gustav Adolph und die Geschichte des

dreißigjährigen Kriegs. "Zweiter Teil: Expeditionen und Verzeichnis der Siege

Eroberungen und Victorien, die der edle König bis jetzto erlangen konnte."

 

Gustav Adolph führt in diesem deutschen Text den Titel "König der Schweden,

Gothen und Wenden". Gottfried war die Bedeutung der Latinisierung von

Wenden als Vandalen offensichtlich geläufig. Der erste schwedische König, der im

"Inventarium Sueciae" den Wendennamen im Titel führt ist wenig überraschend

Gustav I. Wasa. Der Eintrag zum ersten Wasakönig wird ohne weiteren

Kommentar mit "Gustavus Erichson, der Schweden, Gothen und Wenden König"

überschrieben.468 Ein Titelkupfer mit dem der Eintrag zu König Erich XIV., dem

Nachfolger Gustavs I., beginnt nennt einige Seiten weiter erstmals in der

467Mörke 1996, 120f.

 

468Gottfried, Inventarium Sueciae, 1632, p. 68.


166

Latinisierung des Königstitels den Vandalennamen: "Ericus D.G. Suecorum

Gothorum, Vandalorum etc. Rex".469

 

Zwischen Karl IX. von Schweden und dem dänischen König Christian IV. brach

im 17. Jahrhundert ein Streit um Wappen und Titel aus. Ergebnis war eine

neuerliche Erweiterung des schwedischen Titels um die seit dem 16. Jahrhundert dazugewonnenen Gebiete. Der Titel Karls IX. lautete nun. "Suecorum, Gothorum,

Vandalorum, Finlandiae, Careliae, Lapponiae septentrionalis, Caianae et

Esthonaie Livoniaeque rex." Gustav Adolph modifizierte den Titel ein weiteres

Mal, die Vandalen blieben aber immer Bestandteil. Drei Königsttitel

beanspruchten die schwedischen Monarchen. Aus diesem Grund finden sich auch

drei Kronen im sogenannten Reichswappen. Interessant dabei ist, daß das bis 1905

in Personalunion mit Schweden regierte Norwegen dabei gar nicht im Titel

vorkam, man aber den Anspruch, König der Goten und Vandalen zu sein,

aufrechterhielt.470

 

Karl XI. von Schweden hatte den Gelehrten Johann Gabriel Sparwenfeld

ausgesandt, um die Bibliotheken Europas nach Nachrichten über die Goten und

Vandalen zu durchforschen. Im Umfeld dieser Bestrebungen wurde etwa die

Wulfilabibel ediert. Außerdem entstanden verschiedene Dissertationes, die eine

Beziehung der Schweden oder zumindest des schwedischen Herrscherhauses zu

Goten und Vandalen herzustellen suchten.471

 

In einer 1991 erschienen ideengeschichtlichen Quellensammlung aus Schweden

findet sich eine Bemerkung über die Bedeutung der drei Kronen im schwedischen Reichswappen. "Die Kronen stehen für die drei Reiche der Svea, Götar und

Venden (was auch immer letzteres gewesen sein mag)."472

469Gottfried, Inventarium Sueciae, 1632, p. 80.

 

470Hildebrand 1884, 60.

 

471Messmer 1960, 11 und Anm. 12. Diese Texte konnten nicht eingesehen werden: A. Hessel,

Dissertatio de Vandalis, Uppsala 1698; Jan Broems, Dissertatio de Vandalorum in Africa imperio,

Upsala 1698; Carl Iserhielm, Dissertatio historico-politica de Regno Westrogothorum in Hispania,

Upsala 1705. Letztere dissertatio trägt die Widmung: Serenissimo Principi Carolo XII Suecorum,

 

Gothorum, Vandalorumque Regni.

 

472Broberg und Jansson 1991, 1258. Übersetzung von Stefan Donecker.


167

IV.3. Das 18. Jahrhundert

Die Geschichtswissenschaft hatte bis ins 19. Jahrhundert auch den Charakter einer

Staatswissenschaft. Seit dem Westfälischen Frieden wurde die Reichsstandschaft

und damit die souveränen Hoheitsrechte der kleineren Territorien immer wieder

in Frage gestellt. Die historische Dimension war also von elementarem (territorial-

)staatlichem Interesse

 

Die Wissenschaft von den Urkunden, die Diplomatik, wurde von Dynasten,

Städten und anderen interessierten Gruppen gefördert und mit Interesse verfolgt.

Nicht nur vor den Gerichten, auch in der Öffentlichkeit trug man die sogenannten

bella diplomatica aus. Jede der beteiligten Parteien suchte berühmte Juristen und

Historiker zu gewinnen, die unter ihrem Namen Darlegungen der Standpunkte

zu veröffentlichen bereit waren.473

 

Der dadurch bedingte Verwissenschaftlichungsprozeß läßt sich am Beispiel des

Streits zwischen Stadt und Kloster Lindau im Jahr 1672 verdeutlichen. Hermann

Conring (1606 - 1681), Professor in Helmstedt, sollte ein Gutachten über

verschiedene umstrittene Urkunden erstellen. Conring ging von anderen,

gesicherten Stücken aus und verglich sie nach Schrift, Sprache und Formeln mit

den fraglichen Urkunden. Sprachliche Besonderheiten akzeptierte er dabei nur

dann als Argument gegen die Echtheit eines Stücks, wenn sie in der jeweiligen

Kanzlei nicht nachzuweisen waren. Er tat dies zehn Jahre vor Erscheinen der

methodisch wegweisenden Arbeit De re diplomatica libri VI des Mauriners Jean

Mabillon.474

 

Derselbe Hermann Conring verfaßte eine "besondere Dissertation", also eine

spezielle Abhandlung, über die vandalicae urbes, die in Zedlers "Grossem

Universallexikon" von 1745 erwähnt wurde. Diese dissertatio, die nicht eingesehen

werden konnte, dürfte Fragen des rechtlichen Status der wendischen Städte

gegenüber Schweden und dem Reich behandelt haben.475

473Bresslau 1969, 21f.

 

474Bresslau 1969, 11f und 22ff; Wegele 1885, 546ff.

 

475Zedler 46, s.v. Vandalische Städte, 509.


168

Wie in IV.1. gezeigt setzte sich seit dem 17. Jahrhundert eine quellenkritischere

Sicht nicht nur allgemein in der Geschichtswissenschaft, sondern auch im

speziellen das Verhältnis von Slawen und Vandalen betreffend, durch. Die Frage

nach dem Verhältnis Mecklenburgs, der wendischen Städte oder des

schwedischen Königshauses zu den antiken Vandalen verlor dabei an Wichtigkeit. Völkergenealogien von der Art wie sie Albert Krantz oder Bernhard Latomus

enwickelt hatten, reichten nicht mehr aus, um Territorien eine Legitimation zu

geben. Nach dem dreißigjährigen Krieg lassen sich solche Konstruktionen kaum

mehr finden. Der Vandalenname hatte als Legitimationsgrundlage ausgedient

und war nur noch ein historisches Relikt. Andere Diskussionen traten nun in den

Vordergrund. Diese führten zu einer differenzierten Legitimationsstruktur, die im

Kontext der Entwicklung des Nationalismus und der zusehends stärker

werdenden Verstrickung der Geschichtswissenschaft mit diesem zu sehen ist.

 

Am Anfang des 19. Jahrhunderts war der beschriebene Rationalisierungsprozeß

auch in die lokale und regionale Geschichtsschreibung vorgedrungen. August von

Kotzebue, der preußische Dichter, schrieb 1808 eine "Ältere Geschichte Preußens".

In dieser vermeidet er die Spekulationen seiner Vorgänger und erwähnt die aus

den Namen der Veneder oder Vandalen abgeleiteten Ethnonyme gar nicht mehr.

Zu vergleichen sind seine Aussagen mit dem 50 Jahre vorher geschriebenen Text

Friedrichs des Großen. "Ich bekenne, daß ich ein abgesagter Feind von allen

Schlüssen bin, die man aus Ähnlichkeiten der Worte herleitet."476 "Wer demnach

solchen Sagen ein behutsames Vertrauen weigert, der darf überhaupt an keine

Geschichte glauben, wenigstens an keine ältere, denn was ist sie anderes als

Sage?"477

IV.3.1. Philipp Clüver (Cluverius): "Germania antiqua libri

tres"

 

Philipp Clüver war Historiker und Geograph. Er wurde 1580 in Danzig geboren

und starb 1622 in Leiden. Unter dem Einfluß des Josephus Justus Scaliger wandte

sich Clüver den Altertumswissenschaften zu und erhielt aufgrund seiner Germania

antiqua von 1616 eine Bestallung als Geographus Academicus in Leiden. Clüver gilt

476Kotzebue 1808, 238.

 

477Kotzebue 1808, 255.


169

als Begründer der historischen Länderkunde. Seine Geschichte war in ihrer

Konzeption mehr der Frühzeit Europas als nur der eines Landes gewidmet.

 

Clüver wies in seiner Germania antiqua die Vorstellungen von den Noahsöhnen als

Gründer der Völker zurück. Er argumentierte mit dem Bibeltext der Genesis

(Moses caput X ver. 32), der nicht in der Weise zu lesen sei, wie das bisher oft

geschehen war und mit der zweifelhaften Herkunft vieler Texte, die genanntes

Bild gestützt hatten. So äußerte Clüver auch Zweifel an der Echtheit des Pseudo-

Berossos. Vor allem aber sei die Vorstellung von Sem, Japhet und Cham, die die

meisten Völker begründet haben sollen, wie die anderen Varianten einer solchen Völkergenealogie deshalb zurückzuweisen, weil im ältesten und verläßlichsten

Text, den man für die Frühzeit nur haben könne, dem Homer, sich kein Wort von

solchen Geschichten finden lasse.

 

Vielmehr seien die Illyrer, Germanen, Gallier, Spanier und Briten alle Kelten

gewesen (de natione celtica). Dies versuchte Clüver anhand von Sprachvergleichen

zu beweisen. Alle genannten Sprachen haben eine gewisse Verwandschaft,

manche Worte seien ähnlich und auch die Grammatik weise gemeinsame

Grundzüge auf. Bei Caesar, Tacitus und anderen antiken Autoren sei nachzulesen,

daß die Kelten das älteste erwähnte Volk seien. Zweihundert Jahre später wird

Humboldt Clüver als Pionier der Indogermanistik, der allerdings völlig im

Dunkeln getappt sei, hervorheben.478

 

Mit langen Beweisketten anhand von Vergleichen des Vandalennamens mit dem

der Veneder in den verschiedenen Varianten der antiken Überlieferung kommt

Clüver zu dem Schluß, die Veneder seien sarmatische Slawen gewesen.479

 

Die Verwechslung der Vandalen mit den Slawen sei erstens dadurch begründet,

daß Autoren wie Helmold von Bosau verschiedene Völkernamen schlicht

durcheinander gebracht hätten. Zweitens aber haben die einwandernden Slawen

den Vandalennamen übernommen, genau so, wie die Böhmen ihren Namen von

den keltischen Bojern übernommen haben, die vor ihnen und vor den

Markomannen das Gebiet besiedelt hatten.

 

"Vinidos equidem sive Venedos fuisse Slavos, id est Sarmatas, supra sati validis

certisque probatum est mihi argumentis. At Vandalos, sive Vindelos, fuisse

 

 

478Clüver, Germania antiqua, 1616, p. 32ff.

 

479Clüver, Germania antiqua, 1616, p. 695ff.


170

Germanos, citra Vistulam colenteis, iam CCCC circiter annis ante Venedorum sive

Slavorum in Germaniam transmigrationem, testati sunt luculentissimi auctores

Plinius ac Tacitus. (...) Venedi autem, sive Vinidi, id est Slavi, cur Vinidi et Vandali

adpellati sint, nulla alia fuit ratio, nisi quae et Marcomannos Svevos, postque hos

etiam Slavos, sive Venedos, qui sibi ipsis et ceteris Slavis dicuntur Czechi,

Bojohaemos nominari fecit. Primum Bojohaemi proprie fuerint Boji Galli, ante

Marcomannos regionem Hercynia silva incinctam habitantes. quae inde nomen

Bojohaemi accepit. Nempe ut Marcomanni et postmodum Czechi, quia

Bojohaemum occuparunt, dicti sunt Bojohaemi. Sic Vinidi Sarmatae, quia

Vandalorum obsederant agros, adpellati sunt Vandali."480

 

Die Vandalen/Wenden wurden nicht mehr mit einer biblisch-taciteischen

Konstruktion über eponyme Stammväter erklärt, sondern anhand von

Wanderungen und Namenskontinuitäten.

IV.3.2. Johann Jacob Mascov

 

Johann Jacob Mascov (1689 - 1761) arbeitete und lehrte als Geschichtsschreiber wie

Staatsrechtslehrer. Er studierte in Leipzig und war dort ein Schüler von Burkhard

Mencken. Als Professor an der Leipziger Universität war er in der Stadtpolitik

tätig und wurde später mehrmals zum Abgeordneten in den sächsischen Landtag

in Dresden gewählt. Zuerst arbeitete Mascov vor allem zur Reichsverfassung und

zu rechtsgeschichtlichen Fragen, wie oben ausgeführt ein wesentlicher Teil der Geschichtswissenschaft vor dem Ende des alten Reichs im Jahr 1806.

 

Anfang der zwanziger Jahre des 18. Jahrhunderts wandte sich der als

Universitätslehrer sehr erfolgreiche Mascov allgemeineren historischen

Fragestellungen zu. Die unten besprochen "Geschichte der Teutschen bis zum

Anfang der Fränkischen Monarchie in zehen Büchern verfasset" von 1726 wurde

breit rezipiert. 1737 legte Mascov den zweiten Band seiner deutschen Geschichte

mit dem Titel "Geschichte der Teutschen bis auf den Abgang der Merowingischen

Könige in sechs Büchern fortgesetzt" vor. Die beiden Bücher wurden wiederholt

aufgelegt und erschienen bis 1750 in vier Auflagen. Auch Übersetzungen in

verschiedene europäische Sprachen erschienen, was für einen deutschsprachigen

Historiker dieser Zeit sehr selten war. Ein dritter Teil der deutschen Geschichte

 

 

480Clüver, Germania antiqua, 1616, p. 697.


171

erschien in lateinischer Sprache 1748 und deckte den Zeitraum zwischen Konrad I.

und Konrad III. ab. Die Karolingerzeit hat Mascov ausgelassen.481

 

Im Unterschied zu anderen Universitätshistorikern seiner Zeit hatte Mascov

versucht zu erzählen und das, ein Novum in seinem Fach, in deutscher Sprache. Wissenschaftsgeschichtlich ist das besonders hervorzuheben, setzte Mascov doch

Standards in der Fachsprache. Er begann seine "Geschichte der Teutschen" mit

dem "ersten Auftreten der Deutschen", also der germanischen Geschichte. Dann

schilderte er die Kämpfe mit den Römern und die Sitten und Gepflogenheiten der

Germanen. Auch Belisar, Narses und das Gepidenreich wurden wie andere Teile

der völkerwanderungszeitlichen Geschichte im ersten Band abgehandelt. Erst der

Anhang ist dann Detailfragen gewidmet.482

 

Mascov erklärte die Verwendung des Vandalennamens einfach und präzise.

Durch die Einwanderung von Slawen in die alten vandalischen Gebiete sei die

Übertragung des natürlich germanischen Namens auf die Slawen zu erklären.

Damit bietet Mascov dieselbe Erklärung wie Clüver hundert Jahre zuvor.

 

"An ihrer Stelle sind die Slawen oder Wenden eingerücket. Daher verwechselt

man insgeheim die Vandalen und Wenden; welche letztere in den mittlern Zeiten

fast durchgehends zu Latein Vandali genennet werden. Also kommt der Name

der Vandalorum noch in den Tituln einiger Könige und Fürsten für, welche

eigentlich von diesen Wenden zu verstehen. Doch kan es seyn, daß würklich

einige Vandalen unter den Wenden sich erhalten."483

 

Die Einwohner von "Sarmatia Europaea" wurden in den verschiedenen Epochen

der antiken Literatur zuerst Skythen und dann Sarmaten genannt. Im sechsten

Jahrhundert unter Justinian veränderte sich der Schauplatz. Die "Venedi, Sclaueni

und Antae" machten durch ihre Züge und die Reichsgründungen so viel von sich

reden, daß der Name der Sarmaten verschwand. "Der Name Venedi, Winidae,

oder Wenden, begreifet viel einzelne Völcker unter sich, und werden daher die

Venedi unter die Haupt-Nationen von Sarmatien gerechnet. Ich lege billig zum

481ADB 20, s.v. Mascov Johann J., 554-558; Wegele 1885, 664-675.

Bei Wegele 1885, 666 und Anm. 1/2 finden sich die genauen Zitate dieses dritten Teils der

deutschen Geschichte Mascovs.

 

482Wegele 1885, 666f; Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 13ff.

 

483Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 30.


172

Grund, was Tacitus, Germania 46 von ihnen anzeiget: (...) Zwar wenn Tacitus die

Wenden zu den Teutschen rechnet, so wiederleget ihn selbst ihre Sprache, welche

von der Teutschen ganz unterschieden ist. Woher es aber kommt, daß viele die

Vandalen und Wenden miteinander verwechseln, ist bereits oben p. 30 angezeiget

worden."484

 

Die Venethi bei Tacitus und die Venedi bei Jordanes waren nach Mascov dasselbe

Volk, eben die späteren Wenden. Aus den Bemerkungen der genannten Autoren

sei der Schluß zu ziehen, daß Slawen und Anten von den Wenden/Venedern

abstammten. Die Frage nach dem Ursprung der Slawen ist für Mascov nur am

Rande wichtig. Ihm geht es um klare ethnische Grenzen, und die kann er mit der

Zuordnung der Veneder zu den sarmatischen Nationen ziehen. Die nötige

Erklärung für die Verwechslung der Namen ist für Mascov die der späteren

slawischen Einwanderung und des daraus folgenden irrtümlichen Gebrauchs des

Vandalennamens.

IV.3.3. Johann Christophoph Jordan: "De originibus

slavicis opus chronologico-geographico-historicum"

 

Wahrscheinlich sei Johann Christoph von Jordan 1730 in den Ritterstand erhoben

worden, meldet der Wurzbach lapidar. Ansonsten findet man in den sonst sehr

gut recherchierten Gelehrtenlexika des 18. Jahrhunderts nur folgenden Eintrag:

"Ungarisch und Böhmischer Hofrath zu Wien, gegen die Mitte des gegenwärtigen

Jahrhunderts, von welchem mir bekannt ist: De originibus Slavicis. Wien 1745."485

 

Johannes Christoph Jordan, der der Frage nach den slawischen Ursprüngen

nachging, referierte zwar die offenbar verbreitetste Ansicht von der

Einwanderung der Slawen in ein von den Vandalen verlassenes Gebiet an der

Weichsel, ließ aber anklingen, daß ein germanischer Ursprung der Wenden

eigentlich nicht so unwahrscheinlich sei.

 

Die älteren Autoren wie Adam von Bremen und Helmold von Bosau seien

ungerechtfertigterweise kaum rezipiert worden. In ihnen sei explizit nachzulesen,

484Mascov, Geschichte der Teutschen, 1726, p. 205.

 

485Christian Gottlieb Jöcher, Allgemeines Gelehrten-Lexicon. Fortsetzungen und Ergänzungen von

J.C. Adelung, Bd. 2, 1787; Wurzbach 10, 265.


173

daß die Wenden ursprünglich Vandalen gewesen waren. Weil der Vandalenname

sich so hartnäckig gehalten habe und nicht derart viele mittelalterliche

Schriftsteller irren konnten, gebe es nur eine Erklärung und die liege im Namen

der Vandalen.486

 

Im dritten Jahrhundert habe es fünf germanische Völker, nämlich die Vandalen,

die Sueben, die Sachsen, die Franken und die Alemannen gegeben. Jordan

versuchte dann eine Erklärung der Etymologie einiger dieser Völkernamen. Die

Vandalen trügen ihren Namen vom vielen herumwandern, meint Jordan: "Id est a

mutatione frequenti sedium". Der häufige Wechsel ihrer Wohnsitze habe den

Namen bedingt, der aus der Wurzel wandelen herzuleiten wäre. Tacitus und

Ptolemaios haben die Vandalen deshalb nicht richtig lokalisieren können, weil sie

keine fixen Sitze gehabt hatten, sondern eben immer in Asien herumgewandert

seien. Bei diesen Wanderungen in Asien sei Ende des vierten Jahrhunderts ein Teil

der Vandalen ins römische Reich eingefallen. Ein anderer Teil aber müsse in den

folgenden Jahrhunderten an die Ostsee gezogen sein und dort neben den

verschiedenen anderen sarmatisch-slawischen Völkern gelebt haben. Im Laufe der

Zeit begannen diese Vandalen sich ihren slawischen Nachbarn anzupassen und

bald waren sie nicht mehr von ihnen zu unterscheiden. Nur der Wendenname

blieb erhalten.487

 

Außerdem habe es auch einen griechischen Namen für die Vandalen gegeben, den

der Alanen nämlich. Auf Griechisch bedeute ålaomai, dasselbe wie das deutsche

wandelen. Die Vandalen, die in der Nähe griechischer Städte gelebt hatten, sollen

Alanen genannt worden sein. Die anderen, die an die Weichsel gezogen waren,

sollen ihren germanischen Namen behalten haben.

 

"Historicis his notitiis correspondet graeca etymologia nominis Alanorum:

quemadmodum enim Vandali Germanice a wandelen, vagari, compellationem

sortiti sunt, ita Alani Graece ab ålaomai, vagor, pariter dicti. Vandali igitur, qui

sedes Graecis civitatibus propinquiores circa Borysthenem ceperant, graeco more

communius Alani audierunt: Vistulae vero propinquiores nomen Germanicae

derivatione retinuerunt."488

486Johann Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 195ff.

 

487Johann Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 208f.

 

488Johann Christoph Jordan, De originibus slavicis, 1745, p. 54.


174

Berezan war eine dem Mündungsgebiet des Borysthenes (Dnjepr) vorgelagerte

Halbinsel, auf der sich die ältesten Siedlungsspuren milesischer Kolonisten an der

nördlichen Schwarzmeerküste aus dem siebten Jahrhundert vor Christus

gefunden haben. Seit dem vierten nachchristlichen Jahrhundert verwendete man

in der antiken Geographie für den Fluß den Namen Danaper. Die Siedlungen auf

Berezan wurden aber weiterhin Borysthenes genannt und das ist bei Jordan

gemeint.489

 

Es mag eine Kenntnis der mecklenburgischen Hofgeschichtsschreibung oder

einfach ein eigenwilliger Kopf gewesen sein, der in der Arbeit Jordans diese

Variante entstehen ließ. Jedenfalls liegt sein Standpunkt außerhalb des

Mainstreams der Wissenschaft des 18. Jahrhunderts.

IV.3.4. Johann Christoph Gatterer: Veneder und Vandalen

sind Germanen

 

Johann Christoph Gatterer (1727-1799) lehrte als Professor für Geschichte in

Göttingen. Als Universitätslehrer war er ein wichtiger Proponent der Etablierung

der historischen Hilfswissenschaften an den deutschsprachigen Universitäten und

gab etliche Zeitschriften heraus.490

 

In seiner 1771 erschienen "Einleitung in die synchronistische Universalhistorie"

entwickelte Gatterer eine auf methodischen Überlegungen basierende

Epocheneinteilung, die kurz zu besprechen ist. Zuvor war im Rahmen der

historischen Lehre an Universitäten die Chronologie der antiken Historiker

bindend. Außer der aus Herodot, Thukydides, Polybios, Livius und anderen

entnommenen antiken Periodisierung, bediente man sich noch des Schemas der

vier Weltreiche, das der protestantische Humanist Sleidanus (Johann Philippi 1506

- 1556) in seinem weltgeschichtlichen Abriß De quattuor summis imperiis entwickelt

hatte. Seine Abhandlung wurde als universitäres Lehrbuch bis 1701 mindestens

achtzigmal aufgelegt. Erst im 18. Jahrhundert begann man nach den Ursachen von

Aufstieg und Fall der großen politischen Gebilde zu fragen und die Chronologie

als solche bekam den Charakter einer Hilfswissenschaft.491

 

 

489DNP 2, s.v. Borysthenes, 750.

 

490NDB 4, s.v. Gatterer Johann C., 345ff; ADB 8, s.v. Gatterer Johann C., 78ff.

 

491Rüegg 1992, 460f; Scherers 1927, 46-53.


175

Gatterer legte mehrere weltgeschichtliche Konzeptionen vor. Einigermaßen

repräsentativ ist seine "Einleitung in die synchronistische Universalhistorie". Sie

basierte auf einer von Gatterer jahrzehntelang in Göttingen gehaltenen Vorlesung.

Sein Verständnis von Weltgeschichte als Zivilisationsgeschichte der Nationen ist

ein Konzept Voltaires. Voltaire ersetzte in seinem "Le siècle de Louis XIV." die vier Weltmonarchien der christlich-teleologischen Weltgeschichte durch vier Zeitalter

einer Weltgeschichte der aufgeklärten Zivilisation. Der Göttinger Professor

Gatterer will aber auch nicht zuletzt eine didaktische Hilfe mit seinem

Gliederungsschema anbieten.492

 

Gatterer unterschied vier Elementarereignisse oder "Ruhepuncte" der

Weltgeschichte: Die Schöpfung der Welt, den Ursprung der Nationen, die

Völkerwanderung und schließlich die Entdeckung Amerikas. Jedem der durch

diese Ereignisse eingeleiteten Zeitalter ordnete Gatterer noch eine eigene Art von "Erkenntnisquellen der historischen Wahrheit" zu.

 

Ein erstes Zeitalter nennt Gatterer das "Zeitalter der historischen Notmittel, von

der Erschaffung der Welt bis zum Ursprung der Nationen". Die "historischen

Notmittel" sind die "Erkenntnisquellen der historischen Wahrheit" für dieses

Zeitalter. Gatterer meint die archäologischen Quellen. Der Ansatz bei der

Schöpfung der Welt, die Gatterer wie die Geschichte des ersten Zeitalters

praktisch ausschließlich nach der Bibel erzählte, sowie die Verbindung des

Ursprungs der Nationen mit dem Turmbau zu Babel, zeigen die Nachwirkung der christlich-theologischen Konzepte. Heilsgeschichtlich oder teleologisch ist

Gatterers Konzeption aber nicht mehr. Da Weltgeschiche für Gatterer im

wesentlichen Völkergeschichte war, ist auch eine nationalgeschichtliche

Gliederung impliziert. Der Ursprung der Nationen am Beginn des zweiten

Zeitalters ist der eigentliche Anfang der Universalgeschichte, das erste ist bloße

Vorgeschichte.493

 

Das "Zeitalter der biblischen und classischen Schriftsteller bis zur

Völkerwanderung" beginnt mit der greifbaren historiographischen Tradition. Eine

Reihe von "Völkersystemen" soll den synchronistischen Zusammenhang

gewährleisten, ein unverbundenes Nebeneinander der einzelnen nationalen

492Muhlack 1991, 130 und 172.

 

493Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 1ff; Muhlack 1991,

131f.


176

Geschichten ist nicht Zweck der Arbeit. Auf außen- und machtpolitische

Verhältnisse konzentriert, entwickelt Gatterer verschiedene "Völkersysteme".

Einer bloßen "mosaischen Bevölkerungskunde", folgt ein "assyrisches

Völkersystem", diesem das persische, dann das makedonische, das römische und

schließlich das parthische Völkersystem. Der Überblick entstand vor den großen archäologischen Entdeckungen in Ägypten und im Zweistromland. Er bezieht

seine Kategorien praktisch ausschließlich aus den biblischen Schriften, die fast nur

das erste Jahrtausend aus dem Blickwinkel der Levante beinhalten. Das dritte

Zeitalter oder die "mittlere Zeit" bezeichnete Gatterer als das "Zeitalter der

Chronisten und Urkundenschreiber". Die Einteilung in die uns geläufigen drei

großen Teile der europäischen Geschichte kennt man seit der Renaissance, als die

Humanisten ihre eigene 'neue' Zeit von der mittleren trennen wollten. Ein viertes

Zeitalter oder "Zeitalter der Sammler, Aesthetiker, Kritiker und Pragmatiker, die

Neuzeit von der Entdeckung Amerikas bis zu uns" vervollständigt das System.494

Gemeint sind damit die Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung der

Neuzeit.

 

Im Rahmen einer allgemeinen 'historischen Ethnographie', die als Ergänzung an

die "Universalhistorie" angeschlossen ist und auf die im Text immer wieder

verwiesen wird, findet sich das Kapitel "Ob Taciti Venedi die Wenden sind?".

 

"Oben versprach ich, daß ich an dieser Stelle einige Gründe aufführen wolle, daß

die Veneder des Tacitus und die Vindeler oder Vandaler des Plinius ein Volk sind

und zwar Teutsche und nicht Wenden von slavischem Stamme nicht völlig gewiß,

sondern nur sehr wahrscheinlich, Vandalen und Venedi ein Volk von teutscher

Herkunft."495

 

Die Beweisführung soll in allen Punkten hier wiedergegeben werden. Erstens

meint Gatterer hätten "diejenigen alten Schriftssteller, die die Vandalen haben, die

Veneder nicht und umgekehrt." Zweitens sei die Ausbreitung des Wendennamens

seit der Völkerwanderung entlang der Ostsee identisch mit dem Gebiet, in dem

nach Plinius Angaben der Vandalenname gereicht hatte. Auch ein Vergleich mit

Tacitus erhärte diese These.

494Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 1ff.

 

495Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 828.


177

Das dritte Argument stammt aus der russischen Historiographie. Die russische

Nestorchronik wurde von Gatterer dahingehend interpretiert, daß alle slawischen

Völker seit dem fünften Jahrhundert allmählich von der Donau nach Norden

hinaufgezogen seien. Nestor nannte die "Nowgoroder, die Liachen an der

Weichsel, die Polen, Lutiscer, Masovzaner und Pommern". Er wußte nichts von

der Bezeichnung Wenden und kein slawisches Volk hatte nach ihm an der Ostsee

gelebt. Auch in "Livland, Curland und Preussen noch in Polen noch in

Teutschland" kannte Nestor Slawen.

 

Bei Helmold von Bosau sei explizit gesagt, daß Vandalen und Winithi, also

Veneder, nur zwei Namen für dasselbe Volk seien. Gatterer nimmt auf die hier

schon behandelte Stelle Chronica Slavorum I, 2 bezug: "Ubi ergo Polonia finem

facit, pervenitur ad amplissimam Slavorum provinciam, eorum qui antiquitus

Wandali, nunc autem Winithi sive Winuli appellantur."

 

Prokop wird als nächster Zeuge aufgerufen. Im Bellum Goticum III, 14

unterscheide Prokop in Slawen und Anten. Er erwähne aber den Wendennamen

nicht und erzähle auch nichts von alten Namen. Jordanes wiederum sage ja in der

Getica explizit, daß die Slawen principaliter Veneder geheißen haben.

 

In der altrussischen Nestorchronik fand Gatterer einen weiteren Beleg für seine

Beweiskette. Im Nestor findet sich die Bemerkung, die Slawen hätten ihre Namen

meist von den Gegenden, in denen sie sich niedergelassen hatten, "empfangen".

Dazu meinte Gatterer weiter: "Öfters nämlich bleibt der Name eines

ausgewanderten Volkes auf dem Lande, das es bewohnte, sitzen, und die neuen

Bewohner heißen, wenigstens in dem Munde der Nachbarn, noch immer so, wie

die alten Bewohner. Ein Theil der Slawen bezog die Länder an der Ostsee, wo

vormals theils die eigentlichen Vandalen oder Veneder, theils andere unter

diesem Namen von Plinius begriffene Völker gewohnt haben, und diesen wurde

nunmehr, wie den ausgewanderten Bewohner, gleichfalls der Name der

Vandalen, Winuler oder Wenden gegeben."496

 

Schließlich sei das finnische Wort Wenalainen für 'Russen' aus dem bei Tacitus

genannten Vendili abzuleiten. Der Wendenname stamme aus derselben Wurzel.

Die Finnen seien nun aber alte Nachbarn der "Teutschen Veneder oder Wenden",

496Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 828ff.


178

so wie sie heute Nachbarn der der Russen und Slawen seien. "Die Slawen wohnen

heute einfach in einem Theil des Landes der Veneder des Tacitus."497

IV.3.5. Conrad Mannert

 

Mannert (1756 - 1834) begann seine Laufbahn als Lehrer am Gymnasium in

Nürnberg. 1797 wurde er zum Professor der Geschichte und der abendländischen

Sprachen an die Universität Altdorf berufen. Diese Hochschule war 1623 von der

Reichsstadt Nürnberg in Altdorf gegründet worden. 1805 folgte Mannert einem

Ruf als Professor der Geschichte nach Würzburg. 1808 wurde er zum königlich-

bairischen Hofrat ernannt und erhielt eine Professor in Landshut.

 

Die erst im Jahr 1800 von München nach Landshut verlegte Ludwig-Maximilians

Universität war ein Modernisierungsexperiment. So war das

Universitätsbürgertum mit dem Privileg einer eigenen Gerichtsbarkeit sowie viele

der mittelalterlichen Bräuche im akademischen Leben abgeschafft, und die

Universität als ganzes auf dem Weg zu einer Lernschule. Eine spätabsolutistische Reglementierung hatte gegriffen, das Examenswesen war völlig neuartig gestaltet,

es gab bereits eine regelrechte Lehramtsprüfung, und an der Hochschule

dominierte neuhumanistisches und aufklärerisches Gedankengut. Verschiedene

Parteiungen an dieser Landshuter Hochschule rangen um die intellektuelle

Vorherrschatf: Anhänger von Kant standen antiaufklärerischen Gruppierungen

wie den Vertretern der Landshuter Romantik, der sich auch der bairische

Kronprinz Ludwig verpflichtet fühlte, gegenüber.498

 

1826 erfolgte die Rückverlegung der Universität nach München und Mannert

wurde dort Professor für Geschichte und Statistik. Als Mitglied der königlichen

Akademie der Wissenschaften hatte er das als Gelehrter Mögliche erreicht.

 

Thematisch hatte Mannert nach dem Übertritt in den bairischen Staatsdienst

deutsche und bairische Geschichte in den Vordergrund gestellt und die

Fortsetzung seiner Arbeiten zur antiken Geographie daneben betrieben. Die

umfangreiche "Geographie der Griechen und Römer" war seit 1788 entstanden

497Gatterer, Einleitung in die synchronistische Universalhistorie Teil I, 1771, p. 837.

 

498Boehm und Müller 1983, 270f. So wurde F. W. J. Schelling 1802 an dieser Universität ein

Ehrendoktorat verliehen.


179

und eine bis weit ins 19. Jahrhundert verwendete Materialsammlung zur antiken

Topographie. Aus diesem Kontext erklärt sich das statistische Interesse Mannerts.

Die Arbeit "Über die älteste Geschichte Bayerns und seiner Bewohner" von 1807

und die in zwei Bänden erschienene "Geschichte Baierns" von 1826 schrieb

Mannert im Rahmen seiner Pflichten als bairischer Hochschullehrer.499

 

Die erste deutschsprachige Monographie zur vandalischen Geschichte fußte auf

Mannerts Dissertation an der Universität Altdorf.500 Zur -wie man heute sagen

würde - Ur- und Frühgeschichte der Vandalen äußerte sich Mannert nicht sehr

ausführlich. Weite Teile des einschlägigen Kapitels verstehen sich als

Widerlegung der Thesen Gatterers. Wichtig ist Mannert, die Vandalen als

"Deutsche" und Germanen zu klassifizieren, und sie von den "sarmatischen und

slavischen Nationen", zu denen die Veneder gehören, zu trennen.

 

Mannert legte seiner Argumentation die Texte von Plinius und Tacitus zugrunde.

Die Vandalen und Veneder waren in seiner Vorstellung zwei ganz verschiedene

Völker. Die Vandalen gehörten zu den "deutschen", die Veneder zu den

"sarmatischen oder slavischen Nationen". Dann versuchte Mannert "den Hofrat

Gatterer" zu widerlegen. Gatterers Argument sei, daß alle Schriftsteller, die die

Vandalen nennen, die Veneder nicht erwähnten und umgekehrt. Eher beweise

dies wohl, daß man am Mittelmeer von den Vandalen vor ihrem Zug in den

Süden nicht viel mehr als eben den Namen wußte, und sie so leicht mit einem

ebenso wenig bekannten Volk in der Nachbarschaft verwechseln konnte. Mannert argumentierte dann mit Plinius, Tacitus und Ptolemaios, daß nicht beweisbar sei,

daß diese antiken Autoren Vandalen und Veneder verwechseln würden.501

 

Im Mittelalter sei der antike Wissensstand verschwommen und eine

Gleichsetzung der verschiedenen Völker vorgenommen worden. "Man weiß, daß

die Schriftsteller des Mittelalters fast durchgehend die Vandalen und die

slavischen Völker, welche von ihren Ländern Besitz nahmen, mit einander

499ADB 20, s.v. Mannert Konrad, 199f; Neuer Nekrolog der Deutschen, 1834, 2. Hälfte, 783-787;

Georg Andreas Will, Nürnbergisches Gelehrten-Lexicon, Band 6, Nürnberg 1805, 668.

Geographie der Griechen und Römer aus ihren Schriften dargestellt, 14 Bde, Nürnberg 1788-1825

 

500"Specimen historicum inaugurale de Vandalis, iis praecipue, qui sub rege Genserico in Africa

regnum sibi parabant."Altdorf 1783.

 

501Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 11.


180

vermengten."502 Mannert sah in der Einwanderung der Slawen in die vormals

vandalischen Gebiete den Grund für diese Verwechslungen.

 

Mannert brachte weiter vor, daß Gatterer auch Jordanes in seine Argumentation

eingebaut habe, "obwohl dieser doch für mich spricht und die Veneder den

Slawen zuschlägt". Die Etymologie des Worts Vandalen zeuge ebenso von der Verschiedenheit der beiden Völker. "So verschieden Lateiner und Griechen den Vandalennamen schreiben, so vermißt man doch nie den Radical-Buchstaben l;

nirgends ist dieser Radical-Buchstabe im Venedernamen überliefert."503

 

"Ich glaube ziemlich deutlich gezeigt zu haben, daß die Vandalen Deutsche sind.

Daß sie an der Ostsee, von der Weichsel bis an die Elbe wohnten, und sich

vielleicht nach und nach immer weiter südlich zogen, und daß sie von den

Venedern verschieden sind." Nur wenige Nachrichten stehen über die Vandalen

bis zum markomannischen Krieg zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt beginnt

ihr Name aber bekannt zu werden, denn sie gehörten zu den vielen "deutschen"

und "sarmatischen" Völkern, die das Imperium unter Marc Aurel angegriffen

haben.504

IV.3. 6. Ludwig Albrecht Gebhardi: "Geschichte aller

Wendisch-Slavischen Staaten"

 

Ludwig Albrecht Gebhardi (1735-1802) war zuerst als Professor an der

Ritterakademie von Lüneburg tätig. 1787 erhielt Gebhardi per Dekret König

Georgs III. Titel und Besoldung eines königlich großbritannisch-hannoverschen

Rats. Die durch den Sitz des Königshauses in London bedingte periphere Lage

war Gebhardi zu wenig prestigeprächtig. So folgte er 1799 einem Ruf nach

Hannover und wurde dort Hofrat, Bibliothekar und Historiograph des Hauses

Braunschweig.505

 

Sein Vater, der Historiker und Genealoge Johann Ludwig Gebhardi (1699 - 1764),

hatte die umfangreiche "Geschichte der erblichen Reichsstände in Teutschland"

502Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 12.

 

503Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 13.

 

504Mannert, Geschichte der Vandalen, 1785, p. 14.

 

505NDB 3, s.v. Gebhardi Ludwig A., 486; Ersch/Gruber I/55, s.v. Ludwig A. Gebhardi, 258.


181

hinterlassen, die vom Sohn 1777 - 1785 herausgebracht wurde.506 In der Bibliothek

von Hannover lagerten die Materialien, die Leibnitz hinterlassen hatte. Die

Bibliothekare arbeiteten meistens an 'leibnitzschen' Fragestellungen, wie etwa der

Geschichte des welfischen Hauses, weiter. Die für einen hannoveranischen

Bibliothekar ungewöhnliche Themenwahl erklärte sich aus der Mitarbeit an einem

großen, überregionalen Projekt und Gebhardis Kontakten nach England.

 

Gebhardi hatte seine Geschichte der slawischen Staaten ursprünglich für die

"Allgemeine Weltgeschichte" von Guthrie und Gray geschrieben. In England war

seit 1730 erstmals das Projekt einer allgemeinen Weltgeschichte angegangen

worden. Diese war von 1744 an auch ins Deutsche übersetzt worden. Zuerst

wurden der Übersetzung unter der Herausgeberschaft des Hallenser Theologen

Sigmund Baumgarten Ergänzungsbände beigestellt. Vom 31. Band an übernahm

Johann Semler die Herausgabe, und man begann die freie Bearbeitung der

Geschichte einzelner Staaten. Der Grundgedanken einer allgemeinen

Weltgeschichte war somit aufgegeben worden.507

 

Ein pragmatischer und verkürzender Versuch, dem nicht zu Ende geführten

Ansinnen einer allgemeinen Weltgeschichte zu entsprechen, war Gatterers

"Einleitung in die synchronistische Universalhistorie" von 1771. Gebhardi lieferte

für das zweite Projekt unter der Leitung Semlers die Dänemark, Norwegen und

Ungarn betreffenden Teile. Als 50. und 51. Band der Weltgeschichte erschien 1785

eine Geschichte von Kurland verbunden mit einer der Wenden und Slawen. Diese

Arbeit gab Gebhardi zwischen 1790 und 1796 in drei Bänden erweitert und

vervollständigt als eigenständige Publikation unter dem Titel "Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten" heraus.508

 

Ein erklärtes Ziel des ersten Bands dieser slawischen Geschichte war es, die

Identität der Wenden in Deutschland zu klären. Gebhardi kritisiert, daß die

gelehrte Welt diese Slawen "bald die wendische, bald die slavische Nation" nenne.

Weiter stieß sich Gebhardi daran, daß die "Chronicae Slavorum" des Mittelalters

506ADB 8, s.v. Gebhardi Ludwig A. und s.v. Gebhardi Johann L., 483ff; Ersch/Gruber I/55, s.v.

Ludwig A. Gebhardi, 258.

 

507Wegele 1885, 782ff.

 

508Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. II; Ersch/Gruber I/55, s.v.

Ludwig A. Gebhardi, 258; Wegele, 1885 #322]784.


182

und Albert Krantz sich auf Fragen der holsteinischen, mecklenburgischen und

pommerschen Gebiete, sowie des polnischen Reichs beschränkt hatten.509

 

Gebhardi glaubte dagegen nachweisen zu können, daß der Wendenname der

"wahre, alte, allgemeine Stammname aller slavischen Völker" sei. Das

Mißverständnis in der slawischen Namengebung werde behoben, wenn man

bedenke, daß die ungarischen Slowaken ihren Namen von den griechischen

Slawen und nicht von den nördlichen Wenden übernommen haben. Außerdem

würden ihre deutschen Nachbarn die ungarischen Slowaken ohnenhin seit dem

frühen Mittelalter "windische Leute" nennen.510

 

Weiter argumentiert Gebhardi, der bei Prokop genannte Völkername Sporen sei

eine Übersetzung von Wenden ins Griechische. Die slawischen Völker in

Dalmatien und Illyrien seien in den fränkischen Annalen durchwegs als Winidi

bezeichnet. Helmold von Bosau berichte, daß alle Slawen im Reichsgebiet den

Namen Winithi oder Winuli führen würden. Alle Polen, Russen, Böhmen,

Kärntner und Sorben und andere, die vom "slavischen Hauptstamm herkommen",

haben den Wendennamen aber verworfen und den "besonderen Stammnamen"

vorgezogen. Tacitus zähle die Veneder, welche nach der Ansicht Gebhardis die

Stammväter der Slawen gewesen waren, überhaupt den "Teutschen" zu. Daran sei

zu sehen, daß der Ursprung des Wendennamens in die Frühzeit zurückgehe und

damals die Slawen und Germanen eben nicht zu unterscheiden waren. Dann

bringt Gebhardi die Thesen Gatterers als weiteren Beleg für seine Vorstellung.511

 

Gebhardi bietet außer dieser noch insgesamt 22 weitere Theorien der slawischen

Herkunft verschiedenster Provenienz. Das macht seine slawische Geschichte zu

einer Fundgrube für Material zu den hier behandelten Fragen.

 

Diese Theorien werden in unterschiedlicher Länge abgehandelt. Hier seien sie nur

kurz genannt. Die erste ist die aus den Texten der polnischen Chroniken des 13.

Jahrhunderts bekannte Variante, die Slawen seien Nachfahren des biblischen

Japhet. Auch die in der Nestorchronik entwickelte Völkergenealogie von Japhet

509Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. IV.

 

510Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. VIf.

 

511Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. VIf.


183

als dem Erzeuger der Stammväter der "Waräger, Schweden, Normänner,

Engländer, Franzosen, Teutschen und Wenden (Wenedici)" wird referiert.512

 

Weitere der von Gebhardi referierten Möglichkeiten der slawischen Abstammung

von den Armeniern, den Hebräern, den Heniochen aus Cholchis,513 von den

Bürgern der cholchischen Stadt Pola, von den Awaren/Chazaren, den Kirgisen

wegen der angeblichen sprachlichen Ähnlichkeit, den Phrygiern, den Lateinern,

den Illyrern, den Scythen und schließlich den Finnen, können hier nicht weiter

diskutiert werden.

 

Die Veneti/Heneti in Paphlagonien, die man aus Homer und Herodot kannte,

wurden etwa bei Latomus mit den Slawen/Vandalen in Verbindung gebracht. Die

Vorstellung der slawischen Abstammung von den Pannoniern stammt aus der

1253 vollendeten Chronik des Posener Bischofs Boguphal II. Die Idee von den

Sarmaten als slawische Urväter ist spätestens seit Cromer eine der häufigsten in

der Literatur diskutierten Varianten. Als letzte seiner 22 Thesen nannte Gebhardi

die oben besprochenen Ideen der Abstammung der Slawen von den "Deutschen",

also den germanischen Vandalen.

 

Gebhardi schließt seine Aufzählung mit der neutralen Feststellung: "Vom

Ursprung der Wenden ist genug gesagt, es kann nichts zuverlässiges gemeldet

werden."514

 

Gebhardi geht nicht soweit, die Slawen zu Germanen zu machen. Ihm geht es nur

um die Frage des älteren Namens. Klar wird aus seinen Überlegungen aber, daß

den Slawen eine Vorgeschichte fehlte. Den Deutschen hatte die

Geschichtswissenschaft des 18. Jahrhunderts eine solche geben können.

Ein Beispiel für die von den slawophilen Historikern im 19. Jahrhundert massiv

angegriffenen Versuche deutscher Gelehrter, die Veneder zu Germanen zu

machen, ist ein Lemma in Adelungs Wörterbuch. Johann Christoph Adelung

(1732 - 1806), ein früher Pionier der germanistischen Sprachwissenschaft, der viele

512Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. XVff.

 

513Diese These wurde von Gebhardi aus dem Werk eines gewissen Pstorius mit dem Titel

"Origines Sarmaticae" entnommen, das nicht auffindbar ist.

 

514Gebhardi, Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten, 1790, p. XXII.


184

Jahrzehnte an seinem "Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen

Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart" gearbeitet hatte, wollte die Veneder

nicht als Vorfahren der Slawen durchgehen lassen. Er beanspruchte sie vielmehr

als Germanen. Sub voce Weneden meint Adelung, die Weneden - man beachte die

sonst nicht übliche Schreibweise mit W - könnten nichts mit den Slawen zu

schaffen haben, da der Völkername ja von deutsch 'Wasser' abgeleitet sei. Das

Ethnonym würde ein germanisches Volk, das am Wasser lebte, bezeichnen. Die

Berichte des Tacitus und Plinius, die von den Venedi/ Venethi als am Meer

lebendes Volk erzählt hatten, wurden von Adelung als zusätzlicher Beweis

angeführt.515

515Adelung, Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs, Band 4, 1784, s.v.

Weneden, p. 345.


185

IV.4. Wissenschaftliche Positionen auf der Basis

Herders und der Panslawismus. Die Veneder als

'Urslawen'

Die Philosophie des deutschen Idealismus eines Kant, eines Fichte und eines

Hegel bot in ihrer historischen Dimension eine neue Deutung der Weltgeschichte.

Darin implizit waren eine eigene historische Erkenntnistheorie wie eine neue

Sinngebung der Geschichte. In diesem Zusammenhang gewann auch die Frage

nach dem Werden und der Identität der Völker eine ganz andere Bedeutung als

zuvor.

 

Der Primat einer Staatsbildung als eigentliches Kennzeichen eines Volkes

erscheint als Idee in den "Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte" von

Georg Friedrich Wilhelm Hegel (1770 - 1831). Einem Volk ohne Staat wurde in der

hegelschen Staats- und Geschichtsphilosophie, die einen enormen Einfluß auf das

europäische historische wie politische Denken des 19. Jahrhunderts ausübte, das

Vorhandensein einer eigenen Geschichte abgesprochen. Explizit schloß Hegel das

seit 1795 dreigeteilte Polen und die Elbslawen aus dem Reigen der Völker aus, die

"als selbstständiges Moment in der Reihe der Gestaltungen der Vernunft in der

Welt aufgetreten" seien.516

 

Die Vorstellung von einem 'Volksgeist' mit uralten Wurzeln als Kern aller

modernen Nationen fußte auf den Ideen von Johann Gottfried Herder (1744 -

1803). Dieser 'Volksgeist' steckte als Axiom in der sich entwickelnden

Altertumskunde und den auf ihr fußenden universitären Disziplinen, die seit der

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden.

 

Die Beschäftigung mit slawischer Geschichte und Identität war zuerst eine

Domäne der Philologie. Das philologische Element spielte generell im späten 18.

und im 19. Jahrhundert eine größere Rolle in der Entwicklung der

Geschichtswissenschaft als zuvor. Schon in den oben besprochenen Ausführungen

Conrad Mannerts über den Vandalennamen ist dieser Zug sichtbar. Seit der

516Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte/Moldenhauer und Markus 1970, 422;

Kolakowski 1978, 56-67.


186

zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren etymologische Überlegungen häufiger

die Grundlage für historische Aussagen.

 

Die Sprache galt in den Ideen Herders als wichtigstes Merkmal für die

Individualität eines Volkes. Aus dieser Wurzel und der um 1800 entdeckten

Verwandschaft der indogermanischen Sprachen ist die zunächst stark

philologische Ausrichtung der verschiedenen europäischen Altertumskunden

verstehbar. Für die Entwicklung des intellektuellen wie politischen Panslawismus

als Vorstellung von der Einheit der slawischsprechenden und in unterschiedlichen

Staaten lebenden Völker war die Frage nach den Ursprüngen die unbedingte

Voraussetzung.517

 

Im 19. Jahrhundert wurden parallel zum entstehenden Panslawismus im

Deutschland des Vormärz das Mittelalter und die germanische Vorzeit mit

philologischen Methoden von einer romantischen Richtung in der

Geschichtswissenschaft stilisiert. Basierend auf einer vorwissenschaftlichen

Geschichtsliteratur wie etwa der von Novalis, und ausgehend von der Kategorie

des 'Volksgeists' Herders sind dieser romantischen Richtung die germanistische

Philologie eines Jacob Grimm, die historische Schule der Rechtswissenschaft

begründet von Friedrich Carl von Savigny und die neue allgemeine Historie des

Mittelalters mit Heinrich Luden, Friedrich Wilken und Johannes Voigt

zuzurechnen.518

 

Die Gelehrten und Politiker in den slawischsprachigen Ländern waren stark an

diesen intellektuellen Entwicklungen im dicht mit Universitäten durchsetzten

deutschen Sprachraum orientiert. Als Projektionsfläche politischer Hoffnungen

ihrer deutschen Zeitgenossen waren Altertum und Mittelalter bestens geeignet.

Mit einiger Mühe bei der Gestaltung der Perspektive waren nationale

Einheitsreiche der Germanen in den genannten Epochen auszumachen.

 

Solche Projektionen nahmen im 19. Jahrhundert nun auch polnische, tschechische

und serbische Schriftsteller und Gelehrte vor. In diesem Zusammenhang sind die

Ideen von Potocki und Pawel Josef Schafarschik zuerst zu verstehen. Bedenkt man,

daß Pawel Josef Schafarschik den großen panslawischen Kongreß im Juni 1848 in

Prag eröffnete, werden die Zusammenhänge noch deutlicher. Der Nationalismus

517Renfrew 1989, 20ff; Boshof/Düwell, et al. 1983, 34ff.

 

518Muhlack 1991, 412.


187

am Balkan, der auch noch in der Gegenwart eine gewichtige Rolle spielt, hat seine

Wurzeln ebenfalls in dieser Zeit.

IV.4.1. Der polnische Graf Potocki wirbt in Paris für die

slawische Sache

 

Die slawische Urgeschichte war - und ist es teilweise bis heute geblieben - in der

Geschichtsforschung ein 'obskurer' Prozeß. Schon die Geschichtsschreiber des

frühen Mittelalters hatten sich an herrschaftlich organisierten Großgruppen

orientiert. Die slawische Verbände wurden nur am Rand wahrgenommen oder

von dem Moment an, wenn sie eine dem westlichen Vorbild einigermaßen

analoge politische Struktur gebildet hatten. Keine großen Erobererkönige wie

Geiserich oder Alarich ließen sich bei den frühen Slawen als Häupter kollektiver Individualitäten stilisieren.519

 

Der polnische Graf Potocki war einer der ersten, der eine Konzeption von der

slawischen Frühgeschichte entwickelt hatte. Mit dieser versuchte er in der

aufgeklärten und nationalen französischen Öffentlichkeit Außenpolitik für das

geteilte Polen zu machen und zu zeigen, daß nicht nur die Franzosen den

historischen Anspruch einer stolzen Nation erheben konnten.

 

Potockis "Fragments historiques et geographiques sur la Scythie, la Sarmatie et les

Slaves" waren 1796 erschienen. Es handelt sich um ein schmales Bändchen, das

vor allem nachweisen wollte, daß die Slawen über eine im Westen kaum

bekannte, ehrwürdige alte Dichtung, Historiographie und Identität verfügten.

Potocki forderte als Teil seines Konzepts, die taciteischen Veneder endlich als

Urslawen anzuerkennen, ohne dies weiter zu argumentieren. "Les peuples Slaves

où Venedes" ist dann im weiteren Text eine immer wieder eingesetzte

Formulierung. Die älteste slawische "tradition indigéne" im Sinne Herders sei die

altrussische Nestorchronik. Dieser Text wird immer wieder in längeren Passagen

zitiert.

 

Auf die Gleichsetzung Wenden = Vandalen geht Potocki nur mehr mit einer

peripheren Bemerkung ein. "L'Afrique étoit soumise aux Vandales, peuple

Allemand qu'il ne faut pas confondre avec les Vendes où Venedes." Die

519Pohl 1988, 94.


188

Wenden/Slawen seien im Zuge der völkerwanderungszeitlichen Ereignisse von

ihren uralten Wohnsitzen an der Weichsel verdrängt worden. Am Donaulimes

seien diese Flüchtlinge dann auf die Byzantiner gestoßen, die ihnen einen neuen

Namen gaben. "Les Vendes chassés de l'Allemagne y parurent sous le nom

d'Antes et de Slaves." 520

 

Potocki ist als frühes Zeugnis einer national-slawischen Geschichtsschreibung zu

sehen. Das Werk, das die Grundlage für die slawische Altertumswissenschaft im

19. Jahrhundert liefern sollte, wird im folgenden besprochen.

IV.4.2. Pawel Josef Schafarschiks "Slawische Althertümer"

von 1837

Pawel Josef Schafarschik (1795 - 1861) wurde in der heutigen Slowakei geboren. In

Jena studierte er Theologie, Geschichte, Philologie und Philosophie, unter

anderem beim Historiker Heinrich Luden. Die oben angesprochenen Ideen

Herders und Hegels sowie die romantisierende Richtung der frühen deutschen

Mediävistik waren Schafarschik also bestens vertraut. Seit 1819 gehörte der

Slowake einem Kreis von "slawischen Patrioten" in Bratislava an. Dort kam er

erstmals mit Frantipek Palackyin Kontakt. Ganz im Sinne Herders gaben die jungen Nationalisten eine Sammlung tschechischer und slowakischer Dichtungen heraus.

Schafarschik war bis 1833 als Direktor eines serbischen Gymnasiums in Novi Sad,

das damals zu Südungarn gehörte und heute serbisch ist, tätig. In Novi Sad

verfaßte er eine "Geschichte der slawischen Sprache und Literatur nach allen

Mundarten". In den dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts versuchte sich

Schafarschik dann als Privatgelehrter in Prag. Zeitweise hatte er Lehraufträge an

der Prager Universität, 1842 wurde er zum Kustos der dortigen

Universitätsbibliothek ernannt. In dieser Stellung blieb er bis 1860. Auch politisch

trat Schafarschik in den Vordergrund. Er eröffnete im Mai 1848 den panslawischen

Kongreß in Prag. In den Jahren nach 1848 nahm er an den Diskussionen um die

Einführung des Tschechischen als gleichberechtigte Unterrichtssprache und die

Einrichtung tschechischer Lehrstühle an der Prager Universität teil. 1850 war

520Potocki, Fragments historiques, 1797, p. 26.


189

Schafarschik Vorsitzender einer Kommission des Wiener Justizministeriums, die

neue Landesgesetzblätter in der jeweiligen Landessprache herauszugeben hatte.

Der Prager Gelehrte war für die Arbeiten an der juridisch-politischen

Terminologie für die slawischen Sprachen zuständig. Schafarschik hinterließ ein

umfangreiches historisches, philologisches und geographisches Oeuvre und

leistete in vielen Bereichen der Slawistik und Mediävistik Pionierarbeit. Daß er

mit den Brüdern Grimm, Pertz und Bopp verglichen wurde ist bezeichnend. Nach

seinem Tod erschienen mehrere slawische Zeitungen von Kroatien bis Prag mit

einem Trauerrand am Titelblatt. In der slawischen Öffentlichkeit, die Schafarschik

durch seine Mitarbeit an diversen Zeitungsprojekten selbst mitgestaltet hatte, in

der österreichisch-ungarischen Monarchie und den anderen ost- und

südosteuropäischen Ländern war Schafarschik eine beachtete und stark rezipierte

Persönlichkeit. Ein Nachruf bezeichnete ihn als den "ruhmreichsten Sohn der Mutter

Slawia".521

 

Schafarschik arbeitete auch mit der Königinhofer und der Grünberger Handschrift,

jenen gefälschten Manuskripten, die Anfang des 19. Jahrhunderts ein neues,

historisch fundiertes Nationalgefühl der Tschechen mitzubegründen halfen.

Volkstümlich war in der von Herder begründeten romantisierenden Sicht des

Wesens von Völkern gleich altertümlich. Die ost- und südslawischen Heldenlieder

wurden am Anfang des 19. Jahrhunderts neu entdeckt, und das Fehlen einer

solchen Überlieferung bei den Westslawen erzeugte ein Gefühl der

Minderwertigkeit vor allem bei den Tschechen.

 

Also half man nach. Der tschechische Dichter Josef Linda produzierte ein

angeblich aus dem 13. Jahrhundert stammendes Gedicht über die alte Prager

Burg. Es wurde begeistert in der gelehrten tschechischen Welt aufgenommen.

Dieses Stück wurde aber auch von Goethe ins Deutsche übersetzt. Bei der

sogenannten alttschechischen Königinhofer Handschrift (Rukopis Kr·lovÈdvorsk˝)

handelte es sich um eine in den folgenden Jahrzehnten vieldiskutierte Fälschung

des Schriftstellers V·clav Hanka und seines Kreises von 1817/1818. Die angeblich

ebenfalls aus dem 13. Jahrhundert stammende Handschrift gerierte sich als

Bruchstück eines umfangreichen Manuskripts, das von heidnisch-tschechischen

Kämpfen gegen die Franken im frühesten Mittelalter berichtet. Der nächste Schritt

 

 

521Wurzbach 28, 53-67; Zacek 1970, 84ff.

Pawel Josef Schafarschik, "Juridisch-politische Terminologie der slavischen Völker in Österreich",

Wien 1850, Vorrede.


190

der Männer um V·clav Hanka war die Produktion von vier Blättern 'Original' aus

dem 9. Jahrhundert im Jahr 1818. Diese sogenannte Grünberger Handschrift

(Rukopis zelenhorsk˝) berichtet wieder vom selben heidnisch-tschechischen Sieg

gegen die Franken. Außerdem konnte man nachlesen, daß das tschechische Heer

aus freien Männern zusammengesetzt war, die über die militärische

Vorgehensweise abstimmen konnten. Diese Fälschung wurde auch "Gericht der

Libussa" genannt.522

 

Die Handschriften attestierten der tschechischen Nation nicht nur ein hohes Alter

sondern auch eine 'Urdemokratie'. Herder war zuerst der Maler des Bildes von

einem friedlichen slawischen Bauernvolk, das die ländliche Freiheit geliebt und in

einer egalitär organisierten Gesellschaft gelebt haben soll. Die Deutschen

unterwarfen nach Herder viele der friedlichen Slawenstämme, weil diese nie

Interesse an "der Oberherrschaft der Welt" entwickelten und eben keine

kriegstüchtigen Fürsten hervorgebracht hatten.523

 

Die Fälschungen von 1817/18 waren also bis ins Detail am Herderschen Idealbild

orientiert. Die alten Tschechen sollten nicht nur eine hochstehende Kultur mit

großem nationalem Stolz entwickelt haben, sondern auch von Natur aus

Demokraten gewesen sein, die in Heeresversammlungen Rat gehalten haben.

Diese guten alten slawischen Sitten wurden im späteren Mittelalter durch die

Deutschen und dem von ihnen importierten Feudalismus zerstört. Ziel der

nationalen Demokraten im 19. Jahrhundert mußte es also sein, den Slawen wieder

einen ihrem Wesen entsprechenden, eigenen bürgerlichen Staat zu geben.

Jahrzehntelang wurde die Echtheit der Fälschungen nicht mehr bezweifelt. Die

Begeisterung für eine glanzvolle und ideale slawische Vorzeit spielte eine große

Rolle in der Kunst des tschechischen 19. Jahrhunderts.

 

Palackynahm besonders unter dem Einfluß dieser romantischen

Handschriftenfälschungen eine ethnische und politische Einheit des Landes seit

dem Beginn der slawischen Siedlung an. Im Vorwort seiner tschechischen

Geschichte formulierte er die These, die gesamte Geschichte Böhmens sei durch

eine ständige Auseinandersetzung mit den Franken und später den Deutschen

charakterisiert. Auch in seinem Schreiben an die Nationalversammlung in

522Graus 1975, 267-275. Dort findet sich eine ausführliche Schilderung der Diskussionen rund um

die Fälschungen und die bis um 1900 geführten Auseinandersetzungen. Plaschka 1955, 30.

 

523Herder 1985, Sämtliche Werke Band VI, 697ff.


191

Frankfurt vom 11. April 1848, in dem er seine Ablehnung der Teilnahme an den

Tagungen begründete, argumentierte Palackymit den gefälschten

Handschriften.524

 

Schafarschik plante in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts gemeinsam mit

Palackydie Herausgabe einer Sammlung der ältesten Texte in tschechischer

Sprache. Aufgenommen werden sollten sowohl bereits edierte, als auch nur in

Handschriften vorhandene Texte. 1840 erschien in Prag ein Band mit

ausführlichem Kommentar und Anmerkungsapparat, der das "Gericht der

Libussa", ein Johannesevangelium und die Glossen der Mater Verborum

beinhaltete.525

 

Zur umstrittenen Fälschung der Königinhofer Handschrift bringt der Wurzbach

die Wiedergabe einer Stellungnahme Schafarschiks als anerkannte Autorität: "Er

erklärte nicht Zeit und überhaupt Wichtigeres zu thun zu haben, als ein altes

Schriftdenkmal gegen die Angriffe einer pyrrhonischen Kritik ängstlich in Schutz

zu nehmen, ein Schriftdenkmal, das nach seiner lebendigen Überzeugung das

Gepräge seiner Abkunft für jeden Urtheilsfähigen und Unbefangenen deutlich an

der Stirne trage und somit seines ängstlichen Schutzes gar nicht bedürfe."526

 

Das bedeutendste Werk Schafarschik waren die "Slawischen Altertümer", die

erstmals 1837 unter dem Titel "Slowanské Starozitnosti" in Prag erschienen.527 Die

"Altertümer" waren auf zwei Bände angelegt, der zweite erschien aber erst

posthum im Jahr 1863. Das zuerst in Tschechisch erschienene Buch wurde bald

nach seinem ersten Erscheinen ins Russische, Polnische und Deutsche übersetzt.

Angelegt war es als Geschichte aller slawischen Stämme von den ersten Quellen

bis zur Christianisierung. Besonderen Wert legte Schafarschik auf die Namen der

Stämme und die geographischen Fragen ihrer Wohnsitze und Wanderungen. Mit

einer 1842 erschienenen "Slawischen Ethnographie" legte Schafarschik noch eine kulturgeographische Arbeit zu den slawischen Völkern in der neueren Geschichte

524Vgl. Graus 1980, 53 und 199; Zacek 1970, 154ff; Plaschka 1955, 23 und 99ff.

 

525Zacek 1970, 35ff; Plaschka 1955, 156ff.

 

526Wurzbach 28, 56. Die Stellungnahme stammt aus Vorwort von J.M. Graf v. Thun, "Gedichte aus

Böhmens Vorzeit", Prag 1845.

 

527Gewidmet war das Werk Kaspar von Sternberg, einem Philologen, der in Jena gelehrt hatte.

"geho excellencj wysoce urozenému pánu Kasparowi Hrabeti ze Sternberka (...) s Neyhlubsj

uctiwostj."/ "Dem hochgeborenen Herrn Kaspar H. Sternberg, meinem verehrten Lehrer."


192

vor. Die "Slawischen Altertümer" boten ja nur eine Darstellung bis ins zweite

Jahrhundert nach Christus.528

 

Daß bei den Forschungen zu den "Slawischen Altertümern" manches

zurechtgebogen wurde, um die Spuren der Slawen in der antiken Ethnographie

aufnehmen zu können, muß nicht weiter betont werden. Im Kapitel I dieser Arbeit

wurde ja schon ausführlich auf Schafarschiks Thesen zu den Venedern

hingewiesen.

 

Zu erwähnen bleibt noch die Korrepondenz Schafarschiks mit Gustav Friedrich

Klemm (1802 - 1867), der nahezu gleichzeitig mit dem Erscheinen der "Slawischen

Altertümer" an der Herausgabe eines Handbuchs zur germanischen

Altertumskunde arbeitete. In der Tradition gelehrter Korrespondenz war es

möglich, daß Schafarschik und der königliche Bibliothekar aus Dresden sich mit

gegenseitigem Respekt und größter Hochachtung vor der jeweils anderen

Leistung austauschten, obwohl ihre Meinungen über die ethnische Zuordnung

diverser Bodendenkmäler sehr divergierte.529

 

Die primären Anregungen zur Konzeption der "Slawischen Altertümer", die eine

lange Rezeptionsgeschichte, die teilweise noch immer andauert, haben sollten,

bezog Schafarschik von Herder und Humboldt. Der slawische Teilstamm war für

den Prager Gelehrten ein Zweig der indogermanischen Völkergruppe. Der

wichtigste Punkt der Fragestellung war, daß "jedes große Volk der Gegenwart"

mit Sicherheit irgendwelche Vorfahren im Altertum haben mußte.

 

"Die jetzigen unvermischten und selbständigen Urvölker, wie z.B. das slawische

und das deutsche" waren nach Schafarschik vor 3000 Jahren ein eigener, durch

Methoden der vergleichenden Sprachwissenschaft isolierbarer, Stamm. Es gibt in

Schafarschiks Vorstellung eine Reihe von europäisch-asiatischen Urstämmen. Alle

seit dem Mittelalter bestehenden europäischen Völker bekamen einen solchen

Urstamm zugewiesen.530

 

Nun galt es, auch für die Slawen etwas den Germanen, Griechen oder Lateinern

Analoges zu finden. Die slawischen Stämme wurden in den Quellen des sechsten

 

 

528Wurzbach 28, 55 und 62ff.

 

529Schafarschik 1844, 5ff.

Hier finden sich einschlägige Äußerungen Schafarschiks zu dieser Korrespondenz.

 

530Schafarschik 1844, 40.


193

Jahrhunderts als außergewöhnlich zahlreich geschildert, meint Schafarschik. Dies

erlaube den Schluß, daß die erst von den Byzantinern explizit erwähnten Stämme

als solche älter seien und deren allseits betonte Größe mindestens schon um

Christi Geburt vorhanden gewesen sein müsse. Dann würde für die Slawen

dasselbe wie für die Germanen gelten. Die relevanten Autoren Jordanes, Prokop,

Agathias, Menander, Johannes von Biclaro und Maurikios machten allesamt keine

weiteren Nachforschungen über Herkunft und Alter der slawischen Stämme, was

für andere neu erscheinende Völker aber durchaus von den genannten Autoren

geleistet worden sei. Also muß es sich bei den Slawen um ein altes, immer schon

vorhandenes Volk handeln. Wanderungen vom Ausmaß der indogermanischen

im zweiten Jahrtausend vor Christus seien im fünften Jahrhundert nicht mehr

vorstellbar. Sollte ein slawischer Stamm jemals nach Europa eingewandert sein,

müßte das "in jenem undurchdringlichen Grau uralter Zeiten" vor sich gegangen

sein.531

 

Weiters argumentierte Schafarschik mit dem bei Prokop überlieferten Namen

Sporen, wie die Slawen zuerst genannt worden seien. Dieser sei als Ausdruck der

weit verstreuten Wohnsitze der alten Slawen zu verstehen und als Vorform der

Bezeichnung Serben mit allen Varianten. Jordanes dagegen überliefere eine

parallele Tradition, die auf dem Ethnonym, Winidae/Veneder oder eben in der

germanischen Form Winden, aufbaue. Sporen, Anten und Slawen seien nur die

Namen von Stämmen, die in den Bereich der Byzantiner gekommen waren. Der

älteste Name sei also der Wendenname und das wird als eines der wichtigsten

Argumente für die Abstammung der Slawen von den Venedern

herausgearbeitet.532

 

Die Zeitgenossen attestierten Schafarschik, "ein gewaltiger Geist" gewesen zu sein

und "die Ehrenrettung der Abstammung der Slawen" übernommen zu haben. "Er

hat diese in dem europäischen Staatensysteme als vollkommen gleichberechtigt

hingestellt und die einzelnen Slawenstämme, der Erste, in ihrer Gesammtheit als

Theile einer großen Nation aufgefaßt. (...) Schafarschik betrachtet das Slawenthum als

Theil der großen, in viele Theile gegliederten, in sich aber doch einigen

Menschheit, welche eben weil sie Leben ist und die Einförmigkeit flieht, nach

individuellen Gestaltungen strebt. Er weist nach, wie sich die slawische Sprache

neben der deutschen, griechischen und lateinischen in Europa selbstständig

 

 

531Schafarschik 1844, 44ff.

 

532Schafarschik 1844, 67ff.


194

entwickelte und führt aus ihrer grammatischen und syntaktischen Ausbildung

den sprechendsten Beweis, daß die slawischen Völker in den Culturländern

Europas wohl schon lange lebten, ehe die Geschichtsschreibung ihrer als Slawen

erwähnt und daß diese in dem wogenden Völkermeere der transalpinischen und transbalkanischen Länder neben den Kelten und Germanen einen bedeutenden

Bestandtheil bildeten. (...) Dabei hat dieser geniale Forscher in voller

Leidenschaftslosigkeit seine Forschungen ausgeführt. Er stößt keine Weh- und

Klagelaute darüber aus, daß die baltischen und Elbeslawen, einem alten

Culturgesetze folgend, unter dem Einfluß civilisirterer Volksstämme ihre

selbstständige Existenz einbüßten."533

 

Dieser Teil eines biographischen Lemmas aus den siebziger Jahren des 19.

Jahrhunderts zeugt von der Verschiebung von einem nationalen zu einem

spätestens seit 1870/71 auf allen Seiten chauvinistisch und nationalistisch

überladenen Begriff von Volk und Nation. An die Stelle dieser Begriffe trat in den

folgenden Jahrzehnten der Mythos von Volkstum und Rasse. Schafarschik arbeitete

mit einem nationalen Modell, das noch weitgehend ohne die Geschichtsbilder von

ewiger Feindschaft mit den Nachbarn auskam.

 

Dieser Hintergrund ermöglichte auch die grenzüberschreitende Akzeptanz

wissenschaftlicher Thesen. Schafarschiks Arbeit wurde in der deutschen Forschung

akzeptiert und geachtet. Das mußte 40 Jahre später schon eigens betont werden.

Angenommen wurden seine Thesen von einer deutschen Forschung, "welche

keinen Anstand mehr nahm, seine Ansichten gelten zu lassen und die Slawen in

das ihnen durch mangelhafte frühere Forschung vorenthaltene Recht

einzusetzen".534 Im Band IV. der ersten Auflage des Reallexikons der

germanischen Altertumskunde von 1918 ist zu lesen: "Zweifellos sind mit den

Venedi, Venethi unserer ältesten Quellen die gesamten Slawen gemeint. Später

schränkt sich das Geltungsgebiet des Namens dadurch ein, daß einzelne Teile der

Slawen unter besonderen Bezeichnungen hervortreten."535

533Wurzbach 28, 63.

 

534Wurzbach 28, 63.

 

535RGA 1/4, s.v. Wenden, 508.


195

V. Resümee

 

Die Bezeichnung wendische Städte/vandalicae urbes und der schwedische

Königstitel sind die Relikte der wahrscheinlich im achten und neunten

Jahrhundert vorgenommenen Gleichsetzung von Vandalen und Wenden/Slawen.

Vom 13. bis 15. Jahrhundert wurden die frühmittelalterlichen Konzeptionen von

polnischen Geschichtsschreibern erneut als Identitätsmodell verwendet. Auf Basis

der in einer Beziehung zum Tacitustext stehenden Völkergenealogie, die in der

sogenannten 'Fränkischen Völkertafel' überliefert ist, gaben Schreiber im

fränkischen Machtbereich der durch die slawische Ethnogenese neu entstandenen

Bevölkerung im Osten Europas einen Platz im Rahmen der zur Verfügung

stehenden Konzeptionen von Geschichte und Identität. Die Folgen dieses

Vorgangs wurden hier dargestellt.

 

Bis ins 17. Jahrhundert spielte vor dem Hintergrund einer recht unklaren

Vorstellung von einer überregionalen Identität in der Historiographie von

frühneuzeitlichen Territorialstaaten die aus dem frühen Mittelalter stammende

pseudologische Gleichsetzung von Wenden und Vandalen noch eine Rolle.

Mithilfe des Pseudo-Berossos und des Tacitus war versucht worden, eine im 15.

und 16. Jahrhundert nicht mehr erklärbare mittelalterliche Namenstradition in

einen argumentierbaren Rahmen zu stellen.

 

Hatte die deutsche Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts die Gleichsetzung

Wenden = Vandalen als Irrtum des Mittelalters verworfen und nicht weiter

beachtet, versuchten slawische Historiker im 19. Jahrhundert jeden Zweifel an der

slawischen Identität der Veneder als direkte Vorfahren der Slawen/Wenden

abzuweisen. Die Geschichtsschreibung begann sich zu nationalisieren. Im 18.

Jahrhundert rationalisierte man und verwarf die Gleichsetzung mit den Vandalen,

hat den Sachverhalt und die Stellen, an denen sie vorgenommen worden war,

aber noch diskutiert. Die Forscher des 19. Jahrhunderts begannen zwar verfeinerte

Methoden zu entwickeln, verfolgten aber in vielen Fällen benennbare politische

Interessen in ihrer Gegenwart. Das Interesse der Osteuropäer war es, eine

slawische Urbevölkerung vor der erstmaligen Nennung der Slawen in

byzantinischen Quellen zu finden. Die deutschen Historiker akzeptierten die

Venederthese auch, weil sie noch vor den nationalistischen Kämpfen der zweiten

Hälfte des 19. Jahrhunderts formuliert worden war. Da die Wahl auf die Veneder

gefallen war, störte die Gleichsetzung Wenden = Vandalen ein wenig die


196

Harmonie der Thesen. Das ist wohl neben der Ablehnung durch die

Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts der Grund, daß die Frage nach dem

Warum nicht weiter diskutiert wurde. Die deutsche Wissenschaft überließ die

antiken Veneder sozusagen den Slawen.


197

Anhang

 

A. Abkürzungen

 

AASS: Acta Sanctorum, ed. J. Bollandus u.a., 67 Bde., Antwerpen 1643 ff; Paris

1863-1925.

AAW: Abhandlungen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien.

ADB: Allgemeine Deutsche Biographie, Hg. von der historischen Kommission bei

der königlichen Akademie der Wissenschaften, 56 Bde., Leipzig 1875ff.

AfKuG: Archiv für Kulturgeschichte, 1903/1950ff.

AusgQqMA: Ausgewählte Quellen deutscher Geschichte - Mittelalter. Freiherr

von Stein Gedächtnisausgabe.

BT: Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana, Leipzig (seit

1953)/ Stuttgart 1850ff.

CAH: The Cambrige Ancient History, Cambridge 1967ff.

CCL: Corpus Christianorum Series Latina. Torhout, 1953ff.

CFHB: Corpus fontium historiae byzantinae, Washington 1967ff (Series

Washingtonensis); Berlin 1967ff (Series Berolinensis); Wien 1975ff (Series

Vindobonensis); Rom 1975ff (Series Italica); Brüssel 1975ff (Series Bruxellensis).

CLA: Codices latini antiquiores, Hg. E. A. Lowe, 12 Teile, Oxford 1934 ff.

CMH: The New Cambridge Medieval History, edited by D. Abulafia; M. Brett

u.a., Cambridge 1989ff.

CSEL: Corpus scriptorum ecclesiasticorum Latinorum, Österr. Akademie der

Wissenschaften, Wien 1865 ff.

CSHB: Corpus scriptorum historiae byzantinae, ed. B. G. Niebuhr, 50 Bde., Bonn

1828-1897.

DA: Deutsches Archiv für Geschichte des Mittelalters, Marburg-Köln 1951 ff.

DBE: Deutsche Biographische Enzyklopädie.

DHGE: Dictionnaire d'histoire et de géographie ecclésiastique, Hg. Alfred

Baudrillart, Paris 1912ff.

Dipl. AM.: Diplomatarium Arna-Magnaeanum, ed. G. Thorkelin, Band I-II,

Kopenhagen 1786.

Dipl. Dan.: Diplomatarium Danicum. 1. raekke I-II, IV-V; 2. raekke I-XII; 3. raekke

I-VII, Kopenhagen 1938ff.

Dipl. Svec.: Diplomatarium Suecanum/ Svenskt Diplomatarium , hg. J.G.

Liljegren, B.E. Hildebrand, Sv. Tunberg og E. Nygren I-VI, Stockholm 1829-1959.

DNP: Der NEUE PAULY. Enzyklopädie der Antike, 1996ff.

Ersch/ Gruber: Allgemeine Enzyklopädie der Wissenschaften und Künste in

alphabetischer Folge von genannten Schriftstellern bearbeitet und hg. von J.s.

Ersch und J.G. Gruber, I. Section A-G; II. Section H-L; III. Section O-P, Leipzig

1852.

FHG: Fragmenta historicorum graecorum (...) auxerunt, notis et prolegomenis

illustrarunt, ed. C. et Th. Mulleri, Bd. I-IV, Paris 1885.


198

FMSt: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für

Frühmittelalterforschung der Universität Münster, Hg. Karl Hauck.

Geschichtliche Grundbegriffe: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches

Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Hg. O. Brunner, W. Conze,

R. Kosseleck, 7 Bände, Stuttgart 1988ff.

GCS: Die griechischen christlichen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte, 52

Bände, Leipzig/Berlin 1897-1960.

Hist. Gr. Min.: Historici Graeci Minores, ed. L. Dindorf, Bd. I-II, Leipzig 1870-71.

Hoefer: Jean-Francois Hoefer: Nouvelle biographie générale, 52 tom., Paris 1850ff.

HRG: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Hg. A. Erler, E.

Kaufmann, Berlin 1964ff.

LCL: The Loeb Classical Library, London/New York 1912ff.

LMA: Lexikon des Mittelalters, München 1977 ff.

LThK: Lexikon für Theologie und Kirche, Hg. M. Buchberger u.a., Freiburg 1957-

1965.

Mansi: G. D. Mansi: Sacrorum Conciliorum nova et amplissima collectio, 31 Bde.,

Florenz 1759-98; Nachdruck Graz 1960.

MEW: Marx/Engels Werkausgabe, hg. vom Institut für Geschichte der

Arbeiterbewegung, Berlin 1959ff.

MGH Auct. Ant.: MGH Scriptores. Auctores antiquissimi, 15 Bde.

MGH SS: MGH Scriptores, 32 Bde.

MIÖG: Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung,

Innsbruck/ Wien 1948 ff.

MPH: Monumenta Poloniae Historica/ Pomniki Dziejowe Polski, Lwow 1870ff.

MUB: Meklenburgisches (sic!) Urkundenbuch, Hg. von dem Verein für

meklenburgische Geschichte und Alterthumskunde, Bd. I - XXV, Schwerin 1863 -

1977.

NA: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde zur

Beförderung einer Gesamtausgabe der Quellenschriften deutscher Geschichte des

Mittelalters, Hannover 1876 ff.

NDB: Neue Deutsche Biographie, Hg. von der historischen Kommission bei der

bayrischen Akademie der Wissenschaften, 19 Bde., Berlin 1953ff.

OCD: The Oxford Classical Dictionary, Hg. N. Kammand; H. Scullard, 3rd

Edition, Oxford 1993.

ODB: The Oxford dictionary of Byzantium, 3 Bde., Hg. A. P. Kazhdan, Oxford

1991.

PMH: Portugaliae Monumenta Historica. A saeculo octavo post Christum usque

ad quintumdecimum, Lissabon 1856.

PCBE: Prosopographie chrétienne du Bas-Empire; Hg. André Mandouze, Tom. 1: Prosopographie de l'Afrique chrétienne (303-533), Paris 1982.

PG: Patrologia cursus completus: series Graeca; 161 Bde., Paris 1857-1866.

PL: Patrologiae cursus completus: series Latina; ed. J. P. Migne, 221 Bde., Paris

1844-65.

PLRE: The Prosopography of the Later Roman Empire; Hg. J.R. Martindale;

A.H.M. Jones; J. Morris, Vol. I: A.D. 260-395; Vol. II: A.D. 395-527; Vol. IIIA: A.D.

527-641, A-Iy; Vol. IIIB: A.D. 527-641, Ka-Z, Cambridge 1971-1992.


199

RAC: Reallexikon für Antike und Christentum

RE: Pauly/Wissowa - Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft,

1894ff.

Repertorium Fontium: Repertorium Fontium Historiae Medii Aevi; Hg. A.

Potthast/ Istituto Storico Italiano per il medio evo, Rom 1967ff.

Rer. Brit.: Rolls Series. Rerum Britannicarum medii aevi scriptores, edited by the

Master of the Rolls, 251 Bde., London 1858-1896.

RGA: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, begründet von J. Hoops,

zweite völlig neu bearbeitete und stark erweiterte Auflage unter Mitwirkung

zahlreicher Fachgelehrter und redaktioneller Leitung von R. Müller hg. von H.

Beck, H. Steurer, D. Timpe, Berlin 1967ff.

RGA 1: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, hg. von J. Hoops,

Straßburg 1910ff.

RhM: Rheinisches Museum für Philologie; Hg. Otto Ribbeck, Franz Bücheler,

Bonn/ Frankfurt am Main 1827 ff.

TRE: Theologische Realenzyklopädie, Hg. G. Krause und G. Müller, Berlin 1977ff. Verfasserlexikon: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon.

zweite Auflage, Hg. K. Ruh, Bd. I-X, Berlin 1978ff.

VS: Vies des Saints et des Bienheureux selon l'ordre du calendier avec l'historique

des fêtes, Hg. P. Baudot; P. Chaussin, Paris 1935-1953.

Wattenbach-Holtzmann: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Erster -

Dritter Teil, Neuausgabe von F.J. Schmale, Darmstadt 1967-1971.

Wattenbach-Schmale: Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Erster

Band, Darmstadt 1976.

Wetzer & Welte's: Wetzer & Welte's Kirchenlexikon oder Encyklopädie der

katholischen Theologie und ihrer Hilfswissenschaften, Freiburg 1884.

Wurzbach: Wurzbach, Constant v., Biographisches Lexikon des Kaisertums

Österreich, 60 Bde., Wien 1856-1891.

ZDPh: Zeitschrift für deutsche Philologie, Halle 1869ff.


200

B. Quellen

 

B.1. Quellen bis zum 15. Jahrhundert in Editionen

 

 

Acta Apostolorum (Prajeis Apostolvn) : Novum Testamentum Graecum, ed.

Eberhard Nestle, Stuttgart 1903.

Ammianus Marcellinus: Rerum gestarum libri XXXI, ed. W. Seyfahrt, Band 1 und

2, Leipzig 1978.

Adam von Bremen: Gesta Hammaburgensis ecclesiae pontificum, ed. B.

Schmeidler, MGH SSrG, Hannover 1917; übersetzt von W. Trillmich, AusgQqMA

11, Darmstatdt 1961.

Annales regni Francorum inde ab anno 741 usque ad a. 829, qui dicuntur Annales

Laurissenes maiores et Einhardi, ed. F. Kurze MGH SSrG 6, Hannover 1895; ed.

und dt. Übersetzung: R. Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 1,

AusgQqMA A 5, Darmstatdt 1955, p. 1-155.

Anthologia Latina: Anthologia Latina I. Carmina in codicibus scripta. ed. D.R.

Shackleton Bailey, Stuttgart 1982.

Agathias: Agathiae Myrinaei Historiarum Libri quinque cum versione latina et

annotationibus, ed. B.G. Niebuhr, CSHB III, Bonn 1828; Historiarum Libri

Qunique, ed. R. Keydell, Berlin 1967; englische Übersetzung: J.D. Frendo, The

Histories, Berlin 1975.

Annolied: Das Annolied, ed. E. Nellmann, Übersetzung und Kommentar,

Stuttgart 1975.

Appian: Mithridateios, ed. H. White, LCL, 1912/13; ed. und italienische

Übersetzung: Ernesto Gabba, Appiano Storia Romana, Rom 1958.

Bartholomaeus Anglicus: Bartholomaei Anglici de genuinis rerum coelestium,

terrestrium et inferarum proprietatibus, libri XVIII, ed. G.B. Pontanus, Frankfurt

1601, Nachdruck Frankfurt 1964.

Chronicon Balduini Ninoviensis: ed. J.-J. de Smet, in: Corpus chronicorum

Flandriae, Band 2, Brüssel 1841, p. 581-746; ed. O. Holder-Egger, MGH SS 25,

Berlin 1880, p. 521-546.

Beda Venerabilis: Chronica maiora ad a. 725/ Chronica minora ad a. 703, ed. T.

Mommsen, MGH, Auct. Ant. XIII, CM 3, p. 223 - 346, Berlin 1898.

Boguphal von Posen: Boguphali II. episcopi Posnaniensis chronicon Poloniae cum continuatione Basconis custodis Posnaniensis, ed. A. Bielowski, MPH II, p. 467ff,

Warschau 1872 (Neudruck 1961).

C. Julius Caesar: De bello Gallico, ed. Otto Seel, BT, Leipzig 1961.

Cassiodorus: Variae, ed. T. Mommsen MGH, Auct. Ant. XII, Berlin 1887; teilweise

englische Übersetzung: Th. Hodgkin, Cassiodors Variae, London 1886; Chronica,

ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 109 - 162, Berlin 1894.

Chronicon Paschale: ed. L. Dindorf CSHB, 1832; englische Übersetzung: M.

Whitby, Chronicon Paschale 284 - 628 AD, Translated Texts for Historians 7,

Liverpool 1989.


201

Chronicon Vedastinum: ed. G. Waitz MGH SS XIII, p. 674-710, Hannover 1881;

ed. C. Dehaisnes: Les Annales de Saint-Bertin et de Saint-Vaast, p. 674ff, Paris

1871.

Codex Justinianus: ed. T. Mommsen; P. Krüger, Berlin 1887.

Codex Theodosianus: ed. T. Mommsen; P. M. Meyer, Berlin 1905; englische

Übersetzung: C. Pharr, Princeton 1952.

Concilia Africae a. 345 - a. 525: ed. C. Munier, CCL 149.

Conversio Bagoariorum et Carantanorum, ed. F. Lopek, MGH Studien und Texte

Band 15, Hannover 1997.

Flavius Cresconius Corippus: Iohannis, ed. J. Partsch, MGH Auct. Ant. III/2, p. 1-

156, Berlin 1879; ed. und englische Übersetzung: A. Cameron: Flavius Cresconius

Corripus. Text and Translation, London 1976.

Cosmas von Prag: Cosmae Pragensis Chronica Boemorum, ed. B. Bretholz MGH

SSrG NS 2, Berlin 1923; dt. Übersetzung: G. Grandaur/ W. Wattenbach: Des

Dekans Cosmas Chronik von Böhmen, Geschichtsschreiber der dt. Vorzeit 65,

Leipzig 21895.

Dexippus: Dexippi Atheniensis De Bellis Scythicis; De Rebus Macedonicis;

Fragmenta, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 2-38, Bonn 1829.

Jan Dlugosz: Joannis Dlugossii Opera omnia, ed. A. Prze´zdziecki, I-XIV,

Warschau 1863-1887; Joannis Dlugossii Annales seu Chronicae incliti Regni

Polonia, ed. J. Dabrowski u.a., Warschau 1964ff; Historiae Polonicae libri XII, ed. I.

Zegota Pauli, 3 Bände, Krakau 1873.

Einhard: Einhardi Vita Karoli Magni, ed. O. Holder-Egger, MGH SSrG in usum

scholarum 25, Hannover 1911; ed. und deutsche Übersetzung: R. Rau, Quellen zur karolingischen Reichsgeschichte 1, AusgQqMA A 5, Darmstatdt 1955, p. 157-211.

Evagrius, Historia Ecclesiastica, englische Übersetzung: E. Walford, A History of

the Church, London 1851.

Ferrandus: Vita Fulgentii, ed. J. Frapoint, Sancti Fulgentii Episcopi Ruspensis

Opera, CCL 91 und 91A, 1968; teilweise Übersetzung.: Robert B. Eno: Fulgentius.

Selected Works, The Fathers of the Church 95, Washington 1997.

Fredegar-Chronik: Chronicarum quae dicuntur Fredegarii scholastici libri IV cum continuationibus, ed. Bruno Krusch, MGH SS rerum Merovingicarum 2, p. 1-193,

Hannover 1888; ed. und deutsche Übersetzung: Herbert Haupt, Ausgewählte

Quellen zur deutschen Geschichte 4a, Darmstadt 1982, p. 1-325.

Gelasius: Gelasii epistulum ad episcopos Dardaniae, ed. Günther, in: C.S.E.L.

35,p. 391.

Gennadius: Liber de viris inlustribus, ed. E. C. Richardson, Leipzig 1896; ed. J. P.

Migne PL 58, p. 1053-1132; ed. J. Bernouilli, Leipzig 1895/1968.

Gerhard v. Augsburg: Vita Sancti Uodalrici, ed. W. Berschin und A. Häse: Die

älteste Lebensbeschreibung des hl. Ulrich, Edition und dt. Übersetzung,

Heidelberg 1993.

Gervasius von Tilbury: Gervasii Tilleberinsis otiis imperialibus, teilweise ed. R.

Pauli, MGH SS 27, p. 363-394, Berlin 1885; vollständige Edition: Emendationes et Supplementorum Otiorum Imperialium Gervasii Tilberiensis, ed. Wilhelm

Leibniz, Scriptores rerum Brunsvicensium 2, p. 751-784, 1710.


202

Gesta Dagoberti, ed. Bruno Krusch, MGH SS rerum Merovingicarum 2, p. 369-

399, Hannover 1888.

Gesta sancti Hrodberti confessoris, ed. W. Levison, MGH Scriptores rerum

Merovingicarum 6, p. 140ff, Berlin 1882.

Gottfried von Viterbo: Gotifredi Viterbiensis memoria seculorum, ed. G. Waitz,

MGH SS 22, p. 94-106, Berlin 1872; Gotifredi Viterbiensis pantheon, ed. ebd., p.

107-307.

Gregor von Tours, Historia Francorum, ed. W. Arndt, MGH, Scriptores rerum

Merovingicarum 1, p. 1 - 451, Berlin 1885; ed. und deutsche Übersetzung: R.

Buchner, Darmstadt 1970.

Heinrich von Huntingdon: Henrici archidiaconi Huntendunensis histora

Anglorum, ed. T. Arnold, RS - Rer. Brit. SS 74, London 1879; teilweise ed. F.

Liebermann, MGH SS 13, p. 148-158, Berlin 1881; englische Übersetzung: T.

Forester, Henry of Huntingdons History of the English, London 1850.

Helmold von Bosau: Helmoldi presbyteri Bozoviensis Chronica Slavorum, ed. B.

Schmeidler, MGH SSrG 32a, Hannover 1909; ed. und deutsche Übersetzung: H.

Stoob, Chronica Slavorum/Slawenchronik, AusgQqMA 16, Darmstadt 1973.

Hermann der Lahme (Hermannus Contractus): Chronica, ed. G. H. Pertz, MGH

SS V, p. 67-133, Berlin 1844; ed. und Übersetzung: R. Buchner, AusgQ 11, p. 628-

707, Berlin 1961.

Herodot: Historiae, ed. H. Stein, Herodotos, Text und Kommentar, 5 Bde., Berlin

1963; ed. H. B. Rosen, 2 Bde., Teubner 1987-1997.

Hieronymus: Translatio Chronicorum Eusebii Pamphilii, ed. J. P. Migne PL 27, p.

9-507; De scriptoribus ecclesiasticis, ed. J. P. Migne PL 23, p. 631-759.

Hydatius: ed. T. Mommsen, Hydatii Lemici continuatio chronicorum

Hieronymianorum, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 13 - 36, Berlin 1894; ed. und

englische Übersetzung: R. W. Burgess, The Chronicle of Hydatius and the

Consularia Constantinopolitana. Two contemporary Accounts of the Final Years

of the Roman Empire. Edited with an English Translation, Oxford 1993.

Ildefonsus Toletanus: De viris illustribus, ed. J. P. Migne, PL 96, p. 51-330.

Isidor von Sevilla: Historia Gothorum Wandalorum Sueborum, ed. T. Mommsen,

MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 241-304, Berlin 1894; übersetzt: A. Donini/W. Ford,

Leiden 1970; Chronica maiora, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p.

391-489, Berlin 1894; De viris illustribus, ed. J. P. Migne, PL 83, p. 356-392.

Isidor von Sevilla: Isidorus Hispalensis Etymologiae, ed. M. Reydellet u.a.,

Collection A.L.M.A., Paris 1980ff; Historia Gothorum Wandalorum Sueborum, ed.

T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p. 241-304, Berlin 1894; übersetzt: A.

Donini/W. Ford, Leiden 1970;

Johannes abbas Biclarensis: Chronica, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM

2, p. 208 - 223.

Jordanes: De Summa Temporum vel Origine Actibusque Gentis Romanorum, ed.

T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. V, Berlin 1882.

Jordanes: De origine actibusque Getarum, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. V,

p. 53-138, Berlin 1882, Neudruck 1982.

Josephus Flavius: Antiquitates Judaicae, ed. B. Niese, Berlin 1890/1955.


203

Lactantius, De mortibus persecutorum, ed. und englische Übersetzung: J. L.

Creed, Oxford 1984.

Liber Pontificalis: ed. L. Duchesne, Le Liber Pontificalis, Texte, introduction et

commentaire, 2 vol., Paris 1886-92; ed. T. Mommsen, Gestorum Pontificum

Romanorum vol. 1, MGH, Berlin 1898; englische Übersetzung: R. Davis, The Book

of Pontiffs (Liber Pontificalis), Translated Texts for Historians 5, Liverpool 1989.

Johannes Malalas: Xronografa, ed. L. Dindorf, CSHB 6, Bonn 1831; ed. A. Schenk

von Stauffenberg, Die römische Kaisergeschichte bei Malalas. Griechischer Text

der Bücher IX-XII und Untersuchungen, Stuttgart 1931; Ioannis Malalae

Chronographia, ed. I. Thurn, CFHB 35, Berlin 2000; teilweise englische

Übersetzung (des slawischen Texts): M. Spinka; G. Downey, Chronicle of John

Malalas. Books VIII-XVIII, Chicago 1940.

Malchus: Ex historia Malchi Rhetoris Philadelphensis Excerpta de Legationibus

Gentium ad Romanos, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 231-278, Bonn 1829;

ed. und italienische Übersetzung: L.R. Cresci: Frammenti. Malco die Filadelfia,

Neapel 1982.

Marcellinus Comes: Chronicon, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p.

37-104, Berlin 1894.

Mierszwa: Miersuae Chronicon, ed. A. Bielowski, MPH II, p. 163ff, Warschau 1872

(Neudruck 1961).

Notitia provinciarum et civitatum Africae: ed. C. Halm, MGH, Auct. Ant. III, p.

63-71, Berlin 1879/1961.

Passio beatissimorum Martyrum, ed. C. Halm: MGH Auct. Ant. III, p. 59-62,

Berlin 1879.

Paulus Diaconus: Historia Langobardorum, ed. L. Bethmann; G. Waitz, MGH SS

rerum Langobardicarum, p. 12ff, Berlin 1878.

Petrus Patricius: Petri Patricii Excerpta de Legationibus Romanorum ad Gentes,

ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 133-136, Bonn 1829.

Plinius: C. Plinii Secundi Naturalis historiae libri XXXVII, ed. C. Mayhoff, Leipzig

1906; ed. und deutsche Übersetzung: R. König, Gaius Plinius Secundus,

Naturkunde 1-35, Zürich 1973-1978.

Plutarch, Vitae Parallelae (Bioi Paralleloi), ed. C. Lindskog; K. Ziegler, München

1914-1939.

Priscus, Historica Gothica Prisci Rhetoris. Excerpta de Legationibus Romanorum

ad Gentes, ed. I. Bekker; B.G. Niebuhr, CSHB 1, p. 166-228, Bonn 1829; ed. und

englische Übersetzung: F. Bornmann, Prisci Fragmenta, Florenz 1979.

Prokop: BV = Bellum Vandalicum/ BG = De bello Gothico/De aedificiis, ed. O.

Veh: Prokop. Werke, 5. Bde., Tusculum Bücherei, München 1961; J. Haury: Procop

of Caisareia, 3 Bde., London 1914-40.

Prosper Tiro: Epitoma Chronicon, ed. T. Mommsen, MGH, Auct. Ant. IX, CM 1, p.

341-499, Berlin 1905.

Ptolemaios: Claudii Ptolemaii Geographika I-III, ed. K. Müller; IV-V, ed. T.

Fischer, Paris 1883 und 1901; teilweise deutsche Übersetzung: O. Cuntz, Die

Geographie des Ptolemaeus. Galliae, Germania, Raetia, Noricum, Pannoniae,

Illyricum, Italia. Handschriften, Text und Untersuchung, Berlin 1923.


204

Rimbert: Vita Anskarii, ed. und übersetzt: W. Trillmich, AusgQqMA 11, p. 15-133,

Darmstatdt 1961.

Salvian: De gubernatione Dei, ed. M. Petschenig, CSEL 7, Wien 1881;

Übersetzung: A. Helf, Des Salvianus Priesters von Marseille acht Bücher über die

göttliche Regierung, Kempten 1877.

Saxo Grammaticus: Saxonis Gesta Danorum, ed. J. Olrik; H. Raeder, CCDMA 4,

Kopenhagen 1962; ed. und englische Übersetzung: H. Ellis-Davidson; P. Fisher,

Saxo Grammaticus. The History of the Danes. Books I-IX, Cambridge 1979; E.

Christiansen, Saxo Grammaticus Danorum regum herorumque historia. Books X-

XVI. The text of the first edition with translation and commentary 1-3, British

Archival Reports International Series 84, 118,1-2, Oxford 1980-1981.

Sigebert v. Gembloux: Chronica universalis, ed. L. C. Bethmann, MGH SS VI, p.

300-374.

Strabon: Geographika, ed. G. Kramer, Strabonis Geographica, Leipzig 1844; ed.

H.L. Jones 8 Bände, LCL; dt. Übersetzung: A. Forbiger, Strabons Erdbeschreibung,

Berlin 1856-60.

Tacitus: Germania, P. Cornelius Tacitus Germania, ed. A. A. Lund, Heidelberg

1988; ed. und deutsche Übersetzung: G. Perl, Tacitus Germania, Griechische und

lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte des 1.

Jahrhunderts 2, Berlin 1990.

Theophylaktos Simokates: Theophylakti Simokatae Historiae, ed. C. de Boor,

Leipzig 1887; deutsche Übersetzung: P. Schreiner, Theophylaktos Simokates

Geschichte, Bibliothek griechischer Literatur 20, Stuttgart 1985.

Victor von Tunnuna: Chronica, ed. T. Mommsen: MGH, Auct. Ant. XI, CM 2, p.

167-184, Berlin 1894; ed. und italienische Übersetzung: A. Placanica, Vittore da

Tunnuna. Chronica. Chiesa e Impero nell'età di Giustiniano, Florenz 1997.

Victor von Vita: Historia persecutionis africanae provinciae sub Geiserico et

Hunirico regibus Wandalorum, ed. C. Halm: MGH, Auct. Ant. III, p. 1-58, Berlin

1879; ed. M. Petschenig, CSEL 7, Wien 1881; ed. und englische Übersetzung: J.

Moorhead, Victor of Vita. History of the Vandal Persecution, Translated Texts for

Historians 10, Liverpool 1992.

Vincentius Kadlubek: Chronica Polonorum, ed. A. Bielowski, MPH II, p. 193-453,

Warschau 1872 (Neudruck 1961).

Vita SS. Marini et Anniani: ed. B. Sepp, Regensburg 1892 und tw. ed. O. Holder

Egger, in: NA 13, Berlin 1889, p. 22-28; ed. in: Monumenta Boica 1, p. 343-350.


205

B.2. Quellen vom 15. Jahrhundert bis 1800

 

Die Druckwerke bis zum Jahr 1800 finden sich in diesem Verzeichnis gesondert zitiert. Die Titel

werden teilweise gekürzt wiedergegeben. Die Autorennamen sind in verschiedenen Varianten

angeführt, da im Bibliothekswesen keine einheitliche Zitierweise etwa für Humanistennamen

besteht. Bei den Erscheinungsorten und -jahren wurde wenn möglich der Erstdruck und die

benutzte Ausgabe zitiert.

Die Literatur des 19. Jahrhunderts wird wie die restliche Forschungsliteratur zitiert.

Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen

Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart mit beständiger Vergleichung der

oberdeutschen, 5 Bände, Leipzig 1774 - 1786.

Johann Heinrich Alstedius: Thesaurus chronologiae, vierte Auflage, Herborn

1650.

Flavius Blondus: De Roma triumphante libri decem. Romae instauratae libri III.

De origine et gestis Venetorum. Italia illustrata. Historiarum ab inclinatione

Romanorum imperio decades III, Basel 1531. (Gesamtausgabe der Werke Biondos)

Jan Broems: Dissertatio de Vandalorum in Africa imperio, Upsala 1698.

Ambrosius Calepino: Calepinus Septem linguarum. Hoc est lexicon latinum

variarum linguarum interpretatione adjecta in usum seminarii Patavini, Passau

1726.

David Chyträus: Continuatio Vandaliae et Saxoniae ab anno Christi 1500,

Wittenberg 1585.

David Chyträus: Praemium metropolis seu succesionum episcoporum in ecclesiis

Saxoniae et Vandaliae veteris cathedralis XX ab anno Christi 1550, ubi Krantzius

desiit ad nostram usque aetatem deductae, Rostock 1586.

Philipp Cluverius: Germaniae antiquae libri tres. Opus post omnium curos

elaboratissimum, tabulis geographicis et imaginibus, priscum Germanorum

cultum moresque referentibus, exornatum, Leiden 1616/21631.

Martinus Cromerus (Martin Cromer): De origine et rebus gestis Polonorum libri

XXX, Basel 1550.

Iohannes Dubravius (Olomuzensis Episcopus): Historia Boiemica, Basel 1575.

Basilius Faber: Thesaurus eruditionis scholasticae sive supellex instructissima

vocum, verborum, ac locutionum: tum rerum, sententiarum, adagiorum ac

exemplorum (...), Leipzig 1587/ 21692.

Friedrich der Große (Frédéric le Grand): Mémoires pour servir à l'histoire de la

maison de Brandenbourg, Leipzig 1749.

Johann Christoph Gatterer: Einleitung in die synchronistische Universalhistorie.

Zur Erläuterung seiner synchronistischen Tabellen. 2 Bände, Göttingen 1771.

Ludwig Albrecht Gebhardi: Geschichte aller Wendisch-Slavischen Staaten. Erster

Band, welcher die älteste Geschichte der Wenden und Slaven, und die Geschichte

des Reichs der Wenden in Teutschland enthält, Leipzig 1790.

Edward Gibbon: The Decline and Fall of the Roman Empire, 6 vol., London 1776.


206

Johann Ludwig Gottfried (Abelin): Inventarium Sueciae. Das ist gründliche und

warhaffte Beschreibung des Königreichs Schweden und dessen incorporierten

Provinzen (...), Frankfurt/Main 1632.

Hugo Grotius: Historia Gotthorum, Vandalorum et Langobardorum, Amsterdam

1655.

Joachim Andreas Helwig (Helvigius): De Codice iuris provincialis vandalico-

rugiani eiusque compositione oratio quam sub ipsis rectoratus academici

auspiciis, Greifswald 1724.

A. Hessel: Dissertatio de Vandalis, Upsala 1698.

Joachim Hübner: Reales Staats- Zeitungs- und Conversationslexikon, Leipzig

1795.

Carl Iserhielm: Dissertatio historico-politica de Regno Westrogothorum in

Hispania, Upsala 1705.

Johannes Christoph(orus) Jordan: De originibus slavicis opus chronologico- geographico-historicum; ab antiquitate literis nota (...), Wien 1745.

Albert(us) Krantz: Wandalia. De Wandalorum vera origine, variis gentibus,

crebris e patria migrationibus, regnis item, quorum vel autores vel euersores

fuerunt, Köln 1519.

Albert(us) Krantz: Rerum Germanicarum historici claris regnorum Aquilonarium,

Daniae, Sueciae, Norvagiae chronica. Quibus gentium origi vetustissima et

Ostrogothorum, Wisigothorum, Longobardorum atque Normannorum antiquitus

inde profectorum, res in Italia, Hispania, Gallia et Sicilia gestae praeter

domesticam historiam narrantur, Köln 1546/ Frankfurt 1575.

Bernhard Latomus: Genealochronicon Megapolitanum, in: J. E. de Westphalen,

Monumenta inedita (...), Leipzig 1739, p. 9-67, erstmals 1610.

Nicolaus Leuthinger(ius): hg. von G. Küsther, Nicolai Leuthingerii opera omnia

quotquot reperiri potuerunt Georg G. Küstherus recensuit, 2. Bde., Frankfurt 1729;

Collectio Scriptorum de rebus Marchiae Brandenburgensis, 2. Bde.,

Frankfurt/Main und Leipzig 1729.

Josua Maaler: Die Teutsche spraach. Alle wörter/namen/und arten zu reden in

Hochteutscher spraach, dem ABC nach ordentlich gestellt unnd mit gutem Latein

gantz fleissig unnd eigentlich vertolmetscht, dergleychen bishar nie gesaehen

durch Josua Maaler burger zu Zürich, Tiguri 1561.

Conrad Mannert: Geschichte der Vandalen, Leipzig 1785.

Nicolaus Marschalk: Annalium Herulorum ac Vandalorum libri septem, in: J. E.

de Westphalen, Monumenta inedita (...), Tomus I, Leipzig 1739, p. 78-267, erstmals

1521.

Johann Jacob Mascov: Geschichte der Teutschen bis zu Anfang der Fränkischen

Monarchie in zehen Büchern verfasset, Leipzig 1726.

Johann Matthias a Sudetis: Bojemarum nationem non ex Slavis, ut Aenea Silvio et

Joanne Dubravio videtur, sed ex Russia seu Roxolania originem trahere verius

esse defendemus, Prag 1614.

Charles de Secondat Baron de la Brède et de Montesquieu: Considérations sur les

causes de la grandeur des Romains et de leur décadence, Paris 1734.


207

Giovanni Nanni (Annius): Berosi sacerdotis chaldaici antiquitatum libri quinque

cum commentariis Joannis Annii Viterbensis, Wittenberg 1612, erstmals Rom

1499.

Aenaes Silvius Piccolomini: De Bohemorum origine ac Gestis historia, Basel 1575,

erstmals 1475.

Jean Potocki: Fragments historiques et geographiques sur la Scythie, la Sarmatie

et les Slaves, tome I- III, Braunschweig 1796.

Johann Sigmund Valentin Popowitsch: Erstes Probestück vermischter

Untersuchungen, Regensburg 1749.

Thierry Ruinart: Historia Persecutionis Vandalicae in duas partes distincta. Prior

complectitur Victoris Vitensis libros V. et alia antiqua monumenta cum notis et

observationibus. Posterior commentarium historicum de persecutionis vandalicae

ortu, progressu et fine, Paris 1699.

Gottlob Benedikt Schirach: Observationes de Henetis, Venedis atque Vandalis

/De Henetis, Vandalis, de lacu Musicano, Chunis et Cunis, Slavanisque (Acta

Societatis Jablonovianae Vol. 4), Leipzig 1774.

August Ludwig Schlözer: Vorstellung der Universal-Historie, Göttingen 1775.

Christian Schöttgens: Commentatio de vita N. Marscalci Thurii, ed. A. Schmid,

Rostock 1752.

Johann Christoph Schurtzfleisch: De rebus slavicis, in: Dissertationes academicae

varii generis, 4 Bde., Wittenberg 1699.

Johannes Simonius: Stemma Megapolitanum et Vandalium/ Vandalia, in: J. E. de

Westphalen, Monumenta inedita (...), Tomus I, Leipzig 1739, p. 1542-1567,

erstmals 1598.

Christoph Ernst Steinbach: Vollständiges Deutsches Wörterbuch vel Lexicon Germanico-Latinum, Band 1 und 2, Bresslau 1734.

Louis Sébastien Lenain de Tillemont: Histoire des Empereurs, VI Bände, Paris

1732 - 1739.

Ernestus Joachimus de Westphalen: Monumenta inedita rerum Germanicarum

praecipue Cimbriacarum et Megapolensium quibus varia antiquitatum,

historiarum, legum juriumque Germaniae, speciatim Holsatiae et Megapoleos

vicinarumque regionum argumenta illustrantur, supplentur et stabiliuntur (...),

Tomus I - IV, Leipzig 1739.

Nicolaus Wilckens: Leben des Albert Krantz, Hamburg 1722.

Zedler: Grosses vollständiges Universallexikon aller Wissenschaften und Künste

(...), 167 Bände, verlegt durch Johann Heinrich Zedler, Leipzig/Halle 1745.


208

C. Literatur

 

 

Walter Baetke: Die Geschichte von den Dänenkönigen (Knytlingasaga), Thule.

Altnordische Dichtung und Prosa 2/19, Jena 1924.

Theodor Bieder: Geschichte der Germanenforschung I-III, Berlin 1921-1924.

Bernhard Bischoff: Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der

Karolingerzeit 1: Die bayrischen Diözesen, Wiesbaden 31974.

Laetitia Boehm; Rainer A. Müller: Hermes Handlexikon Universitäten und

Hochschulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Eine

Universitätsgeschichte in Einzeldarstellungen, Düsseldorf 1983.

Günther Böhme: Bildungsgeschichte des europäischen Humanismus, Darmstadt

1986.

Robert Bohn: Dänische Geschichte, C.H. Beck - Wissen, München 2001.

Gaston Boissier: L'Afrique romaine, Paris 91901.

Arno Borst: Der Turmbau zu Babel. Geschichte der Meinungen über Ursprung

und Vielfalt der Sprachen und Völker, I - IV, Stuttgart 1957-1963.

Egon Boshof; Kurt Düwell; Hans Kloft: Grundlagen des Studiums der

Geschichte, Böhlau Studien Bücher, Köln 1983.

E.S. Bouchier: Life and Letters in Roman Africa, Oxford 1913.

Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und

Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa,

Ergänzungsbände zum Reallexikon der Germanischen Altertumskunde Band 30,

Berlin/ New York 2001.

Fernand Braudel; Georges Duby; Maurice Aymard: Die Welt des Mittelmeers.

Zur Geschichte und Geographie kultureller Lebensformen, Frankfurt/Main 1985.

Harry Bresslau: Handbuch der Urkundenlehre für Deutschland und Italien. 2

Bände, Berlin 41969.

Gunnar Broberg; Torkel Jansson: Svenska symboler, in: Gunnar Broberg (Hg.):

Gyllene äpplen. Svensk idéhistorisk läsebok, Stockholm 1991, S. 1258-1264.

Lewis Caroll: Die blaue Raupe und wie man ohne sie eine Dissertation nicht

schreiben kann, Wien 2001.

Frank M. Clover: L'année de Carthage et les débuts du monnayage vandale, in:

Histoire et archéologie de l'Afrique du Nord/ Actes du IVe Colloque international

Tome I: Cartgage et son territoire dans l'antiquité (1990), S. 215-220.

Simon Coupland: The Vikings in Francia and Anglo-Saxon England to 911, in:

Rosamond McKitterick (Hg.): CMH II c. 700-900, Cambridge 1995, S.

Pierre Courcelle: Histoire littéraire des grandes invasions germaniques, Paris

31964.

Christian Courtois: Les Vandales et l'Afrique, Paris 11955.

Christian Courtois: Victor de Vita et son oeuvre, Algier 1954.

George Crossley: Die Kaiserchronik, Berlin 1939.

Florin Curta: The Making of the Slavs. History and Archaeology of the Lower

Danube Region, c. 500-700, Cambridge Studies in Medieval Life and Thought.

Fourth Series, Cambridge 2001.


209

F. C. Dahlmann: Geschichte von Dänemark, 1-3, Geschichte der europäischen

Staaten, Hamburg 1840-1843.

Felix Dahn: Die Könige der Germanen. Das Wesen des ältesten Königthums der

germanischen Stämme und seine Geschichte bis zur Auflösung des karolingischen

Reiches. Erster Band/ Zweite Abtheilung. Die Vandalen, München 1861.

Alexander Demandt: Der Fall Roms. Die Auflösung des römischen Reiches im

Urteil der Nachwelt, München 1984.

Alexander Demandt: Vandalismus. Gewalt gegen Kultur, Berlin 1997.

Émilienne Demougeot: La formation de l'Europe et les invasions barbares, 1 und

2, 1/2, Paris 1969/79.

Hans-Joachim Diesner: Das Vandalenreich. Aufstieg und Untergang, Stuttgart

1966.

Philipp Dollinger: Die Hanse, Hamburg 31981.

Pavel Dolukhanov: The Early Slavs. Eastern Europe from the Initial Settlement to

the Kievan Rus, London/New York 1996.

Erich Donnert: Rußland an der Schwelle der Neuzeit. Der Moskauer Staat im 16.

Jahrhundert, Berlin (Ost) 1972.

Robert B. Eno: Fulgentius. Selected Works, The Fathers of the Church 95,,

Washington D.C. 1997.

Verena Epp: Amicitia. Zur Geschichte personaler, sozialer, politischer und

geistlicher Beziehungen im frühen Mittelalter, Monographien zur Geschichte des

Mittelalters Band 44, Stuttgart 1999.

Ole Feldbaek (Hg.): Dansk Identitetshistorie I - IV, Kobenhaven 1991/92.

Johannes Fried: Die Formierung Europas. 840-1046, Oldenbourg Grundriss der

Geschichte Band 6, München 1993.

Wolfgang Fritze: Untersuchungen zur frühslawischen und frühfränkischen

Geschichte bis ins 7. Jahrhundert, Frankfurt/Main 1945/1994.

Eduard Fueter: Geschichte der neueren Historiographie, Handbuch der

mittelalterlichen und neueren Geschichte. Abteilung I. Allgemeines, München

1936.

Georg Goetz: Der liber glossarum, in: (Hg.): Abhandlungen der philolog.-histor.

Klasse der k. sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Leipzig 1893,

S. 218-267.

Walter Goffart: The Narrators of Barbarian History (AD 550-800). Jordanes,

Gregory of Tours, Bede and Paul the Deacon, Princeton 1988.

Walter Goffart: The Supposedly 'Frankish' Table of Nations: An Edition and

Study, in: FMSt 17 (1983), S. 98-130.

Friedrich Gotthelf: Das deutsche Altertum in den Anschauungen des sechzehnten

und siebzehnten Jahrhunderts, Forschungen zur neueren Literaturgeschichte 13,

Berlin 1900.

Frantisek Graus: Die Nationenbildung der Westslawen im Mittelalter,

NATIONES. Historische und philologische Untersuchungen zur Entstehung der

europäischen Nationen im Mittelalter. Band 3, Sigmaringen 1980.

Frantisek Graus: Lebendige Vergangenheit. Überlieferung im Mittelalter und in

den Vorstellungen vom Mittelalter, Köln 1975.


210

S. Gsell: Histoire ancienne de l'Afrique du Nord, 1-5, Paris 21929.

Michael Hamann: Mecklenburgische Geschichte. Von den Anfängen bis zur

Landständischen Union von 1523, Berlin 1968.

Paul Grinder Hansen: Die Slawen bei Saxo Grammaticus - Bemerkungen zu den

Gesta Danorum, in: Christian Lübke und Ole Harck (Hg.): Zwischen Reric und

Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren slawischen

Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer internationalen Konferenz

Leipzig 4.-6. Dezember 1997, Stuttgart 2001, S. 179-187.

Hanno Helbling: Goten und Wandalen. Wandlung der historischen Realität,

Zürich 1954.

Manfred Hellmann: Neue Kräfte in Osteuropa. Die Slawen, in: Theodor Schieder

(Hg.): Handbuch der europäischen Geschichte, 1, Stuttgart 1976, S. 357-370.

Johann Gottfried Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit,

Sämtliche Werke in zehn Bänden, Frankfurt/Main 1985.

Johann Gottfried Herder (Hg.): Journal meiner Reise im Jahre 1769, Sämtliche

Werke in zehn Bänden, Frankfurt/Main 1985.

Joachim Hermann (Hg.): Die Slawen in Deutschland. Geschichte und Kultur der

slawischen Stämme westlich von Oder und Neisse vom 6. bis 12. Jahrhundert,

Berlin 1972.

Erwin Herrmann: Slawisch-germanische Beziehungen im südostdeutschen Raum

von der Spätantike bis zum Ungarnsturm. Ein Quellenbuch mit Erläuterungen, Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 17, München 1965.

Joachim Herrmann (Hg.): Welt der Slawen. Geschichte. Gesellschaft. Kultur,

München 1986.

Richard Heuberger: Vandalische Reichskanzlei und Königsurkunde im Vergleich

mit verwandten Einrichtungen und Erscheinugen, in: (Hg.): MIÖG, Erg. Bd. 11,

Innsbruck 1929, S. 89-124.

Heinz Heubner: Die Überlieferung der Germania des Tacitus, in: Dieter Timpe

und Herbert Jankuhn (Hg.): Beiträge zum Verständnis der Germania des Tacitus,

I, Göttingen 1989, S. 16-27.

Hans Hildebrand: Det Svenska Riksvapnet, in: Antiqvarisk tidskrift 7 (1884), S.

59-102.

Heinz Hofmann: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. 4. Spätantike. Mit

einem Panorama der byzantinischen Literatur, Wiesbaden 1997.

Oswald Holder-Egger: Über einige bairische Heiligenviten, in: NA 13 (1889), S.

19-34.

Alexander Horawitz; Klaus Hartfelder (Hg.): Beatus Rhenanus Briefwechsel,

Leipzig 1886.

Pontus Hultén (Hg.): The true story of the Vandals. Museum Vandalorum

Värnamo, Värnamo 2001.

Paul Joachimsen: Geschichtsauffassung und Geschichstschreibung in

Deutschland unter dem Einfluß des Humanismus, Beiträge zur Kulturgeschichte

des Mittelalters und der Renaissance. Heft 6, Leipzig 1910.

Hans-Dietrich Kahl: Heidnisches Wendentum und christliche Stammesfürsten.

Ein Blick in die Auseinandersetzung zwischen Gentil- und Universalreligion im

abendländischen Hochmittelalter, in: AfKuG 44 (1962), S. 72-119.


211

Horst Kirchner: Das germanische Altertum in der deutschen

Geschichtsschreibung des achtzehnten Jahrhunderts, Historische Studien Heft 333,

Berlin 1938.

Gerhard Köbler: Historisches Lexikon der deutschen Länder. Die deutschen

Territorien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 61999.

Leszek Kolakowski: Main Currents of Marxism. 1. The Founders, Oxford 1978.

August von Kotzebue: Preußens ältere Geschichte, Band 1, Riga 1808.

Otto Krabbe: David Chyträus, Rostock 1870.

Otto Krabbe: Die Universität Rostock im 15. und 16. Jahrhundert. Teil 1, Rostock

1878.

Hans Krahe: Das Venetische. Seine Stellung im Kreis der verwandten Sprachen,

Heidelberg 1950.

Hans Krahe: Sprache und Vorzeit. Europäische Vorgeschichte nach dem Zeugnis

der Sprache, Heidelberg 1954.

Bruno; Autorenkollektiv Krüger (Hg.): Die Germanen. Geschichte und Kultur

der germanischen Stämme in Mitteleuropa. Ein Handbuch in zwei Bänden, Berlin

1976.

Bruno Krusch: Der Bayernname, Der Kosmograph von Ravenna und die

Fränkische Völkertafel, in: NA 47 (1928), S. 31-76.

Alfons Kurfess: Sibyllinische Weissagungen, München 1951.

Peter Lauring: Geschichte Dänemarks, Neumünster 1964.

Walter Lendi: Untersuchungen zur frühalamannischen Annalistik. Die Murbacher

Annalen, Freiburg 1971.

Alphons Lhotsky: Privilegium Maius. Die Geschichte einer Urkunde, Österreich

Archiv, München 1957.

Fritz Losek: Conversio Bagoariorum et Carantanorum und der Brief des

Erzbischofs Theotmar von Salzburg, MGH Studien und Texte Band 15, Hannover

1997.

Christian Lübke: Regesten zur Geschichte der Slaven an Elbe und Oder (vom Jahr

900 an). Teil IV. Regesten 1013-1057, Osteuropastudien der Hochschulen des

Landes Hessen. Reihe I. Giessener Abhandlungen zur Agrar- und

Wirtschaftsforschung des europäischen Ostens. Band 152, Berlin 1987.

Max Manitius: Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters. Erster Teil:

Von Justinian bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts, Handbuch der

Altertumswissenschaft 9, 2, 1, München 1911.

J.R. McGeachy: The Glossarium Salomonis and its Relationship to the Liber

Glossarum, in: Speculum 13 (1938), S. 309-318.

Aloys Meister (Hg.): Gebhardts Handbuch der Deutschen Geschichte. Erster

Band. Von der Urzeit bis zur Reformation, Berlin 61922.

Hans Messmer: Hispania-Idee und Gotenmythos. Zu den Voraussetzungen des

traditionellen vaterländischen Geschichstbilds im spanischen Mittelalter, Geist

und Werk der Zeiten Heft 15, Zürich 1960.

Pierre Michel: Barbarie, Civilisation, Vandalisme, in: Rolf; Schmitt Reichardt,

Eberhard (Hg.): Handbuch politisch-sozialer Grundbegriffe in Frankreich 1680-

1820, 8, München 1988, S. 7-51.


212

Franz Miltner: s.v. Vandalen, in: RE VIII A,1 (1955), S. 298-335.

Eva Moldenhauer; Karl Markus (Hg.): Vorlesungen über die Philosophie der

Geschichte, Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Werke 12, Frankfurt/Main 1970.

John Moorhead: Victor of Vita: History of the Vandal Persecution. Translated

with notes and introduction, Translated Texts for Historians 10, Liverpool 1992.

Olaf Mörke: Bataver, Eidgenossen und Goten: Gründungs- und

Begründungsmythen in den Niederlanden, der Schweiz und Schweden in der

frühen Neuzeit, in: Helmut Berding (Hg.): Mythos und Nation. Studien zur

Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit 3, Frankfurt/Main 1996,

S. 104-132.

Rudolf Much: Die Germania des Tacitus, Heidelberg 31967.

Ulrich Muhlack: Geschichtswissenschaft im Humanismus und in der Aufklärung.

Die Vorgeschichte des Historismus, München 1991.

Erich Nellmann: Die Reichsidee in deutschen Dichtungen, München 1963.

Peter Neumeister: Die slawische Ostseeküste im Spannungsfeld der

Nachbarmächte (bis 1227/1239), in: Christian Lübke und Ole Harck (Hg.):

Zwischen Reric und Bornhöved. Die Beziehungen zwischen den Dänen und ihren

slawischen Nachbarn vom 9. bis ins 13. Jahrhundert. Beiträge einer

internationalen Konferenz Leipzig 4.-6. Dezember 1997, Stuttgart 2001, S. 37-57.

Viktor Anton Nordmann: Die Wandalia des Albert Krantz, Tom. XXIX,

Suomalaisen Tiedeakamian Toimituksia/ Annales Academiae Scientiarum

Fennicae, Helsinki 1934.

Massimo Pallotino: Etruskologie. Geschichte und Kultur der Etrusker, Berlin

1989.

Felix Papencordt: Geschichte der vandalischen Herrschaft in Afrika, Berlin 1837.

Richard Georg Plaschka: Von Palackybis Pekap. Geschichtswissenschaft und Nationalbewußtsein bei den Tschechen, Wiener Archiv für Geschichte des

Slawentums und Osteuropas 1, Graz/Köln 1955.

Walter Pohl: Das awarische Khaganat und die anderen Gentes im

Karpatenbecken (6.-8. Jh.), in: Bernd Hänsel (Hg.): Die Völker Südosteuropas im

6.-8. Jh. . Symposion Tutzing 1985. Südosteuropajahrbuch 17, Wien 1987, S.

Walter Pohl: Die Awaren. Ein Steppenvolk in Mitteleuropa 567 - 822 n. Chr.,

Reihe 'Frühe Völker', München 1988.

Walter Pohl: Die Germanen, Enzyklopädie deutscher Geschichte Band 57,

München 2000.

Walter Pohl: Die Völkerwanderung. Eroberung und Integration, Stuttgart 2002.

Erich Polaschek: Ptolemaios als Geograph, in: RE Suppl. 10 (1965), S. 733-770.

Jutta Reisinger; Günter Sowa: Das Ethnikon Sclavi in den lateinischen Quellen bis

zum Jahr 900. Beiheft Nr. 6, Glossar zur frühmittelalterlichen Geschichte im

östlichen Europa, Stuttgart 1990.

Colin Renfrew: Archaeology and Language. The Puzzle of Indo-European

Origins, London 1989.

Thomas Riis: Les institutions politiques centrales du Danmark 1100-1332, Odense

University Studies in History and Social Sciences Vol. 46, Odense 1977.

Walter Rüegg: Geschichte der Universität in Europa. Band II. Von der

Reformation zur Französischen Revolution (1500 - 1800), München 1992.


213

Pavel Joseph Schafarschik: Slawische Alterthümer, deutsch von Mosig von

Aehrenfeld, 1 und 2, Leipzig 1844.

Martin Schanz; Carl Hosius; Gustav Krüger: Geschichte der römischen Literatur

von den Anfängen bis zum Gesetzgebungswerks des Kaisers Justinian 4, 2: Die

römische Literatur von Constantin bis zum Gesetzgebungswerk Justinians. Die

Literatur des fünften und sechsten Jahrhunderts, 4, 2, Handbuch der

Altertumswissenschaft 8, 4, 2, München 31920.

Herbert Schelesniker: Der Name der Slawen. Herkunft, Bildungsweise und

Bedeutung, Innsbruck 1973.

Eugen Carl Scherers: Geschichte und Kirchengeschichte an den deutschen

Universitäten, Freiburg 1927.

Ludwig Schmidt: Die Wandalen, Dresden 11901/1942.

A. E. Schönbach: Des Bartholomaeus Anglicus Beschreibung Deutschlands gegen

1240, in: MIÖG 27 (1906), S. 54-90.

Martin Schönfeld: Wörterbuch der altgermanischen Personen- und Völkernamen,

Heidelberg 1911.

Andreas Schwarcz: Bedeutung und Textüberlieferung der Historia persecutionis

Africanae provinciae des Victor von Vita, in: Anton Scharer und Georg

Scheibelreiter (Hg.): Historiographie im frühen Mittelalter, Wien 1994, S. 115-140.

Klaus von See: Europa und der Norden im Mittelalter, Heidelberg 1999.

Bernhard Sepp: Nochmals zur Legende der hl. Marinus und Annian, in: Studien

und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens XXXIV (1913), S. 719-

734.

Rolf Sprandel: Quellen zur Geschichte der Hanse, AusgQqMA 36, Darmstadt

1982.

Gerard Sprigath: Sur le vandalisme révolutionnaire, in: Annales historique de la

Révolution Francaise 52 (1980), S. 510-535.

Ludwig Steinberger: Wandalen=Wenden, in: Archiv für slavische Philologie 37

(1920), S. 116-122.

Ludwig Steinberger: Zum dritten Male die Legende der hl. Marinus und Annian,

in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens XXXV

(1914), S. 305-307.

Ludwig Steinberger: Zur Legende der hl. Marinus und Annian. Patrone des Stifts

Rott, in: Studien und Mitteilungen zur Geschichte des Benediktinerordens XXXIV

(1913), S. 110-131.

E. Steinmeyer; E. Sievers: Die althochdeutschen Glossen I-IV, Berlin 1893ff.

Harald Stemmermann: Die Anfänge der deutschen Vorgeschichtsforschung,

Berlin 1934.

Jan Svennung: Zur Geschichte des Goticismus, Skrifter Utgivna av K.

Humanistiska Vetenskapssamfundet i Uppsala. Acta Societatis Litterarum

Humaniorum Regiae Upsaliensis 44:2 B, Stockholm 1967 a.

Heinrich Thomas: Bemerkungen zu Datierung, Gestalt und Gehalt des Annolieds,

in: ZDPh 96 (1977), S. 24-61.

Dieter Timpe: Die Söhne des Mannus, in: Chiron 21 (1991), S. 69-124.


214

Dieter Timpe: Romano-Germanica. Gesammelte Studien zur Germania des

Tacitus, Stuttgart 1995.

Hans-Jürgen Torke: Lexikon zur Geschichte Rußlands, München 1985.

Jürgen Untermann: Veneti, in: RE Suppl. XV (1978), S. 855-898.

Wilhelm Wackernagel: Das Wessobrunner Gebet und die Wessobrunner Glossen,

Berlin 1827.

Franz Xaver Wegele: Geschichte der deutschen Historiographie seit dem

Auftreten des Historismus, Geschichte der Wissenschaften in Deutschland.

Neueste Zeit. 20. Band. Geschichte der deutschen Historiographie, München 1885.

Reinhard Wenskus: Stammesbildung und Verfassung. Das Werden der

frühmittelalterlichen Gentes, Köln 21961/1977.

Gustav Wolf: Quellenkunde der deutschen Reformationsgeschichte. Band I und

II, Gotha 1915.

Herwig Wolfram: Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der

Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien,

Böhlau Quellenbücher, Wien 1979.

Herwig Wolfram: Das Reich und die Germanen. Zwischen Antike und Mittelalter,

Deutsche Geschichte 1, Berlin 31998.

Herwig Wolfram: Die Goten. Von den Anfängen bis zur Mitte des sechsten

Jahrhunderts. Entwurf einer historischen Ethnographie, München 42001.

Herwig Wolfram: Grenzen und Räume. Geschichte Österreichs vor seiner

Entstehung. 378-907, Wien 1995.

Herwig Wolfram: Intitulatio I. Lateinische Königs- und Fürstentitel bis zum Ende

des 8. Jahrhunderts, Erg. Bd. 21, MIÖG, Graz 1967.

Herwig Wolfram: Konrad II. (990-1039). Kaiser dreier Reiche, München 2000.

Herwig Wolfram: Salzburg. Bayern. Österreich. Die Conversio Bagoariorum et

Carantanorum und die Quellen ihrer Zeit, MIÖG Ergänzungsband 31, Wien 1995.

Joseph Frederick Zacek: Palacky. The Historian as Scholar and Nationalist, The

Hague/Paris 1970.

Heinrich Zeissberg: Die polnische Geschichtsschreibung des Mittelalters,

Preisschriften gekrönt und herausgegeben von der Fürstlich Jablonowskischen

Gesellschaft zu Leipzig, Leipzig 1873.

Kaspar Zeuss: Die Deutschen und die Nachbarstämme, München/ Heidelberg

21837/1925.

Erich Zöllner: Geschichte der Franken bis zur Mitte des sechsten Jahrhunderts,

München 1970.